Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Everything Everywhere All at Once“

Schon beim ersten Trailer von „Everything Everywhere All at Once“ war klar: das wird wild und den muss ich sehen. Dass „Everything Everywhere All at Once“ dabei viele Hauptrollen mit Asiat:innen bzw Asian-Americans besetzt, die hier die Welt retten und damit ein klares Zeichen für Repräsentation setzt, ist die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Und vielleicht sogar die Krönung des Kinojahres 2022? Naja. Noch kann niemand, den ich kenne, in die Zukunft schauen. Aber es sieht schwer danach aus. Besprechung ist spoilerfrei.

Steuererklärung und Welt retten – ein Tag wie jeder andere

Evelyn Wang (Michelle Yeoh) ist gestresst. Die Behörde sitzt ihr wegen eines Fehlers in ihrer Steuererklärung im Nacken. Ihr Waschsalons, den ihre Familie nach der Immigration in die USA eröffnete, hat natürlich ein reges Daily Business. Ihr Vater (James Hong) ist seit Kurzem zu ihnen in die USA gezogen und hat ganz andere Ansprüche. Ihre Tochter Joy (Stephanie Hsu) verzweifelt jetzt schon daran wie Evelyn damit umgeht, dass sie lesbisch ist und gern auch dem Opa ihre Partnerin vorstellen würde. („Der versteht das nicht. Sagen wir ‚eine‘ Freundin.“) Und dabei hat Evelyn noch nicht mal richtig realisiert, dass die Papiere mit denen ihr Mann Waymond (Ke Huy Quan) da die ganze Zeit vor ihrem Gesicht rumwedelt Scheidungspapiere sind. Während sie dann auf dem Weg zu ihrer Steuer-Sachbearbeiterin Deirdre (Jamie Lee Curtis) ist, tritt aber Waymond an sie heran und behauptet, dass er nur „ein Waymond“ wäre und eine wichtige Botschaft für sie hat. Sie muss die Welt retten. Jetzt.


„Everything Everywhere All At Once | Official Trailer HD | A24“, via A24 (Youtube)

Wer bin ich? Und wenn ja, wieviele?

Waymond erklärt Evelyn, dass er eigentlich der Waymond des „Alphaverse“ ist. Also des Universums, das entdeckt hat wie man zwischen den Multiversen springt. Genau wie er soll auch Evelyn in der Lage sein die Erinnerungen und Fähigkeiten der „Evelyns“ anderer Parallelwelten abzurufen. Nicht nur das – sie wäre die Eine, die dazu in der Lage ist, all das zu kombinieren wie keine Andere und damit vielleicht die Multiversen zu retten. Die sind nämlich bedroht von einer „Instanz“ schier endloser Macht, die alles tun kann, was sie will: Jobu Tupaki. Und Jobu Tupaki ist bereits auf der Suche nach Evelyn. So bleibt der relativ wenig Zeit das irrsinnige System zu lernen wie sie eine bestimmte Fähigkeit erlernt. Und all das mitten in der Steuerbehörde.

Klingt irre!? Ist es auch. Aber das Konzept ist einfacher zu verstehen als es sich anhört. Die Verwirrung nimmt uns Evelyn ab, die natürlich eben noch erschlagen vom Berg ihrer eigenen Probleme im Hier und Jetzt mit ihren anderen Leben konfrontiert wird. Und gerade in solchen Momenten, in denen unser Leben gerade nicht so geil wirkt, ist das „Was wäre wenn“-Spiel natürlich sehr attraktiv und bedrückend. In einem ist sie nie mit Waymond ausgewandert und ein Kung-Fu-Actionstar geworden, die gerade in glamourösen Abendgarderobe eine Filmpremiere besucht. Waymond drückt es schonungslos aus: Dadurch, dass du in dieser Welt die schlechtesten Entscheidungen getroffen hast und bist, was du bist, kannst du alles abrufen, weil deine anderen Ichs die besseren Entscheidungen getroffen haben. Uff. In your face.

Be kind. (To yourself.)

Aber so ganz stimmt das ja nicht. Evelyn genießt den Blick in diese anderen Ichs und es braucht etwas, bis sie feststellt, dass es auch den anderen an etwas mangelt. Beispielsweise an Liebe oder Mut. Das Motiv der Weltrettung ist nicht so weit hergeholt. Was da über Evelyn zusammenkracht ist in erster Linie ihr eigenes Leben. Und so ganz nebenbei auch unseres. Und das aller Multiversen. Vielleicht heißt sich selbst zu retten auch ein wenig alle anderen zu retten, weil man empathisch auf die anderen reagiert und die dunklen Plätze kennt, an denen wir Menschen uns manchmal befinden, wenn wir uns fragen: wie bin ich hierhergekommen? Wenn ich dieses oder jenes anders gemacht hätte, wäre ich dann jetzt glücklicher?

Aber nicht, dass ihr denkt, dass wir viel Zeit dafür haben Evelyn tagträumend zu folgen. Nein, das muss ganz schön schnell passieren. Everything Everywhere All at Once – der Name ist Programm. Das „all at once“ kann man absolut auch auf Genres beziehen. Martial Arts trifft Science-Fiction, trifft Drama, trifft Comedy, trifft Sozialkritik. Meisterlich! Viele Filme scheitern schon an einem Grene. Während Evelyn versucht Deirde zu vertrösten, muss sie auch irgendwie nebenbei mit gerade gechannelten Martial-Arts-Künsten die Gefahr abwehren und der Verlockung widerstehen weitere ihrer Leben zu beobachten. Aus Versehen wird vielleicht auch mal irgendeine nutzlose Fähigkeit eines anderen Universums gechannelt und dann gibt es da noch den Bagel, der mit allem belegt ist und … . Zuviel? Vielleicht, vielleicht nicht. Der Film hat philosophische Züge und bedient sich bei Nihilismus und Existentialismus. Denn, wenn du alles sein kannst, wo ist da noch der Sinn im Sein? Es gibt schließlich nichts mehr zu entdecken, nicht mehr anzustreben, nichts mehr, was du noch nicht warst. Nicht nur, was das betrifft hat Everything Everywhere All at Once einige erhellende Ansichten über das Leben: 10 Best Quotes From Everything Everywhere All At Once (Screenrant, 21. April 2022)

Die Fragen Evelyns und ihrer Familie in Richtung „Habe ich die richtigen Lebensentscheidungen getroffen?“ gewinnen umso mehr dadurch, dass sie von einer Einwandererfamilie gestellt werden. Da ist die doppelte Schwere und Parallele ein Leben bereits schon einmal hinter sich gelassen und sich einer unsicheren Zukunft überlassen zu haben. Findet Evelyn eine Lösung für sich und kann es eine zufriedenstellende Antwort in einem so bunten, krassen Film geben? Ja. Und sie fällt nicht zu schwer aus dank des immens vielen Comic Reliefs des Films. Die „Daniels“ (wie sich die Regisseure Dan Kwan und Daniel Scheinert) nennen, hauen uns eine Schote nach der anderen um die Ohren. Hier ist aber auch der kleine Knackpunkt, weswegen der Film ein bisschen Abzug von mir bekommt. Die Lösung am Ende ist schon fast zu einfach. 😉

Everything Everywhere All at Once, USA, 2022, Dan Kwan/Daniel Scheinert, 139 min, (9/10)

Sternchen-9

Wer den Film übrigens auf Letterboxd loggt, sollte zwei Mal hinschauen. 😉 Etwas schade ist, dass ich den Film nicht im englischen Original schauen konnte. Ich denke, dass gerade durch das Einwanderungsthema die Dialekte nicht unwichtig sind. Aber ich verstehe, zu was für einem „Cringe“ es führen würde, wenn die deutschen Synchronsprecher:innen versuchen würden den glaubhaft nachzuahmen. Das ist eine Grenze der Repräsentationen, bei deren Überschreitung man zu schnell zu viel falsch macht, trotz guter Intention. Wie hat euch der Film gefallen?

6 Antworten

  1. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Ach, das freut mich, dass der Film auch so gut bei dir ankommt. Hab ihn jetzt schon zweimal gesehen und werde ihn am Wochenende noch ein drittes Mal schauen. Finde den von vorne bis hinten einfach nur super. Dass die Daniels bei all dem Chaos schaffen, die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, aber auch Mutter und Vater nicht zu verlieren, finde ich toll. Weine irgendwie immer ein wenig am Ende auf dem Parkplatz. Echt ein toller Film. Wird bei mir wahrscheinlich schon die Nummer 1 am Ende des Jahres werden.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Oh ja, ich hatte auch bei einigen Szenen bisschen Tränen in den Augen stehen. Die Stein-Szenen waren auch zu herrlich … . Ein gutes Plädoyer, um wieder netter zueinander zu sein. Also alle. Überall.
      Drei Mal! Ah, ich bin ja nicht so ein Rewatcher. Lediglich The Batman habe ich drei Mal gesehen, bevor er leider leider den Spielplan verlassen musste. Und wie wars beim zweiten oder dritten Mal? Bestimmt noch neue Dinge entdeckt, könnte ich mir vorstellen.

      Ich würde gern die Szene mal in Slowmo sehen, wo man so sehr viele Evelyns sieht, schnell hintereinander geschnitten…

      1. Avatar von donpozuelo
        donpozuelo

        Ich gucke ihn einfach auch gerade so häufig, weil ich ständig alle möglichen Leute in diesen Film schleppe 😀 und ja, der Film ist beim erneuten Gucken auf jeden Fall nochmal eine neue Entdeckung. Man merkt so viele Dinge, die einem beim ersten Overload gar nicht auffallen.

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Overload ist das Stichwort … obwohl ich beim ersten Schauen eigentlich das Gefühl hatte sehr gut folgen zu können, kann ich mir andererseits vorstellen, dass man sehr wohl beim nächsten Mal schauen viele Details aufschnappt. Oder hattest du noch ganz fundamentale neue Erkenntnisse beim zweiten oder dritten mal?

  2. Bei mir gab es auch fast die volle Punktzahl. Die besten Filme sind doch die, die man gerne auch noch ein 2. Mal anschauen möchte. Und ja, ich möchte… 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Dito! 🙂

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