Neulich im Kino … Review zu „Ein ganzes halbes Jahr“

Die liebe Jasmin und ich waren im Kino. Sie schlug die Verfilmung des Jojo Moyes-Bestsellers „Ein ganzes halbes Jahr“ vor. Im Gegensatz zu mir hat Jasmin das Buch gelesen und ich war gespannt was an der Geschichte dran ist. Schließlich hat sich das Buch scheinbar verkauft wie geschnitten Brot. Allerdings schaue ich nicht so häufig Liebesfilme. (Außer ich bin verliebt oder habe Liebeskummer.) Prinzipiell gibt es viele tolle Liebesfilme, ich habe es mir auch schon im Blog erlaubt darüber zu schreiben. Aber mich stören die „Schema F – RomComs“. Und dann sah der Trailer zu „Ein ganzes halbes Jahr“ für mich irgendwie nach Ziemlich beste Freunde mit Liebe aus. Hrm. Aber Frauenabend!  Wie auch immer, das Ding war geritzt und ich sehr gespannt. Wie es war verrät die Review – und die ist spoilerfrei.

Louisa Clark (Emilia Clarke, yay Namensverwandtschaft!) ist 26 Jahre alt und arbeitete bis vor kurzem in einem kleinen Café. Den Job hat sie aber verloren und die finanziellen Sorgen ihrer chaotisch-liebenswerten Familie sind groß. Also … auf ein Neues. Sie sitzt beim Arbeitsamt und bekommt einen Vorschlag: als Pflegerin soll sie sich versuchen. Und so steht die für diesen Job eigentlich nicht qualifizierte Louisa vor dem Anwesen der reichen Familie Traynor und stellt sich vor. Als sie erfährt, dass sie einen Querschnittsgelähmten pflegen soll, fühlt sie sich der Aufgabe nicht gewachsen, erfährt aber, dass sie mehr eine Art Gesellschafterin ist und nicht für die medizinischen Notwendigkeiten da ist. Sie bekommt den Job und lernt ihren ‚Patienten‘ kennen: William Traynor (Sam Claflin) ist um die 30 Jahre alt, sieht nicht übel aus, ist aber zutiefst verbittert durch den Schicksalsschlag, der ihn zum Tetraplegiker machte. Er will anfangs nichts mit Louisa zutun haben und macht ihr das Leben schwer. Nach und nach erfährt sie, dass er ein Sportfanatiker war und alles auskostete, was sein privilegiertes Leben ihm ermöglichte. Nun empfindet er es aber als so wenig lebenswert, dass er mit seinen Eltern ein Abkommen hat. Noch 6 Monate um ihn davon zu überzeugen, dass er am Leben bleiben soll. Wenn nicht, wird er in die Schweiz reisen und von Sterbehilfe Gebrauch machen. Louisas wahre Aufgabe ist es ihn davon zu überzeugen, dass das Leben lebenswert ist – hart.

Liest man die Zusammenfassung, dann hat man den Eindruck schon zu wissen, worauf es hinausläuft. Und auch die Geschichte an sich wirkt zu einfach: reiche Menschen, denen etwas schlimmes passiert, die aber dank ihres riesen Haufen Gelds eine behindertengerechte Wohnung einrichten können, die wie eine Sonderausgabe von Schöner Wohnen wirkt. So ist das echte Leben nicht. Bei Ziemlich beste Freunde schaut man sich das einmal an und hat die Erkenntnis, dass all unser Reichtum uns letztendlich nichts nützt, wenn unsere Gesundheit dahin ist. Das ist auch eine wichtige Erkenntnis, aber wenn man das zwei, drei Mal hintereinander in populären Medien hingeschmissen bekommt, stellt sich eine Sättigung ein. Und der Eindruck entsteht, dass sich das Motiv eben verkauft (bitter!). Das waren meine Gedanken vor dem Film. Ich war mir sicher, dass er gut unterhalten wird, ich war mir sogar sicher, dass ich weinen muss – ob ich RomComs mag oder nicht. Während des Films war ich aber am Anfang viel zu abgelenkt von der Darstellung des Hauptcharakters, gespielt von Emilia ‚Mother of Dragons‘ Clarke. Was passiert da? Man kann kaum wegschauen. Ihre Figur ist ein wenig zu albern und kindlich für meinen Geschmack angelegt. An und für sich bin ich ja dafür, dass man ein Individuum ist und sich lieber mehr als zu wenig Kindlichkeit und Verrücktheit bewahrt. Aber ihre Gesichtsentgleisungen und das Overacting haben zusammen mit ihrem interessanten Kleidungsstil dafür gesorgt, dass ich mich gefragt habe, was sich die Filmmacher dabei gedacht haben. Das war alles etwas viel. Ich habe nicht mehr darüber nachgedacht wie einfach die Geschichte ist oder wieviele schwer kranke Reiche noch den Sinn ihres Weiterlebens in Film und Buch zelebrieren, sondern nur noch Emilia Clarkes Augenbrauen und bunte Klamotten beobachtet und war ab und zu etwas verstört. Meinen die das jetzt ernst? Hinzu kommt, dass sie als Frauenfigur daherkommt, die vollkommen und absolut für ihre Familie lebt, es allen Recht machen will und scheinbar keine persönlichen Ziele hat. Ist das meine Heldin? Das passt für mich nicht. Aber: das ist nur der erste Eindruck.

Denn letztendlich ist Louisa ein ausgesprochen liebenswertes Geschöpf. Sie ist nicht die komplexeste Figur der Filmgeschichte, aber sie hat ein gutes Herz. Und wie bereits Heidi oder die Wunderbare Pollyanna schafft sie es in kürzester Zeit mit ihrer strahlenden Art jeden auf ihre Seite zu ziehen. Letztendlich auch den verbitterten Will Traynor. Und das auf eine sehr heldenhafte Art, denn ihre Superkraft ist, dass für die Menschen, die sie liebt zur Löwin werden kann. Und hier werden nicht nur Louisas Outfits erträglicher mit zunehmender Lauflänge des Films, sondern auch die Botschaft und wie sehr man mit ihr mitfiebert. Zwar ist das Schnittmuster des Films immer noch ein sehr einfaches, aber die Charaktere sind vereinnahmend. Der Film geht auch auf einige Probleme und die persönliche Dramatik des Tetraplegikers ein. Gesundheitliche Themen werden nicht erklärt und etwas naiv angeschnitten, aber immerhin werden sie angeschnitten und schaffen ein wenig Bewusstsein. Hinzu kommen Situationen wie das Aufeinandertreffens Wills mit seiner Ex-Freundin und seinem ehemals besten Kumpel, die ihm von ihrer Verlobung berichten und dabei so ziemlich kein Fettnäpfchen auslassen: „Und machst du Fortschritte?“ (Was für Fortschritte? Was erwarten die?) Durchaus sehr schwierig wurde das Thema Sterbehilfe aufgenommen. Viele Querschnittsgelähmte oder andersartig betroffene deuten den Film als Affront und finden die Aussage furchtbar, dass man diesen Weg gehen könnte, damit Angehörige ihr Leben wieder in vollen Zügen genießen können. Unter dem Hashtag #MeBeforeEuthanasia haben sie sich Luft gemacht (Anm.: der englische Titel des Films ist Me Before You, der Hashtag ist daran angelehnt). Ich persönlich bin eine Sterbehilfe-Befürworterin. Menschen sollten über ihr Leben und Ableben entscheiden können, solange sie bei vollem Verstand sind und die Auswirkungen ihrer Entscheidung begreifen und diese nicht anderen Menschen das Leben kosten. In jedem Fall zeigt der Film eine von vielen Meinungen – Ziemlich beste Freunde erzählt eine andere Geschichte.

So und wie ist der Film nun? Er wächst. Anfangs hätte ich dem Film vielleicht 5-6 Punkte gegeben, später sind wir dann bei 7. Es gibt bessere Liebesfilme, bessere Inszenierungen – die Charaktere sind liebenswert, werden aber etwas zu naiv dargestellt. So wie vielleicht das ganze Thema. Aber sie sind so liebenswert, dass ich zu jeder Sekunde mit ihnen mitgefiebert habe. Und darum geht’s doch irgendwie. Dass der Film etwas in uns berührt. Und einen Bonus gibt es noch: richtig viele Darsteller aus Lieblingsserien, die in Nebenrollen auftauchen. Charles Dance (Tywin Lennister, Game of Thrones) als Williams Vater. Matthew Lewis (Neville Longbottom aus Harry Potter) als Louisas sportvernarrter Freund, welch Ironie. Jenna Coleman (Clara aus Doctor Who) als Louisas Schwester und Brendan Coyle (Mr Bates aus Downton Abbey) als Louisas Vater.

Ein ganzes halbes Jahr (OT: Me Before You), USA, 2016, Thea Sharrock, 110 min, (7/10)

Sternchen-7

Schießt mal los – kennt ihr den Film oder das Buch? Wie hat es euch gefallen? Mich würden mal die Unterschiede zwischen Buch und Film interessieren – könnt ihr mich da erleuchten? Findet ihr, dass der Film nah am Buch ist? Ich gehe mal davon aus, weil Moyes das Drehbuch geschrieben hat, aber ich weiß es nicht besser.

8 Antworten

  1. Ich habe den Film auch schon gesehen und ich mochte ihn. Deine Kritik kann ich verstehen und ich würde ihn ähnlich bewerten. Das Buch habe ich vor einer Ewigkeit gelesen, ganz genau kann ich mich nicht erinnern, aber soweit ich sagen kann, hält sich der Film sehr gut an die Vorlage.
    Emilia Clarke fand ich perfekt in der Rolle, auch ihre extremen Gesichtsausdrücke 😀 Im Buch heißt es, dass Louisa jedes Gefühl ins Gesicht geschrieben ist. Ich fand sie herrlich sympathisch.
    Insgesamt ist „Me before you“ für mich einer der besseren Liebesfilme. Über das Thema Sterbehilfe habe ich mir in dem Rahmen auch Gedanken gemacht und im Prinzip sehe ich das so wie du. Andererseits ist die Botschaft „Ein Leben mit Behinderung ist nicht lebenswert“ auch wieder schwierig, v.a. da Will ja wirklich sehr privilegiert lebt.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Danke für deine Einschätzung! Sowohl was die Vorlagen-Getreuheit betrifft, als auch deine Meinung zu meiner Review. Ich weiß, dass das Buch eine enorme Fangemeinde hat und möchte niemanden verärgern.
      Echt?? Der Gesichtsfasching war gewollt? Naja … letztendlich fand ich sie ja auch sehr sympathisch und habe sehr mit ihr gelitten. Der Gedanke, dass man jemanden liebt, das gerade erst entdeckt, eigentlich auf Wolke sieben schwebt und derjenige sich entscheidet den Tod zu wählen ist unheimlich hart. Da konnte ich die Tränen auch nicht mehr halten. Eine fiese Ohrfeige des Schicksals.

      Dass privilegierte Leben von Will oder generell von betuchten Leuten in solchen Stoffen finde ich sehr schwierig. Die Realität ist weitaus unbarmherziger und mir kommt der Stoff dann meist so vor, als ob er noch was romantisiert oder beschönigt und viele Probleme auslässt.

  2. Ih habe weder den Film noch das Buch gelesen und das wird auch so bleiben, denn ich bin wahrlich kein großer Jojo Moyes Fan… Noch mehr Liebesgeschichten braucht man auf der Welt irgendwie nicht. Selbst wenn es um das Thema Sterbehilfe geht… das Thema ist sehr komplex und obwohl ich es definitiv befürworte zu groß, als dass man es in 90 Minuten abhandeln kann.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Mit dem Thema Sterbehilfe hast du wohl recht – das passt schwer in eine Spielfilmlänge. Hier in dem Film wird es als Ausweg und Lösung dargestellt. In anderen Medien das genaue Gegenteil und das Leben als lebenswert gezeigt. Und egal wie man es dreht und wendet, beschwert sich die eine oder andere Partei und die Wahrheit ist wahrscheinlich irgendwo dazwischen und höchst ‚individuell‘. Andererseits erzählt der Film die Geschichte derer, die sich mit dem Wunsch des Partners konfrontiert sehen, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Und das ist schon hart. Wahrscheinlich das härteste überhaupt neben dem Umstand den Partner langsam sterben zu sehen ohne Sterbehilfe.
      Ob es der beste Liebesfilm ist … das sei mal dahingestellt …

  3. Jap, ich glaube unsere Meinungen decken sich da ganz gut.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hatte ich auch den Eindruck 🙂 *Internet High Five*

  4. Ich finde „Ein ganzes halbes Jahr“ schmerzhafter als eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung:
    https://kinogucker.wordpress.com/2016/06/24/woche-25-ein-ganzes-halbes-jahr-conjuring-2/

  5. […] schön mal wieder im Kino gewesen zu sein. The Neon Demon und Ein ganzes halbes Jahr stand auf dem Plan – die zwei Filme könnten kaum unterschiedlicher sein, haben aber beide […]

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