M. Night Shyamalan. Man weiß nie, was man bekommt. Trotzdem mag ich seinen Enthusiasmus für aufrührerische Themen und den Drive Dinge einfach mal anders zu machen. Das kann ganz schön antiklimaktisch sein wie bei Glass. Oder nach hinten losgehen wie beim flächendeckend nicht gemochten Live-Action-„Avatar“. Manchmal wiederum kann es sehr gut funktionieren wie bei The Sixth Sense oder The Village. Wo stehen wir da nun bei seinem neusten Streich „Knock at the Cabin“? Heute ist die Review leider nicht spoilerfrei, weil ich dieses Mal das Ende ganz offen diskutieren will. Wenn euch das den Spaß ruiniert (was es ganz sicher tun würde), dann schaut doch lieber nach dem Kinobesuch hier vorbei.
Das Paar Andrew (Ben Aldridge) und Eric (Jonathan Groff) wird zuerst durch die Nachricht ihrer aufgeregten, kleinen Tochter Wen (Kristen Cui) aus einem entspannten Morgen gerissen. Fremde würden gleich kommen, sie sollen alle Türen verschließen. Tatsächlich klopft es gleich an der Tür ihrer Ferienhütte. Vier Fremde wollen reingelassen werden und mit ihnen reden. Die kleine Familie fühlt sich bedroht, hört Werkzeuge oder Waffen über die Veranda scharren. Lange hält ihre Gegenwehr den bewaffneten Vieren nicht stand. Als sie erstmal drin sind, geben sie sich als Grundschullehrer Leonard (Dave Bautista), Installateur Redmond (Rupert Grint), Krankenschwester Sabrina (Nikki Amuka-Bird) und Köchin Adriane (Abby Quinn) zu erkennen. Und sie wollen reden.
Was sich vor Eric, Andrew und Wen entfaltet ist eine unfassbare Geschichte. Die Vier erklären ihnen, dass die Menschheit auf dem Prüfstand steht. Vier Mal wird die Familie gefragt, ob sie bereit sind einen unter ihnen zu opfern. Tun sie das nicht, dann wird jedes Mal eine furchtbare Katastrophe ausgelöst. Nach der vierten folgt das unmittelbare Ende allen Lebens. Andrew und Eric schwanken. Ist das ein hate crime? Haben sie sie ausgesucht, weil sie ein schwules Paar sind? Oder sind die Vier einer Sekte entlaufen? Sie lassen es drauf ankommen. Als wie von Leonard angekündigt Tsunamis über die Küsten der Welt fegen, kann das immer noch ein Trick sein. Vielleicht waren die Tsunami-Warnungen längst bekannt? Aber was, wenn nicht?
KNOCK AT THE CABIN Trailer German Deutsch (2023), KinoCheck, Youtube
Shymalan versteht das dramatische der Situation und der Literaturvorlage insofern, dass er daraus ein stark charakter- und personengetriebenes Drama macht. Fast sofort lässt er Dave Bautista auftreten und seine hünenhafte Statur als krassen Gegensatz zur kleinen Wen seine Wirkung entfalten. Wen fängt Heuschrecken und will sie untersuchen. Später werden die Rollen metaphorisch getauscht. Bald sind es Eric, Andrew und Wen die von Fremden gefangen und beobachtet werden. Und das noch mit so einer schwer zu erfüllenden und durchschauenden Aufforderung. Große Frontalaufnahmen der Charaktere und ihrer Gesichter schüren das Gefühl in das Unergründliche zu blicken: lügen die Vier oder sind sie in der Tat apokalyptische Reiter? Indem Knock at the Cabin immer wieder Eric und Andrew verzweifelt zueinander blicken lässt und in Rückblenden Schlüsselmomente ihrer Beziehung erzählt, steigert der Film die Angst der Zuschauenden um die Beiden. Zwei, die soviel durchgemacht haben, Drei die eine Familie geworden sind und wir sind emotional investiert. Der „Home Invasion“-Aspekt wird aber bald dadurch aufgeweicht, dass die vier Fremden in ihrer eigenen Lage so verzweifelt erscheinen. Es ist ein Charakterfilm, der von den Darstellungen des Ensembles getragen wird. Der Teil funktioniert.
Was nicht funktioniert ist Widerspruch und Zweifel in den Zuschauenden (und Eric und Andrew) zu säen. Mag das am Anfang noch ansatzweise gelingen, werden später alle Hinweise fast sofort entkräftigt und rauben damit dem Film Spannung. Zu früh entscheidet man sich für eine Lesart und löst alle Zweifel an der Apokalypsenstory auf. Sei es die (unerklärte) Lichterscheinung oder die Zweifel an Redmonds Identität. Alle Ideen werden so schnell entkräftet, dass das moralische Dilemma gar nicht genug nachhallt. Es ist doch eigentlich eine unmögliche, eine verheerende und grausame Entscheidung, die die Familie treffen soll. Wer von ihnen soll geopfert werden? Der Partner, der dem anderen solchen Halt gibt? Das lang ersehnte und unschuldige Kind, das noch ein ganzes Leben vor sich hat? Es könnte ein Albtraum sein, wenn nicht schon so früh klar wäre, in welche Richtung es sich entwickelt. Was hingegen vollkommen unklar ist: die nagende Frage und das logische Problem. Es wird angedeutet oder dargestellt, dass erst das Opfer einer der vier Eindringlinge jeweils die vier Plagen anleitet. Was wäre denn, wenn sie darauf verzichtet hätten? Keine Plagen, keine Apokalypse, kein Opfer, kein Problem? Spätestens wenn Zuschauende anfangen sich das zu fragen, funktioniert der Film dann gar nicht mehr.
Was bleibt am Ende? Man kann diskutierend aus dem Kino gehen und sich fragen: haben Familien schon immer so entscheiden müssen? Was ist das für ein grausamer Akt einer höheren Gewalt? Was, wenn jeder Katastrophe eine Entscheidung eines Individuums vorangegangen wäre? Das wären viele Familien, viele Tragödien. Was wenn jeder neue Tag das Opfer einer ganzen Familie bedeutet? Ist dieser jede weitere Tag dann nicht unendlich viel mehr Wert? Man könnte eine Weile so weiter machen. Zwar laden die Fragen zum Diskutieren ein, aber die Dissonanz über das Gesehene ist zu stark, zu ablenkend. Einerseits strahlt der Film aus: „Das Konzept will, dass ich zweifle und mich frage, ob die Fremden Spinner sind oder die Wahrheit sagen.“ Andererseits: „Eigentlich wusste ich schon früh, was hier passieren wird.“ Dabei hätte das eine Geschichte über Liebe und Disruption sein sollen. Da reicht „Boogie Shoes“ dann auch nicht mehr aus.
Auch abgesehen von der Dissonanz und dem logischen Problem hat Knock at the Cabin ansonsten wenig inszenatorischen Appeal von oben genannter Heuschrecken-Metapher und Charakterfokus abgesehen. Ich möchte gar sagen, dass die Handlung ab einem gewissen Punkt wenig neue Reize setzt. Was einerseits angenehm ist, aber der Dramatik wenig dient ist der Verzicht auf Gewaltdarstellungen, auf alles was triggern könnte. Der Film setzt intoleranten Zuschauenden keinen gay kiss vor. Schade. Der Film verzichtet aber auch auf die Darstellung der brutalen Szenen. Play it safe mag ganz schön sein, aber zumindest bei dieser Zuschauenden hat er damit wenig Reizpotential getriggert. Zusammen mit der für mich kaum von der Hand zu weisenden Logiklücke, ist Knock at the Cabin ein für mein Empfinden überraschend unrunder Film.
Knock at the Cabin, USA, 2023, M. Night Shyamalan, 100 min, (5/10)
Boogie Shoes (2004 Remaster), KC & The Sunshine Band, Youtube
M. Night Shyamalan Filmen hängt nach, immer für eine Überraschung gut zu sein. Was, wenn der Twist ausbleibt? Auch das sieht man hier leider. Im Zusammenhang mit dem Buch trifft man immer wieder auf das Lob und die Vorreiterrolle, die es für die Repräsentation der LGBTQ+ Community einnimmt. Und das ist wohl einer der besten Aspekte des Films. Er setzt die schwulen Hauptcharaktere nicht auf ein Podest aus bemühter Allyship, sondern macht das, was Medien längst tun sollten. Vollkommen natürlich queere Charaktere zu den Hauptfiguren von Genrefilmen machen. Auch: Zu Familien, die sichtbar sind wie es andere Familien sind. Das Buch macht eine sehr schmerzliche Sache und man könnte froh sein, dass Shymalan darauf verzichtet hat. Allerdings nimmt er mit einigen der Entscheidungen auch die Schlagkraft, die wohl das Buch hat. Wer mehr dazu wissen will, findet bei Sebastian von Filmstarts eine nicht spoilerfreie Erklärung. Wie hat euch „Knock at the Cabin“ gefallen? Und woher kommen eigentlich die vereinzelten überschwänglichen Kritiken, die es zu einem seiner besten bisher küren?
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