Bis vor Kurzem dachte ich noch, dass der Japanuary bei mir ins Wasser fällt. Zwei der Filme, die ich bestellt habe, waren bis eben noch unterwegs und ich musste mich eine Weile fragen, ob sie überhaupt noch ankommen. „Mary und die Blume der Hexen“ wollte ich beispielsweise leihen statt kaufen. Aber der Film scheint überall ausgeliehen zu sein. Klar … alle wollen wissen, ob Hiromasa Yonebayashi jetzt der neue Hayao Miyazaki und Studio Ponoc das neue Studio Ghibli ist. Zumindest alle, die was mit dem japanischen Animationsfilm anfangen können. 😐 Comic sounds: Argh! Sigh … . Nun ja. Letztendlich habe ich doch Geld in die Hand genommen und mir dieses mal gewünscht, dass ich vielleicht doch Rezensionsexemplare anfragen würde. Aber ob oder ob nicht, das ist eine (lange) andere Diskussion. Und die anderen? Sind doch noch angekommen! Aber jetzt geht es um die Filme: und ja, die waren wunderbar!
Shoplifters – Familienbande
Der Originaltitel 万引き家族 („manbiki kazoku“) beschreibt den Film kurz, prägnant und gut: Ladendieb-Familie. Familienvater Osamu (Lily Franky) und seine Freundin Noboyu (Sakura Andō) leben in Tokyo auf engstem Raum mit dem Jungen Shota (Jyo Kairi), dem Teenager-Mädchen Aki (Mayu Matsuoka) und der Großmutter (Kirin Kiki). Während sich Osamu widerwillig auf dem Bau durchschlägt, arbeitet Noboyu in einer Reinigung. Die ungleiche Familie hält sich mit den niedrigen Löhnen und der Rente der Großmutter über Wasser – und mit Ladendiebstählen. Selbst der ca. zehnjährige Shota ist inzwischen ein Profi im Ladenklau. Als Osamu und Shota eines abends von einer Diebestour aus dem Supermarkt wiederkommen, finden sie in der Kälte auf einem Balkon ausgesperrt ein kleines Mädchen von vielleicht nicht einmal fünf Jahren, die wie ein unglückliches Häufchen Elend aussieht. Und tun was sie eben tun. Sie nehmen sie einfach mit.
Trailer schauen auf eigenes Risiko – ich finde er verrät schon einen Tick zuviel
„“SHOPLIFTERS“ English Final Trailer“, via GAGAIntl (Youtube)
Die kleine Yuri (Miyu Sasaki) wird aber erst dann zum neusten „Diebesgut“ der Familie, als sie die Kleine nach einer Erholung in ihrer warmen Wohnung und einem Abendessen zurückbringen wollen und sich dagegen entscheiden, nachdem sie merken, dass Yuri in desolaten Zuständen aufwächst. Dann doch lieber bei ihnen. Und so ist eine Person mehr auf knappem Raum unterzubringen. Yuri lebt sich schnell ein und scheint ihre „echte“ Familie nicht zu vermissen. Letzten Endes ist es aber Shota, der ins Grübeln darüber kommt, ob es richtig ist, dass so ein kleines Mädchen mit noch nicht ausgeprägtem Moral-Kompass (oder er oder der Rest der Familienbande) stiehlt und seinen Lebensunterhalt so verdient wie sie es tun. Alleine Aki, die in einer Bar Männern tiefe Einblicke gewährt, wird den Zuschauer ein weiteres Mal aufrütteln und verstören. Nicht nur wegen der Tätigkeit, sondern wegen der Nähe und Liebe, die Aki eigentlich sucht. Andererseits gibt die Familienbande beispielsweise Yuri mehr als sie ansonsten wohl bei ihrer richtigen Familie bekommen hätte. Anfangs stellen sich in Koreedas neuem Film Fragen wie die, ob die Familie mit Yuri auffliegt. Später eröffnet sie ein weit größeres moralisches Dilemma. Die anfangs lockere Feststellung „Aber klauen ist auch nicht cool, ne?“ wird zu einem ungeahnt großen und herben Dilemma. Wann ist eine Familie gut? Ist sie gut, wenn sie Kindern Wärme und Liebe gibt, statt sie zu schlagen und zu vernachlässigen? Aber wie gut ist eine Familie, die sie nicht zur Schule gehen lässt und die Kinder zum klauen animiert? Ja ihnen sogar beibringt, dass das normal wäre? Und wie gut ist im speziellen diese Familie? Vielleicht eine Frage ohne Antwort, die den Begriff der Grauschattierungen neu definiert als es gegen Ende eine große Überraschung gibt, die alles verändert. Bei der moralischen Zwickmühle muss der Film und Koreeda sich aber die Kritik gefallen lassen: warum haben die Behörden nie die Wunden Yuris bemerkt, die auf Misshandlung hindeuten? Da geht die Formel nicht ganz auf. Oder wirft ein noch desolateres Bild, je nachdem wie man es interpretiert.
Shoplifters – Familienbande (OT: 万引き家族 „manbiki kazoku“), Japan, 2018, Hirokazu Koreeda, 121 min, (8/10)
20th Centurys Boys 1: The Beginning of the End
Eine Trilogie hat es gebraucht, um Naoki Urasawas Erfolgsmanga 20th Century Boys zu verfilmen. Und selbst da wurde noch geschnitten und ausgelassen, wo man kann. Der in 22 Bänden(!) erschienene Manga wurde zwischen 2000 und 2007 in Japan veröffentlicht. Das Jahr 2000 ist dabei ein wirkungsvolles Datum für die Helden des Stoffs – des Manga, als auch der Verfilmung. Denn im Jahr 2000 sieht sich darin die Menschheit von ihrer Ausrottung bedroht. Dabei fing alles ganz harmlos an. Kenji (Toshiaki Karasawa), Inhaber eines Konbini, stößt auf ein Symbol aus seiner Kindheit, das plötzlich überall um ihn herum auftaucht. Auch im Zusammenhang mit dem plötzlichen Tod eines Schulfreundes. Selbstmord soll es gewesen sein Aber „Donkey“, so sein Spitzname, ist doch überhaupt nicht der Typ dafür? Langsam kommt die Erinnerung an ihre Kindheit zurück. Sie haben sich auf einem Feld eine Bude als Hauptquartier gebaut und Geschichten von Gut und Böse erfunden und aufgeschrieben. Das Symbol ihrer Clique war dasselbe, dass Kenjis immer öfter in seiner Umgebung bemerkt und scheinbar auch von einem Sektenführer verwendet wird, der sich selbst „Der Freund“ nennt. Wusste Donkey mehr darüber? Und ist es Zufall, dass sich 1:1 die Katastrophen ereignen, die sie sich als Kinder ausgedacht haben? Alle Spuren führen für Kenji zum „Freund“.
„20th Century Boys 1: Beginning of the End“, via VizCinema (Youtube)
20th Centurys Boys 1: The Beginning of the End ist ein waschechter Verschwörungsfilm, der ähnlich dem Manga zwischen mehreren Erzählsträngen hin- und herspringt. Zum Einen erleben wir darin Kenji, der seine Freunde aus der Schulzeit mobilisiert und versucht dahinter zu kommen, wer „Freund“ ist und noch nicht ahnt, was für ein Spießrutenlauf ihm bevorsteht. Zum Anderen gibt es immer wieder Rückblicke in seine Kindheit, wo er mit Yukiji (dem stärksten Mädchen der Welt!), Yoshitsune, Keroyon, Mon-chan, Otcho, Maruo und anderen die großen Geschichten von ewig Bösen und ewig Guten nachgespielt hat, nichtsahnend, dass es wahrscheinlich einen von ihnen so beeinflusst, dass er oder sie als „Freund“ irgendwann ganz Japan im Griff haben wird. Der erste Film deckt dabei in etwa die ersten fünf Bände des Manga ab, greift der Geschichte aber auch mit einer Rahmenhandlung vor, die gegen Ende einen netten Twist liefert, falls man die Manga noch nicht gelesen hat. Um die ursprünglich 22 Bände starke Mangavorlage in drei Filme zu pressen, wurde reichlich ausgelassen. So treffen sich beispielsweise Kenji und seine Kindheitsfreunde nicht auf Keroyons Hochzeit wieder, sondern auf einem Klassentreffen bzw der Beerdigung Donkeys. Das geht wie man sich vorstellen kann auf Kosten der Atmosphäre. Während man sich im Manga von Kapitel zu Kapitel und Cliffhanger zu Cliffhanger hangelt und stetig kleine Offenbarungen erlebt, fährt der Film mehr die Holzhammer-Methode, wodurch sich der Verschwörungsstoff schneller entfaltet und dadurch etwas unglaubwürdiger wirkt als im Manga. Man muss es dem Film lassen, dass er größtenteils an den richtigen Szenen spart und die Geschichte trotzdem logisch nachvollziehbar erzählt. Letzten Endes ist es aber eine Frage der Geschwindigkeit, die den Zuschauer auch einiger glorreicher Charaktermomente beraubt. Davon abgesehen entwickelt der Film in der zweiten Hälfte mehr Atmosphäre als sich die Lage für Kenji bereits merklich zuspitzt. Die ätherischen Auftritte des „Freundes“ werden von einer musikalischen Tonlage begleitet, die sich einem scheinbar in den Schädel bohrt so wie es seine Philosophie von Freundschaft tut, mit der er erschreckend viele Anhänger gewinnt. Den Verdacht, dass der Stoff (verfilmt durch Nippon Television) als Serie besser zu adaptieren gewesen wäre, kann ich trotzdem nicht abschütteln.
20th Centurys Boys 1: The Beginning of the End (OT: 20世紀少年), Japan, 2008, Yukihiko Tsutsumi, 142 min, (7/10)
Mary und die Blume der Hexen
Verfilmungen britischer Kinderbücher scheinen Hiromasa Yonebayashis Ding zu sein. Der frühere Animator wirkte später auch als Regisseur für das Studio Ghibli bei Filmen wie Erinnerungen an Marnie. Studio Ponoc besteht aus zahlreichen Mitarbeitern des früheren Studio Ghibli und das sieht man ihrem ersten Animations-Spielfilm auch an. Und nicht zuletzt die Danksagungen im Abspann sagen recht deutlich: Mary und die Blume der Hexen ist kein müder Rip-Off von Kikis kleiner Lieferservice, sondern eine Hommage an das Studio, aus dem die Mitglieder von Ponoc hervorgegangen sind. Die auf einem Roman von Mary Stewart basierende Geschichte erzählt von der kleinen Mary Smith, die jüngst zu ihrer Großtante in eine ländliche Gegend gezogen ist und sich schwer langweilt. Sie kennt niemanden, die Schule hat noch nicht angefangen und sie scheint überall im Weg zu sein. Wegen ihrer schusseligen Art schicken sie viele weg, wenn sie etwas helfen will. Da findet sie im Wald eine sonderbare Blume als sie einer schwarzen Katze folgt und einen Besen, der fliegen kann und ihr so mehr oder weniger gehorcht. Schwarzer Kater? Feuerrotes, nicht zu bändigendes Haar? Auf einem Besen fliegen? Klingt schon fast zu offensichtlich nach einer Hexe, oder!? 🙂
Passenderweise lässt sie der Besen nach einer turbulenten ersten Flugstunde in der Magier-Universität über den Wolken raus. Hier erwartet der Zuschauer, dass die Geschichte sich irgendwo zwischen Harry Potter und Kikis kleiner Lieferservice verliert. Haben nicht genug Geschichten über Hexen und Zauberer in allerlei Formen und Farben in Kino, Serien und Büchern in letzter Zeit ihre Verarbeitung gefunden? Kann „Mary …“ hier noch neue Reize bieten? Tatsächlich kommt alles anders als erwartet. Die Universität ist bunt und groß und verrückt und ihre Direktorin hält Mary für ein Genie der Zauberei. Aber der Film vermeidet zwei Fehler. Zum Einen tut Mary etwas, das viele allzu formelhafte Charaktere nicht gemacht hätten. Sie erkennt und gibt zu, dass ihre Fähigkeiten alleine auf die Blume zurückzuführen sind und erspart dem Film und Zuschauer den langen Weg der Erkenntnis und macht Mary zu einer ziemlich aufrechten Heldin, die es mal genossen hat eine Weile nicht als Schussel, sondern kleines Genie behandelt zu werden. Punkt. Von wegen rote Haare und Hexe. Des Weiteren vermeidet der Film den Fehler die Universität zu glorifizieren und zu „Harry Potter“-ifizieren, sie spielt nur kurz eine Rolle und einige ihrer Lehrer offenbaren sich als Gestalten, die etwas zwielichtiges im Sinn haben und dafür unbedingt die Blume brauchen, die Mary hat. Das ist zwar ein erfrischend anderer Ton als so mancher Young-Adult-Stoff und eine Erleichterung, dass es nirgends zu stark abgeguckt hat, aber danach verliert sich die Geschichte nach einer sehr langen Exposition etwas in Beliebigkeit. Mal abgesehen von der wirklich unglaublich schönen Welt der Zauberei, in die nur ein Zauberbesen führen kann, die von langen Wolkenmeeren oder Wasser umringt ist, bleibt eventuell nicht soviel in Erinnerung, da sich durch das Design der Figuren und Umgebung kein roter Faden zu ziehen scheint und die Lösung und weitere Handlung in der zweiten Hälfte sehr einfach gestrickt und vorhersehbar ist. Nach hinten raus ist es ein schöner Film, eine gelungene Hommage an das Studio Ghibli (schon alleine nicht zu übersehen durch das Charakterdesign), aber sagen wir es mal so: ich bin gespannt auf die ersten Inhalte des Studio Ponoc, die sich über eine Hommage erheben und was das Studio mit Modest Heroes für Geschichten erzählt.
Mary und die Blume der Hexen (OT: メアリと魔女の花 „Meari to Majo no Hana“), Japan, 2017, Hiromasa Yonebayashi, 193 min, (7/10)
Hier kann man mal in 30 Minuten des Anime reinschauen und sich eine Meinung bilden
„MARY UND DIE BLUME DER HEXEN Clips & Trailer German Deutsch (2018)“, via KinoCheck Kids (Youtube)
Mal abgesehen von Filmen …
Abgesehen von den bisherigen Filmen ging noch nicht soviel im Japanuary für mich, weil ich bisher gefühlt mehr auf die Filme gewartet habe als dass ich welche schauen konnte ^^‘ Aber nebenbei schaue ich noch den Anime Hero Mask – eine Kooperation von Netflix und Studio Pierrot. Zwar ist die Geschichte relativ formelhaft gestrickt, aber die Qualität des Anime ist recht gut und gerade, wenn ich mich über die Vorhersehbarkeit beschweren will, dann lenkt es mich mit coolem Character Design ab. So geht das manchmal auch.
Zu den bisherigen Artikeln
Header Image Photo Credits: Andre Benz
Ach … so insgesamt kann ich mich nicht über den Beginn des Japanuary beklagen. Zumindest jetzt, wo doch einige der Filme bei mir eingetrudelt sind. 🙂 Macht ihr mit? Wie war euer Start? Auch so holprig? Welchen der oben genannten Filme habt ihr gesehen und wie empfunden? Wie steht ihr zu den Realverfilmungen eurer Lieblingsmanga? Ich finde „20th Century Boys“ nicht „ungelungen“, aber bin auch nicht wirklich überzeugt. Bis jetzt.
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