Serien-Besprechung: Monster (Anime)

Als der Anime „Monster“ im Januar 2023 plötzlich auf Netflix auftauchte, hätte ich mich nicht mehr freuen können. Schließlich ist Monster einer meiner Lieblingsmanga des Zeichners Naoki Urasawa. Vor wenigen Jahren wurde Ursawa auf dem internationalen Manga-Markt wieder entdeckt und einige seiner Klassiker wie 20th Century Boys und „Monster“ neu aufgelegt. Teilweise auch in Form einer Perfect Edition, die sich sehen lassen kann. Netflix sicherte sich zudem offenbar die Rechte an der Anime-Adaption seines Manga Pluto, das noch 2023 veröffentlicht werden soll. Vielleicht wollte Netflix das Set vervollständigen, indem es sich den anderen bekannten Anime aus einem Werk Urasawas sicherte. Die deutsche Synchro erschien außerdem vor Kurzem auf Disc bei KSM Anime. „Monster“ ist also nach langer Zeit endlich für uns erreichbar. Ist der Anime aber nun so gut wie der Manga?

„Das Monster in meinem Selbst ist so groß geworden!“

Der japanische Neurochirurg Dr. Kenzō Tenma arbeitet in einer Klinik in Düsseldorf und gilt als junges Genie seines Fachs. Die Klinikleitung stellt ihn aber ein um’s andere Mal vor einen moralischen Härtefall, indem sie ihn anweisen „wichtigere“ Personen früher zu operieren als andere Patient:innen. Tenma kann davor aber nicht mehr die Augen verschließen und sagt beim nächsten Mal nein. Er operiert den Jungen mit Kopfschussverletzung, statt des ohnehin später eingelieferten Bürgermeisters. Alle Leben sind gleich wert. Der Move ist karriereschädigend. Jemand anders wird befördert und seine Verlobte Eva Heinemann (auch die Tochter des Klinikleiters) verlässt ihn. Zumindest ist Tenma mit sich im Reinen. Jahre später aber sterben alle Menschen auf mysteriöse Weise, die Tenma etwas böses wollen. Die Polizei, allen voran Inspektor Lunge vom BKA, beginnen bereits zu ermitteln. Dann gibt sich der Täter zumindest Tenma zu erkennen: es ist Johann, der kleine Junge, dem er damals das Leben rettete. Als Tenma erkennt, dass seine Operation zwar Johann rettete, aber der als Serienmörder soviele Leben fordern wird, kippt etwas in ihm. Er beschließt Johann zu finden und zu stoppen.

Das Opening des Anime gibt dabei die restliche Stimmung gut wieder. Tenma wird wegen der Mordfälle in seinem Umfeld bald als vermeintlicher Verdächtiger Nummer Eins gesucht. Er ist also selber auf der Flucht, versucht aber andererseits Johann das Handwerk zu legen. Während er Johanns Spur quer durch Deutschland verfolgt, begegnet er vielen Menschen. Darunter auch Johanns Zwillingsschwester Anna, die keine Erinnerung an die folgenschweren Geschehnisse hat. Als sie diese aber wiedererlangt, will auch sie Licht in ihre eigene Vergangenheit bringen und verstehen wie Johann zu einem Monster wurde. Die Reise Tenmas und Annas lässt sie oftmals Personen begegnen, die ihnen eine andere Sicht auf Rache und Vergeltung eröffnen. Manchmal treffen sie aber auch Opfer von Johanns perfiden Plänen. Und stets scheint die Frage im Raum zu stehen: wenn Tenma Johann gegenübersteht, ist er wirklich in der Lage ein Leben zu nehmen, wo er einst schwor Leben zu schützen?


MONSTER | Anime Trailer HD | Deutsch | 2023, KSM Anime, Youtube

„Hatred is born when people gather together.“

… dieser Satz stammt von Johann. Tatsächlich ist der lange eine Art kriminelles Mastermind, das Tenma und Anna stets drei Schritte voraus zu sein scheint. Johanns Taten wiederum sind so perfide, dass es schwer zu glauben ist, dass wir im Laufe der Serie noch ansatzweise Empathie mit ihm entwickeln. Er überredet Kinder zu Selbstmordspielen, er tötet alle Menschen, die ihm und Anna je Gutes wollten. Man muss sich von einigen geliebten Nebencharakteren verabschieden, die Johann in die Quere kamen. Der Titel Monster scheint verdient. Es macht nur den Anime wie auch den Manga im ersten Drittel leider nicht spannender, dass Johann erstmal vor Allem eines ist: abwesend. Wir begleiten Tenma nun erst einmal durch deutsche Dörfer und Städte, in denen er den Menschen vor Ort aushilft. Sicherlich auch Spurensuche, in der er Johanns Werdegang versucht zu rekonstruieren und das Monster zu entschlüsseln. In den Menschen, denen er begegnet, lässt er häufig eine Veränderung zum positiven stattfinden. Während Johann eine Spur der Zerstörung und des Traumas hinterlässt, intrigiert und vor Allem hochgradig manipuliert, scheint Tenma als das komplette Gegenteil angelegt zu sein. Nichts umsonst fürchten die wenigen Menschen, die Tenmas Plan kennen, dass er durch Johann kompromittiert wird.

Häufig wird Tenma auch als der gesuchte japanische Arzt und eventuelle Mörder erkannt, nachdem gefahndet wird. Meistens sind sich die Leute aber einig: der ist kein Mörder. Dieses Muster wird im ersten Drittel leider so überstrapaziert, dass daraus und aus der Abwesenheit Johanns eine seichte Dramaserie wird, die immerhin lose die deutsche Nachwendezeit einfängt und die Geister des Kalten Krieges wieder heraufbeschwört. Dankbarerweise zieht die Handlung an, wenn der Anime im zweiten Drittel ausnahmsweise mal ganz unvermittelt einen Cut macht und nach München verlegt wird. Die Geschichte um den „bayerische Vampir“ genannten Großindustriellen und die Suche nach seinem verlorenen Sohn bringt plötzlich Johann wieder auf den Plan. Zuschauende ahnen schon: das ist der nächste große Coup, in dem er versucht sich in bestimmte Kreise reinzumanipulieren. Und als dann Johann nach langer Zeit das erste Mal persönlich auftritt, agiert der so ganz anders als wir erwartet hätten. Spätestens hier entfaltet der Anime sein ganzes Potential und ist konsequent spannend bis zum Ende. Noch mehr als das: es zieht auch die ohnehin gute Animationsqualität ab hier nochmal an, sodass alle Höhepunkte der Handlung auch in entsprechend atmosphärische Bilder getaucht sind. Schlüsselmomente kommen mit exakt denselben dramatischen Spitzen des Mangas aus.


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„If you don’t have any happy memories, then make them.“

Schwierig ist nur sich zu fragen wer diese meisterlichen letzten zwei Drittel sieht, wenn man schon im ersten abschaltet? Hoffentlich wirkt das nur so auf mich, weil ich aus dem Manga die schiere Fülle an Plotlines kenne, die da noch kommen muss. Mit 74 Folgen zu je knapp 23 Minuten ist Monster auch nicht gerade ein kurzer Anime. Er ist außerdem auf 2004 bis 2005 zurückzudatieren und damit kein ganz neuer. Madhouse hat aber eine Menge Energie in die Serie gesteckt und sie sehr hochwertig produziert, sodass man keine Altersschwächen feststellen wird. Im Gegenteil – ein Alleinstellungsmerkmal von Monster ist wohl, dass er zu großen Teilen in Deutschland spielt. Wo gab es das schon Mal? Zwar erkennt man nur wenige der Städte an Sehenswürdigkeiten, am ehesten noch Dresden und Prag, das später auch Schauplatz wird, aber man erkennt typische mitteleuropäische Architektur.

Ständig sind deutsche Zeitschriften oder Schilder zu sehen und verblüffen durch etwas ganz kleines speziell deutschsprachige Zuschauende. 🙂 Es macht Spaß genauer hinzugucken, Werthers Original Bonbons zu erkennen oder auch mal zu merken, dass sie es hier mit einem Straßenschild nicht so genau nahmen. Es macht schon Spaß zu sehen wie etwas, dass man liebt (Anime) dem eigenen Wohnort oder der Sprache so nah kommt. Etwas weniger Spaß macht die Einseitigkeit der Frauenfiguren, die (mal abgesehen vom Ende und einigen wenigen Gegenbeispielen) in das Muster „Hure oder Heilige“ einsortierbar sind, wobei Prostituierte auch wörtlich zu nehmen ist. Um eine Darstellung von Kriminalität und Milieus zu finden, in die Menschen vermeintlich abrutschen, werden immer wieder Drogenabhängige, Kleinkriminelle und Sex Worker in Rotlichtvierteln genutzt, was doch arg stigmatisierend wirkt. Der Manga Monster erschien in Japan von 1994 bis 2001 und ja, ich finde dieses Bild sehr „90er Jahre“.

Oben stellte ich die Frage, ob der Anime so gut wie der Manga ist? Im selben Atemzug kann man auch fragen, ob er das überhaupt muss, aber dann würde ich abschweifen. 🙂 Kurz zusammengefasst: ja, er ist so gut. Er ist genau dann ausschweifend und langatmig, wenn es der Manga auch ist. Aber er ist ein spannender Krimi mit Aspekten des Psychothrillers, der uns auf eine Spurensuche durch Europa schickt und dabei menschliche Abgründe offenlegt. Monster steht auch sinnbildlich die Frage: Was macht ein Mensch zu einem Monster? Eine nie endende Schleife, wenn man weiterhin fragt: Wer ist das Monster? Johann oder die, die ihn geschaffen haben? Monster ist unter den Anime nicht nur deswegen ein Klassiker, weil er 1. in Deutschland spielt und gut recherchiert ist, sondern auch weil er 2. eine konstant gute Animationsqualität und 3. als einer von wenigen diese Genremischung bedient. Vor Allem aber schafft er es sich das Geheimnis bis ganz zum Schluss aufzubewahren wie das Monster zum Monster wurde. Vielleicht ist was dran an den menschlichen Abgründen und es sind nicht mal Johanns. (8/10)

Sternchen-8

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Ach. Ich könnte ewig über „Monster“ reden. Darüber wie Guilermo der Torro eine Live Action Adaption plante. Darüber wie unfassbar toll ich es finde, dass nun doch noch eine deutsche Synchro durch KSM Anime verfügbar ist und natürlich, dass „Monster“ überhaupt endlich hierzulande verfügbar ist. Auf Netflix gibt es aktuell OmU bzw auch noch eine französische Synchro. Auch ist mir noch nicht klar, ob es ein Bug seitens Netflix ist, dass manche Episoden in quadratischem Seitenverhältnis dargestellt werden und auch durchaus mal einer der Ränder abgeschnitten ist. Immerhin konnte ich das nur bei zwei von 74 Episoden feststellen. Es schmerzt mich, dass ich mir in der Review nicht den Raum gegeben habe meinen Lieblingscharakter Grimmer zu erwähnen, der auch erst gegen Mitte des Anime auftaucht, aber wie ich finde, die Geschichte so bereichert. Nun gibt es aber so viel zu „Monster“ zu sagen. Kennt ihr Anime oder Manga?

2 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Ich habe den Manga nie gelesen, nur von dir und einem meiner besten Freunde immer sehr viel Gutes gehört. Den Anime habe ich aber auch angefangen… bin jetzt so bei Folge 58 oder so… und finde es bislang echt sehr stark.

    Unglaublich interessante Figuren, die Haken, die die Story schlägt, sind irre… alles sehr komplex, aber einfach sehr spannend. Ich hoffe, dass das Finale mich nicht enttäuschen wird.

  2. du bist jetzt wahrscheinlich schon fertig ich bin aber noch bei Folge 49 und ich finde denn Anime genau so gut wie du aber ich liebe die scene wo Johan sagt:das wo ich am meisten Angst habe ist das das Monster in mir immer größer wird ritsch ratsch knabbern knax boom boom und Schluck ich würde gerne wissen ob ich durchgeknallt bin?

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