Neulich auf der Nippon Connection … Filmbesprechung zu „Dancing Mary“ & „Family Romance, LLC.“

Die NIPPON CONNECTION hat sich herausgeputzt. Neue Webseite, wieder ein sehr modernes Design, eine besondere Feier unter erschwerten Umständen – aber überraschenderweise macht Corona es möglich, dass wir vom 09.-14. Juni aus der Ferne am japanischen Filmfest teilnehmen können. Für mich ist das ein Happy End. Natürlich würde ich gern mit dem einen oder der anderen nach dem Film ein bisschen vor dem Mousonturm fachsimpeln … aber online hat einen enormen, feierabend-versüßenden Charme. Das Ticket war schnell gekauft, der Kalender geblockt, die Vorfreude – enorm! So gab es also die NIPPON CONNECTION im Jahr ihres zwanzigsten Jubiläums über Vimeo, Youtube und Zoom. In diesem Beitrag: Besprechungen geschauter Filme aus der Kategorie Nippon Cinema. Natürlich spoilerfrei.

Dancing Mary

Als Kenjis (NAOTO) Vorgesetzten beim städtischen Bauamt die Ideen ausgehen, machen sie kurzerhand ihn zum Zuständigen für den Abriss einer verfallen Tanzhalle. Das Gebäude soll einem großen, neuen Komplex weichen. Büroräume, Eigentumswohnungen, ein Einkaufszentrum! Aber zuerst muss die Halle weg. Problem nur: dort spukt es. „Dancing Mary“, der Geist einer schönen Tänzerin, hat schon etliche Bauherren auf dem Gewissen genauso wie Medien und Exorzisten, die herbeizitiert wurden. Kenji fühlt sich in seinem ruhigen, sittsamen „Suit and Tie“-Leben etwas gestört, aber versucht gewissenhaft seiner Aufgabe nachzugehen. Nichtsahnend, dass das erst der Anfang der Turbulenzen ist. Er findet das Medium bei einem Selbstmordversuch vor, muss fortan Geister jagen, sich mit Yakuza anlegen und nach Taiwan fliegen.


„DANCING MARY TRAILER #FANTASPORTO2020“, via Fantasporto – Oporto International Film Festival (Youtube)

Regisseur SABU hat ein Händchen für genreübergreifende Stoffe. Dancing Mary vereint Tragikomödie mit Gangsterdrama. Ähnlich wie bei anderen Filmen SABUs (beispielsweise seinem grandiosen Mr Long) nicht fließend, sondern etappenweise. Der Film beginnt mit Kenji, der unfreiwillig aus seiner gewohnten Ecke des Büros raus muss, um sich mit Exorzisten rumzuschlagen und dabei herrlich deplatziert und unkomfortabel wirkt. Als er eine paranormal begabte Schülerin für den Exorzimus gewinnen will, die sich aber in Folge Mobbings und Entfremdung von der Welt das Leben nehmen wollte, wechselt die Stimmung früh und hart. Sie nimmt die Begegnung mit Kenji und später der Dancing Mary in der atmosphärisch-gruseligen Tanzhalle als neue Aufgabe und gewinnt Lebensmut. Beide haben eine Art Geisterwelt-Roadtrip, bei dem sie ziellos umher fahren und versuchen von anderen Geistern einen Hinweis zu bekommen wie Dancing Marys Seele erlöst werden kann. Die Begegnungen mit den Geistern sind dabei zutiefst erschütternd und melancholisch. SABU, von dem auch das Drehbuch stammt, und die Darsteller brechen die Szene dabei immer mal wieder mit Situationskomik auf. Dass Kenji auch Geister sehen kann, wenn sein Medium-wider-Willen mit ihm Händchen hält, ist nur ein Bestandteil des Rezepts, das für willkommene Erheiterung sorgt.

Durch die verschiedenen Lebensgeschichten der Geister hat der Film etwas episodenhaftes. Die Szenen in denen Geister sichtbar sind, werden jeweils in Schwarzweiß gehalten und ziehen damit auch aus dem Bild alles Lebendige und erinnern angenehm an alte Horrorfilme. Lediglich die Gewichtung der Geisterbegegnungen will manchmal nicht so ganz aufgehen – warum hat der eine Geist mehr Screentime als der andere? Vielleicht um der Geschichte, in der mehrmals Yakuza mitmischen, noch mehr des Gangsterfilm-Odeurs mitzugeben. Trotzdem bleibt die erste der Begegnung emotional weitaus stärker hängen. Die Begegnungen während des Roadtrips sind skurril bis rührend und höchst einfallsreich – schon mal mit einem Geist auf dem Nachbarsitz im Flugzeug gesessen? Können Geister Flugangst haben? 😉 zwischen den Episoden verliert der Film dabei aber ein wenig den Fokus auf seine Hauptcharaktere. Während die paranormal begabte Schülerin an Kenjis Seite urplötzlich ihren Lebensmut wiederfindet, braucht Kenji den ganzen Film und zeigt bis dahin wenig Entwicklung. Er bekommt sehr früh von zwei älteren, kranken Damen eine Lektion, was die Aufgabe im Leben betrifft und dass die von Herzen kommen soll. Ist er Beamter geworden, weil es sein tiefer Wunsch ist Menschen zu helfen? Oder weil er dann ausgesorgt hat? Es scheint fast aus der Luft gegriffen, wenn Kenji endlich realisiert, dass es sich lohnt mit ganzen Herzen einer Lebensaufgabe nachzugehen als sich einfach nur treiben zu lassen und zu hoffen, dass man sich einigermaßen gut durchmogelt. Abgesehen von der mangelnden Nachvollziehbarkeit der Entwicklung ist Dancing Mary ein schöner, episodenhafter, kurzweiliger Genremix.

Dancing Mary (OT: ダンシング・マリー „Dancing Mary“), Japan, 2019, SABU, 105 min, (7/10)

Sternchen-7


„Family Romance, LLC – Teaser“, via Film Constellation (Youtube)

Family Romance, LLC.

Der Film beginnt mit einem Mann, der vor dem Yoyogi Park wartet. Ein junges Mädchen geht ein um’s andere Mal an ihm vorbei, versteckt sich hinter anderen Leuten; will gleichzeitig zu ihm schauen und wieder nicht. Offenbar sind sie verabredet. Irgendwann spricht er sie von selbst an. Ob sie ihn nicht erkennen würde? Er habe sie sofort erkannt – sie ist schließlich seine Tochter. Der Zuschauer wird Zeuge ihres Tags im Park während der Kirschblütensaison. Das Mädchen, Mahiro, taut langsam auf und sieht glücklich aus. Was Mahiro (Mahiro Tanimoto) nicht weiß: der Mann ist nicht ihr Vater, sondern ein bezahlter Darsteller. Yuichi Ishii spielt sich in Werner Herzogs Semi-Dokumentation selbst. Er ist der Gründer der Agentur Family Romance, LLC. (LLC entspricht in etwa der deutschen GmbH) und bei ihm kann man Darsteller für besondere Anlässe mieten, vorrangig als Familienmitglieder.

Neben der Episode mit Mahiro lernen wir einige weitere Fälle aus Ishiis Alltag und dem seiner Mitarbeiter kennen. Die führen schon durchaus mal als gemieteter Vater die Braut vor den Altar oder inszenieren einen Fake-Lottogewinn. Mahiros Fall wird aber einer sein, der uns immer wieder begegnet und irgendwann auch für Ishii persönlich wird. Der mit Laiendarstellern besetzte Film entstand wie man Interviews mit Ishii entnehmen kann teilweise improvisiert. Die Fälle basieren teilweise auf wahren Begebenheiten oder wurden dadurch inspiriert. Das fehlende Drehbuch gepaart mit den Laiendarstellern führt jedoch in manchen Szenen zu einer gestellt wirkenden Künstlichkeit aus langen Sprechpausen und Verstocktheit, über die man schwer hinwegsehen kann und die einem manchmal die Haare zu Berge stehen lässt.

Durchaus möglich erscheint aber, dass die Künstlichkeit gewollt und als Stilmittel zu betrachten ist. Denn was machen denn die Mitarbeiter der Family Romance, LLC. schließlich – sich verstellen. Was Werner Herzog in dem Film einfängt und was Ishii als Produkt anbietet ist etwas zutiefst menschliches. Der Wunsch nach bedingungsloser Liebe und Zugehörigkeit – sei es auch nur um Situationen zu entgehen, in denen die eigene Einsamkeit schonungslos zutage tritt. Zusammen mit wirklich wunderschön eingefangenen und atmosphärischen Bildern Japans ist der Film eigentümlich rührend.

Family Romance, LLC. (OT: ファミリーロマンス社), USA, 2019, Werner Herzog, 89 min, (6/10)

Sternchen-6

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An der Stelle ein Geständnis: ich habe eine ganz große „Werner Herzog“-Wissenslücke. Seine Rolle und Teile seiner Bio- und Filmografie kenne ich zwar, aber ich habe seine ganz großen Klassiker allesamt noch nicht gesehen. Shame on me. Da weiß ich ja, was ich nachholen muss. Was empfehlt ihr? Ansonsten: habt ihr auch online der Nippon Connection begewohnt? Was waren eure Lieblingsfilme aus der Sektion „Nippon Cinema“? Das ist die, aus der ich die meisten Filme gesehen habe – dementsprechend sind da noch ein paar Besprechungen zu erwarten. 🙂

4 Antworten

  1. „Dancing Mary“ hab ich auch geschaut.
    Fand ihn überraschend gut. Da ich eigtl bei Geistern nicht jeden Film und nicht jede Umsetzung mag. Aber hier wirkte es rund und sympathisch.
    Einzig der Fokus auf die Yakuza war mir nicht ganz klar. Dann lieber auf die alte Story fokussieren.

    Fand übrigens diesen Wechsel der Farben bunt und Schwarz/Weiß, gut umgesetzt :3

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja so ähnlich ging es mir mit den Yakuza auch 🙂 V.A. fand ich beispielsweise die mit dem Opa, der sein Zuhause verloren hat viel rührender … da war das Timing aber auch wiederum vollkommen ok. Irgendwie hat der Film Mary und das alles etwas verloren zwischendrin. Fliegen mit Geist wiederum war aber ganz lustig XD

  2. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Trotz Streaming ist die NC (auch) dieses Jahr an mir vorbeigegangen. Ich hoffe, dass zumindest manche Filme noch zum Streamen verfügbar sein werden.

    Bei Werner Herzog fällt mir nur „Nosferatu – Phantom der Nacht“ ein. Mir gefielen gewisse Metaphern des Filmes, aber ich denke auch der Film lässt sich als eigentümlich bezeichnen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      „Nosferatu – Phantom der Nacht“ ist aber schon einer, den ich mal nachholen sollte, habe ich so das Gefühl. 🙂

      Jetzt bei dem Far East Film Festival sind ja tatsächlich einige nochmal im Programm. 🙂 Wobei mich die Info dank Twitter zwar immerhin erreicht hat, aber auch sehr kurzfristig und ich auch nicht weiß, ob ich noch irgendwas davon schaffe …

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