7ème art: Oscar Edition (2016)

Am 28. Februar ist es wieder soweit – eine der dekadentesten Veranstaltungen der Filmwelt ruft wieder dazu auf, sie zu hassen und zu lieben. Ich schaue die Oscars nach wie vor jedes Jahr mit Spannung angesichts der brennenden Frage: werden meine Favoriten gewinnen? Über Probleme der Veranstaltung brauchen wir gar nicht zu sprechen. Nicht zuletzt dank #OscarsSoWhite weiß jeder zumindest einen der Kritikpunkte sofort. Nun möchte ich in meiner allmonatlichen Werkschau die Tradition der letzten Jahre fortführen und heute sieben Filme besprechen, die für einen Oscar in dem ‚großen‘ Kategorien wie bester Film oder auch beste/r HauptdarstellerIn nominiert sind.

Carol

Irgendwas hat der Moment in Therese (Rooney Mara) ausgelöst, als sich ihr und Carols (Cate Blanchett) Blick trafen. Therese liebt eigentlich die Fotografie, arbeitet aber um sich über Wasser zu halten in der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses. Die wohlhabende Carol sucht dort nach einem Spielzeug für ihre Tochter und lässt sich von Therese beraten. Sie lässt ihre Handschuhe liegen und Therese schickt sie ihr. Sie nehmen Kontakt zueinander auf. Obwohl keiner es ausspricht ist klar, dass da etwas zwischen Therese und Carol ist. Das macht es für Carol umso schwieriger, die gerade im Begriff ist, sich von ihrem besitzergreifenden Mann Harge (Kyle Chandler) zu trennen und schon bald um das Sorgerecht für ihr Kind kämpfen muss. Thereses innerer Kampf hingegen ist der, herauszufinden was sie will und wer sie ist, und das während ihr Freund darauf drängt sie zu heiraten und mit ihr nach Europa zu reisen.

Obwohl der Film Carol heißt, sehe ich eindeutig Therese als die Hauptperson. Carol ist der Auslöser für ihre schlussendliche Erkenntnis, dass sie lesbisch ist. Das offenbart Therese wirkliche Liebe, Erfüllung und Leidenschaft, aber sie muss auch spüren, dass das nur hinter verschlossenen Türen möglich ist. Die gesellschaftliche Ablehnung wird in dem Film zwar an der Reaktion von Thereses Freund und Carols Umfeld deutlich, tritt aber nie wirklich nach außen und bleibt ebenso ein Thema, das hinter verschlossenen Türen diskutiert wird. Das ist wahrscheinlich besser so für die Protagonisten, wirkt aber so hermetisch wie es klingt. Sind aber Carol und Therese unterwegs, dann demonstrieren sie mit Worten und Blicken mehr als deutlich, was zwischen ihnen Beiden ist. Es ist zwar traurig, dass das so ein großes Geheimnis bleiben muss, aber gleichzeitig wirkt Cate Blanchetts Spiel dafür in manchen Szenen auf mich etwas zu direkt und aufreißerisch für die damalige Zeit. Ein Widerspruch in sich. Und das sage ich als Cate-Blanchett-Fan. Carol ist stets sehr abgeklärt und wirkt so, als ob sie auch Therese gegenüber noch eine Maske trägt. Es ist eher Rooney Maras Darstellung, die natürlicher wirkt und mich mehr berührt hat. Ich denke da nur an die Szene in der sie im Zug sitzt, nachdem sie vom ersten privaten Treffen mit Carol kommt und weinen muss, aber nicht möchte, dass es jemand bemerkt. Der Film demonstriert in nicht so sehr vielen Momenten echte Gefühle, sondern viel Fassade nach außen, was ich nicht erwartet hätte und was schnell kühl wirken kann. Gegen Ende des Films weiß man als Zuschauer kaum, was sich in beiden abspielt und was sie denken, obwohl man ihrem Leid schon eine Weile zugeguckt hat. Todd Haynes, u.a. bekannt für Velvet Goldmine und I’m Not There hat wunderschöne Bilder, Kostüme, Frisuren, einen wirklich guten Score und versetzt uns glaubhaft in die 50er Jahre mitsamt eines unterschwelligen Sepia-Filters, aber es mangelt ein wenig an Einsicht in das Seelenleben seiner Charaktere.

Carol, USA/UK, 2015, Todd Haynes, 118min, (7/10)

Sternchen-7

Der Marsianer – Rettet Mark Whatney

Ein Team von 6 Astronauten der sogenannten Ares-3 Mission ist auf dem Mars stationiert und erhält die Meldung, dass ein Sturm aufzieht, der sie gefährdet. Als sie aufbrechen wollen, wird ihr Kollege Mark Watney (Matt Damon) von einem Trümmerteil getroffen und das System meldet, dass sein Anzug beschädigt ist. Seine Überlebenschancen sind quasi Null und die Kollegen verlassen den Planeten und retten damit geradeso sich selbst. Was bleibt: Erschütterung und Trauer. Was sie nicht wissen: Watney hat überlebt. Er ist vollkommen allein auf dem Planeten, versorgt seine Wunden und nach einigen Momenten zwischen Resignation und Was-wäre-wenn-Gedanken, beschließt er nicht auf dem Planeten zu sterben, sondern dass er sich stattdessen „mit Wissenschaft aus der Scheiße zieht“. Er versucht anzubauen, versucht Kontakt herzustellen, versucht zu überleben.

Ridley Scott war schon immer der Typ für große Stoffe und wusste schon immer wie man diese ebenso groß und massentauglich inszeniert, der Originalgeschichte dabei mal mehr mal weniger treu bleibt. Hier lässt er sich nicht lumpen. Der Marsianer ist eine vereinnahmende Geschichte und spannend bis zur letzten Minute. Watneys Gespräche mit dem Computerlog, seine Monologe und seine selbstironische Art sind vereinnahmend, die Situation beklemmend. Vollkommen allein auf einem Planeten, ohne Hilfe, wenn er nichts dagegen tut bald ohne Nahrung in einer absolut menschenfeindlichen Umgebung – das ist auch eine Form von Horror. Wie er versucht sich aus der Misere zu befreien und das nicht nur mit Muckis, sondern v.A. mit Wissenschaft ist beeindruckend. Er braucht Physik, Chemie, Botanik, Informatik, Maschinenbau – wer Argumente für Bildung für seine Kinder braucht, dem kann ich nur sagen: schaut zusammen den Film. Die parallele Handlung um seine Crew und das Team der NASA fand ich ebenso spannend. Wieviel Politik und Moral ins Spiel kommt, bringt einen fast dazu auszuflippen. Die Nasa wird hier nicht nur als Verein toller Kumpel dargestellt. Es wird haarig, wenn die großen Männer in den teuren Anzügen erstmal diskutieren. Nicht schlecht Ridley Scott, ich habe nichts zu meckern. Eine Kontroverse wiederholt er aber immer und immer wieder. Bei Exodus – Götter und Könige musste er sich bereits den Kritikern stellen und erklären, warum er immer wieder nicht-westliche Rollen mit amerikanischen, weißen Darstellern besetzt (white washing, so der Begriff). Er begründete das damit, dass man Filme bei Studios schlechter durchbekommt, wenn man keine namhaften und in den USA bekannten Darsteller vorzuweisen hat und auch das Publikumsinteresse verhalten bleibt. Was zu beweisen wäre. Immer wieder traurig. So wurden wohl auch im Buch ursprünglich asiatisch-stämmige Charaktere sogar ganz offensichtlich mit amerikanischen Figuren ausgetauscht.

Der Marsianer – Rettet Mark Watney, USA, 2015, Ridley Scott, 144min, (9/10)

Sternchen-9

Joy

Die kleine Joy träumte davon Erfinderin zu werden und davon, dass jeder Mensch ihre Erfindungen kaufen kann. Dann kam die Scheidung ihrer Eltern und sie wurde zuerst Spielball der Launen und Neurosen der beiden unverbesserlichen. Ihre Mutter (Virginia Madsen) spezialisierte sich darauf sich vor der Welt zu verstecken und nur noch rumzuliegen und eine schlechte Seifenoper zu gucken. Ihr Vater (Robert DeNiro) machte es sich zur Aufgabe allen anderen zu erzählen wie schrecklich seine Ehe mit Joys Mutter war. Joy (Jennifer Lawrence) wird erwachsen, traut sich nicht studieren zu gehen, weil ihre Mutter doch sonst aufgeschmissen ist. Lernt einen Mann kennen, bekommt zwei Kinder. Die Sache mit der Erfinderin: vergessen. So spielt manchmal das Leben. Als sie aber wieder einmal allen anderen hinterräummt, kommt ihr eine Idee für eine Erfindung. Und diesmal lässt sie nicht los.

Der Film zeigt neben einer dysfunktionalen Familie die Geschichte einer Frau stellvertretend für viele andere. Die, die sich eben durchschlagen, wenn die Kinderträume und Märchenfantasien Geschichte sind. Die Geschehnisse in Joy sind

Inspired by true stories of daring women… One in particular.

Diese bestimmte Frau ist die echte Joy Mangano. Im Film sieht man wie sie ihre Erfindung verteidigt, auf eigene Kosten in Massenproduktion geht, sich in der Glitzer-Alles-ist-Schein-Welt von Teleshopping zurechtfindet und sich immer wieder durchsetzen muss und immer wieder einen Rückschlag erleidet. Dabei gelingt es dem Film von David O. Russell (Silver Linings, American Hustle) nicht den Wandel abzubilden. Immer wenn Joy einen Schritt vorwärts macht, geht sie (auch dank ihrer nervigen Familie) dirket wieder drei Schritte zurück. Die finale Botschaft des Films wird nach über einer Stunde hysterischen Rumschreiens auf wenige Minuten runtergebrochen. Als Zuschauer musste ich mir außerdem ständig die Frage stellen, ob Joys Geschichte wirklich die ihrer katastrophalen Familie ist? Kann so nicht beabsichtigt gewesen sein. Sollte sich der Film nicht auf Joy konzentrieren? Die Glaubwürdigkeit leidet außerdem unter den plakativen und wenig vielschichtigen Charakteren wie dem Teleshopping-Mogul Neil Walker, dargestellt von Bradley Cooper. Joy wäre eine Geschichte, die aufgrund ihrer erzählerischen Unzulänglichkeiten eher untergegangen wäre, wenn nicht Jennifer Lawrence auf dem Plakat wäre und sie nicht für einen Oscar nominiert wäre. Ich sage ja nicht, dass man Joy Manganos Geschichte nicht erzählen muss, aber ich denke, dass man sie nicht so erzählen muss.

Joy – Alles außer gewöhnlich, USA, 2015, David O. Russell, 124min, (6/10)

Sternchen-6

Mad Max: Fury Road

„Mad“ Max Rockatansky (Tom Hardy) wird in der Einöde einer postapokalyptischen Welt überfallen und entführt. Er findet sich wieder als lebender Blutspender für die kränkelnde Privatarmee der Warboys, die dem Tyrannen Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) dienen. Der herrscht in der Wüste über ein krankes, zahnloses Völkchen und wird verehrt, weil er Macht und Wasser hat. Während Max versucht sich aus seiner Lage zu befreien, begibt sich Imperator Furiosa (Charlize Theron) aus Immortan Joes Gefolge auf eine gefährliche Reise. Mit einem Tanker rauscht sie los, anfangs um einen Auftrag für den Tyrannen zu erledigen, weicht aber bald vom Kurs ab. Joe ahnt warum: sie hat seine Frauen, seine Brutkästen, befreit. Er hetzt seine Meute auf Furiosa und die Frauen – Max wird wird in die Verfolgungsjagd verwickelt. Und bei der werden viele ihr Leben lassen. Mad Max: Fury Road machte zuerst auf sich aufmerksam durch jahrelange Gerüchte, das Recasting und durch die Schwierigkeiten während der Produktion. Bereits 1999 bemühte sich Miller um das Go für die Produktion des vierten Mad-Max-Films. Zig Umstände kamen dazwischen, von Finanzierung bis zu Einreisebestimmungen und letztendlich sprang Mel Gibson ab. Der spielte zuvor die Titelfigur und gab Mad Max ein Gesicht. Den Job übernimmt nun der Brite Tom Hardy (Bronson, Inception, Warrior), der auch noch für weitere Filme verpflichtet wurde. Zuerst sollte in Australien gedreht werden. Kein Wunder, schließlich sind dort die Filme Mad Max (1979), Mad Max – Der Vollstrecker (1981) und Mad Max – Jenseits der Donnerkuppel (1985) entstanden und der Regiesseur George Miller ist selbst Australier. Das australische Outback gehört praktisch zur Entstehungsgeschichte der Mad-Max-Reihe. Allerdings machten zuerst die Niederschlagsmengen in Australien den Dreh unmöglich, danach die dadurch entstandene blühende(!) Landschaft. So wurde der Drehort nach Namibia verlegt. Über 10 Jahre Kampf für diesen Film.

Fury Road. Der Name ist Programm. Kaum zu glauben, dass derselbe Mann, der diesen Film gemacht hat, auch Ein Schweinchen namens Babe zu verantworten hat. Mad Max: Fury Road ist bestes Action-Over-The-Top-Kino und besteht praktisch aus einer einzigen langen Verfolgungsjagd. Action mit beweglichen Zielen. Stillstand kennt der Film kaum. Sand, Sturm, Metall, Blut, Chrom, Rost, eine unwirtliche Welt. Man merkt, dass Miller mit Künstlern zusammengearbeitet hat. Komposition (bildlich und musikalisch) – eine Augenweide und ein Hörgenuss. Fast jedes Motiv im Film ist atemberaubend. Eine Farbexplosion – die Warm-Kalt-Kontraste, der Sound, die Action – kurz vor der Reizüberflutung. Die Crashs und Stunts sind nicht am Computer entstanden, das ist zu überwiegenden Teilen echt. Und man sieht es. Der Film ist kompromisslos wie Metall, das mit großer Geschwindigkeit auf Metall kracht. Bis jetzt hat jeder Mad-Max den Vorgänger in punkto Wahnsinn getoppt. Der erste fing an in einer Steppe, die noch mit Häusern nett besiedelt war. Und wo sind wir jetzt angekommen? Wo führt das noch hin, falls es mehr Filme geben wird? Wer sich an die Filme traut muss mit den rohen, wahnsinnigen Menschen in der Erzählungen umgehen können. Mit flammenwerfenden Gitarren, zahnlosen Typen, Maschinengewehren und Warboys. Und trotz alledem erzählt Miller eine Geschichte. Ob Furiosa es schafft, wo sie überhaupt hin will und was ihr Plan ist, hat für mich vollkommen ausgereicht, um mitzufiebern. Die Frauen sind die wahren Helden in diesem Feuerwerk – soviel sollten sich andere Filme ruhig auch mal trauen. Charlize Theron als Imperator Furiosa hat eine Bühne für ihr Können bekommen. Für mich eine der besten Frauenfiguren, die ich im Kino erleben durfte und die beste Wahl für so eine starke Frau. Nimmt man es aber genau, ist Tom Hardys Talent vergeudet. Dass man Max Rockatanskys Geschichte auf zwei, drei Male Grunzen beschränken musste ist mir ein Rätsel. Klar, Max war schon immer maulfaul und hat erstmal damit gehadert sich einzumischen. Um zu überleben. Aber bei der Palette die Tom Hardy zu bieten hat grenzt das fast an Verschwendung. Fury Road ist kein Reboot, sondern der vierte Teil einer Reihe. Dementsprechend wird Max‘ Geschichte nicht neu erzählt und der Zuschauer muss einfach wissen, oder dank der kurzen Sequenzen ahnen, was Max in der Vergangenheit passiert ist. Doch ich kann nicht anders und empfinde die Charakterentwicklung als großen Makel eines ansonsten atemberaubenden Films. Bestes Beispiel auch Nux (Nicholas Hoult), dessen Sinneswandel von „Immortan hat mich angesehen!!/Valhalla/Chrome/Shiny/Sei mein Zeuge“ zu „Ich helfe den Frauen, koste es was es wolle“ mir nicht so richtig einleuchtete. Schöne Frauen in seiner Umgebung hin oder her. Aber das wäre mir fast nicht aufgefallen. Weil … what a movie. What a lovely movie.

Mad Max: Fury Road, USA/Australien, 2015, George Miller, 120min, (8/10)

Sternchen-8

The Danish Girl

Gerda (Alicia Vikander) und Einar (Eddie Redmayne) Wegener sind ein Traumpaar – sie verstehen sich ohne Worte, kennen den anderen in und auswendig, gehen selten irgendwo alleine hin, weil ohne den anderen scheint irgendetwas nicht im Lot zu sein. Beide sind Maler, beide sind ihre schärfsten Kritiker und besten Freunde. Gerda zuliebe schlüpft Einar für die Fertigstellung eines Gemäldes kurz in Strumpfhosen und ein Kleid, weil das ursprüngliche Modell absagen musste. Wie sich der Stoff auf seiner Haut anfühlt und wie natürlich ihm die elegante, weibliche Haltung und Pose erscheint, geht ihm nicht aus dem Kopf. Weil er so weiblich wirkt, machen sich die beiden einen Spaß und schicken ihn als Frau verkleidet auf einen öffentlichen Anlass und nennen ihn Lili. Aber das Gefühl ist immer da. Einar fühlt sich als Lili, es ist nicht nur ein Spiel. Gerda beginnt ihn als Lili zu malen, beschwört aber Ängste und Unsicherheiten herauf. Was, wenn Einar im falschen Körper geboren ist? Wenn er eben in Wirklichkeit doch Lili ist? Und was passiert mit ihrer Ehe?

Tom Hoopers Film basiert zu großen Teilen auf der Geschichte von Lili Elbe, wie sich Einar Wegener später nannte. Es ist der erste dokumentierte Fall einer geschlechtsangleichenden Operation, was aber noch längst nicht alle Geschehnisse des Films vorweg nimmt. Hooper liefert damit ein Drama ab, dass sich nahtlos in seine ansehnliche Filografie der letzten Jahre einordnet (The King’s Speech, Les Misérables) und beschert sowohl Eddie Redmayne als auch Alicia Vikander Oscarnominierungen. Zu Recht. Redmayne versprüht auf der einen Seite den Charme eines zurückhaltenden Malers, auf der anderen Seite den einer eleganten Frau und alle Schattierungen dazwischen. Die Verzweiflung nicht zu wissen, was genau mit ihm los ist. Was ist richtig, was ist falsch? Gibt es das hier überhaupt? Wie ist die Wahrheit über mich selbst? Auch optisch schafft er den Mittelweg zwischen Einar und Lili. Mimik und Gestik spiegeln die Nuancen perfekt wider, die irgendwo zwischen den Schubladen mit den Namen Mann und Frau liegen. Die halbe Miete ist das weiche Lächeln, was er an den Tag legt. Er hat das drauf. Genauso wie Alicia Vikander eine starke Frau spielt, die eher als alle Ärzte versteht, was los ist und gleichzeitig nicht verbergen kann, dass sie ihren Mann zurück will. Die Kritiker haben Recht, dass die historische Genauigkeit des Films mau ist und sie haben auch Recht, wenn sie sagen, dass der Film nichts über Transgender erzählt, was man nicht schon wüsste. Und es auch nicht so ungeschönt erzählt wie beispielsweise die Serie Transparent. Egal, ob die Bilder nun schon fast zu schön sind, es ist eine Geschichte die es allemal wert ist, erzählt zu werden. Natürlich ist man sich über die emotionale Komponente im Klaren. ‚Im falschen Körper‘ geboren. Seine Identität ändern und die damit verbundene Ablehnung und der Schmerz, den man bei anderen Personen verursacht und dem man sich selber aussetzt. Das schreibt sich schnell und abgeklärt nieder, aber der Film transportiert es wirklich in unser Bewusstsein, was für ein Kampf das sein kann. Ob es der Transgender-Film ist, auf den alle gewartet haben? Möglicherweise nicht, aber es ist definitiv ein guter Anfang, um eine breite Masse zu erreichen. So zumindest mein Empfinden. Was die historische Genauigkeit angeht, zeigt schon eine relativ kleine Recherche, dass der Film sich einiges zurechtschneidet, um angenehm und passend für ein schönes und geschmeidiges Endprodukt zu sein. Deswegen gibts bei mir einen Punkt Abzug.

The Danish Girl, USA/UK, 2015, Tom Hooper, 120min, (9/10)

Sternchen-9

The Hateful Eight

Irgendwann ca. in den 1860er Jahren oder danach in Wyoming treffen sich acht unangenehme Gesellen in einer Hütte. Raus können sie nicht: da ist ein Blizzard. Drinnen bleiben wollen sie auch nicht so richtig, denn die Gesellschaft ist durchwachsen. Aber sie haben keine Wahl. Also muss Major Warren (Samuel L. Jackson) mit General Smithers (Bruce Dern) auskommen, den er noch von früher kennt. Genauso wie John Ruth (Kurt Russell) seine Gefangene Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) nah bei sich halten muss, wenn er noch ihr Kopfgeld kassieren möchte, sobald sich der Sturm gelegt hat. Was genau der Cowboy Joe Gage (Michael Madsen) im Sinn hat ist noch nicht raus. Jedenfalls nicht nur seine Mutter besuchen. Der angehende Sheriff Mannix (Walton Goggins) ist in der Hütte mindestens genauso (un)gern gesehen wie der Henker Oswaldo Mobray (Tim Roth). Und der Mexikaner Bob (Demián Bichir) ist etwas zu schweigsam. Ist es zuviel gesagt, wenn ich verrate, dass am Ende dieses kleinen Aufeinandertreffens einige von den acht hassenswerten die Radieschen von unten sehen?

Tarantinos The Hateful Eight wurde zwischenzeitlich von ihm abgestoßen, als das Skript im Internet auftauchte. Der Meister tobte, hat sich letztendlich aber doch wieder besonnen und den Film gedreht. Klar, er weiß, dass man einen Film noch so gut inszenieren kann, aber das Herzstück eines Films ist das Skript. Und an und für sich ist Hateful Eight spannend – zumindest, wenn man mindest 45 Minuten des Films rausgeschnitten hätte. Die langatmige, fast ereignislose Eröffnungssequenz versucht die Charaktere einzuführen und dabei sehr langsam eine unheilvolle Stimmung aufzubauen. Die Charaktere – manche spleenig, manche nicht. Ennio Morricones Soundtrack tut den Rest. So richtig funktioniert das aber nicht. Tarantino verkrampft sich bei seinen letzten Filmen auf die Ressourcen, die ihm plötzlich zur Verfügung stehen. In seiner Anfangsphase hatte er die nicht. Geld, bekannte, gefeierte Darsteller … aber damals hat er die besseren Filme gemacht. Die Eröffnungssequenz verfehlt ihre Wirkung, die Charakterzeichnung ist eine Farce. Figuren wie Daisy Domergue werden als bitterböse skizziert, aber trotz der drei Stunden Laufzeit ohne Fundament. Stattdessen setzt er auf Gewalt. Daisy bekommt nicht nur einmal auf die Schnauze. Ja, sie ist hateful. Sie ist nicht nett. Aber wie sie ein ums andere Mal verprügelt wird, dient nur um den Zuschauer zu schocken. Oder zum lachen zu bringen – denn die Gewaltorgie scheint viele sehr zu erheitern wie ich neulich im Kino feststellen musste. Ich war früher ein größerer Tarantino-Fan als heute, weil die Gewalt nicht mehr dieselbe ist. Sie wirkt sinnloser und gewollter als früher. Aber gelacht habe ich darüber nie. Über den tarantinoschen Humor und skurrilen Charaktere – ja. Das hat auch The Hateful Eight reichlich und das ist auch ziemlich gut. Auch die Situation in der Hütte hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Jeder hat praktisch etwas gegen jeden. Es bilden sich schnell verhärtete Fronten oder es wird bekannt, dass der eine eine Vergangenheit mit dem anderen teilt. Die Luft brennt. Ich würde eher durch den Blizzard gehen, als mit denen in einer Hütte zu sitzen. Das langsame Aufbauen der Stimmung. Dann: Begegnungen die nach Ärger riechen und zuletzt eine Gewaltorgie mit massenweise Kunstblut und vielen Schockern. Problem: es ist fast grotesk wie langsam er die Handlung aufbaut und wie sehr sie dann eskaliert. Warum noch jemandem den Kopf wegschießen, der schon tot ist? Früher war Tarantino cooler, weil er das nicht in dem Ausmaß nötig hatte. Da hatte die Gewalt einen grausame Poesie. Hier ist es eine Splatterorgie von platterer und einfacherer Natur. Seine Regiegötter zu verehren ist ja schön und gut. Auch sich seinen Lieblingsgenres zu verschreiben. Alles schön. Aber früher hatten seine Werke mehr Substanz. Wenn auch groteske. Da kann er meinetwegen zehnmal in Ultra Panavision 70 und 2,75:1 gedreht sein, das macht’s auch nicht mehr fett.

The Hateful Eight, USA, 2015, Quentin Tarantino, 187min, (7/10)

Sternchen-7

The Revenant

Alejandro González Iñárritus neuster Streich liebäugelt schon wieder heftig mit dem Oscar und widmet sich diesmal eines Themas, das verglichen mit seinem letztjährigen Oscar-Hit Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) kaum unterschiedlicher sein könnte. Der Film erzählt die Geschichte des Trappers Hugh Glass, der von 1783 bis 1833 gelebt hat. V.A. um sein Überleben ranken sich zahlreiche teilweise auch mystifizierte Erzählungen. Im Film wird er verkörpert von Leonardo DiCaprio und ist als Trapper mit seinem (Zieh?-)Sohn Hawk (Forrest Goodluck) unter Andrew Henrys (Domhnall Gleeson) Führung unterwegs. Die Truppe hat es auf Felle abgesehen, wird aber eines Tages von Indianern angegriffen. Nachdem sie um mehr als die Hälfte der Männer dezimiert wurde, reisen sie mühselig weiter und versuchen den Einheimischen aus dem Weg zu gehen. Dass Hawk Indianer bzw. ‚Halbblut‘ ist, bringt einen der Männer, John Fitzgerald (Tom Hardy), immer wieder dazu Anschuldigungen zu äußern und die Aufrichtigkeit von Glass und seinem Sohn in Frage zu stellen. Eines Tages wird Glass von einem Grizzly angegriffen, überlebt aber sehr schwer verletzt. Die Truppe beschließt ihn notdürftig zusammenzuflicken und auf einer selbstgebauten Trage mitzunehmen. Als der Winter einbricht, wird das aber fast unmöglich. Fitzgerald, der sehr junge Jim Bridger (Will Poulter) und Hawk beschließen bis zum bitteren Ende bei Glass zu bleiben, während die anderen weiterziehen. Fitzgerald aber sieht v.A. die versprochene Belohnung und plant Glass umzubringen. Als Hawk dazukommt, bringt Fitzgerald ihn kaltblütig um, während der bewegungsunfähige Glass nur vermuten kann, was passiert ist. Die Männer lassen ihn zurück. Getrieben von Rache versucht er in der Wildnis zu überleben und wieder auf die Beine zu kommen.

Wow. Was für ein Film. Die Geschichte ist eine der ältesten der Welt und ließe sich ziemlich schnell zusammenfassen, was dem Film aber nicht im mindesten gerecht wird: Rache. Die in The Revenant dargestellten Naturgewalten sind atemberaubend und demonstrieren die Kompromisslosigkeit der Natur. Kälte, Hunger, Verletzungen, wilde Tiere – all das alleine sollte den Zuschauer schon fesseln und vor Augen führen, dass die pseudo-naturverbundene Zivilisation in der wir leben uns weich gemacht hat und die meisten von uns nicht annähernd so lange da draußen überleben würden. Auf seltsame Art und Weise kann der Film einem die eigene Sterblichkeit mehr bewusst machen als ein Thriller mit einem body-count von 20 pro Minute. Emmanuel „Chivo“ Lubezkis bereits in Birdman gelobte Kameraarbeit setzt hier wieder neue Maßstäbe. Ob die Blutspritzer und die vom Atem der Protagonisten beschlagene Linse echt sind, stellt mich vor eine weitere von vielen Fragen über die Dreharbeiten wie zum Beispiel auch, ob der Schneefall echt oder geplant und herbeigeführt war. Nicht nur der Film wirkt wie eine Tour-de-Force, sondern auch die Dreharbeiten müssen sich so angefühlt haben. Da wird auf dem kalten Boden rumgerobbt, da spritzt das Blut, da fliegen die Pfeile und man ist so unbarmherzig nah dran. Lubezkis Kamera ist immer nur Zentimeter von den Protagonisten entfernt, Hardy und DiCaprio sehen uns nicht nur einmal direkt an und die opulenten Kämpfe werden mit einer fliegenden Kamera in allen grausigen Details aufgenommen. Der Kampf mit dem Bär hat sich in meinen Kopf eingebrannt. Wenn man viel Filme schaut, dann stellt sich insbesondere im Popcornkino irgendwann das Gefühl ein „habe ich schon zig Mal irgendwo anders gesehen“. Hier nicht. Hier habe ich trotz der einfachen Story so oft gedacht ‚Sowas habe ich noch nie gesehen‘ und das ist mir eine verdammt hohe Punktzahl wert. Bildgewaltig ist hier Programm.

The Revenant – Der Rückkehrer, USA, 2015, Alejandro G. Iñárritu, 156min, (9/10)

Sternchen-9

Man erkennt an der Punktzahl schon, welchen Filmen ich mehr Chancen ausrechne, als den anderen. Im Großen und Ganzen gibt es dieses Jahr aber starke Filme und Nominierungen. Wie empfindet ihr die diesjährige Oscar-Nominierten? Was wurde eurer Meinung nach übergangen und außer Acht gelassen? Welche Familie von diesen sieben habt ihr schon gesehen und wo seht ihr es ähnlich wie ich, wo anders als ich?

„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.

10 Antworten

  1. Mit „The Danish Girl“ habe ich bisher genau einen Film aus dieser Liste gesehen – den fand ich aber mindestens genauso gut wie du. Vor allem Eddie Redmayne konnte mich wieder einmal begeistern.

    Lust habe ich noch auf „The Hateful Eight“ und auf „Joy“, auch wenn der bei dir nicht so gut bewertet ist.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, das war wirklich wieder eine großartige Leistung von Redmayne. Ich überlege sogar, ob er den Oscar nicht sogar noch mehr für diese Rolle verdien hätte als für „Die Entdeckung …“, weil mehr Varianten und so. Aber Leo fand ich noch besser auch wegen der unlustigen Dreharbeiten. Ganz schöne Mammutleistungen dieses Jahr.

      Bei denen die ich nicht so gut bewerte, interessiert mich ja die Meinung der anderen noch umso mehr 😉

  2. Da ich bis jetzt NUR den MAD MAX Film gesehen habe, halte ich mich da aus spekulativen Prognosen raus 😛
    JOY und THE DANISH GIRL interessieren mich auch wirklich null, HATEFUL 8 sehe ich in 3h, sowie den MARSIANER und TEH REVENANT in den nächsten Tagen.. Dann sehen wir weiter 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Warum interessieren dich Joy und The Danish Girl nicht? „Frauenthemen“?

      Und wie ist inzwischen deine Meinung zu den anderen? Hateful 8 habe ich glaube schon gelesen, mit dem warst du auch nicht so zufrieden, wenn ich mich recht erinnere.

      1. Nein, Frauen- oder Männerthemen sind ja per se Unsinn 😀 Aber nach AMERICAN HUSTLE habe ich keinerlei Bedürfnis noch weitere Sachen von O. Russell zu sehen und JOY erschien mir viel zu sehr wie gefälliges Wohlfühl-Kino. Und DANISH GIRL schreit gefühlt in alle Richtung: OSCAR! „Guckt mal, Redmayne kann nicht nur behinderte, sondern auch eine Transsexuelle, gebt ihm gleich noch ’nen goldenen Award“..

        HATEFUL EIGHT finde ich leider nur mittelmäßig, kannst ja auf meinem Blog mal genaueres Lesen, falls Interesse besteht. Packte mich nicht und ist zwar der gehaltvollste, aber dennoch der unrundeste Tarantino für mich 🙁

        REVENANT kommt evtl. die Tage, nachdem ich ein paar Auschnitte gesehen hab, hadere ich aber, weil es hier keine OV mehr gibt. DER MARSIANER wird aber die Woche geschaut 🙂

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Ah – du konntest also mit American Hustle auch nichts anfangen? Ging mir ähnlich. Aber da ich Silver Linings noch in guter Erinnerung habe, dachte ich, dass das wieder ein guter wird. Hat meinen Geschmack allerdings nicht getroffen. Schätze mal, dass ich um den Regiesseur in Zukunft auch eher einen Bogen mache. Bzw. den „Heimkino-Bogen“ statt dafür ins Kino zu gehen.

          Schön, dass du das so siehst mit den Frauen- und Männerthemen 😉
          Jaaa – Danish Girl ist sehr passend im Kalender platziert, um bei den Oscars berücksichtigt zu werden. Aber ich finde der Film kann auch echt viel.

          Ja, deinen Artikel zu The Hateful 8 habe ich schon gelesen, da wird ähnlicher Meinung, obwohl ich noch etwas milde war, weil er mich gegen Ende doch einigermaßen gut unterhalten hat.

          Ui, Der Marsianer, dann viel Spaß. 🙂
          OV hin oder her … ich würde sagen The Revenant ist das Erlebnis auf der großen Leinwand wert. Außerdem gabs im OV die größten Untertitel, die mir jemals begegnet sind XD Die nahmen gefühlt das halbe Blickfeld ein 😉

  3. Ich hab bis jetzt nur „Mad Max“ und „The Revenant“ gesehen. Letzterem rechne ich große Chancen zu, vor allem was Kamera, Regie etc angeht, Bei dem Oscar für Leo bin ich ja doch skeptisch, ich sehe da Eddie Redmayne und Michael Fassbender weiter vorne, so von der Rollenauswahl her.
    Ansonsten kann ich mich leider nicht weiter dazu äußern. Vor den Oscars werde ich auch nicht mehr so viele der nominierten Filme sehen, schätze ich =/ The Hateful 8 sollte wohl noch drin sein.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Eddie Redmayne hat auch eine tolle Leistung gebracht – wenn Leo ihn nicht gewinnt, dann würde ich ja wetten, dass er das Rennen macht. Aber die Dreharbeiten und was die den Darstellern körperlich abverlangt haben, waren bei The Revenant auch extren, denke ich. Das geht mir nicht so ganz aus dem Kopf. Bald wissen wirs ja 😉
      Michael Fassbender habe ich für seine Rolle als Steve Jobs gar nicht auf dem Schirm, habe den Film auch nicht gesehen. Ich hab ein Problem mit dem Menschen Steve Jobs.

  4. Klasse Zusammenfassung! Ich denke auch, dass The Revenenant und Mad Max größtenteils alles für sich beanspruchen werden. Wobei ich es Mad Max: Fury Road wesentlich mehr gönne, weil dieser wenigstens nicht so tut, als hätte er eine Story. Ich kann leider nicht den like-button bedienen, da er sich im Dauerladezustand befindet, deshalb: *like*

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Dankeschön – das freut mich. 🙂 Ein geschriebenes Like ist auch mal schön zu lesen 😀
      Das könnte sein, insbesondere bei The Revenant. Bei Mad Max befürchte ich fast, dass der in den Kategorien wie Sound Mixing usw. abräumen wird. Ob der in den ganz großen wie Bester Film abräumt … dafür ist er den Knackern vom Oscar-Komittee bestimmt zu aufgewühlt und storyarm. Nur so eine Vermutung. Aber ich mochte den Film ja auch sehr gern. 😉

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