Ende April bis Anfang Mai fand das Lichter Filmfest in bzw aus Frankfurt online und on-demand statt. So war es für mich das erste Mal bei LICHTER und das Programm hat mich echt beeindruckt. Besonders gespannt war ich neben Mogul Mowgli auf „The Man Who Sold His Skin“, der auch nur zwei Wochen zuvor für einen Oscar als bester internationaler Film nominiert war, der dann aber nach Dänemark ging. Die Besprechung sind spoilerfrei.
Nachdem auf seinen Rücken ein Kunstwerk eines namhaften Künstlers tätowiert wurde, schauen alle hin. Wäre Sami (Yahya Mahayni) einfach „irgendein Flüchtling“ aus Syrien, hätten sie vweggeschaut, vielleicht sogar so getan als würden sie ihn nicht bemerken. Sami wurde in Syrien festgenommen und flüchtete nach Libanon. Er versucht nach Europa zu kommen, um wieder mit der Liebe seines Lebens Abeer (Dea Liane) vereint zu werden. Abeer ist aber inzwischen verheiratet und seine Chancen nach Europa einzureisen scheitern an Aussichten und Geld. Dann wird der Künstler Jeffrey Godefroi (Koen De Bouw) auf ihn aufmerksam und hält Sami für verzweifelt genug um als menschliches Kunstwerk vertraglich seine Würde aufzugeben. Um ein Visum zu bekommen, lässt er sich von Godefroi ein Schengen-Visum auf seinen Rücken tätowieren, vermarkten und muss sich ausstellen lassen.
„The Man Who Sold His Skin – Trailer – Academy Award® Nominee for Best International Feature Film“, via Samuel Goldwyn Films (Youtube)
Die Kunstszene kann sich kaum am Rebellentum Godefrois satt sehen. Aber den Menschen hinter dem Kunstwerk sehen sie nicht. Und das obwohl Sami selber als Immigrant zu einem beispiellosen, regelrecht faustischen Pakt gezwungen war um nach Europa einreisen zu können und damit dem Kunstwerk einen doppelten Boden gibt. Die Schaulustigen und Kunstbesessenen kommen in Scharen, scheinen aber das ganze Ausmaß der Aktion nicht wahrzunehmen. Sami selber sieht es um einiges pragmatischer – er will zu Abeer. Aber mit zunehmender Zeit wird er den Rummel um seine Person und die Objektifizierung leid. Er wird damit ungewollt zum Beweis, das Geld allein nicht glücklich macht und ein Visum auch nicht zwingend menschlicher oder freier in den Augen anderer. Wie Grenzen Menschen entmenschlichen und zu „Geduldeten“, „Erlaubten“, „Gewährten“, „Legalen“ oder „Illegalen“ macht, ist bitter. Der Film treibt das alles satirisch auf die Spitze. Allerdings dankbarerweise mit einer gewissen Lockerheit und schwarzem Humor. Die ganze Tragkraft und Schwere versteckt sich zwischen den Zeilen von Samis Entmenschlichung als Kunstobjekt, beispielsweise wenn er versteigert werden soll.
Regisseurin Kaouther Ben Hania und die Crew gießen die auf wahren Begebenheiten(!) beruhende Idee in großartige Bilder, die Samis Identitätsverlust bzw. Verlust des Selbst in Bilder gießen, die an René Magritte erinnern und im nächsten ausstrahlen wie angeödet er von Pomp und Prunk der hippen neureichen Kunstfans ist. Die Optik, die pointierten Szenen, die Ausstattung von The Man Who Sold His Skin – wow! Dass als Samis Herkunftsland Syrien angegeben wird, weckt Erinnerungen an Bilder von Flüchtlingsströmen und der öffentlichen Debatte. In der schien ebenso wenig über menschliche Leben geredet worden zu sein, sondern eher über „Dinge“, die man vor Zäunen stehen lassen kann und nüchtern ihr Schicksal aus der warmen Stube heraus diskutiert. Bei all den Motiven kommt der Aspekt des Terrors und der Auswanderung fast zu kurz. Es ist makaber und beschämend sich ein Unhappier End zu wünschen, aber tatsächlich erweckt The Man Who Sold His Skin auf den letzten Metern den Eindruck ein Crowd Pleaser zu sein. Versteht mich nicht falsch, auch ein anderes Ende hätte mich erschüttert.
The Man Who Sold His Skin, Tunesien/Frankreich/Deutschland/Belgien/Schweden, 2020, Kaouther Ben Hania, 104 min, (8/10)
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Hattet ihr vielleicht auch inzwischen die Gelegenheit den Film zu schauen? Eine Zeit lang wurde der so eifrig besprochen wie Samis Rücken im Film. So ganz bekomme ich nicht den Gedanken aus dem Kopf das die Note von „Crowd Pleaser“ gegen Ende den Film den Oscar-Gewinn gekostet hat. Aber andererseits war der tatsächliche Gewinner auch nicht nur schockierend und aufrüttelnd. Hinzu kommt, dass das auch zu makaber wäre. Was meint ihr?
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