Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft“

Der einzige winzig kleine Wermutstropfen bei unserem geplanten Japanurlaub war, dass während wir in Japan sein würden, in Deutschland der Kinostart für Mamoru Hosodas neusten Film wäre: „Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft“. Für mich als großen Hosoda-Fan war das schon etwas herb, denn das Warten auf „Mirai“ kam mir sehr lang vor. Wie immer erschien der Film in Japan bereits vor über einem Jahr. Letzten Endes kann man sich angesichts einer solchen Reise aber kaum wirklich ärgern – man will es ja! Aber als wir nach Hause kamen und ich sah, dass in einem Indie-Kino am anderen Ende der Stadt der Film immer noch lief, war die Freude dann groß. Dabei entspringt der Film Hosodas selbst gegründetem Animationsstudio „Studio Chizu“. Besprechung ist weitestgehend spoilerfrei.

Kun ist der vierjährige Sohn eines Architekten und einer leitenden Angestellten. Als seine Mama aus dem Krankenhaus mit dem kleinen Schwesterchen Mirai wiederkommt, ist es als ob er etwas das erste Mal realisieren würde: Wo er herkam, wo Mirai einmal hingehen wird, dass sie wie er aufwachsen wird. Aber die Erkenntnis über das Wunder des Lebens hält nicht übermäßig lange an. Alle kümmern sich erstmal sehr viel um Mirai, sind zu müde um mit ihm zu spielen, er muss die Aufmerksamkeit seiner Eltern teilen und das schmeckt Kun überhaupt nicht. Er brüllt wie am Spieß, er fühlt sich ungerecht behandelt und mit diesem kleinen Ding „Mirai“ kann man ja noch gar nichts anfangen. Kun mag sie nicht. Und er ist überzeugt davon, dass seine Eltern Mirai jetzt viel lieber haben als ihn. Wann immer er aber an der Eiche im Hof ihres Hauses vorbeikommt, verwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und plötzlich steht Mirai vor ihm. Sie ist größer und älter als er – sie ist Mirai aus der Zukunft! Und sie gibt ihrem kleinen größeren Bruder einiges zum Nachdenken mit auf den Weg.

„Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft (Kino-Trailer)“, via KAZÉ Deutschland (Youtube)

Es gibt eine Menge köstliche Szenen, in denen der Zuschauer seine eigene Familie oder sich selbst wiedererkennt. Beispielsweise wenn Kun sich bockig stellt, weil er lieber seine gelbe statt seiner blauen Hose anziehen will und das Argument „Aber die gelbe ist in der Wäsche“ nicht gelten lassen will. Oder wenn er seine Schwester mit einem seiner Spielzeuge haut, weil er nicht mit ihr spielen kann so wie er gern möchte und alles von Mutti und Vati verboten bekommt, was er gerade möchte. Eine sehr kindlich-unbedachte Geste, die bei Erwachsenen bösartig wirken würde und bei der man sich immer zügeln und daran denken muss, dass sie ja eben von einem Kind kommt. Bei Kindern verschwimmen die Grenzen. Eltern, die ihre Aufmerksamkeit auf zwei (oder mehr!)  Kinder verteilen müssen, können von dem, was der Film erzählt ein Lied singen. Im Laufe des Films, soviel weiß man eigentlich schon vorher, wird Kun an der Begegnung mit der Teenager-Mirai aus der Zukunft wachsen und erkennen, was es bedeutet ein großer Bruder zu sein. Aber eigentlich sind es längst nicht nur Begegnungen mit Mirai aus der Zukunft. Ebenso begegnet er seiner eigenen Mutter als Kind (goldige Szenen, in denen sie ihm erklärt, dass Unordnung Spaß macht – oha! 🙂 ) und seinem Uropa. Es ist nicht nur Mirai, sondern viel mehr die Familiengeschichte, die ihn etwas lehrt. Die enorme Summe an Zufällen und Entscheidungen, die dazu führt, dass aus einer Familie eines Tages ein kleiner Kun und eine kleine Mirai geboren wurden. Dass sich Menschen treffen, Kriege überleben, heiraten – das wir alle Kinder sovieler Entscheidungen und verschlungener Lebenspfade sind. Eine wunderschöne Botschaft, die der Film immer mal etwas aus den Augen verliert.

Mir blutet quasi das Herz, dass ich das sagen muss, aber der Film wirkt leider nicht sehr zusammenhängend und nicht besonders rund. Hosoda ist ein fantastischer Erzähler, der eine unglaubliche Gabe hat sehr natürliche und menschliche Charaktere zu schaffen, die den Zuschauer sofort auf ihrer Seite haben. Er hat das Talent für immens mitreißende Geschichten, die einen Hauch Fantasy oder Scifi vereinen. Aber nur so wenig, dass man es kaum wahrnimmt. Sein Mädchen, das durch die Zeit sprang und Summer Wars werden immer zwei meiner Lieblingsfilme sein und nach Ame und Yuki – die Wolfskinder habe ich wie ein Schlosshund geheult. Im Grunde verbindet er hier zwei seiner Stamm-Motive: Familie und Zeitreise. Aber leider auch noch viel mehr, wodurch der Film sich sehr verliert. So wirkt es bis zum Schluss irgendwie deplatziert, dass Yukko, der Hund der Familie in Kuns Vorstellung vollkommen zufällig und zusammenhangslos mal als Mensch auftritt, um nur ein Beispiel zu nennen. Klar: es skizziert, dass auch Yukko die Eifersucht kennt, die nun Kun empfindet, da er anfangs der „Prinz“ im Haus war, bevor Kun geboren wurde. Aber das Auftreten Yukkos als Mensch ist beliebig und wart in der zweiten Hälfte des Films nicht mehr gesehen. Anschließende Szenen über magische Ruten, die Kun statt Yukko dann zu einem Hund machen und die allgemeine Beliebigkeit der Fantasien sind aus der Sichtweise des Kindes gedacht.

Aber auch für ein Kind sind Fantasien unendlich lang und wiederkehrend. Man verliert sich selten nur ein einziges Mal in so einer Fantasiewelt. Die wilde Aneinanderreihung solcher Ideen wirkt dann eben doch zu beliebig. Die Begegnungen mit Mirai aus der Zukunft sind eigentlich nicht so viele wie der Trailer vermuten lässt und wiederum andere wirken im Vergleich dazu soviel stärker wie die Begegnung und angerissene Lebensgeschichte des Urgroßvaters. So ganz passt es dieses Mal nicht zusammen. Selbst der Filmtitel wirkt so, als ob man hier irgendwie am Thema vorbeischrammt. Immer wieder großartig ist aber die Animation und das angenehm unübertriebene Charakterdesign. Ähnlich den Vorgängerfilmen gibt es auch hier wieder die einen oder anderen fotorealistischen Szenen, in denen man kaum sagen kann, ob man einen Animations- oder Realfilm schaut. Der emotionale Soundtrack hat auch hier wieder nur ein paar Titel, die dafür aber die Themen wunderbar wiedergeben und eine Weile im Ohr bleiben. Ähnlich zu anderen Hosoda-Filmen steckt auch dieser voller Energie und liebenswerter Komik, die sich auf den Zuschauer überträgt und einen für Stunden nach dem Schauen mit Sonnenschein auflädt. Schade, dass er aber narrativ nicht so überzeugen kann wie seine Vorgänger. Und natürlich lassen sich Kuns Ausflüge in Vergangenheit und Zukunft (sogar sehr leicht) als Tagträume interpretieren. Wer gut aufpasst, findet viele Hinweise. Aber der wirkliche Spaß liegt vielleicht in der herzigen und empathischen Darstellung der Qual, wenn Eltern ihre Aufmerksamkeit verteilen müssen und Kinder erkennen müssen, dass sie nicht mehr der einzige Spross im Haus sind. Herrlich komödiantisch und stellenweise tragisch zugleich. Soviel muss man sagen: Kinder und Eltern hat der Film verstanden.

Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft (OT: 未来のミライ „Mirai no Mirai“), Japan, 2018, Mamoru Hosoda , 98 min, (7/10)

Sternchen-7

Fun fact: wenn man gerade aus Japan wiederkommt und dort viel Zug gefahren ist, dann wird man dank Kuns Liebe zu den Zügen der Japan Railways Group einiges wiedererkennen. Er mag sehr die Züge der Yamanote-Linie und Shinkansen. Und ich gestehe, dass auch ich ein kleiner Fan der japanischen Züge geworden bin und mich sehr über die zahlreichen Gastauftritte der Shinkansen und japanischen Bahnhöfe gefreut habe. Hosoda und sein Team haben da viel Liebe zum Detail bewiesen. Einer der Züge, in die sich Kun in einer albtraumhaften Sequenz verirrt sieht täuschend echt aus – sogar bis zur digitalen Anzeige der nächsten Station. Hach. Das weckt Erinnerungen.

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