#Japanuary 2023 – Besprechungen zu „Cure“, „Double Layered Town …“ & „Die Reise nach Tokyo“

Da sind wir wieder. 😀 Ich muss unbedingt nochmal etwas am Riemen reißen, die letzten ausbleibenden Filme schauen und etwas aktiver unter dem Hashtag werden. Gesehen habe ich seit dem letzten Beitrag immerhin drei Filme, die ich heute spoilerfrei besprechen möchte. Und die sind alle drei nicht gerade Komödien.

Cure

Kommissar Kenichi Takabe (Kōji Yakusho) steht vor einem Rätsel während der Ermittlung einer Mordserie. Jedes Mal war es eine brutale Tat, zusätzlich wurde in das Hals der Opfer stets ein gut sichtbares „X“ geritzt. Jedes Mal konnten die Täter:innen schnell aufgegriffen werden. Sie befanden sich stets in einem psychotischen Zustand und konnten keinen Grund für den Mord nennen. Und immer wieder geht die Mordserie weiter. Wie kann das sein, wenn jedes Mal die Mordenden geschnappt wurden? Zeitgleich taucht an einem Küstenort ein Mann ohne Erinnerung (Masato Hagiwara) auf, dessen Gedächtnis scheinbar nur wenige Minuten zurückreicht. Was er eben gefragt wurde, vergisst er meist (und bringt damit alle auf die Palme). Ein Grundschullehrer nimmt ihn bei sich auf, bis der Fremde sagt „Erzähl mir von dir“. Ist das die Frage des echten Täters? Und wenn ja, wie hat er die Personen dazu gebracht zu morden?


CURE (1997) – New 4K trailer by Janus Films (Kiyoshi Kurosawa movie), SUVAM ROY, Youtube

In Cure fächert sich vor den Zuschauenden ein faszinierendes Konstrukt auf. Der namenlose Mann wird später als Mamiya bekannt. Nicht nur die Frage „Wie hat er es gemacht“, sondern auch sein Zustand sind ein Rätsel, das zig Möglichkeiten zulässt. Klar ist: wer mit ihm Kontakt hatte, wird morden. Nachdem Takabes Ermittlungsteam und Mamiya aufeinandertreffen wird es besonders spannend. Nicht nur, dass wir uns fragen, ob die Ermittler nun auch Täter werden, auch Takabes Familiengeschichte ist ein spannender Faktor. Er pflegt seine offenbar an einer Form von Demenz, Alzheimer oder einer Störung des Kurzzeitgedächtnisses leidende Ehefrau. Sind der Komissar und sie in Gefahr? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Gedächtnis, Erinnerungen und den brutalen Taten? Und was ist der Modus Operandi Mamiyas? Es bleibt spannend bis zur letzten Minute. Was man aber abkönnen muss: es werden längst nicht alle Fragen beantwortet. Aber dann hat man letzten Endes nur mehr zu diskutieren, oder? 😉 So bin ich mir bis heute nicht im Klaren darüber wie ein bestimmter Charakter zu Tode gekommen ist. Kiyoshi Kurosawas Regiearbeit erkennt man wieder an dem faszinierenden und verschachteltem Thema. Einem Horrormotiv, das ansteckend erscheint und damit an sein Pulse erinnert. Neben albtraumhaften Szenen und Visionen, kreiert Kurosawa und Team ein um’s andere Mal Szenen, die zwar sehr statisch anmuten (ich denke an die Scheune bzw das heruntergekommene Haus), aber ein unheimliches Gefühl des „Ausgeliefertsein“ erzeugen.

Cure (OT: キュア), Japan, 1997, Kiyoshi Kurosawa, 112 min, (8/10)

Sternchen-8

Double Layered Town / Making a Song to Replace Our Positions

Im Zusammenhang mit dem Tōhoku-Erdbeben von 2011 wird meist Fukushima und die dortige Nuklearkatastrophe genannt. Der Film Double Layered Town / Making a Song to Replace Our Positions widmet sich allerdings dem Ort Rikuzentakata, weiter nördlich an der japanischen Ostküste. Rikuzentakata gehörte zu den 2011 am stärksten durch die Tōhoku-Katastrophe verwüsteten Gebiete. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass dort kaum etwas an Infrastruktur übrig geblieben ist. 80% des Stadtgebiet wurden zerstört. Erdbeben und Tsunami forderten tausende Opfer allein in dieser Region. Jahre später begann der Wiederaufbau einer neuen Stadt über der alten. So erklärt sich der erste Teil des Titels: Double Layered Town. Der Film zeigt wie vier junge Menschen die Geschehnisse verarbeiten und den Ort besuchen. Sie erzählen wo sie waren als der Tsunami kam, was ihnen durch den Kopf ging. Wie ist das Leben in (immer noch) temporären Behausungen der Einwohner des nun planierten Rikuzentakata.? Sie arbeiten gemeinsam die Geschichten der Retter:innen auf und derer, die ihre Familie durch das Unglück verloren haben. Aus den Begegnungen entsteht ein Gedicht – ein Hinweis auf den zweiten Teil des Titels: Making a Song to Replace Our Positions.

Double Layered Town … ist damit wie zu erwarten kein besonders fröhlicher Film. Aber es ist überraschenderweise auch kein überwältigend trauriger. Vielleicht liegt es an der nüchternen und bodenständigen Art wie die vier Besucher:innen ihre Emotionen schildern und den Menschen in Rikuzentakata begegnen. Es ist kein misery porn, sondern mehr ein begleiteter Erlebnisbericht. Ich gestehe, dass mir manchmal die Gefühlswelten der Vier etwas zuviel Raum eingenommen haben, etwas zu wortreich waren. Faszinierender war für mich die Stadt im Hintergrund, die ungewohnt neu aussieht. Es ist komisch das zu sagen, aber es ist so: das gibt es sonst nicht. Eine Stadt wie aus einem Guss ohne Zeichen von Historie. Eine Geschichte, die sich erst noch schreiben muss, aber schon soviel Trauer mitbringt. Mit dem Wissen, dass darunter eine andere schlafen gelegt wurde, zuerst vom Tsunami, dann von Maschinen, bekommt man Gänsehaut. Auch von den Worten der Vier, die in ihrer Vortragsweise an einen Poetry Slam erinnern (nur ruhiger). Zwar erfahren wir von vielen Schicksalen, denen ein „gerade nochmal Glück gehabt“ mitschwingt, aber am Ende steht dort ein fast optimistisches: „das Leben gibt nicht auf“. Was der Film aber auch ist: sehr gediegen, sehr ruhig und etwas länglich. Man muss sich drauf einlassen (können) und schaut es besser als Zeitzeugnis und Dokumentarfilm, ganz klar nicht als Unterhaltungsfilm.

Double Layered Town / Making a Song to Replace Our Positions (OT: 二重のまち/交代地のうたを編む „Niju no machi/Kotaichi no uta o amu“), Japan, 2018, Komori Haruka/Seo Natsumi, 96 min, (6/10)

Sternchen-6


Double Layered Town Trailer, Sheffield DocFest, Youtube

Die Reise nach Tokyo

Mein dritter Yasujirō Ozu ist wohl gleichzeitiger sein bekanntester Film. Nach Tokyo führt es das Ehepaar Hirayama (Chishū Ryū und Chieko Higashiyama). Anlass ist derBesuch bei ihren schon erwachsenen Kindern. Kōichi (Sō Yamamura) ist Arzt und lebt zusammen mit seiner Frau und ihren beiden Söhnen. Die älteste Tochter der alten Hirayamas ist Shige (Haruko Sugimura), die als Friseurin arbeitet. Bei der Ankunft der Großeltern ist erstmal alles wie man es sich so vorstellt, dann weniger. Nebenbei schlägt der Alltag im Leben der Tokyoter zu. Job, Familie und Platznot unter einen Hut zu kriegen, wird schwierig. Kōichi und Shige feilschen einige Male herum, wer in den kommenden Tagen die Eltern aufnimmt oder finden andere „kreative“ Lösungen. Oftmals nimmt Noriko (Setsuko Hara) die Schwiegereltern auf, auch wenn sie scheinbar nur noch der Name und geteilte Erinnerungen verbinden. Norikos Mann, einer der Söhne der Hirayamas, starb schon vor einer Weile. Was sie nun verbindet ist auch eine zwischen den Zeilen kommunizierte Einsamkeit. Die Reise nach Tokyo handelt von den sich verändernden, wenn nicht sogar umkehrenden, Beziehungen zwischen Eltern und Kindern.

Zuerst brauchen die Kinder die Eltern, dann irgendwann die Eltern die Kinder? Das sei mal dahingestellt und ist vielleicht nicht pauschalisierbar. Trotzdem schaut sich der Film mit einem unterschwelligen Gefühl von (Fremd)Scham. Die Kinder wussten doch, dass die Eltern kommen, warum ist es dann so schwierig ihr Leben entsprechend zu organisieren? Andererseits: können wir sagen, dass wir besser sind? Manche Szenen tun schon ziemlich weh. Nicht zuletzt, weil Die Reise nach Tokyo von Vergänglichkeit handelt und eine gewisse Melancholie mittransportiert. Beispielsweise als sich Großmutter Hirayama schwelgerisch fragt, ob sie denn noch miterleben wird, was für einen Beruf ihr jüngstes Enkelkind mal anstrebt. Bei all den schwermütig klingenden Motiven ist Die Reise nach Tokyo übrigens nicht so schwere Kost. Vielleicht etwas gemächlich im Erzählton eines 50er Jahre Films eben, aber stets ein Slife of Life Werk, das in seiner Bodenständigkeit nie allzu starke Gefühle triggert und Zuschauende quasi in japanischer Zurückgenommenheit zum Nachdenken bringt. Man bekommt schon echt Lust danach mal die Eltern anzurufen oder einzuladen. In dem Film ist es mir auch am deutlichsten aufgefallen wie sich Ozu auf die Ebene seiner Figuren begibt. Wortwörtlich, denn so scheint es als ob die Kamera neben den Charakteren kniet.

Die Reise nach Tokyo (OT: 東京物語 „Tōkyō monogatari“), Japan, 1953, Yasujirō Ozu, 136 min, (8/10)

Sternchen-8

Zu den bisherigen Artikeln

Ankündigung
Besprechungen zu „Memories“, „The Fable 2“, „Angel’s Egg“

Header Image Photo Credits: Andre Benz

So – zwei stehen noch aus, die ich mir für das letzte Januar-Wochenende aufgehoben habe. 🙂 „Double Layered Town / Making a Song to Replace Our Positions“ kann übrigens noch bis Mitte März im Rahmen des Online Filmfestivals JFF kostenfrei gestreamt werden. „Cure“ und „Die Reise nach Tokyo“ bekommt man derzeit eher noch auf Disc. Welche japanischen Filme habt ihr zuletzt geschaut? Und falls ihr teilnehmt: wie läuft euer Japanuary?

Eine Antwort

  1. […] Filme der letzten Japanuarys. Etwas kürzer: meine liebsten Filme der vergangenen Jahre waren Cure, The Fable, Ugetsu, One Cut of the Dead, Drive my Car, Angels Egg, Die Reise nach Tokyo und […]

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