Noirvember 2020 – Filmbesprechung zu „Fahrstuhl zum Schafott“ & Fazit

Das war es nun! Gestern habe ich meinen letzten Noirvember-Film geschaut und damit auch die letzte Challenge für dieses Jahr abgehakt. Perfide Mordpläne, Ermittler mit Hut, schummrige Gassen, atemlose Verfolgungsjagden, menschliche Abgründe. Und wie war es jetzt rückblickend?

Fahrstuhl zum Schafott

Film noir oder Nouvelle Vague? Oder vielleicht sogar beides? Mit Fahrstuhl zum Schafott gab Louis Malle sein Regiedebut (mit alleiniger Regiearbeit). Maurice Ronet spielt darin den Ingenieur Julien Tavernier, der mit der Frau seines Chefs eine Affäre hat. Florence (Jeanne Moreau) und er planen ihren Mann aus dem Weg zu räumen. Maurices Plan könnte der perfekte Mord sein. Aber als er aus dem Gebäude fliehen will, bleibt er mit dem Fahrstuhl stecken. Danach entspinnt sich eine Kette von Ereignissen, die mehr als nur die Leben der zwei Liebenden am seidenen Faden hängen lässt.

Als Maurice nicht am mit Florence vereinbarten Treffpunkt erscheint, wandert sie ziellos durch die Nacht und hält einen melancholisch-verzweifelten inneren Monolog. Hat er sie verlassen? Sie vielleicht sogar verraten? Ist ihm etwas zugestoßen? Dieses kommentierte rastlose Umherirren erinnert stark an Nouvelle Vague. Tatsächlich streift der Film beide Tonalitäten hervorragend und passt mit Ach und Krach auch in beide Zeitspannen. Ein Umstand, der mir vorher gar nicht so klar war: wie nah sich film noir und Nouvelle Vague zeitlich einordnen lassen, sogar überschneiden. Wenn dann nämlich aber ein zweites Verbrechen begangen wird, dann fühlt sich der Film ganz schnell noir-ig an. In entsprechend treffsichere Bilder und Szenen ist Fahrstuhl zum Schafott auch gegossen. So erkennbar beispielsweise an den Totalen auf Jeanne Moreaus Gesicht – stilecht anfangs im Licht, später im Halbschatten, so wie ihr Charakter Florence. Oder auf den Szenen in Echtzeit ohne viele Schnitte wie Maurices Hetzjagd aus dem Gebäude und wieder rein in sein Verderben. Abgesehen von der spannend anzusehenden Machart, glänzt Fahrstuhl zum Schafott mit einer smarten und bitteren Handlung. Maurices perfektes Verbrechen demonstriert die Ironie des Schicksals. Mit dem Einen kommt er fast davon, um ein zweites angehangen zu bekommen. Oder kommt letzten Endes doch noch alles anders? Leider kann der Film trotz all der guten Zutaten keine konstante Spannung aufrecht erhalten und verliert den Zuschauer zwischendurch.

Fahrstuhl zum Schafott (OT: Ascenseur pour l’échafaud), Frankreich, 1958, Louis Malle, 88 min, (8/10)

Sternchen-8

Fraser Cottrell

Fazit

Das heißt nun wohl, dass der Film auf den ich mich im Noirvember am meisten gefreut habe hinter den Erwartungen zurück geblieben ist? Objektiv nein, subjektiv ja. Objektiv gesehen ist Fahrstuhl zum Schafott ein visuell regelrecht betörender Film. Die Handlung ist außerdem sehr clever. Im ersten und letzte Drittel war ich enorm gespannt wie die ganze Sache ausgeht. Dafür empfand ich das zweite Drittel als zu spannungsarm und einen echten Durchhänger. Trotzdem bewundere ich bei allen „Nouvelle Vague“-angehauchten Filmen immer diesen leicht hoffnungslosen Ton, der bereit ist soviel mehr in seine Charaktere zu investieren und mit ihnen mitzuleiden. Am besten hat mir dieses Jahr aber wohl Die Nacht des Jägers gefallen (Besprechungen sind unten verlinkt). Der ausgebuffte, aalglatte Powell und seine Kontrahentin und die Kinder hatten soviele grandiose Szenen, die lange nachhallen. Ich bin restlos begeistert. Auch Die Spur des Fremden hat mir sehr gefallen.

Stadt ohne Maske hat gegen die drei ein bisschen verloren, weil es den Kriminalfall sehr umständlich und mit etwas weniger Suspense auflöst. Dafür hat es aber Ermittler mit Hut und eine grandiose Verfolgungsszene. 😉 Denn es ist wirklich so: ich mache jetzt schon ein paar Jahre beim Noirvember mit und hatte letztes Jahr Schwarzweiß und Ermittler mit Hut ein wenig satt. So habe ich ja letztes Jahr dann Scandi Noir und Neo Noir geschaut und mich mal etwas von schwarzweißen, schummrigen Gassen im Film erholt. Nach so einer kleinen Pause waren aber die klassischen film noir dieses Jahr wieder gern gesehen. Man kann sagen: die Filmauswahl hat mich dieses Jahr wieder versöhnlich mit dem klassischen film noir gestimmt und ich hätte direkt Lust weiterzuschauen. Aber nach all den menschlichen Abgründen ist es auch gut sich um Weihnachten rum wieder süßlicheren Themen im Film zu widmen. ^^

Das war es ja aber übrigens noch nicht. Ein wenig habe ich auch eine Weltreise gemacht und mir angeschaut wie andere Länder film noir umgesetzt haben. Neben Fahrstuhl zum Schafott aus Frankreich ging es auch nach Japan mit Abrechnung in Tokyo aka Tokyo Drifter. Mein erster Film von Seijun Suzuki. Tokyo Drifter gehört wohl auch zu einem Subsubgenre, das gerne auch als Yakuza Noir bezeichnet wird. Ich sehe warum. Es wird nicht mein Lieblingsfilm, aber er hatte großartige Szenen. Das letzte Schweigen mag nicht offensichtlich mit der Intention von film noir gedreht worden sein, aber Baran bo Odars Krimi hat eine ebenso düstere Weltsicht und handelt von menschlichen Abgründen. Es geht um Pädophilie, Mord und Einsamkeit. Ein wirklich unkomfortabel machend guter Krimi, der die kleine Filmreise dann in Deutschland enden ließ – mehr oder weniger. Insgesamt war es ein sehr cooler Noirvember bei dem ich dieses Male eine Sache komplett vernachlässigt habe: Neo Noir oder Tech Noir war dieses Jahr gar nicht dabei. Und: ich habe so gut wie gar nicht getweetet während des Noirvember. Einen wirklichen Grund dafür gibt es nicht – einfach vergessen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich gefühlt im November zuviel am Bildschirm gesessen und gearbeitet habe!? Wer weiß. Ein bisschen tut es mir leid, weil ich vor Kurzem noch gejammert habe, dass der Austausch bei den Filmchallenges nachlässt. Naja. Zum #Japanuary dann aber, oder!? 🙂

Zu den bisherigen Artikeln

Ankündigung und Filmliste
Filmbesprechungen zu „Stadt ohne Maske“, „Abrechnung in Tokyo“ & „Das letzte Schweigen“
Filmbesprechungen zu „Die Nacht des Jägers“ & „Die Spur des Fremden“

Header Image Photo Credits: Djim Loic

Seid ihr noch kurz vor knapp auf den Noirvember-Zug aufgesprungen? 🙂 Egal ob ja oder nein, kennt ihr ja vielleicht den einen oder anderen der hier besprochenen Filme – wie haben sie euch gefallen? Welchen eurer Lieblings-Film-Noir muss man unbedingt gesehen haben? Oder könnt ihr mit dem Genre vielleicht so gar nichts anfangen??

4 Antworten

  1. Ach, es gibt so viele gute Filme, da könnte ich mich gar nicht entscheiden, was „man“ gesehen haben sollte. Mit meiner Filmliste bin ich noch nicht komplett durch, denn einer fehlt mir noch.

    Ansonsten haben mich diesen Monat begeistert: Der dritte Mann, The Good German, Die Taschendiebin, Shutter Island, 10×10 und The Number 23.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Oh Der dritte Mann fand ich wirklich toll. 🙂 Aber ich erinnere mich, dass die hochgelobte Filmmusik so gar nicht meins war … . The Good German steht auch noch auf meiner Watchliste.

  2. […] ich nun dieses Jahr schon den „Noirvember“ auslasse, will ich es mir nicht nehmen lassen zumindest ein bisschen Noir-Feeling inspiriert […]

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