Normalerweise hätte mich die Meldung empört, dass ein Klassiker wie ‚Blade Runner‘ Jahrzehnte nach seinem Erscheinen eine Fortsetzung spendiert bekommen soll. „Typische Hollywood-Masche, den Geldhahn wieder aufdrehen“ – mir liegen da einige Sprüche auf der Zunge. Aber dann pfiffen die Spatzen von den Dächern, dass einer meiner Lieblingsregiesseure, Denis Villeneuve, Regie führen würde. Da dachte ich mir: die meinen es ernst. Und fand die Nachricht gar nicht mehr so schlecht – aber ein bisschen Nervenkitzel bleibt. Was wurde aus ‚Blade Runner‘? Filmbesprechung ist spoilerfrei.
Hergestellt statt geboren
In der düsteren Zukunftsvisionen der Blade-Runner-Filme sind Replikanten: künstlich hergestellte und biotechnisch optimierte Menschen. Leistungsfähiger, unkaputtbarer. In der Vergangenheit war ihre Lebenszeit unbegrenzt und sie wurden als Sklaven missbraucht. Falls sie revoltierten, wurden sie von sogenannten Blade Runnern aus dem Verkehr gezogen. Im Jahr 2049 gibt es kaum noch Replikanten der alten Modellreihe, sondern stattdessen Modelle wie „K“ (Ryan Gosling). Sie sind keine Sklaven mehr, leben einigermaßen selbstbestimmt, aber sind zu Service-Zwecken da und ihre Lebenszeit ist begrenzt. K arbeitet selber als Blade Runner und zieht Replikanten der alten Modellreihe aus dem Verkehr. Bei einem dieser Jobs findet er den Leichnam eines weiblichen Replikanten. Untersuchungen ergeben, dass sie schwanger war. K wird beauftragt das Kind zu finden und zu vernichten, denn die Entdeckung, dass Replikanten zeugungsfähig und den Menschen so ähnlich sind, würde das Gefüge der Gesellschaft vollkommen über den Haufen werfen und zu Revolte führen. K forscht nach – aber das Kind wirklich töten? Neben ihm ist auch noch der Wissenschaftler Niander Wallace (Jared Leto) hinter dem Geschöpf her, da es ihm nie gelungen ist zeugungsfähige Replikanten zu erschaffen.
Mit dieser in den Trailern nur bedingt angedeuteten Storyline werden ähnlich fundamentale Fragen aufgeworfen wie auch schon im ersten Blade Runner Film aus dem Jahr 1982. Wann ist ein Mensch ein Mensch? Der allgemeine Konsens in der Welt im Jahr 2049 scheint zu sein, dass Replikanten minderwertige Lebewesen sind, weil sie nicht geboren wurden. Es ist die Rede davon, dass sie keine Seele haben und sie werden wie eine Ware behandelt: austauschbar. An K wird der Schmerz dieser allgemein akzeptierten Unterdrückung glaubwürdig dargestellt. Er wird getreten und beleidigt, wo auch immer er hinkommt. Von Menschen, weil er ein Replikant ist; von Replikanten, weil er Replikanten jagt. Nur wenn er seine Wohnungstür hinter sich abschließt, hat er Frieden. Dort wartet Joi (Ana de Armas) auf ihn. Ähnlich künstlich und unakzeptiert wie er: sie ist ein Hologramm. Im Laufe des Films wird sich K mehr als nur einmal fragen wie echt sie ist und ihre Liebe zu ihm, wie echt er ist und wie echt seine Erinnerungen und Gefühle. Wenn er Joi liebt und sie und ihre Gefühle als echt erachtet, ist es dann echt? Wenn er sich als Mensch betrachtet, ist er dann einer? Die Aussicht auf das Kind und seinen Ursprung, die Aussicht auf ein Wunder, lässt ihn hoffen, dass Replikanten doch noch akzeptiert werden und ihnen Menschlichkeit zugestanden wird. Die Bitterkeit liegt aber v.A. in dem Umstand, dass K nach und nach realisiert, denkt und träumt, dass er dieses Kind sein könnte. Gosling spielt unterschwellig, zeigt wenig, er macht das typische Gosling-Gesicht. Aber seine Emotionen explodieren im richtigen Moment und zeigen was in K schlummert. Die verzweifelte Hoffnung auf ein Wunder.
„BLADE RUNNER 2049 – Official Trailer“, via Warner Bros. Pictures (Youtube)
Menschwerden ist nicht schwer. Menschsein dafür umso mehr.
Die Frage, wer denn nun das ominöse Kind ist, wird zwar beantwortet, aber es darf dennoch spekuliert und philosophiert werden, ob man die Antworten für bare Münze nehmen muss. Wie das geht? Ganz einfach: in dem man schlau mit dem Plot haushaltet. Unter uns drei Kinogängern gab es drei Meinungen inwiefern das Gesehene so ist wie gesagt wird. Das zeugt nicht nur von unserer Fantasie, sondern v.A. von guten Fährten, die schlau platziert wurden. Der Film wagt sich außerdem an großen Stoff. Er greift Rachel und Deckard aus dem ersten Blade Runner Film auf und das moralische und fast philosophische Dilemma über Menschlichkeit. Sind Replikanten menschlicher als menschlich, weil sie in Frage gestellt werden? Weil sie doppelt vielen Stürmen standhalten müssen? Die große R-Frage beantwortet der Film übrigens nicht. R wie Replikant. Ist Deckard denn nun einer? Rein formal gibt der Film keinen Anlass das zu behaupten oder zu widerlegen. Und mal ehrlich: wie man’s macht, macht man’s falsch. Die Überzeugung von irgendeinem Zuschauer wird es empfindlich stören. Vielleicht ist es also gut so, dass diese Frage offen bleibt. Das macht allerdings Blade Runner 2049 zu einem Film, der dem Original erstaunlich ähnlich ist, wenn man ihn auf die grundsätzliche Handlung runterbricht. Vielleicht der einzige Kritikpunkt.
Menschenkult
Denis Villeneuve und die für das Drehbuch verantwortlichen Hampton Fancher und Michael Green haben die Welt im Jahr 2049 ähnlich unwirtlich gestaltet. Nahrung ist knapp und Maden-Farmen züchten Protein. Man lebt in den Städten so eng, dass diese von dunkelgrauen Quadern besiedelt sind, die keim Platz für Freiraum lassen. Hologramme spenden Licht in einer grauen Welt und ziehen sogar zuhause ein. Die Welt ist dichter und einsamer geworden. Das spiegelt auch der Score von Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch wieder, mit kalten, technischen, digitalen Klängen, die immer wieder von Klassik zerrissen werden wie es die weichen Themen und schwer greifbaren Identitätsmotive tun. Es ist fast ironisch, wenn Peter und der Wolf angespielt wird. Am krassesten sind aber die Kulissen und Schauwerte. Durch die Replikanten scheint erst ein Menschenkult entstanden zu sein, der die feiert, die zufällig geboren, statt hergestellt wurden. Die immens hohen Statuen, die auch im Trailer zu sehen sind: zerstört in einer Einöde, ein Spiegelbild dessen was aus der Gesellschaft geworden ist. Eingestürzte Riesen, bröckelig wie das bisschen was von ihrer Moral übrig geblieben ist. Der Menschenkult und das Hoch auf die Nicht-Replikanten entsteht letzten Endes nur aus Angst überflüssig zu werden. Irgendwas muss man sich ja einbilden: zum Beispiel, dass man besser ist als alle anderen. Ein wirklich guter Film. Dem gehen übrigens drei Kurzfilme voraus, die man im Internet schauen kann und die zeigen was zwischen Blade Runner und Blade Runner 2049 passierte. Und trotzdem: an dieser Stelle sollte die Geschichte zu Ende erzählt sein. Bitte.
Blade Runner 2049, USA/Großbritannien/Kanada, 2017, Denis Villeneuve, 164 min, (9/10)
Ich tue mich etwas schwer mit dem begriff Android um Replikanten zu bezeichnen. Replikanten sind biotechnisch optimierte und fabrizierte Menschen. Androiden verstehe ich als menschenähnliche Roboter. Aber Replikanten bluten nun mal, wenn man sie schneidet. Und manchmal frage ich mich wie Wallaces oder Tyrells erste Versuche aussahen Replikanten zu erschaffen!? Das muss Stoff für Horrorfilme gewesen sein. In jedem Fall hat mich Blade Runner 2049 nachhaltig beeindruckt und das macht mich froh, denn es wäre schade um den Kult gewesen. Wie seht ihr das? Wie hat er euch gefallen? Wie deutet ihr K und Deckard? Was sind eure Theorien? Spoiler aber bitte vermeiden oder deutlich kennzeichnen 😉 Ich gehe dann mal Einhorn Origamis basteln …
Schreibe einen Kommentar