Auf die zweite Staffel der deutschen Netflix-Serie „Dark“ habe ich mich so derb gefreut, dass ich sie sofort geschaut habe. Eine der wenigen Situationen in denen ich dann doch mal binge-watche. Warum dann ein Jahr warten, bis ich sie bespreche? Vielleicht, damit ich das ein Jahr später machen kann und dank diverser Rückschauen und Reflektionen perfekt auf die dritte vorbereitet bin? Wer weiß … Besprechung ist spoilerfrei (Wertschätzt das! Es hat mich viel Kraft gekostet die Klappe zu halten); aber nicht sicher, falls ihr die erste Staffel noch nicht gesehen habt.
Ein normaler Tag in Winden
Nach den Geschehnissen der ersten Staffel sitzt Jonas (Louis Hofmann) in einem postapokalyptischen Winden im Jahr 2053 fest. Die ganze Gegend ist Schutt und Asche und er schließt sich mehr oder weniger freiwillig einer Gruppe Überlebender an und betrauert, dass in der Zukunft offenbar alle Menschen, die er liebt, tot sind. Er will Antworten im nahezu zerstörten AKW suchen. Währenddessen sehen wir wie Claudia Tiedemann (Julika Jenkins) im Winden der 80er Jahre geläutert wird, indem man ihr Blicke in die Vergangenheit und Zukunft gewährt. Sie muss auf ähnliche schmerzliche Weise wie Jonas lernen, dass die Vergangenheit sich nicht einfach ändern lässt. Wir erfahren außerdem, was mit dem in der Vergangenheit inhaftierten Ulrich (Oliver Masucci) passiert, während seine Frau Katharina (Jördis Triebel) nicht aufgibt sein Verschwinden und dass ihres Sohnes Mikkel aufzuklären. Der hat in den 80ern Heimweh – nach seiner Familie und einer anderen Zeit. Charlotte Doppler (Karoline Eichhorn) dringt weiter in die Geheimnisse Windens vor und stößt endlich auf ihre eigene Vergangenheit.
„Dark – Staffel 2 | Trilogie-Offizieller Trailer | Netflix“, via Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz (Youtube)
„Ich bin du“
Dark ist in seiner noch verhältnismäßig jungen Geschichte ziemlich gut darin immer noch eins drauf zu setzen. In der ersten Staffel wurde akribisch ein dichtes Netz aus Verwandschaft und Beziehungen geflochten. Die einen waren schwer genervt, ich selber fand es enorm cool nach und nach das Puzzle zusammenzusetzen wer aus dem Jahr 1953 mal zu wem im Jahr 1986 wird. Oder zu sehen wie der eine oder die andere aus dem Jahr 2021 als Kind war. Das Team der Serienschaffenden spielt mit einer manchmal traurigen, manchmal beherzten Ironie. So beispielsweise durch den Fakt, dass die Schuldirektorin Katharina früher eine laute, unempathische Mobberin war. Oder auch in dem Umstand, dass Ulrich mehr als zwei Mal in seinem Leben von Egon Tiedemann inhaftiert wird. Einmal als Ulrich jung und Egon älter war, einmal andersrum. Und dieses Spielt meistert die Serie auch in der zweiten Staffel.
„Ich bin du“ – das hatten wir schon mal, oder? Manch eine große Offenbarung liegt in der zweiten Staffel irgendwann auf der Hand, aber bei Weitem nicht alle. Auch die zweite Staffel lässt den Zuschauer mit ein paar der Antworten die Kinnlade herunterklappen und schließt eine Lücke, die früher eventuell mal Game of Thrones oder Konsorten bedient hat. Sicherlich nicht vom Fantasy-Aspekt, sondern vom „Ich will wissen wie es weitergeht“-Gefühl. Dieses brennende, nagende; das dafür sorgt, dass wir allen unsere Theorien zur Auflösung des Zeitreise-Schlamassels aufschwatzen wollen. Allerdings war Dark noch nie eine besonders witzige Serie. Neben Jonas werden hier einige andere wie Egon, Helge und Claudia zu tragischen Helden. Immerhin dürfen wir denen dann in verschiedenen Zeitebenen zuschauen und müssen nicht zwingend sofort loslassen. Die Chance, dass man sich nicht das letzte Mal gesehen hat – wo, wenn nicht in Winden? Oder sollte ich besser sagen „wann“. 😉 Wen das nicht erheitert, der darf Zeuges eines rührenden und späten Wiedersehen werden – ich verrate nicht welcher Art. Und sich wundern, was eigentlich mit Wöllers Auge passiert ist? Ein netter Running Gag, dass er nie dazu kommt es zu erzählen.
Bootstrap
Die schwierigste Arbeit des mittleren Teils einer Trilogie oder einer zweiten Staffel ist wohl gerade die richtige Anzahl an Antworten zu liefern, damit der Zuschauer sich nicht hingehalten fühlt, aber genug offen zu lassen, um noch attraktiv zu sein. Bestenfalls sogar das Geheimnis zu vertiefen. So arbeitet die zweite Staffel vermehrt mit Paradoxen und macht, dass wir unsere Hirnwindungen nochmal anstrengen müssen. Hierbei wird vermehrt auf das Großvaterparadoxon (in der Serie als Bootstrap-Paradox bezeichnet) verwiesen. Das Paradox adressiert den Widerspruch von „ursprungslosen Objekten oder Lebewesen“. H.G. Tannhaus beispielsweise schrieb sein Buch über Zeitreisen, weil er ein Exemplar aus der Zukunft erhielt. Es scheint keinen „Anfang“ in der Kette zu geben. Die Staffel bietet noch größere Mindfucks der Kategorie.
„Dark : Season 2 – Official Opening Credits / Intro (Netflix‘ series) (2019)“, via ★ TV-Series – Opening Credits / Intro ★ (Youtube)
Hater’s gonna hate
Dark ist damit durchaus formelhaft, aber wie sollte das sonst gehen? Wir sehen die Drehbuchautoren doch vor unserem inneren Auge mehrere wände-zierende Familienstammbäume und Zeitlinien malen, oder? Damit sich das alles nicht zu bemüht anfühlt, braucht es akribische Planung und erzählerischer Raffinesse, vor der ich meinen Hut ziehe. Das braucht schon was, damit keine Logiklücken, sondern Paradoxe entstehen. Manch einer behauptet, dass die Serie bis zum Ende der zweiten Staffel keine Erklärung geliefert hätte, auch nie eine liefern wird und sieht das als Armutszeugnis. Tatsächlich hat sie bereits in der zweiten Staffel eine Lösung geliefert, die Sache ist nur die: die braucht man nicht. Deswegen ist die große Auflösung auch eine Black Box (… oder Black Sphere?).
Den Serienmachern geht es nicht darum die Zeitreise zu erklären – kommt drüber weg. Es geht hier nicht um die Ursache, sondern die Wirkung. Es geht der Serie darum von den Widersprüchen im Leben zu erzählen, indem es sie auf die Spitze treibt. Unser Leben ist voller Widersprüche: Wir alle wollen frei sein, aber an Schicksal glauben. Nicht an ein Schicksal, das uns im Griff hat und unsere Wege vorbestimmt, sondern schicksalhafte Liebe, Berufung und Fügung, die sich zum guten wendet. All diese Schmonzetten. Was ist dann Schicksal, wenn nicht das goldenste Gefängnis? Die andere große Knechtschaft, die die Serie darstellt ist: natürlich Zeit. Vor der sind wir alle gleich. Aber sicherlich geht es auch wenigstens zum Teil um die erzählerische Aufgabe ein Geheimnis zu kreieren, das sich über ein Jahrhundert erstreckt und Paradoxe zu bauen, die nicht wanken.
Was ich selber an der Serie (neben dem gelungenen Denksport) sehr schätze ist, dass noch längst nicht alle Dramen durch die Zeitreise zu solchen werden, sondern durch das Leben an sich. Erste Liebe, Verpasste Chancen, Familie wo man sie am wenigsten erwartet hat, erloschene Gefühle, Sehnsüchte, folgenschwere Missverständnisse – man muss nicht in Winden leben und braucht keine Zeitreisen um all diese Dinge zu finden. Aber mit Zeitreise ist schon cooler. 😉 Denn das Zeitreise-Thema, wenn gut gemacht, hat etwas, mit dem es uns immer wieder am Haken hat: Zeitgeist.
Baran bo Odar und Jantje Friese inszenieren Dark glaubhaft in verschiedenen Jahrzehnten deutscher Geschichte und Kultur. Neben Klamotten und Frisuren der Achtziger und Kriegserinnerungen in noch früheren Jahrzehnten erwähnt die Serie auch Chernobyl und Fukushima. Ein zarter Fingerzeig darauf, dass der Mensch sich zu oft und zu gern an etwas ausprobiert, dass er nicht oder nur dürftig kontrollieren kann. Letzten Endes hat die Staffel doch noch etwas Punktabzug von mir bekommen, weil sie in den letzten Minuten ähnlich wie am Ende der ersten Staffel eine Kurswende vollzieht, die ich dann doch für einen touch too much halte, weil sie die bisher bekannten Regeln auf den Kopf stellt. Das ist riskant und ich bin gespannt, ob sie das in der dritten Staffel ähnlich gut einflechten wie den großen Cliffhanger der ersten Staffel. Für andere Zuschauer ist wohl der sich andeutende biblische Symbolismus (Paradies, Adam & Eva, Apfel) das andere „touch too much“. Aber ich vermute ganz stark, dass wir auch davon noch etwas mehr zu sehen bekommen.
(9/10)
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Der Trailer zur dritten Staffel verrät ja nun doch das eine oder andere – zum Beispiel, dass zu den Charakteren wie wir sie kennen noch weitere „Varianten“ auftauchen. 😉 Es ist anzunehmen, dass die dritte Staffel versucht das Bootstrap-Paradox über eine andere bekannte Theorie zu Zeitreise aufzulösen. Ich bin gespannt. Leider erscheint mir das Risiko recht groß, dass man sich in einer allzu biblischen Auflösung versucht. Ich hoffe nicht! Wenn dieser Beitrag online geht, sitze ich mit großer Wahrscheinlichkeit schon auf dem Sofa, verstecke mich vor der Juni-Hitze und binge „Dark“ Season 3. Wie hat euch die zweite Staffel gefallen? Diskutiert gern mit mir eure Theorien oder was ihr euch für die dritte Staffel wünscht – aber kennzeichnet etwaige Spoiler bitte ausreichend.
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