Manchmal sind es widrige Umstände, die dafür sorgen, dass Medien wieder brisant werden. Richtig bitter und geradezu tragisch ist es aber, wenn es dafür einen Krieg brauchte. Arte hatte die erste Staffel von „Diener des Volkes“ bereits im Programm und nahm sie aus aktuellem Anlass wieder in das Sortiment der Mediathek auf. Es ist die Serie, in der Wolodymyr Selenskyj einen Lehrer spielt, der überraschend und mit wenig Qualifikation zum Präsidenten der Ukraine gewählt wurde. Jahre bevor der Schauspieler Selenskyj dann tatsächlich zum Präsidenten gewählt wurde. Die Besprechung ist spoilerfrei.
Früh morgens, werktags, verschlafen, Hektik setzt ein. Der Geschichtslehrer Wassyl „Wasja“ Petrowitsch Holoborodko (Wolodymyr Selenskyj) ist schon spät dran, dann steht plötzlich der Ministerpräsident Jurij Iwanowytsch Tschujko (Stanislaw Boklan) samt Bodyguard-Entourage vor der Tür und begrüßt ihn als Herrn Präsidenten. Rückblickend erfahren wir wie ein viral durch die Decke gegangenes Videos des Lehrers zu seiner Präsidenschaftskandidatur führte. Ein Schüler hat es heimlich aufgenommen. Es zeigt Wasja bei einer Wutrede auf Korruption und mit reichlich Kritik an der ukrainischen Politik. Und das kommt offenbar gut an. So ließ sich Wasja aufstellen und wurde tatsächlich gewählt. Seine volksnahen, ehrlichen Ansprachen treffen genau dahin, wo es weh tut und adressieren Korruption, Staatsschulden und die Beziehungen zu den „lieben“ Vettern. Aber jetzt geht es erst richtig los – ein Kabinett muss gebildet werden. Korrupte Eliten will er loswerden. Aus dem Schatten heraus beobachten gesichtslose Oligarchen das Schauspiel. Anfangs halten die Wasja noch für ein flüchtiges Phänomen, später für eine Gefahr ihres Lebensstils.
„Diener des Volkes – Trailer mit deutschen Untertiteln“, via M 2K (Youtube) – der Musikoverlay gehört nicht zur Serie
Wirkt irgendwie zu einfach wie Wasja Präsident wird? Vielleicht ein bisschen. 🙂 So ganz realistisch ist es auch nicht, dass Wasjas Schüler:innen in traditioneller ukrainischer Festtagsbluse und mit Schlips und Jackett im Unterricht sitzen. Auch dafür, dass er sein Kabinett aus seinen teilweise nicht qualifizierten Freunden besetzt, brauch man viel Vorstellungsvermögen. Ob seine Vetternwirtschaft besser ist als die Stellen mit denselben Korrupten wie zuvor zu besetzen – das steht außer Frage. Es ist unheimlich bitter und satirisch wie die Sünden der Vorgänger einer nach dem anderen aufgezeigt werden. Alle in Wasja Kabinett haben eine hohe Aufopferungsbereitschaft und Gerechtigkeitssinn. Zu schön um wahr zu sein? Aber muss es realistisch sein? Nein. Wo wäre denn da der Spaß. Und wenn gezeigt wird, was sich auf Wasjas Schreibtisch an Problemen auftürmt, dann hat das schon den bitteren Realismus inne.
Wasjas bodenständige Herangehensweise mündet oftmals in Comedy. So wenn er beispielsweise versucht zu verheimlichen, dass er in seinem Büro übernachtet, weil er zuhause rausgeflogen ist. 🙂 Oder wenn er versucht sich vor streitender Masse Gehör zu verschaffen, indem er kurz mal ruft „Putin wurde gestürzt!“ Wie versucht er aber die Politik des Landes aufzuräumen? Einsparmaßnahmen, Steuern, Schulden zurückzahlen, Wodka teuer machen, uff. Selbst die eigene Familie versucht anfangs den Ruf des Präsidentensohnes für Vergünstigungen und Annehmlichkeiten einzusetzen, was er nicht durchgehen lässt. Kurzum: er macht sich nicht nur beliebt. In der Serie steht ihm eigentlich die Residenz Meschyhirja zu Verfügung. Übrigens gedreht am Originalschauplatz: Wiktor Janukowytschs einstiger „Privat“wohnsitz. Aber Wasja will alles anders machen. Und verzichtet.
Nicht nur Wasjas konsequentes Aufräumen gefällt, auch die Nebencharaktere. Viel Spaß hatte ich beispielsweise mit seinem machohaften Freund Sergei Wiktorowitsch Mukhin (Evgeniy Koshevoy), der Außenminister wird und dessen cleverer und zugeknöpfter Assisstentin Oksana Skoworoda (Olga Zhukovtsova-Kyiashko), die ständig (vergeblich?) versucht ihm landestypische Weisen der Gesprächspartner:innen nahe zu bringen. Blendend ist die Professionalität von Wasjas Sekretärin Bella Rudolfivna (Valentina Ishchenko). Ein paar Gags entgehen mir als Zuschauerin, die nur Brocken Russisch und Ukrainisch kann und deswegen auf die Untertitel angewiesen ist. Beispielsweise die von Wasjas Chef des Sicherheitsdienstes Michail Aschotowitsch Kosunian (Michail Fatalov), der wohl einen spannenden Mix aus Russisch und anderen Sprachen spricht. Überhaupt ist interessant, dass wohl hauptsächlich Russisch gesprochen wird.
Was tatsächlich gewöhnungsbedürftig ist aber sicherlich auch bei weitem nicht alle Zuschauer:innen stören wird ist der relativ simple Fernsehlook und der Mangel großartiger inszenatorischer Rafinesse. Ein paar wenige Cringe-Momente gibt es, wenn Wasja in besonders entscheidenden oder kritischen Situationen Tagträume hat, in denen er von bekannten Führungspersönlichkeiten und Regenten der Vergangenheit besucht wird. Die Einlagen sind schon witzig, die Kostüme manchmal eher so naja. Unter dem Strich ist Diener des Volkes als Serie optisch solide. Die Qualitäten sind ganz klar andere.
„Diener des Volkes – Merkelszene aus Folge 18von23“, via Susanne Hübner (Youtube)
Zum Einen, dass die Kritik an Politikergehältern, Lobbyismus oder Korruption letzten Endes die Politikmaschinerie allgemein persifliert und damit abrechnet. Zum Anderen ist da auch noch der bittere Zeitgeist. Beispielsweise, wenn Angela Merkel anruft und zum Beitritt in die EU gratuliert, nur um dann zu merken, dass sie aus Versehen das falsche Staatsoberhaupt angerufen hat und sowieso Montenegro gemeint war – ups. Noch krasser: wenn Wasja seinem Sohn Dima schwört, dass es viele gibt, die ihnen weh tun wollen, aber er ihn beschützen wird. Autsch. Der wohl krasseste Moment ist aber als Wasja einen dieser Tagträume von Iwan, dem Schrecklichen, hat. Der sagt ihm er müsse sich im Volk durch Gewaltherrschaft Gehör verschaffen, die Köpfe müssen nur so rollen. Warum? Weil so „machen wir Russen das“. Als Wasja ihm sagt, dass er demokratisch gewählt wurde, sie Ukrainer:innen seien und ein freies Volk, kann Tagtraum-Iwan das kaum glauben. Und reagiert auf die einzige Art, die er kennt. Mit Gewalt. Bloß gut, dass Wasja aus diesem bösen Traum aufwacht. (8/10)
Die Staffel kann aktuell noch in der Arte Mediathek gestreamt werden und soviel sei verraten: sie hat ein fabelhaftes Finale und ein Ende, nach dem man gerne weiterschauen möchte. Manche würden vielleicht sogar sagen einen leichten Cliffhager. Für Mai wurden die zweite und dritte Staffel von „Diener des Volkes“ auf Arte angekündigt und ich freue mich drauf. Habt ihr die Serie zufällig auch gesehen? Wie hat sie euch gefallen?
„Servant of the people opening Music“, via Yakushi Kabuto (Youtube)
Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).
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