Fantastischer Film: God’s Own Country

Irgendwann als Johnny (Josh O’Connor) gerade seinen Rausch ausschläft, beschließen sein Vater (Ian Hart) und seine Großmutter (Gemma Jones) eine zusätzliche Arbeitskraft für die Farm anzustellen. Sein Vater kann sich infolge eines Schlaganfalls nur noch schwer auf den Beinen halten, weswegen die meiste Arbeit auf dem Hof und bei der Schafzucht an Johnny hängen bleibt, ob er will oder nicht. Johnny selber ist wie ein Fähnchen im Wind. Will er das Leben auf der Farm oder nicht? Ist es zuviel oder ist es ihm zu wenig? Will er weg oder will er bleiben? Die Verantwortung und harte Arbeit machen ihn stählern, rücksichtslos, manchmal kaum ansprechbar. Er säuft und treibt es mit fremden Männern in irgendwelchen Hinterhöfen. Als der Farmarbeiter Gheorghe (Alec Secăreanu) vor der Tür steht, ist er nicht weniger auf Krawall gebürstet. Nennt den Rumänen „Zigeuner“ und macht sich über ihn lustig. Aber nicht lange als er sieht wie viel Ahnung der ruhige und besonnene Gheorghe hat. Der vielleicht sogar sehr gut weiß, warum Johnny innerlich so zerrissen ist.


„God’s Own Country – Trailer Deutsch | German“, via MovieGeek (Youtube)

Ja bei den Übernachtungen unter dem Sternhimmel, wandern über weitere Felder und den verstohlenen Blicken der Männer ist es schwierig die Vergleiche zu Brokeback Mountain abzuschütteln. Aber zumindest von der Stimmung her ist God’s Own Country ein anderer Film. Anders als es der Trailer eventuell vermittelt, ist Johnny schwer an der Grenze. Er verletzt, er säuft und man fragt sich wie lange er noch so weitermachen kann. Mit dem Zustand seines Vaters und der ganzen Farm, mehr als Bürde denn als Erbe, erdrückt es ihn. Die Arbeit auf der Farm ist kein Zuckerschlecken und wird auch so dargestellt – da bleibt kein Raum für Bauernhof-Romantik. Gheorghe sieht er anfangs als Bedrohung, will nicht bloßgestellt werden und der Umgangston zwischen den Beiden ist rau.

Erst nach und nach weiß der Rumäne ihn zu verstehen und ihm klarzumachen, dass er weicher werden muss, um sich nicht letzten Endes selbst zu schaden. Er zeigt ihm wie das Leben auf der Farm funktioniert. Was Familie bedeutet und wie schön das Land überhaupt ist. Auch wenn Johnnys aggressive Einstellung dem anfangs im Weg steht, fühlen sich beide zueinander hingezogen. Johnnys verkrampft-aggressiver Attitüde langsam beim Schmelzen zuzugucken hat ein Gefühl des „Erweckens“, das auf den Zuschauer überspringt. Dieser Formel aus „Gefühl zulassen“ und ungeschönter Realität ist es zu verdanken, dass die teilweise relativ expliziten Sexszenen funktionieren. Und den Darstellern Josh O’Connor als Johnny und Alec Secăreanu als Gheorghe, die eine tolle Chemie haben.

Francis Lees Film geht nebenbei glaubhaft auf das Dilemma der Landbevölkerung ein, deren Lebensunterhalt sich zunehmend schwerer verdient, obwohl es ein Knochenjob ist. Wie verzweifelt das Festhalten an einem alleine nicht zu stemmenden „Familienunternehmen“ ist, wird hier in Wort und Bild klar. Auch das orientierungs- und hilflose derer die „Zuhause bleiben“, während ihre Schulfreunde in die Ferne ziehen und den „großen Traum leben“. Oder so denkt man zumindest – die Realität bekommt man eh erst später mit. Nicht jeder Film über homosexuelle Beziehung braucht wohl die großen Outing-Momente – zumindest spart sich God’s Own Country das und konzentriert sich stattdessen auf die oben genannten Motive aus emotionaler Erkaltung/Erwärmung und Dilemma zwischen Stadt-Land-Fluss. Überhaupt hat der Film seinen Nuancen viel zu verdanken und fördert Wanderlust ungemein. God’s Own Country kann Stand heute auf Netflix gestreamt werden.

God’s Own Country, UK, 2017, Francis Lee, 104 min

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

3 Antworten

  1. Der Film steht auch schon so, so lange auf meiner Watchlist, es wird Zeit, dass ich ihn mir auch endlich einmal anschaue.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Finde ich auch 😉 Schau doch mal rein und lass mich wissen wie er dir gefallen hat.

  2. […] Francis Lee muss ein bisschen aufpassen, dass wie in zuvor in seinem God’s Own Country dargestellte Motive gleichgeschlechtlicher Liebe in einem ländlichen oder hier […]

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