Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „The Substance“

Der Kinobetreiber/-angestellte unseres Vertrauens sprach neulich bei Longlegs davon, dass wir hier den Horrorfilm des Jahres sehen. Ich würde den Titel eher an „The Substance“ vergeben. Wer diesen feministischen Bodyhorrorfilm sehen will, bringt am besten einen starken Magen mit.

Schauspielerin und Fitness-Ikone Elisabeth Sparkle (Demi Moore) wird pünktlich an ihrem 50. Geburtstag gefeuert. Ihr Produzent Harvey (Dennis Quaid) lässt keinen Zweifel daran und auch nicht daran, was er sucht. Eine jüngere, schönere, eine die Ja und Amen sagt. Elisabeth ist am Boden zerstört und scheint überall nur Ablehnung entgegen gebracht zu bekommen. Da bekommt sie ein Angebot, dass in dem Moment zu attraktiv erscheint. Mit The Substance wird die Zellteilung angeregt, ein zweites Ich basierend auf ihrer DNA erschaffen. Sie tauft ihr neues, jüngeres Ich Sue (Margaret Qualley). Und Sue bewirbt sich um genau die Stelle, die Elisabeth verlassen musste. Der Deal hat natürlich einen Haken. Während die eine aktiv ist, geht die andere in eine Art Winterschlaf. Irgendwann aber erscheint Sues Leben reizvoller, erfolgreicher und vielversprechender als das von Elisabeth – zumindest denkt das Sue. Und verstößt gegen die Regeln. Nebenwirkungen inklusive.

THE SUBSTANCE | Official Trailer | In Theaters Now, MUBI, Youtube

Es macht wenig Sinn sich bei The Substance darüber zu beschweren, dass die männlichen Figuren so einseitig geraten sind. Oder darüber wie oft die Reize der Frauen immer und immer wieder im Close-Up in die Kamera gehalten werden. Der Film ist einfach In Your Face und so gewollt. Aber hier nicht als billiges Mittel, sondern (Achtung Pun intended) zur Substanz. Ansonsten versteht man vielleicht nicht die schockierende Realität, die unter all dem Blut, den hässlichen Wunden, dem Bodyhorror versteckt ist. Der Horror, den wir uns mit Geschlechterrollen und Schönheitsidealen selber antun. Insbesondere wird die Industrie karikiert und vorgeführt, die Medien schafft, Schönheit und Gesundheit vermarktet. Coralie Fargeats Film bringt alle Muster auf den Punkt, unter dem (nicht nur, aber insbesondere) Frauen leiden. Bist du jung und schön, bist du das Darling. Bist du alt, wirst du (angeblich) in den Augen der Masse unansehnlicher, bist du eine Hexe. (Wobei ich ja dafür bin das Wort Hexe zu reclaimen bzw. umzulabeln.) Und das wird wortwörtlich genommen in einigen Szenen. Alle Darsteller:innen gehen ab. Sie sind großartig, sie bringen alles auf den Punkt, sie sind exzentrisch und wahnsinnig (gut) in ihren Rollen.

Vor Allem bringen sie alle eins auf den Punkt: Es ist eine männergemachte Industrie. Was man nur zu gut gegen Ende daran sieht, wenn (vollkommen over the top und vor Allem topless) Frauen über die Bühne tanzen, während ein rein männliches Publikum und eine rein männliche Stakeholder-Gruppe zuschaut. Was ist das Resultat? Dass Frauen sich selbst geißeln, versuchen unrealistischen, ausgedachten Standards zu genügen, sich verstümmeln, sich seelisch und körperlich schaden und am Ende: sich gegenseitig Feindin werden und zu ihrer eigenen größten Feindin. Coralie Fargeat gelingt es immer wieder schmerzhaft realistische Textzeilen und Metaphern in dem Film hochkochen zu lassen. Beispielsweise, wenn Elisabeth gegen Ende über Sue sagt sie wäre das einzig liebenswerte an ihr (und damit ihren schönen Körper meint). Schmerzhaft und tragisch wie sehr das Leben und die Branche ihr Selbstwertgefühl ruiniert hat.

Wovon der Film neben diesen Pointen aber vor Allem Gebrauch macht sind filmische Mittel, die alle darauf aus die Brutalität der menschgemachten Mühle zu entlarven. Alles schockt, alles kommt mit einem Knall oder wird als ekelhaft oder grotesk inszeniert. Der Close-Up auf die Olive im Martiniglas. Der schamlose, lüsterne Nachbar oder der ekelhafte Produzent im Fischaugeneffekt. Und natürlich das Prozedere an sich. Das Filmteam hat nicht gegeizt und alles rausgehauen was man sich vorstellen kann von der Blutfontäne bis zum Close-Up auf schlimme Wunden bis hin zu den schon beim Zuschauen Schmerzen verursachenden Veränderungen an Elisabeths/Sues Körper. Dass all das so gut aussieht und (das meiste) so echt ist vor Allem Prosthetics zu verdanken, die mit wenigen Ausnahmen einfach unfassbar gut der monströsen Idee hinter The Substance ein Bild verleihen. David Cronenberg wäre stolz. Im Gegensatz zu so manch cronenbergschem Film verfolgt Coralie Fargeat aber ihre grundlegende Botschaft sehr stringent.

Vielleicht sogar zu viel? Es stellt sich gegen Ende ein gewisses „Wir haben schon verstanden“-Gefühl ein, wenn alles in Blutfontänen endet, immer noch eins auf den Ekelfaktor und die Grotesquerie drauf gesetzt wird. Und das so sehr, dass es den vorherigen Pointenreichtum ein Stück weit vergessen macht. Als feministischer Bodyhorrorfilm und Bodyhorror im Allgemeinen ist The Substance eine 10 von 10. Als Filmerlebnis fällt er aber gegen Ende stark ab, weil er eben kein Ende findet. Und das, obwohl er einen fast perfekten Kreis beschreibt. Wir müssen auf unserer Seite sein, uns nicht selbst zum Feind machen, indem wir uns nie gut genug sind.

The Substance, UK/USA/Frankreich, 2024, Coralie Fargeat, 141 min, (7/10)

Sternchen-7

Bei manchen Themen finde ich es ja auch interessant zu sehen oder zu hören wie das Publikum reagiert. In diesem Fall: wie Menschen auf Ekel reagieren. Es wurde gegen Ende erstaunlich viel gelacht. Sich aber auch empört. Man hat oft Leute sagen hören „Ich ko%$e gleich“ oder „DU wolltest den Film gucken“. 😅 „The Substance“ war dann tatsächlich einer der Filme, bei denen ich außerdem mal die Augen zu gemacht habe. Man könnte denken wegen Ekel, Eiter oder übereifrigen Nacktszenen? Nein. Es war bei den starken Lightflares die Elisabeth/Sue offenbar wahrnimmt, während sie in ihre jeweils andere Form wechselt. Ging das noch wem so?

Ich bin darüber hinaus sehr gespannt zu erfahren wie ihr den Film wahrgenommen habt? Die Schönheitsindustrie und ein gewisser Kult um Frauenkörper entgeht uns allen nicht. Obwohl dieser genauso Männer trifft, behaupte ich aber, dass er Frauen über mehr Jahrzehnte und Jahrhunderte peinigt. Seht ihr das ähnlich und hat euch (insbesondere die männlichen Zuschauenden) noch irgendwas an dem Film überrascht?

2 Antworten

  1. […] ich mit The Substance ja einen Frühstart hinlegte, ging der Anfang des „Horrorctobers“ Feier- und […]

  2. Hab den Film lieder noch nicht gesehen. Dabei fand ich ja schon Coralie Fargeats erstes Werk sehr gelungen, insbesondere auch visuell. Mal gucken, ob ich den hier noch irgendwo im Kino erwische…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert