7ème art: Oscar-Edition (2021)

Es ist mal wieder soweit: die Verleihung der Oscars steht an. Und das unter erschwerten Bedingungen, aber vielleicht auch mit diversen Chancen? Da nun 2020 verhältnismäßig wenige Kinostarts stattfanden konnten, sind die Nominierten zum Großteil welche, die ihre Premiere auf Streamingplattformen feierten. Für das Kino ein trauriger Moment, für die Zuschauer zu gewissen Teilen zugänglicher. Auch die Debatte darum, ob Eigenproduktionen der Streamingplattformen (absichtlich?) missachtet werden, stellt sich nun (erstmalig?) nicht mehr. Als ich diese Zeilen heute tippe, ist noch nicht klar wie die Verleihung in Zeiten von Covid und Lockdowns überhaupt stattfinden wird. Eine Sache bleibt: die jährliche Werkschau sieben nominierter Filme und das anschließende Fabulieren wer die Preise absahnt.

Kollektiv – Korruption tötet

2015 kam es im Club Colectiv in Bukarest zu einem Brand, der 27 Menschenleben forderte. Als ob das allein nicht schon furchtbar wäre, häufen sich Todesfälle unter den weiteren 180 Verletzten, die nicht auf ihre Brandwunden zurückzuführen sind, sondern multiresistente Keime. Journalisten der Zeitung Gazeta Sporturilor beginnen zu ermitteln und decken die prekäre Lage des korrumpierten rumänischen Gesundheitssystems auf.

Der Film folgt mehreren Personen wie dem Journalisten Cătălin Tolontan oder auch der jungen Frau Tedy Ursuleanu, die aus dem Unglück erhebliche Brandwunden davongetragen hat und auch den damaligen „neuen“ Gesundheitsminister Vlad Voiculescu, nachdem der vorherigen infolge der Skandale zurücktrat. In bester Dokumentarfilm-Manier wertet er nicht, sondern lässt die begleiteten Situationen sprechen, die hier die Dimension der Überlebenden, der Aufdecker und der Politik zeigen. Der Dokumentarfilm des deutsch-rumänischen Regisseurs Alexander Nanau ist sowohl als bester internationaler als auch bester Dokumentarfilm nominiert. Zu Recht. Es ist nicht mal unbedingt der Fall, dass Colectiv besonders hart trifft, weil wir uns alle in einer Ausnahmesituation des Gesundheitssystems befinden, sondern weil er zeigt, dass einer der Stützpfeiler eines Volkes und damit Sicherheit und Versorgung komplett weggebrochen scheint – es ist beängstigend, dass Einzelne eines „Kollektivs“ bereitwillig mit Menschenleben jonglierten. Colectiv ist der Originaltitel, Titel des Clubs in dem sich der Brand ereignete und eine Metapher auf ein „Kollektiv“, dass sich nur zum eigenen Zweck zusammenschließt – nicht für seine angedachte Aufgabe. Kein Wort wird dem Schauer gerecht, den es einem über den Rücken jagt.

Kollektiv – Korruption tötet (OT: Colectiv), Rumänien/Luxemburg, 2019, Alexander Nanau, 109 min, (8/10)

Sternchen-8


„Ma Rainey’s Black Bottom | Official Trailer | Netflix“, via Netflix (Youtube)

Ma Rainey’s Black Bottom

Ruben Santiago-Hudson adaptierte das Drehbuch basierend auf August Wilsons gleichnamigen Theaterstück. Wilson ist u.a. auch für sein Bühnenstück Fences bekannt, in dessen Verfilmung vor ein paar Jahren ebenso Viola Davis zu sehen war. In Ma Rainey’s Black Bottom stellt Davis die titelgebende „Mother of Blues“ Gertrude „Ma“ Rainey dar. Die Blues-Sängerin soll für ihren weißen Manager und einen weißen Plattenproduzenten eine Aufnahme machen. In ihrer Band kommt es zu Spannungen zwischen dem Blues-Trompeter Levee Green (Chadwick Boseman) und den älteren Semestern der Band, Cutler (Colman Domingo) und Toledo (Glynn Turman), die der Meinung sind, dass sich Levee zu sehr in den Vordergrund drängt. Zusammen mit der brütenden Hitze im Sommer Chicagos, den quälend langsam voranschreitenden Aufnahmen, der stets im Raum schwebenden Ungleichheit zwischen Schwarzen und Weißen und der Attitüde Ma Raineys ist die Stimmung im Studio zum Zerreißen gespannt.

Man merkt George C. Wolfes Film sehr deutlich den Ursprung als Bühnenstück an. Die Szenen beschränken sich im Wesentlichen auf drei Handlungsorte innerhalb des Studios: die Garderobe der Musiker im Keller, die etwas „bessere“ Garderobe Ma Raineys und der Aufnahmeraum selber. Neben Viola Davis, die hier als Ma Rainey brilliert, ist es außerdem die letzte Filmrolle Chadwick Bosemans vor seinem viel zu frühen Tod im August letzten Jahres. Levees Ambitionen und seine Lebensgeschichte machen auf schmerzhafte und tragische Weise die Ungleichheit und Diskriminierung sichtbar. Der Höhepunkt sind wohl die letzten zwei Szenen des Films, wenn auch letztere mehr interpretiert werden muss. Bosemans Levee hat zwar die stärkeren Monologe, spielt aber Davis Ma Rainey nicht an die Wand, da diese hier von Beginn an ähnlich einer Legendenbildung zum „Maß aller Dinge“ erhoben wird. Entsprechend spannend sind die wenigen Szenen in denen sie zusammen zu sehen sind.

Ähnlich Fences brandmarkt die Adaption seine Figuren nicht als Opfer. Ma Rainey weiß beispielsweise sehr gut wie sie ihren Manager in die Schranken verweist und dass sie die Zügel in der Hand hat. Die (fiktive) Figur des Levee ist da schon eher Leidtragender, da seine Ambitionen von niemandem gefördert werden. Spricht man von relevanten Filmen, so gehört Ma Rainey’s Black Bottom mit Sicherheit dazu. Aber leicht anzuschauen ist er nicht. Die Inszenierung ist so beklemmend wie das Thema. Was weiß ich Weißbrot schon wie man den Film hätte besser verdaulich machen können? Muss er das überhaupt? Ist das nicht viel mehr ein Stilmittel schonungslosen, aufrüttelnden Realismus, der die Erkenntnis besser schürt? Vielleicht wenn er etwas kürzer wäre und insbesondere die Szenen zwischen Ma Rainey und den weißen Studiofritzen weniger wären, da sie doch repetitiv erscheinen.

Ma Rainey’s Black Bottom, USA, 2020, George C. Wolfe, 93 min, (7/10)

Sternchen-7

Mank

Mit 10 Nominierungen ist Mank der statistische Listenführer unter den oscarnominierten Filmen. David Fincher setze hierbei als Regisseur das Drehbuch seines Vaters Jack Fincher um, der das eigentlich bereits in den 90ern fertiggestellt hatte. Ein früherer Versuch es zu verfilmen platzte bis es nun bei Netflix ein Zuhause fand. Der Film widmet sich dem Schaffensprozess des Drehbuchs zum Film Citizen Kane durch den Autoren Herman J. „Mank“ Mankiewicz und dessen Leben. Für den durch Gary Oldman dargestellten Mank ist das Drehbuch in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Zum Einen ist er in Hollywood in Ungnade gefallen (der Film zeigt auch warum und wie perfide das ist), hat ein gebrochenes Bein und seine Alkoholsucht lenkt ihm vom Schreiben ab, obwohl er den Job dringend braucht. Für das Drehbuch soll er keinen Credit erhalten, sondern stattdessen „Wunderkind“ und angedachter Regisseur und Hauptdarsteller Citizen Kanes – Orson Welles (Tom Burke). Damit Mank seiner Aufgabe ablenkungsfrei nachkommt, verfrachtet der ihn kurzerhand unter Aufsicht auf eine Ranch in der Wüste.


„MANK | Official Trailer | Netflix“, via Netflix (Youtube)

Mank hat also jede Menge Zeit zu schreiben und sein Leben zu reflektieren. In Rückblicken erfahren wir, welche Ereignisse sein Drehbuch beeinflusst haben und wie es zum Zerwürfnis mit Medienmogul William Randolph Hearst (Charles Dance) kam, der für den Protagonisten in Citizen Kane das Vorbild war oder wurde. Dabei ist Mank ein Füllhorn an spannenden Montagen, Parallelen und cinematografischen Stilelementen. Der Film selber ist in Schwarzweiß gehalten und damit an sich schon eine Parallele zu Citizen Kane aus dem Jahr 1941. Der trockene Humor und die Eskapaden Manks zeichnen ein mitfühlendes Portrait davon wie alles um ihn herum den Bach runterging und wieviel angesichts all dessen der Credit für Citizen Kane für ihn bedeutet.

Die (politisch motivierte) Korruption, die stets allgegenwärtige Gefahr in der Traumfabrik fallen gelassen zu werden und die Ignoranz gegenüber dem Nationalsozialismus macht es für Mank zu einer umso persönlicheren Angelegenheit. Trotzdem wird Mank in seiner Gänze nur denen zugänglich und verstanden, die Citizen Kane gesehen und/oder mit der Geschichte Hollywoods zu der Zeit vertraut sind. Wer das nicht ist, dem entgehen beispielsweise Parallelen zwischen Hearst und Kane, zwischen Hearst Castle und Xanadu, etc. Und selbst für diejenigen erfordert das Ausdauer – schon alleine um zu erfassen, wer all die aufgetreten Personen sind und einzusortieren, was die Implikationen des eben gesehen sind. Da wird mit Namen wie Louis B. Mayer um sich geworfen und man möchte am liebsten ein Essay dazu schreiben, damit man all das nochmal verarbeitet. Mank ist klug. Aber Mank hat eine sehr spezifische Nische unter den Zuschauern – alle anderen haben verloren. Ich weiß wirklich nicht, ob man ansonsten dem Film folgen kann. Ist das schlimm? Das überlasse ich denen zu diskutieren, die Citizen Kane nicht kennen.

Mank, USA, 2020, David Fincher, 131 min, (7/10)

Sternchen-7

Minari – Wo wir Wurzeln schlagen

In den 80er Jahren zieht die Familie Yi von Kalifornien nach Arkansas. Offenbar sprach Jacob Yi (Steven Yeun) gegenüber seiner Frau Monica (Han Ye-ri) eher von einem großen Garten. Vielleicht war der Plan auf’s Land zu ziehen, damit ihre Tochter Anne (Noel Kate Cho) und ihr herzkranker Sohn David (Alan S. Kim) mehr im Grünen und an besserer Luft aufwachsen. Jedenfalls ist Monica nicht gerade glücklich über das Haus auf Rädern und das riesengroße, unbebaute Grundstück, das nahezu nur aus Grünfläche besteht. Jacob hat offenbar verschwiegen, dass er eine Farm gründen will. Um Monica entgegen zu kommen, holen sie ihre Mutter (Yoon Yeo-jeong) aus Korea zu sich – sehr zum Leidwesen des kleinen David, der mit ihr sein Zimmer teilen muss.

Lee Isaac Chungs Film basiert teilweise auf seiner eigenen Kindheit, weswegen der Fokus auch stellenweise auf dem kleinen David liegt. Der darf nicht rennen und soll sich nicht überanstrengen. Zu dem Verzicht kommt das Teilen seines Zimmers mit einer Oma, die sich nicht wie die Omas aus amerikanischen Kinderfilmen verhält. Sie schaut gern Boxen und Wrestling und kann keine Kekse backen! Stattdessen bringt sie seltsame Kräuter aus Korea mit, die David anstelle von Mountain Dew trinken soll. Wir können uns seine Frustration vorstellen. Seine Oma pflanzt in einer Bucht Minari an, eine Art koreanische Petersilie. Minari scheint auf den ersten Blick besser Wurzeln zu schlagen als die Familie Yi. Auf den zweiten Blick sehen wir das anders.

Der amerikanische Traum des Familienvaters scheint nicht aufzugehen und die Beziehung zu seiner Frau leidet darunter. Der gesamten Familie wird nicht selten von den Weißen vorgeführt, dass sie anders sind. Aber so wie der ganze Film auf tragikomische Weise, statt mit erhobenem Zeigefinger. Der Rassismus, der ihnen entgegen schlägt ist ganz offenkundig keine Boshaftigkeit, sondern Unwissenheit. Das soll die Diskriminierung nicht relativieren oder „gut machen“ – mitnichten. Sondern zeigen wie banal der Grund dafür sein kann und aus lachhafter Unwissenheit geboren wurde. Lee Isaac Chung wählt um das zu zeigen wie auch für seinen ganzen Film einen tragisch-komischen Ton, der einfach zum Niederknien ist. Im einen Moment zum Lachen, im anderen zum Heulen. Letzten Endes lernt die Familie Yi, dass es egal ist, wo sie Wurzeln schlagen und dass es vollkommen egal ist, wie „gut“ sie Wurzeln schlagen, solange sie zusammen sind.

Minari – Wo wir Wurzeln schlagen (OT: Minari), USA, 2020, Lee Isaac Chung, 116 min, (9/10)

Sternchen-9

Sound of Metal

Zuerst ist es ein hoher Pitch; ein Ton, der aus der Art schlägt. Danach hört Ruben (Riz Ahmed) seine Umgebung erstmal nur gedämpft. Ruben spielt zusammen mit seiner Freundin Lou (Olivia Cooke) in einer Metal-Band. Sie spielen laut, energetisch, sie gehen darin auf. In Rubens Trailer fahren sie von Auftritt zu Auftritt. Obwohl die Ärzte ihm sagen, dass er sofort lauten Geräuschkulissen fern bleiben muss, um seine übrigen 24% Gehör zu erhalten, spielt er weiter mit Lou Auftritte. Bis es nicht mehr geht.

Der Moment in dem Ruben sein Gehör verliert, ist der Moment von nicht nur einer Trennung, sondern auch der von einem früheren Leben und von Lou. Und man ahnt, dass diese Trennung von ihrem alten Leben viel fragiles aus der Balance bringt. Physische und psychische Gesundheit, Liebe, zwei Leben. Regisseur Darius Marder schrieb das Drehbuch zusammen mit seinem Bruder Abraham und verarbeitet darin Erfahrung ihrer gehörlosen Mutter. Der Titel Sound of Metal lässt vermuten, dass er sich auf die Musik von Ruben und Lou bezieht. Lauten, verzweifelten Metal. Gegen Ende des Films ist klar, dass es eher der „Sound of Metal“ ist, mit dem Gehörlose mit einem Cochlea-Implantat die Welt wahrnehmen. Krachende, metallische Geräusche, viel Noise. Immer wieder wechselt der Film zwischen dem was Ruben wahrnimmt, seinem subjektiven Klang, und dem was Hörende wahrnehmen und lässt uns den Hörverlust erleben – das ist selten, berührend, effektiv.


„Sound of Metal – Official Trailer | Prime Video“, via Amazon Prime Video (Youtube)

Vor Allem aber zeigt der Film, dass es für Ruben anfangs die ultimative Katastrophe ist, dass das Leben aber weitergeht. Denn hier liegt die entscheidende Stärke des Films: es eröffnet einerseits Hörenden die Welt Gehörloser und macht zum anderen deutlich: auch das ist ein Leben und es ist nicht weniger lebenswert. Darius Marders Film sensibilisiert den Zuschauer am Beispiel Rubens dafür, dass Akzeptanz ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Schritt ist. Dass die Stille nicht der Feind ist. Sound of Metal bildet diesen Erkenntnisprozess als hart, intensiv und v.A. immersiv ab. Es bezieht uns ein in das was Ruben fühlt, wahrnimmt, hört – oder nicht mehr hört. Und das auf schrecklich schöne und was ich wichtig finde: versöhnliche, aber nicht beschönigende Art.

Sound of Metal, USA/Belgien, 2019, Darius Marder, 121 min, (10/10)

Sternchen-10

The Trial of the Chicago 7

Im August 1968 nahmen einige politische Aktivisten in den USA den Parteitag der Demokraten als Anlass für eine Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Als es zwischen den Polizisten und den Demonstranten zu blutigen Auseinandersetzungen kommt, werden acht von ihnen als Köpfe der Aktion identifiziert, festgenommen und angeklagt. Ihnen wird Verschwörung und Aufhetzung unterstellt. Unter ihnen befinden sich u.a. zwei Mitglieder der Yippies (Youth International Party): Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen) und Jerry Rubin (Jeremy Strong), Mitglieder der Students for a Democratic Society: Tom Hayden (Eddie Redmayne) und Rennie Davis (Alex Sharp), der Pazifist David Dellinger (John Carroll Lynch) und Mitbegründer der Black-Panther-Bewegung Bobby Seale (Yahya Abdul-Mateen II). Durch die feindselige Haltung des Richters (Frank Langella) ist bald klar, dass an ihnen ein Exempel statuiert werden soll. Bobby Seale war sogar nur für wenige Stunden in der Stadt um eine Rede zu halten und während der eigentlichen Unruhen nicht einmal mehr anwesend. Obwohl sein Rechtsbeistand nicht anwesend ist, wird das Verfahren normal fortgesetzt. Und das sind noch lange nicht alle Abstrusitäten und Unrechtmäßigkeiten, die vor vieler Zeugen Augen in einem Gerichtssaal stattfinden und dem Anwalt der sieben William Kunstler (Mark Rylance) einiges abverlangen.

Beziehungsweise stattfanden, denn der Film basiert auf wahren Begebenheiten. Das und die herausragende Leistung der Darsteller tragen den Film auch – wie so oft bei Verfilmungen wahrer Begebenheiten. Der Film ist bis dahin so strukturiert, dass er mit der Vorstellung der Personen einen Grundstein legt, aber dann bereits zum Gerichtsverfahren übergeht. Dramaturgisch wirkungsvoll werden im Verlauf des Prozesses die Geschehnisse rückblickend erzählt, sodass für den Zuschauer Vorwurf (Prozess) neben Aussage neben tatsächlichem Geschehen gestellt werden. Unter den Darstellern sticht v.A. Sacha Baron Cohen als Abbie Hoffmann hervor, der nicht umsonst eine Symbolfigur der Anti-Vietnam-Bewegung wurde. Sein subversiver, pointierter Humor und Mut ist beeindruckend. Schon alleine um von den einzelnen Charakteren und Taten in diesem Prozess zu erfahren, lohnt es sich den Film zu gucken. Cinematografisch sticht tatsächlich noch die (auch zu Recht nominierte) Kameraarbeit von Phedon Papamichael heraus. Ansonsten krankt der Film etwas an seiner Länge und dreht einige Runden zuviel, um die Ungesetzmäßigkeiten im Gerichtssaal darzustellen. Weniger ist manchmal mehr. Auch die zeitliche Abfolge der Ereignisse während der Demonstrationen ist gegen Ende des Films (als es also ans Eingemacht geht) am besten mit Zurückspulen nachzuvollziehen.

The Trial of the Chicago 7, USA, 2020, Aaron Sorkin, 129 min, (7/10)

Sternchen-7

Wolfwalkers

Mit Wolfwalkers schließen Tomm Moore, Ross Stewart und Drehbuchautor Will Collins ihre keltische Trilogie ab. Die ersten beiden Filme, The Secret of Kells und Song of the Sea, sowie auch The Breadwinner waren bereits für mehrere Academy Awards nominiert – bisher ohne Gewinn. Ob es jetzt soweit ist!? Wolfwalkers thematisiert nun die irische Sagenwelt um Formwandler, die als Wölfe in den Wäldern Kilkennys umherstreifen, aber auch in einen menschlichen Körper schlüpfen können. Die Anwohner der angrenzenden Stadt sagen mehr und mehr dem Naturglauben ab und wandern zum Christentum über. Die Engländerin Robyn Goodfellowe ist mit ihrem Vater nach Kilkenny gezogen, der sich dort als Jäger des „Wolf-Problems“ annehmen soll. Im Wald lernt Robyn die Wolfwalkerin Mebh kennen und schwört ihr dabei zu helfen ihre Mutter wiederzufinden, die einst als Wolf auszog eine neue Heimat für ihr Rudel zu finden und seither nicht zurückkam.


„WOLFWALKERS – Official Trailer (2020)“, via JoBlo Animated Videos (Youtube)

Vor Allem ist Robyn von dem wilden, freien Leben Mebhs fasziniert. Sie selber darf sich als Mädchen um den Haushalt kümmern, wird aber gescholten, wenn sie mit der Armbrust durch die Wälder streift. Ein perfekter Gegensatz zwischen den Welten. Natur hier, Stadt dort; Freiheit hier, behütet aber gefangen dort. Darin mischt sich auch noch die Kritik am Missionieren und der arroganten Vormachtstellung, in der sich der Mensch sieht und seine Umwelt nicht mehr respektiert, geschweige denn versucht zu verstehen. Der Film formuliert das sehr wirkungsvoll als: „Was ich nicht zähmen kann, vernichte ich“. Wolfwalkers packt das Ganze in stimmungsvolle Bilder in gewohnter Manier von Tomm Moores Studio Cartoon Saloon. Das Charakterdesign ist geprägt durch geometrische Formen, geschwungene Linien und dass man die Vorzeichnung teilweise noch durchschimmern sieht, macht es nur sympathischer. Die handgezeichneten und digital nachbearbeiteten Bilder strotzen nur so vor stimmungsvollen Hintergründen im Wasserfarben-Look und schließen die Palette der keltischen Trilogie mit herbstlichen Farben ab. Ich bin verzaubert. Einzig die Länge des Films könnte etwas geraffter sein, sodass der zwischenzeitliche Comic Relief und Mebhs wilde Art wichtig für die Abwechslung ist.

Wolfwalkers, Luxemburg/Irland/USA, 2020, Tomm Moore/Ross Stewart, 100 min, (9/10)

Sternchen-9

Neben vielen Entscheidungen unter den Nominierten, die ich sehr begrüße (bspw. „Sound of Metal“ und generell dem Beachten der Eigenproduktionen der Streamingplattformen), gibt es aber auch einige, die den Eindruck erwecken, dass sich die Traumfabrik eben gern selber belohnt und referenziert. Oder auch einen gewissen nationalen Pathos wertschätzt. Dass „Mank“ vielfach nominiert ist, hat wohl eher amerikanische als globale Bedeutung. Da der Film die Traumfabrik adressiert, ist er schon recht speziell und amerikanisch.

Das heißt nicht, dass er irrelevant ist – Machenschaften, kreative (Un)Freiheit und die Lebensgeschichte Manks ist etwas, woraus jeder kreativ Schaffende bittere Lehren ziehen kann. Mank hat immerhin eine Menge kreatives Potential, das einen herausragenden Film erkennen lässt, der aber wenig zugänglich ist. Kennt man Citizen Kane nicht oder die Zusammenhänge um Hearst, dann hat man wenig von „Mank“, oder? Ist er ein reiner Film für Cineasten? Anders ist beispielsweise für mich „Trial of the Chicago 7“. Der hat eine zugängliche Botschaft mit einer immensen Aussage, aber ist cinematografisch eher „solide“. Wirklich gut, aber auch herausragend!? „Kollektiv“ kann man derzeit übrigens noch in der ARD Mediathek streamen. Welche der Filme habt ihr gesehen und wie haben sie euch gefallen? Zu meiner Oscar-Werkschau wird es mit Sicherheit noch einen Nachschlag geben …

„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.

10 Antworten

  1. Ich habe nur Minari aus Deiner Auswahl gesehen und den fand ich großartig. „Sound of Metal“ habe ich noch auf der Liste und bin nach Deiner Besprechung noch gespannter darauf.

    Würde mich freuen, wenn Minari einen Oscar gewinnt, der Film hat mich sehr berührt. Ganz liebe Grüße, Sabine 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Für Minari würde ich mich ebenso freuen! 🙂

      Liebe Grüße!

  2. Ich möchte mir davon noch „The Trial of the Chicago 7“ anschauen und das hoffentlich noch vor den Oscars, der interessiert mich nämlich tatsächlich am meisten, fand da auch den Trailer interessant und schaue wirklich gerne Geschichten, die auf wahren Begebenheiten basieren. Von „The Sound of Metal“ hatte kürzlich auch eine Freundin geschwärmt, vilt. sollte ich da auch mal reinschauen, du teilst ja diese Begeisterung. Ansonsten hoffe ich vor den Oscars noch „One Night in Miami“ schauen zu können, der hat ja auch ein paar Nominierungen eingeheimst, auch da hatte mich Beschreibung und Trailer gleich neugierig gemacht. Ich bin ja mal gespannt, ob die diesjährige Verleihung dann auch anhaltende Veränderungen mit sich bringt bzw. ob das mit der Berücksichtigung der Streamingdienste dann anhält. Ich finde das eh befremdlich, wo ein Film läuft, sollte keine Rolle spielen, sondern nur ober Qualitativ gut ist. Denke ich mir auch bei den Emmys immer in Bezug auf Serien, da werden Produktionen ja nicht nominiert, weil sie beim „falschen Network“, sprich kleineren Networks laufen. Für mich in der heutigen Zeit absolut überholt.

    Dankeschön für dein liebes Kommentar,
    also ich habe bisher lediglich zwei Bücher gelesen, die haben mir aber gut gefallen. Die Einordnung zwischen welchen Staffeln sie spielen, wird jeweils im Klappentext bzw. bei der Beschreibung der Handlung festgehalten. Ist natürlich so, dass die ersten Bücher natürlich auch am Anfang der Serie spielen, weil man da mit der Handlung mitgegangen ist. Die Bücher selbst sind wie klassische „Fall-der-Woche“-Episoden und man hat halt immer mal Verweise auf die Serie, wenn die Figuren über Dinge nachdenken, die kürzlich passiert sind. Wie nah es an der Serie dann ist, ist unterschiedlich: Es gibt ein Buch, das füllt tatsächlich die Lücke zwischen Staffel 5 und 6 und ist auch in Zusammenarbeit mit den Produzenten entstanden, ein anderes Buch da geht es dann um einen früheren Fall von John Winchester, den die Jungs aufgreifen und beenden. Ist auf jedenfall ganz unterhaltsam und ein schönes Gimmick.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      „One Night in Miami“ steht auch noch auf meiner Liste, mal schauen, ob ich das noch schaffe. 🙂 Eigentlich hätte ich extrem gern noch „Promising Young Women“ und „Nomadland“ gesehen, aber das scheint ein schwierigeres Unterfangen zu werden, da sie wohl aktuell nur in den USA zum Streamen zur Verfügung stehen!?
      „Sound of Metal“ kann ich dir aber sehr ins Herz legen, ich finde den wirklich ganz großartig.

      Was die Berücksichtigung der Streamingdienste betrifft, kann ich dir nur recht geben. Aber wenn man sich das Auswahlverfahren der Oscars von vor bis vor ein paar Jahren anschaut, spielte der Kinostart und die Rezeption in den Kinos wohl eine Rolle -oder ich habe mir das falsch gemerkt. Aber war abzusehen, dass das nicht mehr lange geht.

      Und danke fürs Aufschlauen über die Supernatural-Bücher 😉

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  7. Danke fürs Erinnern, dass ich noch „Wolfwalkers“ schauen wollte. Über den bin ich bei AppleTV schon mehrfach gestolpert…

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