Serienlandschaft: Serien-Besprechung zu „Copenhagen Cowboy“ S1

In mir gärt immer noch Unzufriedenheit darüber, dass man 1899 nicht mal eine abschließende zweite Staffel bewilligen konnte. Da schaue ich die nächste Serie, deren Zukunft ich als ungewiss befürchte. Seufz. Warum habe ich sie dann geschaut? Weil ich ein Opfer bin! Denn es steht schließlich Nicolas Winding Refn drauf und wie man dem Blog entnehmen kann, bin ich schon etwas Fan. Nicht von allem von NWR , was seine nicht mehr ganz so neue Selbstbezeichnung ist, aber von vielem. Und dann fand Sebastian „Copenhagen Cowboy“ auch noch großartig und spätestens dann kannte ich kein Halten mehr. Die Besprechung verrät, ob wir eine zweite Staffel brauchen, wie wahrscheinlich wir sie meiner Meinung nach bekommen und ist spoilerfrei.

Glücksbringer

Miu (Angela Bundalovic) ist schon einiges gewöhnt und nicht mehr besonders überrascht als sie an Rosella (Dragana Milutinović) verkauft wird. Als „Glücksbringer“ hat die abergläubische Rosella sie erworben, damit sie endlich ein Kind bekommt. Miu sieht aber auch, dass Rosellas Halbbruder (Ramadan Huseini) zig junge Frauen gegen ihren Willen festhält und ihre Papiere einkassiert hat. Sie dachten sie heuern bei einer Modelagentur an, jetzt befinden sie sich in Zwangsprostitution irgendwo in Dänemark. Miu kommt aber an den Punkt, an dem sie sich das nicht mehr mit ansehen kann. Es beginnt eine langwierige Reise durch die Unterwelt Kopenhagens, in der zunehmend unklarer wird, ob Miu Glücksbringer ist oder eher das Gegenteil.

Über einige Episoden hinweg ist man sich eher unsicher, ob Miu wirklich irgendwelche übernatürlichen Fähigkeiten hat, oder ob das alles nur ein Hirngespinst der abergläubischen Rosella ist. Was Miu aber sehr bald auspackt ist Martial-Arts-Können, mit der sie sich dann schon mal durchprügelt, wenn es denn sein muss. Klar ist v.A. dass sie jemand anders wahrnimmt, der tatsächlich in irgendeiner Form Fähigkeiten hat. Nicklas (Andreas Lykke Jørgensen) scheint der Spross einer Familie zu sein, in der sich alles um ihn dreht. Und um das männliche Geschlechtsteil. Seine verstrahlten Eltern sind absolut besessen von Männlichkeit, von ihrem Sohn und der Vorstellung all der großen Dinge, die er mal bewegen wird und die ihm in patriarchalischer Manier als Geburtsrecht zuzustehen – ihrer Meinung nach. Zumindest bis der machthungrige Nicklas Miu begegnet.

Copenhagen Cowboy ist damit nach Neon Demon ein weiterer Schritt NWRs hin zu Protagonistinnen, die sich gegen eine feindliche, patriarchale Umgebung stellen. Miu wird zumindest von Gleichgültigkeit hin zu einem Kreuzzug (ohne Kreuz) bewegt. Sie tut es für andere, für einen Hauch von Gerechtigkeit. Hier mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass das auch den Abstieg in die kriminelle Unterwelt Kopenhagens bedeutet und die Auflösung der Grenzen zwischen gut und böse.


Copenhagen Cowboy | Official Trailer | Netflix, Youtube

Das Never-Ending-Level-Game weiblicher Stimmen

Vielleicht wurde der zunehmende Motiv- und Stimmenwechsel in NWRs Schaffen durch seine beiden Töchter bewirkt, vielleicht durch #MeToo, wer weiß es – das kann wohl nur er erklären. Anfänglich sollte Copenhagen Cowboy aber ein sagen wir mal etwas anderes Setup haben (s. Video unten). Die Kopenhagener Unterwelt ist geblieben. Und mittendrin eine Protagonistin, die sich mit Gleichgültigkeit gewappnet hat und deren Kampfgeist durch die Ungerechtigkeit geweckt wird, der die Frauen in ihrem Umfeld begegnen. Insbesondere ihre Begegnung mit der in Zwangsprostitution festgehaltenen Cimona (Valentina Dejanovic) wird ein Erweckungsmoment für Miu. Ab dann muss sie alle Stufen der Grausamkeit durchlaufen, die man sich so vorstellen kann. Sie wird ihrer Freunde beraubt und wird von denjenigen belogen, die ihr Versprechen gegeben haben. Ihr begegnen toxische Beziehungen und Männer, die Frauen ihrer Stimme berauben und entmündigen. Entweder zum Selbstweck oder damit die Kasse stimmt. Alles dabei. Am Ende muss sich Miu gar einer anderen Frau stellen (dargestellt von NWRs Tochter Lola), die nicht für Frauen einsteht. Einer, die zu Macht kam und diese behalten will. Es sind alles Metaphern für die zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Hürden, denen FLINTA* begegnen und die jahrzehntelang mit Vorurteilen genährt wurden. Resultierend in einen bunten Strauß an Diskriminierung, Sexualisierung, Ausbeutung, Bias, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Um diese Geschichte zu erzählen, hat NWR Drehbuchautorinnen konsultiert und weiblichen Perspektiven Gehör verschafft und in Bilder gegossen. Sara Isabella Jönsson, Johanne Algren und Mona Masri haben aber nicht gespart an den Milieus, in denen Missbrauch stattfindet und die in Täter und Opfer aufteilt. Sie haben sich Umgebungen ausgesucht, in denen das schlimmste passiert. Zimperlich ist die Serie nicht. Manchmal verwischen auch die Grenzen wie im Falle der resoluten „Mutter Hulda“ (LiIi Zhang). Mir gefällt diese Heldenreise, obwohl ich die Bilder besser finde als manche der erzählerischen Mittel. Wieviele Männer hier wie Schweine quieken erinnert an die Tagline des bekannten Ärzte-Song und ist nicht sehr subtil, aber ein durchaus treffens Bild gemessen an deren Perversion. Es befremdet außerdem zu sehen zu was Miu alles in der Lage is und wie diese Fähigkeiten aus scheinbar heiterem Himmel kommen. Copenhagen Cowboy ist voller schonungsloser Motive und Überraschungen, die spalten und das gern tun.

Man nehme allein Nicklas verstrahlte Familie (großartig und gewollt erschreckend: Maria Erwolter, Thomas Algren), die nur so vor Narzissmus und Megalomanie trieft. Wie Vampire leben sie davon auf andere herabzuschauen. Und das nicht mal metaphorisch. Das boshafte Potential mischt sich mit einer Mythologie, in der jeder gefährlich ist. Die altehrwürdige Vampirfamilie wie auch die kampferprobten Gangster. Untergrundkneipe und Herrensitz. Wo Miu hingeht, lauern andere Gefahren in anderen Verkleidungen. Alle wollen sie sie gern zum Opfer machen.

Copenhagen Cowboy minus Copenhagen minus Cowboy

Ob das nun aber zusammengeht? Fest steht eben leider, dass vieles nicht zusammengeht. Wo waren beispielsweise Mius Fähigkeiten als Cimona ohne sie in die Dunkelheit gelaufen ist? Warum braucht Miu überhaupt ihre Kampfkunst-Skills? Und wo in dieser Serie mit diesem Titel sind eigentlich Cowboy, wo Copenhagen? Man sieht nichts von der Stadt. Cowboys erkenne ich am ehesten in der Selbstverständlichkeit mit der Männer in der Serie stets nach Macht streben und diese für eine ihnen zustehende Selbstverständlichkeit halten, während Frauen zum Großteil versuchen zu überleben. Die Reise Mius wird eben leider in den letzten zwei Episoden nicht klarer und es wäre leicht der Serie style over substance vorzuwerfen. Denn, wo die Erklärungen ausbleiben, taucht dann am Ende plötzlich Hideo Kojima auf und redet von Giganten. Ich selber werfe der Serie nicht style over substance vor, weil mir die Metaphern gefallen, genauso wie der stark bild- und stimmungsgetriebene Charakter der Serie. Aber ich sehe wo der Vorwurf herkommt.

Dabei sind die Bilder und die Agenda ein Traum, der die Serie zu einem sich wertig anfühlenden Seherlebnis macht. Die langen, rotierenden Kamerafahrten und die „Gechilltheit“ der Charaktere, schaffen eine ganz eigene Atmosphäre. So als ob wir hier in einer Zwischenwelt landen, ätherisch und brutal. NWRs Farbenblindheit hat schon bisher seine Filme gekennzeichnet und für harte, farbliche Kontraste gesorgt. Hier durchbricht gesättigtes Blau und Rot die vielen Grauschattierungen. Und das nicht ganz von ungefähr, denn es mag zwar die undurchsichtigen Charaktere geben, aber es gibt auch eindeutiges Gut und Böse. Ich mochte diese Heldenreise sehr, die sich nicht durchweg erklärt. Hier Unterwelt, da Mythologie. Aber es ist schwer sich darauf zu verlassen, dass die Serie weitergeht, wenn sie doch soviel Interpretierleistung erwartet, während sie so wenig erklärt. Das könnte zu wenig sein. Ein Dilemma – Miu wurde gerade erst genug aufgerüttelt, um verstehen zu wollen, wer sie ist und woher sie kommt. Eine Frage, die bei all den Begegnungen, die sie durchlebt hat, schwer wiegt. Jeder projiziert im Laufe der ersten Staffel etwas auf sie. Die einen suchen Liebe, die anderen wollten sie ausnutzen und dann wegschmeißen. Die einen nennen sie Glücksbringer, die anderen Todesengel. In einer zweiten Staffel würden wir der Frage vielleicht auf den Grund gehen wer sie ist und v.A. wer sie sein will. Wie ätzend wäre es, wenn die Serie nicht weitergeht. Das Ende ist jedenfalls stark. So stark, dass man weiterschauen möchte. Wo habe ich das kürzlich schon mal erlebt? (8/10)

Sternchen-8


Copenhagen Cowboy | Nightcall with Nicolas Winding Refn | Netflix, Youtube

Ja, ich rechne leider nicht so wirklich damit, dass die Serie eine zweite Staffel bekommt und lindere somit meine Enttäuschung schon Mal vorbeugend. Denkt ihr, dass wir eine zweite Staffel sehen werden? Und ist es fair wie NWR seine Serie mit einem „so das war’s, mehr fällt mir gerade nicht ein“ beendet? Auch wenn es sie weniger zugänglich macht und vielleicht nie eine zweite Staffel geben wird? Andererseits wünschte ich mir etwas von der Ruhe, die NWR in dem Video oben ausdrückt. Thema Deutung: Haltet ihr die „Vampire“ auch für die „Giants“, von denen Kojima sprach? Oder sehen wir da nochmal andere mythologisch inspirierte Figuren? Wie hat euch die Serie gefallen und welche Frage würdet ihr gern in einer zweiten Staffel beantwortet sehen?

Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).

2 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Schön, dass dir die Serie auch gefallen hat… und ja, ich bin gespannt, ob es eine zweite Staffel geben wird. Glaube nicht so richtig dran, würde es aber richtig feiern, wenn sie doch kommt.

  2. […] Geheimtipp: Crashing, Copenhagen Cowboy […]

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