Es ist selten passiert, dass ich aus dem Kino komme und sofort über einen Film schreiben möchte. Normalerweise lasse ich das Gesehene gerne noch ein, zwei Tage auf mich wirken. Aber die Gedanken zu ‚Mother!‘ wollten raus. Nicht zuletzt weil der ganze Film eine einzige Metapher ist, noch dazu eine die kontrovers und vielfarbig gedeutet werden kann. Da ich meine Deutungsmöglichkeit diskutieren möchte, geht das leider nicht gänzlich spoilerfrei. Ich verzichte allerdings auf eine Nacherzählung, der Spoiler besteht in meiner Interpretation.
Viele Überraschungen. Zuerst wusste ich gar nicht, dass er kommen wird – der neue Aronofsky. Dann war er plötzlich da und löste Kontroversen aus. Den Berichten bin ich aus dem Weg gegangen, weil ich möglichst unbefleckt den Film schauen wollte. Und dann ist er da. Und ich wollte, dass es ganz schnell aufhört. Jennifer Lawrence befindet sich darin als namenloser Hauptcharakter in der Do-it-Yourself Hölle. Ihr Mann (Javier Bardem), ein bekannter Dichter, ist in einer Schaffenskrise, während sie versucht ihm ein schönes, harmonisches Heim herzurichten und sein einst abgebranntes Haus restauriert. Plötzlich entwickelt er eine seltsame Affinität dazu wildfremde Leute einzuladen, die sich meistens als seine Bewunderer outen und sich sehr hartnäckig einnisten. Ja sogar dem Paar die Besitzrechte an dem Haus streitig machen und damit ziemlich mies umgehen, während der Mann sich an der ihm entgegen gebrachten Bewunderung nicht satt sehen kann. Seine Frau gerät ins hintertreffen.
Was sich die Gäste herausnehmen und er ihnen erlaubt ist schwer zu akzeptieren. Macht wütend. „Die hätte ich schon längst alle rausgeschmissen“, denke und sage ich im Kino. Bin fassungslos und werde immer zorniger ob der Dreistigkeit, die ins immer krassere gipfelt. Das ist der Moment in dem ich möchte, dass es aufhört. Ich ahne schon, dass der Film ganz oben auf der Liste der Filme rangieren wird, die ich kein zweites Mal anschauen kann. Vor Allem dann als der Film surrealer wird. Worum geht es da eigentlich? fragt man sich entsetzt. Ist das eine Metapher auf illegale Einwanderung? Auf Ausbeutung? Irgendeine Metapher muss es ein! Und dann als sich plötzlich in der ausbeuterischen Beziehung und dem Eigenheim-Albtraum die weltpolitische Lage und Menschheitsgeschichte wiederspiegelt wird klar: das ist sogar eine riesengroße Metapher. Und ich will trotzdem, dass es aufhört.
„mother! movie (2017) – official trailer – paramount pictures“, via Paramount Pictures (Youtube)
Aber erst nach dem Ende des verstörenden Films, habe ich ihn schätzen gelernt und es wird deutlich, dass diese Beziehung eine lange währende, gestörte Beziehung ist. Man fragt sich, warum Javier Bardem als namenloser „Mann“ nicht aufhört seiner Frau, der „Mutter“, das alles anzutun. Und dann fällt der Groschen, dass diese kaputte, ausbeuterische Beziehung die zwischen dem Menschen und seiner Umwelt ist. Die gipfelt in den Unruhen der Menschheit, den Verbrechen an Allem und jedem. Und eine hält es immer wieder geduldig aus und gibt alles bis es zu spät ist. Die fruchtbare, die gutmutige, die alles immer wieder erneuernde. Wie die Umwelt, die sich immer wieder erneuert, obwohl der zehrende Parasit Mensch sie nicht loslässt und stetig zugrunde richtet. Home Invasion eben.
Schwer zu ertragen ist der Film trotz und gerade wegen seiner starken Bilder, Metaphern und Schonungslosigkeit. In was die Handlung gipfelt dreht einem fast den Magen um. Das eine, weil es dem gleicht was man jeden Tag in den Nachrichten sieht. Das andere, weil das Handeln aller zu surreal und grausam wirkt. Letzten Endes führt uns der Film die Realität unserer Gesellschaft und Menschheitsgeschichte aber so krass und erbarmungslos vor die Augen, wie sie eben ist. Das vergisst man manchmal – denn die Nachrichten kann man mit einem Knopfdruck ausschalten und muss die Bilder nicht mehr sehen.
Aronofsky wird immer mehr ein Regiesseur, der zwar bedeutungsvolle und kompromisslos kritische Werke schafft, aber v.A. welche, die sich nicht mehr an ein Publikum richten, das einfach nur unterhalten werden will. Sondern für ein Publikum, das gefordert werden will und einiges ertragen kann. Das sind keine einfachen Filme und v.A. deswegen welche, die polarisieren und schockieren. Ich behaupte es sind wichtige Filme. Auch Noah wurde viel gescholten, aber hatten die Filme nicht einfach nur zuviele Gedanken und Ideen, die uns nicht gefallen, weil sie uns ertappen?
Mother!, 2017, USA, Darren Aronofsky, 122min, (8/10)
Mit meiner Analyse bin ich nicht so weit weg vom Gedanken, wie ich nach Schreiben des Artikels gerade feststelle. Laut des Interviews der New York Times ist Aronofskys offizielle Deutung und seine Intention, dass Bardems Rolle Gott ist. Das ist seit langer, langer Zeit der erste Film, bei dem ich mich nicht gern auf eine Punktezahl festlegen möchte. Während des Schauens bewegte sich der Film anfangs bei 6 und 7, dann fest bei 7 und jetzt nachdem ich die Botschaft erkenne und sie mir nicht aus dem Kopf geht mit ihren erschütternden Bildern, bin ich eben bei 8. Aber ohne Frage: es wird ein Film bleiben, den ich womöglich nie wieder schauen kann. Mit ‚Black Swan‘ hat er womöglich doch nicht soviel gemein wie man beim Trailer denken könnte. Habt ihr ihn gesehen? Wie nehmt ihr ihn wahr? Wie hat er euch ‚gefallen‘? Und wohin bewegt sich eurer Meinung nach Aronofskys Schaffenswerk?
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