Man kann sich darüber streiten, ob das offizielle Poster zum Film jetzt besonders zum Schauen einlädt. Also damit wir uns nicht falsch verstehen – ich meine das mit der sich im Strahl erbrechenden Sunnyi Melles. Und ja, in dem Film gibt es eine Menge unappetitliche Szenen. Zu gewollt? Zu „in your face“? Zusammen mit der Satire auf Klassenunterschiede und Geschlechterrollen bietet es jedenfalls eine Menge Diskussionsstoff. Besprechung ist spoilerfrei.
Jetzt noch ein Selfie während des Essens auf der teuren Yacht. Ja, schöne S-Kurve mit dem Oberkörper, in die Kamera schauen, klick, klick, klick, Filter, Hashtags, posten. Die Models Yaya (Charlbi Dean Kriek) und Carl (Harris Dickinson) betreiben zusammen einen Instagram-Kanal. Und auch wenn Carl weniger gut bezahlte Engagements als Male-Model erhält als seine Freundin, bringt das Influencer-Dasein einige Extras mit sich. Zum Beispiel auf eine Edel-Kreuzfahrt eingeladen zu werden. Ob Yara die teuren Spaghetti dann noch isst, nachdem dass Selfie gepostet wurde? Nein, bist du verrückt!? Auch der schwerreiche Russe Dimitry (Zlatko Burić) und seine Frau Vera (Sunnyi Melles) finden sich an Bord wieder wie auch die nach einem Schlaganfall auf einen Rollstuhl angewiesene Therese (Iris Berben). Zur Crew gehört u.a. der Kapitän Thomas (Woody Harrelson), der mit dem ganzen Laden irgendwie abgeschlossen hat, die Chefin des Service-Personals Paula (Vicki Berlin) und die Reinigungskraft Abigail (Dolly De Leon). Und dann gerät das Schiff in einen heftigen Sturm.
Sorry, ich kann nix für den Thumbnail.
TRIANGLE OF SADNESS – Official Trailer – In Theaters October 7, NEON, Youtube
Triangle of Sadness macht Regisseur Ruben Östlund zum erneuten Gewinner der Goldenen Palme der Filmfestspiele von Cannes. Der erste Streich war vor 5 Jahren The Square, den ich ebenso krass fand. Das mag für Filmbesprechungen ein inadäquates Adjektiv sein. Weil was bedeutet schon „krass“? Aber es ist so. Wie oben erwähnt, kann man sich darüber streiten, ob all das nicht auch subtiler möglich gewesen wäre. Ohne Erbrochenes, ohne Pipi-Kacka, ohne den Wink mit dem Zaunpfahl. Aber der Kontrast des Edel-Popanz‘ gegenüber all dem Unfeinen, unschönen, nicht wohl riechenden (ein Glück dass es kein Geruchskino gibt) ist nun mal besonders wirkungsvoll. Es ist allerdings nicht nur das, sondern auch das Groteske, mit dem sich alle in dieser von Machtverhältnissen aufgegliederten Welt wiederfinden. Nicht alle von ihnen haben etwas dafür getan, dass sie auf der Yacht sein dürfen. Das Ungleichgewicht ist da, aber weniger in Stein gemeißelt als die Reichen und Schönen denken. Man muss nur mal ihre Privilegien aus der Gleichung nehmen. Das geht hervorragend, nachdem das Schiff erstmal gesunken ist und sie irgendwo an Land gespült werden, wo Geld plötzlich nichts mehr wert ist.
Erneut stammt das Drehbuch von Östlund und ich möchte behaupten, dass die Parallelen und die schlussendliche Botschaft besser gelingt als in The Square. Was als typisches Beziehungsgezänk zwischen Carl und Yara damit beginnt wer die Restaurantrechnung bezahlt, wird zu einer Diskussion um Geschlechterrollen und wie leichtfertig wir uns denen hingeben. Gegen Ende des Films wird ein Bogen geschlagen. Nachdem Glanz und Glamour vorbei sind, das Schiff verunglückt ist, die Überlebenden gestrandet sind, kehren sich sowohl die Machtverhältnisse als auch so manche Geschlechterrollen um. Den Unterschied macht eine Frau. Die philippinische Darstellerin Dolly De Leon sehen wir hoffentlich bald in noch viel mehr westlichen Produktionen. Auch die Erkenntnis, dass der Cast feingliedrig aus allen möglichen Nationen besetzt ist, macht ziemlich Spaß. Nennen wir es den „Das ist doch Iris Berben!?“-Effekt.
Östlunds Handschrift bemerkt man auch in der relativ länglichen Exposition und Lakonie, mit der unsere lustige Edel-Kreuzfahrt-Gemeinschaft das Geschehen um sie herum beobachtet und sich all dem hingibt. Was sollen Carl und Yaya auch sagen, wenn das süße, alte Pärchen ihnen erzählt, dass sie im „Gewerbe der Friedensaufrechterhaltung“ ihr Vermögen gemacht haben und damit meinen, dass sie mit Herstellung und Vertrieb von Handgranaten reich geworden sind? Die bittere Ironie und Gesellschaftskritik von Östlund lächelt uns schelmisch überall entgegen. Zarte Gemüter werden nicht aus dem Film gehen und sich sagen, ach was für ein schöner Ort die Welt doch ist. Aber es tut gut zu sehen, dass die Reichen und Schönen genauso aussehen wie wir, wenn sie sich erbrechen. Vielleicht sind sie sogar etwas hilfloser.
Ja schön und gut, aber haben die Kritiker:innen-Stimmen recht, dass die Stilmittel, die Bilder, die Effekte und die Empörung in Triangle of Sadness zu einfach erkauft sind? Dass der Film zu wenig subtil ist und es sich zu einfach macht? Würde das so laufen, ja? Dann ist es eben vorhersehbar und einfach erkauft. Es sind stattdessen andere Fragen, die ich mir stelle und die für mich unschärfer umrissen sind als andere Aspekte des Films. Beispielsweise die Rolle von Iris Berben als Therese. Ihr Nervenleiden infolge des Schlaganfalls und dessen Seiteneffekte unterstreichen fein das Groteske. Möglicherweise ist sie auch eine Hommage an die Widerstandsfähigkeit oder die Mittel, die den gut betuchten zur Verfügung stehen. Aber ist das alles, wofür wir ihre Rolle gebraucht haben? Oder Woody Harrelsons Kapitän in der Krise, irgendwo zwischen Sozialismus, Kapitalismus und Schwadronieren über Marx und Engels? Manches war etwas viel, da haben andere Kritiker:innen wohl recht. Und es ist keinesfalls nur das Erbrochene. Letzten Endes finde ich das Ende wirklich etwas einfach erkauft und nicht so innovativ wie der dortige Kunstgriff erscheinen mag. Andererseits habe ich das nicht gezeigte aber auch nicht vermisst. Die Botschaft war bis dahin wohl tatsächlich überdeutlich. Triangle of Sadness wird viel dafür kritisiert, dass es viel zu offensichtlich ist und viel zu gern schockiert. Aber als jemand, der sich viele Privilegien erarbeiten musste und allein durch Arbeit (wie die meisten Menschen) nie reich werden wird, kann ich leider nicht anders als mich gut unterhalten zu fühlen. Mit einem Hauch von Genugtuung. Und dann etwas Schock. Und es tut mir nicht leid, auch wenn mir meine Objektivität hier ein leises bisschen entgleitet. Mir hat’s Spaß gemacht.
Triangle of Sadness, Schweden/UK/USA/Frankreich/Griechenland/Türkei, 2022, Ruben Östlund, 147 min, (9/10)
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Über das Ende diskutieren (oder alles andere an dem Film) kann man trotzdem ganz wunderbar. 😉 Übrigens war Iris Berben nicht der einzige Aha-Moment. Harris Dickinson erkannte ich in dem Film aus Gesang der Flusskrebse wieder. Die Schauspielerin Charlbi Dean Kriek, die hier als Yaya zu sehen ist, verstarb leider im August diesen Jahres, was mich dann doch etwas kalt erwischt hat. Habt ihr „Triangle of Sadness“ gesehen? Und ist es schräg euch nach eurer Lieblingsszene zu fragen?
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