Wenn ich in meiner Blogosphären-Blase Filmreviews lese, dann ist die vorherrschende Meinung, dass Superheldenfilme mal ganz gut unterhalten und Eskapismus bieten, aber die Handlung immer weniger überzeugt und das Motiv langsam etwas ausgelutscht ist. Wo man vor vielen Jahren noch die klassische Heldenfigur feierte, wünscht man sich heute mehr Grauschattierungen, Glaubwürdigkeit und Realismus (was wahrscheinlich ein paradox ist). Das Marvel Cinematic Universe hat vor elf Jahren(!) damit angefangen sich aufzubauen. So lange geht das schon. Und es könnte offenbar kaum besser laufen. Als ich Ende 2018 ein bisschen über das Filmjahr 2018 recherchierte waren trotz der allgemeinen Müdigkeit die Superheldenfilme gemessen an Einspielergebnissen ganz weit vorn. Man kann sich dem entziehen, aber ein Ende ist nicht abzusehen. Die Rollen der weiblichen Helden und der People of Color haben aber offenbar den Comic-Kino-Kosmos erst seit wenigen Jahren erreicht. Wonder Woman, Black Panther und dieses Jahr Captain Marvel. Spät, aber irgendwann kam die Erkenntnis – und viele andere unterrepräsentierte Gruppen gibt es im Film(geschäft) immer noch zu selten. Ach guck mal, da ist der Realismus, den wir gesucht haben!? Review ist spoilerfrei.
Vers (Brie Larson) trainiert hart auf dem Planeten Hala um von den Kree als Kriegerin akzeptiert zu werden. Das Volk oder besser gesagt der Völkerzusammenschluss der Kree lebt im Krieg mit den Skrull und versucht sich gegen die Invasionen zu wehren und intergalaktischen Frieden aufrecht zu erhalten. Vers selber weiß nicht, woher sie kommt und wer sie ist – die Erinnerung an ihre Kindheit ist verloren. Manchmal flackern Bilder auf, mehr nicht. Sie wird von den Truppen der Kree aufgenommen und ihr erster Einsatz gegen die Skrull offenbart sich als toughe Finte. Die Skrull infiltrieren den Einsatz und nehmen Vers gefangen. Sie versuchen Informationen aus ihr herauszubekommen und durchforsten ihre Erinnerungen. Nicht nach Informationen der Kree, sondern über Vers früheres Leben! Dabei legen sie einiges frei. Als ihre Flucht sie auf der Erde stranden lässt, kommt langsam die Erkenntnis: das ist Vers‘ wirkliche Heimat.
„Marvel Studios‘ Captain Marvel – Trailer 2“, via Marvel Entertainment (Youtube)
Auf der Erde setzt sich der Konflikt zwischen den Skrull und Kree fort, wobei Vers bald mehr und mehr zwischen die Fronten gerät, desto mehr sie über den Gegenstand des Konflikts und ihre eigene Vergangenheit erfährt. Ein smarter Schachzug, denn er fördert die harte Realität der Grauschattierungen. „Held“ (wie sich die Kree selber nennen) ist immer nur die Bezeichnung einer Seite. Wer für seine Seite der Held ist, ist für die andere eher der Bösewicht. Es ist demnach gar nicht mal so schwierig sich Held zu nennen. Nur ein Wort, dass je nach Perspektive seine Attribute verliert. Eine Erkenntnis, die Carol Danvers (Vers „Erdenname“) hart trifft und die vielleicht größte Stärke des Films ist. Neben Brie Larson. Und Goose. Brie Larson spielt die Rolle von Vers/Carol Danvers/Captain Marvel geradlinig, überzeugend und sehr selbstbewusst. Diese „Captain Marvel“ ist vielleicht etwas zu perfekt geraten – aber das ist letzten Endes wahrscheinlich das, was man von Captain Marvel erwartet. Goose ist Carol Danvers Katze, die nicht nur für Comic Relief, Plüsch- und Niedlichkeitsfaktor sorgt, sondern tatsächlich eine (den Comics sehr vorlagenbewusst nachempfundene) Rolle in dem Film spielt und für die eine oder andere Überraschung sorgt. Mit dem Auftritt der S.H.I.E.L.D.-Agenten Nick Fury (Samuel L. Jackson) und Phil Coulson (Clark Gregg) ist außerdem dafür gesorgt, dass sich der Kreis schließt und man ewige Nebencharaktere wie Fury mal in Aktion sieht: ermittelnd und auch mal hinter einem Schreibtisch sitzend. Möglich, da der Film nicht im Jetzt spielt, sondern vor einigen Jahrzehnten und daher mit einem digital (ziemlich gut) verjüngten Samuel L. Jackson und Clark Gregg aufwartet. War insbesondere Fury vorher eine künstlich mysteriöse, allwissende Figur mit geheimer Agenda, darf er hier auch mal wirklich etwas tun. 😉 Bravo. Das macht schon Spaß, wenn Details des MCU ineinandergreifen und es spielt trotzdem keine wahnsinnige Rolle, wenn man irgendeinen der vorhergehenden Filme der Timeline nicht gesehen hat. Und pssst: Captain Marvel räumt mit dem Mythos auf wie Nick Fury sein Auge verloren hat.
Zwar erlaubt sich der Film zarte Grauschattierungen statt reinem Gut-Böse-Denken und die MCU-Easter-Eggs machen Spaß, aber das heißt auch nicht, dass die Formel aufgeht. So passen Aussagen früherer Filme nicht mehr. Hieß es nicht irgendwann, dass Thor der erste „Außerirdische“ wäre, dem S.H.I.E.L.D. begegnet ist? Das passt jetzt leider nicht mehr zusammen, denn die Skrull und Kree zoffen sich hier auf der Erde lange bevor Thor in der Wüste Biergläser zerdeppert hat. Auch das Ding mit der Heldennummer und dem angestrebten (oder hineininterpretierten) Feminismus geht nicht auf. Zwar spielt die wunderbare Brie Larson ihre starke Rolle stark, aber das Problem liegt darin wie starke Frauenrollen angelegt sind. Die demonstrierte Übermacht mag notwendig erscheinen, weil sie jahrhundertlange mit dem Heldenbegriff verheiratet ist, sorgt aber letzten Endes dafür, dass Captain Marvel schmerzhaft und übertrieben perfekt wirkt. Die Frisur sitzt, Kratzer bekommt sie keine ab und die Fähigkeit, die sie anfangs angeblich nur schwer kontrollieren konnte (Photonenstrahlen aus ihren Händen) rettet später mühelos den Tag, ach was – die Erde, das Universum! Wenn sich Brie Larson zu No Doubts „Just a girl“ kloppt, dann macht das schon arg Spaß. Vor Allem weil auch mal was daneben geht. Denn eine übermächtige Figur, der alles gelingt, hat gemäß dem Superman-Effekt kein Identifikationspotential mehr. Es gibt zwar gegen Ende des Films noch eine schöne feministische Botschaft, die dem unsäglichen „Ein Mann hat dich zu dem gemacht, was du bist!“ eins in die Fresse haut, aber insgesamt ist der Film kein feministischer, sondern lediglich einer der ein, zwei feministische Momente hat und leider irgendwie fast verbrecherisch zu spät kommt. Elf Jahre MCU und dann gibt es erst jetzt eine Heldin in Hauptrolle? Ernsthaft? Wenig feministisch ist leider, dass Ding mit den perfekten Haaren – eins von vielen Attributen, die Frauen in actionreichen Rollen seitdem es das Kino gibt missinterpretieren. Und die Heldengeschichte ist eine, die sich zwar dank der Grauschattierungen rund um „Wer sind eigentlich die Bösen?“ gut von anderen 0815-Filmen absetzt, aber gegen Ende genauso fade und eintönig wie andere Helden. Natürlich steht die Debatte im Raum: erwartet man aber nicht von einem Superhelden genau das? Allmacht? Perfekt sitzende Haare und Zahnpasta-Lächeln in jeder Lebenslange? Das muss der Zuschauer individuell entscheiden.
Captain Marvel ist unterhaltsam, witzig, hat gute Actionszenen, filmübergreifende Anleihen und Gags, Easter Eggs, ich mochte den Humor – aber er ist ein typischer Blockbuster. Das Publikum weiß, da bin ich mir sehr sicher, seit geraumer Zeit, was es zu erwarten hat. Die meisten Superheldenfilme folgen den immergleichen Regeln (so wie Superheldencomics). Wer also das Prinzip des Superheldenfilms noch nicht müde geworden ist oder wie ich lange auf Superheldinnen in Hauptrolle gewartet hat, wird denke ich definitiv seinen Spaß haben. Unter den Origin-Storys ist es für mich eine der besseren und hat mal andere Impulse getriggert, wenn auch noch nicht übermäßig ausgelebt. Immer wieder gut kommt das Retro-Feeling, wenn alle beim Kopieren von einer CD, der Erwähnung von Pagern und Modems innehalten, zurückdenken, lachen. Wieviele Leute im Publikum haben das gar nicht miterlebt? 😉 Ich kenne es. Ebenso den Soundtrack, der sofort Erinnerungen weckt. Es fällt hier leicht über die fade gestrickte Superheldenallmacht hinwegzusehen, ich wurde gut unterhalten. Aber ich bin mir auch sicher, dass ich mich in zehn Jahren nicht mehr an den Film erinnern werde. (Oder das MCU?)
Captain Marvel, USA, 2019, Ryan Fleck/Anna Boden, 124 min, (8/10)
Wie habt ihr den Film empfunden? Habt ihr noch Spaß an Superheldenfilmen oder eher weniger? Muss für euch ein Held ausnahmslos perfekt sein? Nebenbei habe ich die Debatte rund um „Captain Marvel“ etwas mitverfolgt und darin ein weiteres bitteres Beispiel für den Abwärtsstrudel in der Feminismus-Debatte gefunden. Wird Kritik an dem Film oder Brie Larson geübt, wird extrem schnell zurückgeschossen und der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit erhoben, womit sich Feminismus oftmals selbst schadet oder zumindest keinen Gefallen tut. Dass sorgt für weiteren Unmut und Auseinanderdriften. Es ging ein Raunen durch social media in dem so getan wurde, als ob der Film männerfeindlich wäre. Ich lese das aus dem Film nicht raus, aber die Männer, die ihn gesehen haben, können ja mal in den Kommentaren dazu Stellung nehmen!? Wo sich aber tatsächlich Diskriminierung (in diversen Ausmaßen, nicht nur der geschlechtertypischen) zeigt ist, was passiert, wenn man Brie Larson in Youtube sucht. Man bekommt Ausschnitte einer Rede, die sich angeblich gegen Männer richtet (die ich anders wahrnehme) und sehr viele Videos über ihr Fitnessprogramm.
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