Ich glaube es war eine Review in der Cinema, die mich auf Isabel Coixet aufmerksam gemacht hat. Darin wurde ‚Eine Karte der Klänge von Tokio‘ besprochen. So wie ich gepolt bin, hat mich das Wort ‚Tokio‘ magisch angezogen. Als in der Review dann betont wurde, dass er von der weiblichen Ausnahme-Regiesseurin Isabel Coixet inszeniert wurde, klingelte es bei mir. Weibliche Regiesseurin. Es ist in Filmfan-Kreisen längst bekannt, dass der Regiesseur-Beruf vorrangig männlich besetzt ist. Die Arbeit der Frauen schätze ich und wollte schon längst mal eine Werkschau mit sieben Filmen einer Regiesseurin an dieser Stelle präsentieren. Aber die üblichen Verdächtigen wie Sofia Coppola hatten beispielsweise noch keine sieben Filme zu verbuchen. Ein Glück, dass ich auf Isabel Coixets Filme aufmerksam wurde. Denn was ich mitgenommen habe aus der Werkschau waren mehr als nur sieben weitere gesehen Filme. Und das Werkschauen machen und über die Filme recherchieren hat mir diesmal zu einer Erkenntnis verholfen, die ich in keinem Artikel über Coixet gelesen, sondern selber bemerkt habe – überraschend oft heißen Charaktere in ihren Filmen Ann und Don. Achtet mal drauf. Also heute: sieben Filme mit dem gemeinsamen Nenner, dass sie von Isabel Coixet gedreht wurden.
Was ich Dir noch nie erzählt habe
In einem von Coixets jüngeren Filmen begegnen wir zahlreichen Personen, die alle miteinander verbunden sind. Im Zentrum der Erzählung steht zum Einen Ann (Lili Taylor). Sie arbeitet in einem Elektrowarenladen und ist ein fröhlicher Mensch. Die Sorte Mensch, die stehen bleibt, um eine weinende Frau im Supermarkt zu fragen, ob sie irgendwas für sie tun kann. Als aber Anns Freund sie aus Prag anruft und mit ihr Schluss macht, kippt ihre kleine Welt. Sie ist verzweifelt und ruft sogar in einer Hotline für verzweifelte Menschen an. Dort arbeitet Don (Andrew McCarthy) aus dem einfachen Grund, dass er lieber dort mit deprimierten Menschen spricht als zuhause alleine deprimiert zu sein. Sie fragt ihn, ob er schon mal geliebt hat und als er ‚Nein‘ antwortet, legt sie auf. Einige Zeit später sehen sie sich wieder und Don verliebt sich sofort in Ann. Ein Happy-End ist nicht unbedingt vorprogrammiert, denn in Ann schwelt noch die Enttäuschung über die Liebe. Unsere beiden Helden sind zudem umzingelt von anderen Menschen, deren Geschichten angerissen wird und die alle miteinander verknüpft sind – aber ohne es zu wissen. Der Zuschauer ist quasi fast allwissend, denn er bekommt einen zaghaften Einblick in alle ihre Leben und entdeckt vieles, was ihre Leben verändern würde, wenn sie sich nur einander mitteilen würden. Der Zuschauer ist wie ein Eingeweihter. Und neben den herrlich menschlichen und unperfekten Charakteren und der melancholischen Stimmung ist diese kleine Entdeckungsreise wahrscheinlich das größte Plus des Films. Ansonsten mangelt es dem Film wegen der kargen Ausstattung manchmal an Atmosphäre. Man kann das aber auch als Authentizität interpretieren, wenn man das möchte 😉 Ein genaueres Auge beim Editing hätte allerdings nicht geschadet. So sieht man beispielsweise wie ein Mikrofon aus der Szene geschwenkt wird, während Don gerade eine Wohnung vorführt.
Was ich Dir noch nie erzählt habe (OT: Cosas que nunca te dije), Spanien/USA, 1996, Isabel Coixet, 93 min, (8/10)
Mein Leben ohne mich
Coixet kann eine Sache gut – traurige Geschichten so erzählen, dass sie einem sogar noch mehrmals ein Lächeln abringen. Kaum ein Film demonstriert das so gut wie Coixets wohl bekanntester Film – das Drama Meine Leben ohne mich. Darin erfährt Ann (Sarah Polley), dass sie Eierstockkrebs hat und nur noch wenige Monate zu leben. Sie kehrt zurück nach Hause in den Wohnwagen in dem sie mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt. Sie nennt sich selbst eine einfache Frau und weiß, dass sie sich einige Wege verbaut hat. Ist schon mit 17 schwanger geworden, hat die Schule nicht beendet und arbeitet als Putzfrau. Aber sie macht das beste daraus und bietet ihren Kindern zwar ein Leben mit wenig, aber ein gutes Leben voll Liebe und Wärme. Und sie will aus den ihr verbleibenden Wochen das beste herausholen. So beginnt Ann eine Liste aufzustellen. Sie möchte eine neue Frisur, einmal mit einem anderen Mann schlafen und eine neue Mutter für ihre Kinder suchen. Ihrer Familie verschweigt sie, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt.
Meine Leben ohne mich ist ein einfühlsames Drama, dass nicht schwer wie Blei ist, sondern eher leicht wie eine Feder. Eine schwere Aufgabe im Angesicht solcher endgültigen Themen wie Tod und Trauer. Denn soviel sei gespoilert: eine Wunderheilung gibt es nicht. Insofern ist der Film so gnadenlos wie das echte Leben und gaukelt uns nicht vor etwas anderes zu sein. Sarah Polley lässt uns spüren wie wertvoll das Leben und die kleinen Momente sind. Der Regen oder das Stück Kuchen. Hat man den Film geschaut, der mit einfachsten Mitteln inszeniert ist, hat man den Eindruck wieder an das erinnert zu werden, was man allzu leicht vergisst. Die Kostbarkeit eines jeden Moments. Zur Authentitität des Films tragen die Charaktere bei, die mit ihren wohldosierten Spleens so natürlich und kantig wirken wie die Gestalten, denen wir tagtäglich begegnen. Beispielsweise der Arzt, der seinen Patienten nicht in die Augen schauen kann oder die Kollegin, die ausschließlich über Diäten spricht (übrigens gespielt von Amanda Plummer). Ein wunderbares Drama, dass nachhaltig im Kopf bleibt und ohne große, bedeutungsschwangere Reden zu schwingen dem Zuschauer viel mit auf den Weg gibt. Kleine Beobachtung am Rande: Scheinbar sind Ann und Don die Lieblingsnamen Coixets, denn in Was ich dir noch nie erzählt habe hießen ihre Hauptcharaktere auch so.
Mein Leben ohne mich (OT: My Life without me), Spanien/Kanada, 2003, Isabel Coixet, 102 min, (9/10)
Das geheime Leben der Worte
Hanna (Sarah Polley) ist gebürtige Jugoslawin und arbeitet in einer Fabrik in Nordirland. Sie ist teilweise taub. Sie hat zwar ein Hörgerät, aber wenn sie die Welt um sich herum nicht hören will, dreht sie es einfach ab. Und sie dreht es oft ab. Eines Tages ruft sie der Chef zu sich. Sie arbeitet zwar emsig, aber die Kollegen beschweren sich über sie. Er will sie nicht kündigen, legt ihr aber nahe Urlaub zu machen. Sie fährt an die englische Nordseeküste, verbringt einsam ihre Zeit. Bis sie ein Gespräch belauscht. Auf der nahe liegenden Bohrinsel wird eine Krankenschwester gesucht, um einen verunglückten Arbeiter zu pflegen bis er transportfähig ist. Sie meldet sich freiwillig und wird auf die Insel gebracht, wo sie ihrem Patienten Josef (Tim Robbins) das erste Mal begegnet. Er hat Verbrennungen und ist vorübergehend blind. Beide kommen anfangs nur mäßig miteinander klar. Der Beginn einer Geschichte über Kommunikation, Barrieren, Schuld und Trauma.
Man denkt, dass Das geheime Leben der Worte einem wie ein Stein im Magen liegt wegen der Schwermütigkeit und Einsamkeit die Hannas Leben ausstrahlt. Karge Wohnung, keine Sozialisierung: Sie geht allem aus dem Weg, lässt nichts an sich heran. Da ist lediglich diese eine kindliche Stimme aus dem Off, die ab und zu über sie spricht, als ob sie sie gut kennen würde. Wer ist das? Hanna selbst? Wir erfahren es. Aber bis dahin passiert viel. Mit dem Zeitpunkt als Hanna auf der Bohrinsel ankommt, entfaltet der Filme eine zaghafte Poesie. So muss sich Hanna zum einen wegen ihrer Herkunft, zum anderen wegen ihrer Hörschwäche den Kommunikationsproblemen stellen. Zum Anderen Josefs bohrenden Fragen. Er versucht sie zu sehen, obwohl er nicht sehen kann. Durch ihn und die anderen einsamen Gestalten der Bohrinsel taut die einsame Hanna auf. Es ist als würde das Unikum dort draußen im Meer, in der Einsamkeit, mit den anderen Gestrandeten, sie irgendwie kurieren. Die Sehnsucht der Angestellten nach ihren weit entfernt wohnenden Familien ist greifbar. Die Bohrinsel als Schauplatz ist spannend und interessant. Man darf die Eingeweide eines Ortes sehen, den die wenigstens von uns jemals betreten werden. Und eine Gans ist da auch noch. Der Schauplatz entwickelt eine rostige, rustikale Magie. Wenn Hanna und der unterschätzte Koch Simon (Javier Cámara) beispielsweise nebeneinander mit dem Blick aus offene Meer schaukeln, dann hat man den Eindruck, dass dort mit den Maschinen auch die Zeit stehen geblieben ist. Vielleicht ist das der Grund, warum sich Josef und Hanna letzten Endes doch noch gegenseitig ihre Geschichten erzählen werden. Ein einfühlsames Drama, das im Moment der Enthüllungen eine ungeahnte Wucht entfesselt.
Das geheime Leben der Worte (OT: La vida secreta de las palabras), Spanien, 2005, Isabel Coixet, 111 min, (9/10)
Elegy oder die Kunst zu lieben
„Schöne Frauen sind unsichtbar“ sagt sein bester Freund zu Kepesh (Ben Kingsley). Damit meint er, dass Männer nur ihre Schönheit sehen, aber nie ihr wirkliches Selbst. Für den inzwischen nicht mehr ganz jungen Kepesh, einen Professor und Literaturkritiker, ist die Liebe bisher eine Illusion gewesen. Er war mit vielen Frauen zusammen, auch einmal verheiratet. Aber er hat alles früher oder später beendet. Als er aber Consuela (Penélope Cruz) kennenlernt, ist alles anders. Er will sie um jeden Preis, er ist fasziniert von ihr. Sie gehen eine Beziehung ein und er erkennt sich nicht mehr wieder. Er fühlt sich rastlos, wenn sie nicht da ist – eifersüchtig und ruhelos. Er macht sich das erste Mal Gedanken um sein Alter und bemerkt: er ist verliebt. Seine Zweifel und Ängste stehen ihnen im Weg. Sein bester Freund (Dennis Hopper) hält die Beziehung sogar für zum Scheitern verurteilt und ist selber ein notorischer Fremdgeher. Wenn schon alle wissen, dass es nicht geht, heißt es dann, dass es nicht geht?
Wer den Film schaut, muss die Liebe an sich faszinierend finden. Ben Kingsleys Kepesh ist ein Beispiel für einen modernen Mann, der hoch gebildet ist, sich aber nicht gänzlich öffnen kann. Obwohl er scheinbar über alle Dinge der Welt Bescheid weiß, weiß er nicht, was es bedeutet trotz aller Umstände für jemanden da zu sein und allen Widerständen zu trotzen. Man mag die Vermutung anstellen, dass dieser hochgebildete Professor die Liebe nicht verstanden hat. Bzw tut er das erst, wenn es zu spät ist. Ein kleiner Hinweis am Rande: der Film heißt Elegy, so wie Elegie – das Klagelied und basiert auf Philip Roths Das sterbende Tier. Letztendlich wird Kepesh und auch der Zuschauer ein weiteres Mal mit der Vergänglichkeit konfrontiert und der Frage: wer ist zum Schluss noch an unserer Seite? Damit ist Elegy ein melancholischer, philosophischer Film über Männer, die moderne und manchmal unromantische Vorstellung von Liebe, Sex und Anziehung. Die Bilder sind großartig, der Ton faszinierend nostalgisch und das wo uns der Film hinführt ein weiteres Mal gnadenlos realistisch.
Elegy oder die Kunst zu lieben (OT: Elegy), USA, 2008, Isabel Coixet, 106 min, (8/10)
Eine Karte der Klänge von Tokio
Ryu (Rinko Kikuchi) arbeitet nachts auf dem Fischmarkt. Nebenbei arbeitet sie als Auftragskillerin. Sie mag Erdbeer-Mochi und möchte lieber jung sterben. Sie trifft sich oft mit einem älteren Mann (Min Tanaka), der ebenso still ist wie sie. Sie können zusammen still sein. Er hegt eine tiefe Bewunderung für sie, auch wenn er nicht weiß, dass die Gräber, die sie besucht, die ihrer Zielobjekte sind. Eines Tages bekommt sie den Auftrag den Weinhändler David (Sergi López) zu eliminieren, aber sie schafft es nicht. Er wirkt wie ein verwundetes Tier im Pelz eines großen, starken Mannes. Er ist zu faszinierend und es ist zu faszinierend, was sie empfindet, wenn sie ihn betrachtet. Hat sie sich verliebt? Kann sie sich verlieben? Eine weitere Geschichte über die Liebe, vielleicht auch wieder eine die keine Zukunft hat wie in vielen Filmen von Coixet. Verlust spielt auch hier eine Rolle – der eine oder andere mag sich fragen, was David angestellt hat, dass ihm jemand nach dem Leben trachtet. Die Antwort gibt bereits der Beginn des Films in dem man Zeuge japanischer Business-Rituale wird bis einer der Manager eine Nachricht erhält, die ihn tief erschüttert. Der Film ist kryptisch und unsere Helden sind schwer zugänglich. Man weiß lange nicht, was man mit diesen wortkargen, stillen und manchmal unsympathischen Leuten anfangen soll. Ryu scheint wenig für Menschen übrig zu haben, David ist ein Lebemann, der im Kopf irgendwo anders ist und der Erzähler ist ebenso rätselhaft. Aber die Anziehung zwischen Ryu und David ist greifbar und erotisch. Unsere Protagonisten sind fast exotischer als Japan, der Schauplatz des Films. Vielleicht ist er etwas zu kryptisch und die Botschaft zu schwer durchschaubar, zu uneindeutig, um den Film vollkommen wertschätzen zu können. Es ist mehr als ob der Zuschauer Fragmente geboten bekommt, was es möglicherweise nicht zu einem Film macht, der der Lieblingsfilm von irgendjemandem werden kann. Dabei sind die Einzelteile allererste Sahne. Die Kulissen (das Hotel), die stark fotografierten Szene wie der Anfall des Managers, die Sehnsucht und glühende Anziehung – auch die wortkargen Charaktere. Und nicht zu vergessen – die stille Poesie die sich bei fast allen von Coixets Filmen gegen Ende entfaltet.
Eine Karte der Klänge von Tokio (OT: Mapa de los sonidos de Tokyo), Spanien, 2009, Isabel Coixet, 103 min, (7/10)
Another Me: Mein zweites Ich
Fay (Sophie Turner) hat den Halt in ihrem Leben verloren. Ihr Vater (Rhys Ifans) ist an Multiple Sklerose erkrankt und die Beziehung zu ihrer Mutter (Claire Forlani) krankt auf andere Weise. Fay vermutet, dass ihre Mutter eine Affäre hat. Fays altes Leben mit überdurchschnittlich glücklichen Eltern ist entrückt, nicht mehr da. Und genauso fremd fühlt sich alles um sie herum an. Dann fangen Nachbarn an ihr zu sagen, dass sie sie neulich erst gesehen hätten – Fay verneint, sie sei nicht da gewesen. Bald schon scheint auch in der Schule eine Doppelgängerin rumzulaufen. Nach und nach scheint jemand ihren Platz einzunehmen. Eine Doppelgängerin? Ein fieses kleines Spiel einer Mitschülerin? Wer ist hinter Fay her?
Zwar ist es schön, dass sich in Coixets Filmografie auch ein Mystery-Film wiederfinden lässt, aber im Gegensatz zu ihren anderen Produktionen fällt Another Me qualitativ in allen Punkten (außer schauspielerische Leistung) stark ab. Die Mittel sind schlecht, es riecht nach low budget – aber auf die unangenehme Weise. Die Effekte sind einfachster Natur und wenn größere special effects oder Stunts erforderlich wären, wird ausgeblendet. Die Charaktere bleiben flach, das Ende kann man mit Leichtigkeit erraten. Die Handlung entspricht einem Standard-Gruselfilm, den es schon zwanzig Mal gegeben hat. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass der Film recht naiv ist, wenn es beispielsweise um das Aufdecken der nächtlichen Aktivitäten von Fays Mutter geht. Zwar sind die Horrorelemente schöne Metaphern auf den wirklich manchmal ziemlich gruseligen Prozess des Erwachsenwerdens und die schwierige und verwirrende Suche nach der eigenen Identität – aber das ist schon zu ausgelutscht, um es noch als Pluspunkt zu erwähnen. Was ist da passiert? Hat ihr ein Studio oder ein Produzent ins Werk gepfuscht? Im Vergleich dazu wirken alle ihre Filme so wertig, so anspruchsvoll, so poetisch. Und Another Me wie ein einfachster Gruselfilm vom Mystery-Reißbrett. Abgesehen vom Abspann, der an Coixet erinnert, gibt es lediglich einen zweiten Hinweis, der die Handschrift der Regiesseurin trägt: Fays Mutter heißt Ann, ihr Vater Don. Vielleicht sind Coixets Ann und Don Etappen einer Beziehung, aufgesplittet auf verschiedene Filme?
Another Me: Mein zweites Ich (OT: Another Me), Spanien/UK, 2013, Isabel Coixet, 86 min, (4/10)
Learning to Drive
Darwan Singh Tur (Ben Kingsley) arbeitet als Taxifahrer und Fahrlehrer. Eines Nachts findet sich auf dem Rücksitz seines Taxis ein Ehepaar wieder, dass streitet. Der Ehemann Ted (Jake Weber) hat gerade seiner Frau Wendy (Patricia Clarkson) erklärt, dass er sie verlassen wird und dass es eine andere gibt. Sie kann es nicht fassen, soviele Jahre Ehe und alles vorbei? Wann hat er diese Entscheidung getroffen? Als sie sich dem Rosenkrieg stellen muss und vor den Scherben ihres bisherigen Lebens steht, führt sie die Entscheidung endlich den Führerschein zu machen zurück zu Darwan, der ihr Fahrlehrer wird. Seine Ratschläge beim Fahren wirken wie gut gemeinte Hinweise für das Leben. Aufmerksam beobachten, nicht soviel aufregen, das Leben respektieren, keine Risiken eingehen und keine Leben aufs Spiel setzen – und tatsächlich lernt Wendy einiges dazu.
Der Kontrast zwischen den beiden könnte kaum größer sein. Beide sind zwa New Yorker, aber Darwan kam als politisch verfolgter Sikh aus Indien in die USA und obwohl er in seiner Heimat Professor war, kann er in den Staaten maximal als Taxifahrer arbeiten und bekommt keinen Fuß in die Tür um seinen alten Beruf auszuüben. Wendy ist eine gut situierte Amerikanerin und Karriere-Frau, die durch ihr Handeln vielleicht ihre Ehe aufs Spiel gesetzt hat. Sie und ihr Mann sind die Ehe aus freien Stücken eingegangen, er hat sie aus freien Stücken beendet. Darwan hingegen bekommt eine Frau durch seine Verwandten vorgeschlagen, die er heiraten will, obwohl er sie gerade erst kennt. Er geht eine arrangierte Ehe ein. Spätestens hier dürfte dem Zschauer klar sein, dass der Film nicht so vorhersehbar endet wie er in der Zusammenfassung klingt. Tatsächlich ist Learning to Drive ein stiller Film, ein Ausschnitt aus dem echten Leben, der unverkitscht, zynisch und manchmal witzig erzählt wie unterschiedlich die Leben sind, obwohl wir uns alle irgendwo in der Mitte treffen und viel voneinander lernen können. Es gibt viele Wege zum Glück. Nur ein bisschen kritischer und kantiger hätte der Film noch sein können. Und das weit verbeitete Motiv als Frau keinen Führerschein machen zu müssen, weil der Mann ja fährt, klingt ziemlich überholt. Über Sinn und Unsinn die Rolle eines Inders mit einem Amerikaner zu besetzen, kann man sich mal wieder streiten und darüber sinnieren, ob das jetzt white washing ist oder der Film eben einen Namen wie Ben Kinsgley auf der Besetzungsliste brauchte.
Learning to Drive – Fahrstunden fürs Leben (OT: Learning to Drive), USA, 2014, Isabel Coixet, 90 min, (7/10)
Persönliche Konflikte, die mit viel Stille oder viel Humor genommen werden. Zutiefst menschliche Helden. Sie sind nicht immer beneidenswert schön, sie sind nicht immer die smartesten – ihre Makel erzählen sie uns meistens in den ersten 10 Minuten. Isabel Coixet hat ein feines Gespür für die persönliche Dramen und für die Schönheit des Lebens in allen Schattierungen- und damit sind keine Hollywood-Schattierungen gemeint, sondern das reale Leben, mal rostig, mal charmant. Und ihrem feinen Blick entgeht nichts. Von den betörenden Szenen in ‚Elegy‘ über die lähmenden Offenbarungen in ‚Das geheime Leben der Worte‘ oder dem entfesselnden Humor des Zufalls in ‚Was ich dir noch nie erzählt habe‘ – sie kann’s einfach, sie überrascht. Vielleicht fällt gerade deswegen ‚Another Me‘ unangenehm andersartig auf. Aber solche Flecken findet man in fast jeder Filmografie und in fast jedem Lebenslauf. Das knifflige ist nur, dass sie Frauen weniger vergeben werden als Männern in diesem Beruf. Nichtsdestotrotz hat sich Isabel Coixet den Ruf als ‚catalan auteur‘ gesichert. Sie ist wie ein Wunderkind – sie kann es alles. Schreibt ihre Drehbücher, dreht und produziert Filme, verleiht allem ihre persönliche Note. Und sie steht über den Dingen. Sie weiß Bescheid über ihre Rolle als Regiesseurin und kennt das verdrehte Frauenbild in der Branche. Sie ist ein seltenes Tier in diesem pailettenbesetzten Biotop und schreibt offen darüber.
„Since I began making films, I estimate that I have received more than 150 scripts from producers from all over the world. From these, 110 of them […] have protagonists (rather, co-stars, since women rarely are the driving force of the plot) that are young, thin, and beautiful women with immaculate nails, groaning with tense neck muscles and bathed in sweat, eating ice cream 20 seconds after having sex.“ Isabel Coixet, harpersbazaar.com, 27. Juni 2016
Aber sie ist nicht nachtragend und geht mit gutem Beispiel voran. Zwar erzählt sie überdurchschnittlich oft die Geschichten von Frauen, hat aber auch männliche Helden und erzählt sehr international und über die Grenzen hinweg. Ihre Geschichten spielen in Nordirland, in den USA, in Spanien. Diversity at its best. Und ihr nächster Film heißt ‚The Bookshop‘. Wie kann man sie nicht mögen? Kennt ihr ihre Filme?
„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen zu meinem bestimmten Thema – eine Mini-Werkschau. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.
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