„Violet Evergarden“ ist die Anime-Adaption der Light-Novel-Reihe von Kana Akatsuki und Akiko Takase. Kyoto Animation hat die Geschichte ab 2017 zuerst in eine wunderbare Animeserie gegossen, danach in zwei Filme, die aufgrund des Brandanschlags auf das Studio und danach wegen der COVID-Pandemie später veröffentlicht wurden als anfangs angekündigt. „Violet Evergarden“ ist der Name der Heldin, die in einem fiktiven viktorianisch-angehauchten Staat lebt und dort als sogenannte Autonome Korrespondenz-Assistentin (Akora) arbeitet. Das bedeutet, dass sie für andere Leute Briefe schreibt. Die Emotionen, die sie zu Papier bringen soll zu verstehen ist nicht immer einfach für Violet, da sie als Soldatin stark unemotional und wenig liebevoll erzogen wurde. Die Auseinandersetzung mit ihren Auftraggeber*innen helfen Violet bei der Aufarbeiten ihrer Vergangenheit und ihres Verlusts. Die Filme setzen die Geschichte fort. Besprechungen sind weitestgehend spoilerfrei.
Violet Evergarden und das Band der Freundschaft
Dieser Job wird kein leichter sein. Obwohl man meinen könnte, dass Violet selber noch viel im Umgang mit Menschen zu lernen hat, wird sie beauftragt die etwa gleichaltrige Isabella York als Assistentin zu unterstützen. Isabella ist Spross einer einflussreichen Familie und wohl schon für eine Heirat mit einem bedeutenden Herren vorgesehen. Violet reist bei der Privatschule an, die Isabella besucht und sie bis zu ihrem Debutantinnenball unterstützen und unterrichten, wo es nur geht. Tatsächlich aber geht Violet sehr in der Rolle auf und scheint wie geschaffen dafür zu sein. Höfliche Gebärden, gerade Haltung, Tischmanieren … all das hat sie vor noch nicht allzu langer Zeit von ihrem Major gelernt und ist durch ihren militärischen Hintergrund vielleicht tatsächlich wie dafür geschaffen. Warum wird dieser Job kein leichter sein!? Weil Isabella ihre Rolle zutiefst zuwider ist.
„VIOLET EVERGARDEN UND DAS BAND DER FREUNDSCHAFT Trailer German Deutsch (2020)“, via KinoCheck Heimkino (Youtube)
Aufzudecken was Isabellas Hintergrundgeschichte ist, stellt eher einen Reiz dar als die Rahmenhandlung und der eigentliche Auftrag Violets. Und später wird Isabellas Geschichte und die einer zweiten Person, die wir anfangs noch nicht zuordnen können auch der Tränenzieher-Teil des Films, soviel kann ich versprechen. Natürlich stellt Isabellas Haltung auch für Violet ein Rätsel dar, dass sie aber gewohnt neutral und professionell aufnimmt. Beide wachsen zusammen, was auch den Titel (im deutschen Verleih) Das Band der Freundschaft erklärt. (Weniger aber übrigens den Originaltitel Eien to Jidō Shuki Ningyō, was soviel heißt wie Ewigkeit und die Akora, mmmh.) Über die erste Hälfte funktioniert der Film als Film mäßig. Als eine emotionale Anime-Episode hätte das sehr gut geklappt, aber durch die längliche Exposition um Isabella, Violet und das Mädcheninternat stellt sich schmerzhaft die Frage: was wollen die Autor*innen uns damit sagen? Natürlich knüpft Violet Freundschaften. Aber die Handlung drängt den Film in einige Ecken, die man lieber ausgelassen hätte.
Da ist zum Einen die stetige Glorifizierung Violets. Die anderen Mädchen im Internet hypen sie sehr stark als schön und elegant. Violet nimmt das wie gewohnt neutral auf, was es erträglich macht. Schwierig ist aber, dass die Handlung komplett in Isabellas Geschichte aufgeht und man sich fragt, wo hier der Fortschritt in Violets Charakterisierung ist!? Die Antwort: keiner. Oder viel mehr: ein mäßiger. Später wird sie aus Verpflichtung gegenüber Isabella und ihrer beider Freundschaft einen sagen wir mal Sonderauftrag annehmen. Dass sie pflichtbewusst ist und für die ihr nahestehenden Personen einsteht, wussten wir ja aber schon. 😉 Worüber ich mir noch gänzlich unklar bin, ist ob Violet Evergarden und das Band der Freundschaft sich des Queer-Baiting schuldig macht oder ich überinterpretiere. Violet und Isabella wachsen eben sehr eng zusammen, später wird Violet sie als Tanzpartnerin im Frack begleiten. Das liest sich ganz wunderbar als Geschichte einer Freundschaft, es lässt sich aber auch anders lesen und weckt hier wohl eher falsche Hoffnungen.
Während die erste Hälfte also nicht so ganz zusammenkommt und sich sehr unrund anfühlt, macht die zweite Hälfte des Films vieles wieder wett. Darin wird Isabellas Geschichte nochmal aus einem anderen Gesichtspunkt aufgerollt und eine Person bringt frischen Wind in die Postagentur. 🙂 Das hatte einen gewissen Comic Relief. Ganz nebenbei hat auch der Postbote Benedict Blue mal eine größere Rolle und die Aufgabe der Post selber. Bisher waren immer die Akora wie Violet im Zentrum des Geschehens. Nun aber wird viel Wert auf die Muskelarbeit gelegt. Das Überbringen der Briefe, hier sogar auch über sehr weite Strecken. Hier läuft der Film wieder zu von der Serie bekannten Höhen auf und hebt hervor wie schön es doch eigentlich ist einen Brief zu bekommen. Gerade in unserem Zeitalter, wo Instant Messaging und Mail nicht mal mehr zwingend (zusätzlich) was kosten, meist schnell und oftmals ohne Bedacht der Wortwahl oder Rechtschreibung getippt werden und sofort da sind. Wieviel mehr ist es, wenn man sich hinsetzt, seine Worte wählt, abschickt und jemand den Brief bei Wind und Wetter zu uns bringt? Und dann wird noch eine ganz besondere Post ausgetragen – an Isabella. Hier funktioniert der Film wieder besser. Eine Kritik aber bleibt: so richtig relevant fühlt er sich nicht an.
Violet Evergarden und das Band der Freundschaft, Japan, 2019, Haruka Fujita, 91 min, (7/10)
Violet Evergarden: Der Film
Das zweite Filmsequel zu Violet Evergarden setzt in der Zukunft bzw Gegenwart des Violet-Canon an. Daisy stößt im Nachlass irer Großmutter auf Briefe, die einst Violet geschrieben hat. Und das in einer Zeit, in der Briefe längst vom Telefon und anderen Kommunikationsmitteln verdrängt scheinen. Während Daisy sich auf die Spurensuche nach dem Verbleib Violets begibt, springt der Film immer mal wieder zurück in die Zeit der CH Postal Services, der anderen Akora und Violet. Ihr aktueller Kunde ist Julis, der im Krankenhaus liegt und für den Fall der Fälle gern Briefe an seine Familie geschrieben haben möchte. Anfangs ohne Violets Wissen geht derweil Hodgins einer Spur nach. In der Postbehörde fand er einen Brief, der als unzustellbar gekennzeichnet ist. Die Handschrift sieht für ihn aus nach der von Gilbert Bougainvillea.
„Violet Evergarden: Der Film – Trailer (deutsch/german; FSK6)“, via LEONINE Studios (Youtube)
Papapapaaaaam. Drama. Tusch. Ich labele das nicht als harten Spoiler, da der Trailer mit der Möglichkeit, dass Gilbert noch lebt auch recht freigiebig ist. Ist er es aber? 😉 Die drei Erzählebenen haben interessanterweise an und für sich gar nicht viel miteinander zutun. Sie sind zart dadurch miteinander verbunden, da die Rahmenhandlung rund um Daisy andeutet, dass sich Violet recht früh als Akora zur Ruhe gesetzt hat und damit foreshadowed: okay, irgendwas wird passieren. Allgemein ist der Daisy-Rahmen nützlich, weil er einen Ausblick gibt, dass die Akora ein gewisses Erbe hinterlassen. Auch der Fall von Daisys Großmutter ist einer, den man in der Animeserie gesehen hat und wie ich finde einer der emotionaleren, weswegen das Wiedersehen Eindruck hinterläst. Nebenbei erklärt Daisys Randgeschichte auch Zuschauer*innen was eine Akora ist. Tatsächlich werden einige Dinge sogar besser erklärt als in der Serie an sich. So hat bisher niemand von Bezahlung gesprochen und Verwirrung zwischen Violets Armprothesen, dem Begriff Doll und „automatisch“ kann auch aufkommen, was der Film viel geradliniger erklärt und weniger Zweifel aufkommen lässt.
Auch der aktuelle Kunde Violets, ihr Pflichtbewusstsein und die Spurensuche nach (Vielleicht-) Gilbert greifen thematisch sehr gut ineinander. Natürlich ist Violets Kunde Julis ein besonders tragischer Fall eines jungen Menschen, der vielleicht nun viel zu früh sterben muss und damit ein absoluter Tränenzieher. Aber ein sehr empathisch gehandhabter. Und das ist nicht der einzige Spagat der gelingt. Der Film nimmt sowohl zur Rahmenhandlung mit Daisy und der Zukunft Bezug (Fortschritt: Telefone lösen Briefe ab) als auch zum vorherigen Film. Dort wird mit dem Bau eines Funkturms begonnen, dessen Fertigstellung wir hier mitbekommen. Nebenbei vergisst der Film auch nicht die Weiterentwicklung anderer Charaktere wie Erica Brown und gönnt denen ihre 5 Minuten, die sich zwar etwas plötzlich, aber nicht zu wenig anfühlen.
Filme als Fortsetzung einer Serie lassen oftmals etwas vermissen. Nicht allen Charakteren kommt soviel Screentime zugute wie sich Fans wünschen würden oder es mangelt an einer ansprechenden, relevanten, übergreifenden Story. Ein anderes Problem kann sein, dass einer immer das Nachsehen hat. Entweder Fans des Franchise, weil zuviel nochmals erklärt werden muss und kostbare Zeit verschwendet oder Neulinge, weil sie nicht alles nachvollziehen können. Was das betrifft nimmt sich Violet Evergarden: Der Film Zeit und hat das zudem alles clever konzipiert. Heißt: die Formel geht auf.
Auch die Bedeutung des Satzes „Ich liebe dich“, den Gilbert einst zu Violet sagte und den sie damals noch nicht verstand, bekommt genug Raum. Ob es sich bei dem Briefeschreiber nun wirklich um Gilbert handelt, verrate ich natürlich nicht, sondern hülle mich in nachfolgendes Urteil. Violet Evergarden: Der Film ist ein denkwürdiger, rührender Abschluss, der schlau konzipiert ist und sich sehr viel relevanter als sein Vorgänger anfühlt. Neben den sehr mitreißenden Erzählebenen, die direkt ins Emotionszentrum treffen dürften, begeistert mich auch die Animation aus dem Hause Kyoto Animation. Die nahezu fotorealistischen Landschaften und insbesondere das Meer sind eine Augenweide. Ein bisschen sehr verkitscht und repetitiv sind einige der Dialoge gegen Ende. Aber auch wenn das Kitschlevel hoch ist, sagt mein Herz – muss mal sein. Wirklich schön gemacht.
Violet Evergarden: Der Film (OT: 劇場版 ヴァイオレット・エヴァーガーデン „Gekijōban Vaioretto Evāgāden“), Japan, 2020, Taichi Ishidate, 140 min, (9/10)
Trailer
So richtig weiß ich noch nicht, ob „Violet Evergarden: Der Film“ nun als ein Abschluss gedacht ist. Wenn man etwas über die Light Novels recherchiert, klingt es so als ob da noch was zu erwarten ist. Ich wäre nicht böse drum, aber andererseits ist der zweite Film schon wirklich ein ausgezeichneter Abschluss. Kennt ihr die Serie oder auch die Filme? Vielleicht sogar die Novel? Mich interessiert wir ihr die findet. Haltet ihr es überhaupt für wünschenswert, dass die Gilbert-Truhe nochmal geöffnet wird?
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