Habe ich jetzt einen Preis für die verwirrendste Überschrift in einem Blogartikel gewonnen? 🙂 Nach dem gemeinsamen Lesen von Orwells 1984 war ich ziemlich neugierig auf die Filme, nicht zuletzt weil mich das Buch schwer beeindruckt hat. Ich würde mich sogar dazu hinreißen lassen zu sagen, dass es mich erschüttert hat. Was Verfilmungen von 1984 betrifft, hat man offensichtlich die Auswahl – es gibt scheinbar fünf. Zumindest zwei davon habe ich mir angesehen, vermutlich die bekanntesten Verfilmungen und die weichen doch ziemlich voneinander ab, auch wenn sie beide relativ buchgetreu sind. Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Auffälligkeiten habe ich mal zusammengefasst – ganz ohne Spoiler geht das aber nicht.
Die Verfilmungen
Es gibt fünf Verfilmungen des Stoffs, sie stammen aus den Jahren 1953, 1954, 1956, 1965 und 1984. Bemerkenswert dabei ist, dass die ersten drei alle kurz nacheinander produziert wurden. Während die jüngste Verfilmung im titelgebenden Orwell-Jahr 1984 erschien. Die Verfilmungen aus dem Jahr 1954 und 1965 sind Fernsehproduktionen der BBC, die 1953er-Version ist ein 50-minütiger Fernsehfilm der CBS. Der Film aus dem Jahr 1956 war ein Kinofilm, bei dem Michael Anderson Regie führte. Meine Wahl fiel auf die Verfilmung von 1956 und die von 1984 mit John Hurt als Winston. Bei den Filmversionen gehen die Meinungen aber stark auseinander. Die einen feiern die von 1956 (aus sehr offensichtlichen Gründen – aber dazu später mehr), die anderen feiern den Film aus dem Jahr 1984 mehr (aus anderen, aber ebenso offensichtlichen Gründen). Hier ein paar Aussschnitte aus den Verfilmungen:
Unterschiedliches und Gemeinsamkeiten
Handlung, Ausstattung, Atmosphäre
Um es kurz zu machen: im Prinzip sind sowohl die 1956er Verfilmung als auch die 1984er Verfilmung relativ originalgetreu. Beide Verfilmungen haben kleinere Abweichungen, aber der Film aus dem Jahr 1984 ist am dichtesten am Buch dran. Die größten Unterscheidungsmerkmale erkläre ich in den nächsten Abschnitten. Vorweg sei aber gesagt, dass in der 1956er-Version beispielsweise O’Brien zu General O’Connor umbenannt wurde. Es gibt weitere Umbenennungen, aber das ist die auffälligste. Davon abgesehen ist die Handlung stark gekürzt, es fehlen viele Szenen aus dem Buch. Außerdem ist es kein Geheimnis, dass die Ausstattung des Films aus dem Jahr 1984 besser ist. Es wurde an „Original“schauplätzen in und um London gedreht, die Kulissen sind imposanter und teurer. Man sieht dem Film einfach die fortgeschrittenere Filmtechnik und das Budget an. Nineteen Eighty-Four (1956) ist ein relativ einfach gehaltener Schwarzweißfilm, der nur anhand weniger Außenkulissen das Dystopie-Flair von Oceania aufkommen lässt und ansonsten den Flair eines Films hat, dem man ansieht, dass er im Studio gedreht wurde. Manche Kulissen sehen aus wie aus einem Diorama (Beispiel: Winstons Arbeitsplatz). Für den damaligen Stand der Technik ist es eine ansprechende Verfilmung, für heutige Sehgewohnheiten etwas unüblich. Darunter leidet auch die Atmosphäre, es wirkt in der 1956er-Version etwas hölzern und künstlich. Die Welt ist irgendwie noch zu aufgeräumt. Im Film aus dem Jahr 1984 hingegen ist ganzheitlich spürbar wie das System in jeder Falte und jeder Ritze steckt. Die Straßen sind karg, verwüstet, von Bombeneinschlägen verschüttet. Alles ist grau, braun und graublau – so wie man es sich beim Lesen des Buches vorstellt.
Winston
Es steht und fällt unter Umständen alles mit der Hauptfigur, hier: Winston Smith. In Nineteen Eighty-Four (1956) wird er von Oscarpreisträger Edmond O’Brien gespielt, der u.a. bekannt geworden ist durch Der Glöckner von Notre Dame; Julius Cäsar und Der Mann, der Liberty Valance erschoß. O’Brien (ha, was für eine Ironie die Namensverwandtschaft) spielt einen Winston, der sehr solide ist. Und das meine ich diesmal wortwörtlich. Sein Winston ist nicht so eingeschüchtert, verhärmt und verunsichert. Er wirkt etwas mutiger. Am ehesten erinnert er in den Momenten der Verzweiflung nach der Inhaftierung und Gehirnwäsche an Winston Smith aus dem Buch. Die rein schauspielerische Leistung ist okay, obwohl generell alle Charaktere im Film aus 1956 etwas wunderlich wirken, was aber am Stil der damaligen Filme und Regiearbeit lag. John Hurt mimt Winston in der 1984er-Version und wirkt dabei deutlich mehr wie der Winston aus Orwells Buch. Er ist vorsichtig, eingeschüchtert und etwas kühl. Man merkt ihm an, dass er nicht bei bester Gesundheit ist und wirkt etwas runtergewirtschaftet vom System. John Hurt ist außerdem grandios in seiner Darstellung im Ministry of Love, während der Folter und besonders ergreifend am Ende des Films. Er IST Winston.
Julia
Während die Darstellung von Winston in beiden Filmen zumindest noch Ähnlichkeiten untereinander und zum Buch aufweist, ist Julia eine ganz andere Nummer. Sie wird in beiden Filmen nicht so dargestellt wie im Buch, wobei in der 1984er-Version einfach einiges weggelassen wird. Suzanna Hamilton spielt eine Julia, die auch rein optisch der Beschreibung aus dem Buch entspricht. Sie ist resolut, sehr körperlich und ausgesprochen direkt. Im Buch ist Julia aber auch ein etwas ignoranter Charakter. Winston sagt nicht umsonst, dass sie nur von der Hüfte abwärts ein Rebell ist. Sie ist zwar vorsichtig, aber dafür auf andere Art gedankenlos. Zusammenhänge des Systems und offensichtliche Missstände kommentiert sie manchmal gar nicht und wirkt gleichgültig, wenn sie mit Winston spricht. Solche Passagen fehlen im Film aus dem Jahr 1984. Abgesehen davon ist die Darstellung deckungsgleich zum Buch, nur ihre Ignoranz wurde ausgelassen. In der 1956er-Verfilmung ist Julia ein ganz anderer Mensch. Jan Sterling portraitiert Julia als eine erwachsene, emotionale Frau, die nicht richtig findet, dass im System Vernunftehen eingegangen werden. Sie ist sehr geradlinig und wenig erotisch-rebellisch angelegt, sondern hochverschlossen, gesittet, brav und eine Lady. Außerdem ist sie in etwa so alt wie Winston. Beides resultiert wahrscheinlich aus dem Umgang mit Sex in der damaligen Zeit. Revolution hatte dort scheinbar nichts in Bett zu suchen. Julia und Winston werden züchtig dargestellt, ihre Liebe zueinander ist regelrecht kitschig und romantisch.
https://www.youtube.com/watch?v=F_-qyM271DY
Das Ende
Und das führt uns auch schon zu einem sehr entscheidenden Merkmal, das beide Versionen voneinander unterscheidet: dem Ende des Films. Im Großen und Ganzen stimmen die Filme überein was die Folter und Gehirnwäsche betrifft. Im 1984er-Film wirkt die Folter konsequenter, da die Maske überzeugender ist und John Hurt deutlich zu Grunde gerichteter aussieht als Edmond O’Brien. Der in der 1956er Version im Grunde genommen nach der Folter nur etwas müde aussieht und einen 3-Tage-Bart hat. Der größte Unterschied liegt aber ganz am Schluss, als Winston wieder frei ist. Die 1956er-Verfilmung hat zwei Ausgänge. Einen, der dem Buch entspricht und ein Finale, das für den amerikanischen Markt gedreht wurde und beispielsweise auch in der deutschen Fassung das Standard-Finale ist. Dabei trifft Winston Julia und gesteht ihr, dass er sie verraten hat. Beim Gespräch mit ihr kann er nicht fassen, dass das System ihn umgedreht haben soll, revoltiert lautstark und wird letztendlich dabei erschossen. Julia will zu ihm eilen und wird ebenso erschossen. Der Film endet, als beide versucht haben die Hand des jeweils anderen sterbend zu erreichen um sich ein letztes Mal zu berühren. Im Gegensatz zum Originalende ist das eines das Hoffnung symbolisiert, da es dem System scheinbar nicht gelungen ist Winston umzudrehen. Dieses Ende erscheint mir nicht im Sinne der Vorlage zu sein, die uns bewusst entrückt. Das Filmende versucht die Botschaft eines Helden zu vermitteln, was Winston eigentlich nicht ist. Er ist ein Jedermann, deswegen wirkt der Stoff so verstörend. Es ist leichter sich vorzustellen, dass wir alle dieser Winston sein könnten, weil wir insgeheim wissen, dass Menschen nicht heldenhaft sind im Angesicht der schlimmsten Folter. Andererseits wundert es mich auch nicht, dass viele den Film aus dem Jahr 1956 bevorzugen. Insgeheim wollen wir ja alle ein Happy-End, selbst wenn das in diesem Kontext bedeutet, dass man sich doch auflehnt, seine Werte nicht vergessen hat und gegen das Böse in der Welt revoltiert. Ob das nun realistisch ist oder nicht.
Die Verfilmung mit John Hurt bleibt der Vorlage treu. Winston wird entlassen und trifft Julia. Allerdings nicht in einem Park, sondern im Chestnut Tree Café. Sie gestehen sich gegenseitig, dass sie sich verraten haben und scheinen sich einig zu sein, dass sie im Grunde schon tot sind. So gehen beide auseinander. Julia verlässt das Café, Winston bleibt vor dem Schachspiel sitzen. In den Staub auf dem Tisch schreibt er 2 + 2 =, als es eine Meldung in den Nachrichten gibt über die Erfolge im Krieg. Winston ist so ergriffen, dass er weint. Es ist wie auch im Buch dem Zuschauer überlassen, ob er einzig und alleine deswegen weint, weil er so erleichtert über die Teilerfolge von Oceania im Krieg ist, oder ob er sich auch noch bewusst ist, dass die Gehirnwäsche ihn umgedreht hat und er mit Agonie hinnimmt wie er empfindet. Ein Teil von ihm könnte realisieren, was passiert ist und dass sie letztendlich in seinen Kopf und sein Herz gekommen sind. Und die Tränen noch bitterer. John Hurt transportiert das einmalig. Und der Zuschauer hofft einen Blick auf Winstons in den Staub geschriebene Zeile. Hat er zu Ende geschrieben? Hat er 2 + 2 = 4 geschrieben? Ist er noch bei Bewusstsein? Oder hat er 2 + 2 = 5 geschrieben? Oder kennt er die Antwort nicht mehr? Wir sehen es nicht. Leider. Damit ist die Wirkung auf den Zuschauer nochmal umso größer … mancher ist vielleicht enttäuscht, dass das Ende dadurch so offen wirkt.
Under the spreading chestnut tree I sold you and you sold me
Welche Version ist die beste?
Schwer zu sagen. Man merkt es meinem Artikel an, dass ich die Version aus dem Jahr 1984 mit John Hurt besser finde. Die Ausstattung ist konsequent, auf einem hohen Niveau. Die Atmosphäre ist hoffnungsloser, düsterer. Die Darstellung der Charaktere ist dem Buch um ein vielfaches ähnlicher, auch die Handlung und v.A. das Ende ist sehr nah am Buch. Die Musik stammt von den Eurythmics und hat atmosphärische, electro-angehauchte Klänge. Und die Verfilmung tut mehr weh … in allem liegt mehr Intensität. Winstons Kennenlernen mit Julia, die Körperlichkeit, die Folter, die Verzweiflung, die Tränen am Ende. Die Verfilmung aus dem Jahr 1956 ist in allem etwas seichter und die Charaktere und die Handlung weichen doch ziemlich ab. Wer sich ein wenig Hoffnung bewahren will, wird aber dieses Filmende eher mögen, denke ich.
https://www.youtube.com/watch?v=52wis_sLT1I
Einflüsse auf andere Medien
Meines Wissens war keine der Verfilmungen ein Kassenschlager, obwohl es prinzipiell gute Filme sind. Hier stelle ich mal die Theorie auf, dass die Menschen eben lieber Geld für ein Happy End und gute Gefühle ausgeben. Oder eben für seichte Unterhaltung, die angenehm vom Alltag ablenkt. Nicht jeder will nachdenken. Aber das Buch hat sehr viel die Medien und die aufgeschlossene Gesellschaft beeinflusst. Sätze wie Big Brother is Watching You sind in unser Bewusstsein übergegangen. Manchmal ohne dass der Einzelne genau weiß wo der Satz herkommt: das ist schon ziemlich stark. Aber andere Filme und Medien greifen die Gedanken immer mal wieder auf. Einer der offensichtlichsten Einflussnehmer ist Equilibrium aus dem Jahr 2002 mit Christian Bale in der Hauptrolle. Die Welt in der Gefühle unterdrückt werden, wirkt stark an 1984 angelehnt. Dort gibt es beispielsweise den Vater, eine ebenfalls nicht wirklich existente Führer-Figur, zu der alle aufsehen. Außerdem ist der Apple Spot sehr bekannt, in dem angedeutet wird, dass das ‚Herrschaftssystem‘ von IBM durch Apple und den Mac zerschlagen wird. Apple wird hier als Erlöser dargestellt. Davon kann man halten, was man will. Und dann gibt es da noch etwas einfallslosere Formate … die Sendung Big Brother heißt so, weil es darum geht ihre Kandidaten rund um die Uhr zu überwachen. Irgendwas daran Leute beim essen und Blödsinn reden zu beobachten ist wohl interessant. Aber der Name ist auch die einzige Gemeinsamkeit zu dem Buch bzw. den Filmen.
Es wurden vor einiger Zeit auch Meldungen über ein Remake laut, wobei man nicht wirklich eines braucht. Die Verfilmung aus dem Jahr 1984 lässt keine Wünsche offen. Wer aber aufpasst und seine Lieblingsfilmwebseiten liest, wird gemerkt haben, dass das angekündigte Remake nur ein Quasi-Remake ist. Mit anderen Worten eine Anlehnung an Orwells Dystopie. Zur Recherche habe ich eben erst nachgelesen, was aus dem Remake geworden ist: es handelt sich dabei um den Film Equals mit Nicholas Hoult und Kristen Stewart in den Hauptrollen. Ein Film, dessen Trailer und Zusammenfassung ich schon vorher kannte, dass ich jetzt aber gar nicht mit 1984 in Verbindung gebracht hätte. Equals legt den Fokus scheinbar auf Beziehungen.
Kennt ihr die Verfilmungen? Und wenn ja, welche findet ihr besser? Warum? Kennt ihr noch mehr Medien, die ganz klar bei 1984 abgeguckt haben? Und welche Sätze, Zitate oder Szenen aus dem Buch sind euch schon im echten Leben begegnet?
Schreibe einen Kommentar