Ich war geschockt, als ich vor Kurzem erfahren habe, dass es eine Hercule-Poirot-Serie gibt, die schon mehrere Staffeln umfasst. Wie konnte das an mir vorbeigehen? Ich bin ein großer Fan von Krimis und Detektivgeschichten, insbesondere von denen, die der Hauch von Historic Fiction umweht wie beispielsweise Sherlock Holmes, Miss Marple und eben Hercule Poirot. Auch Peter Ustinov als Hercule Poirot habe ich gerne geschaut, allerdings nur in ‚Tod auf dem Nil‘ gesehen. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass Kenneth Branagh in die Rolle des Detektivs schlüpft und sich des Stoffes auch als Regisseur annimmt. Denn mit historischen Settings kennt er sich ja nun wirklich aus. Der Trailer war auch nicht unbedingt bescheiden und hat die Messlatte hoch angelegt. Besprechung ist spoilerfrei.
Der weltberühmte Detektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) hat gerade erst einen Fall in Jerusalem gelöst und fährt mit dem Orient Express in den wohlverdienten Urlaub, da ereignet sich im Zug ein Mord. Da der Zug durch eine Schneelawine in unwegsamen Gelände feststeckt, liegt schnell auf der Hand: der Mörder vor vorher schon an Bord und ist es immer noch. Poirot nimmt sich des Falles an, um den Mörder noch zu fassen, bevor sie weiterfahren müssen. Auswahl hat er: fast jeder im Zug hatte eine Auseinandersetzung mit dem Opfer oder hat irgendetwas zu verbergen. Sei es der Kollege des Opfers, MacQueen (Josh Gad), der mit seinem Chef nur minder glücklich war. Die russische Prinzessin Dragomiroff (Judi Dench) oder die Witwe Mrs. Hubbard (Michelle Pfeiffer), die mit dem Ermordeten kurz vorher noch ein Zerwürfnis hatte. Die Gouvernante Mary Debenham (Daisy Ridley) versucht derweil ein Geheimnis zu verbergen, dass sie mit Arzt Dr. Arbuthnot (Leslie Odom Jr.) verbindet. Graf Andrenyi (Sergei Polunin) fällt derweil durch seine ständige Gereiztheit und Impulsivität auf, während die Missionarin Miss Estravados (Penélope Cruz) auffällig oft von Sünden spricht. Wer die Wahl hat …
Kenneth Branagh ist der Mann für Kostüm-Stoffe, Shakespeare und literarische Verfilmungen (und für Thor). Nun nahm er sich Agatha Christies klassischen Whodunits an und verschreibt der Geschichte eine Frischzellenkur, die an Guy Ritchies Sherloch Holmes Filme erinnert. Poirot ist hier sichtlich erschlankt im Gegensatz zu anderen Verfilmungen, geht schon Mal auf Verfolgungsjagd und stürzt sich in den Kampf. Wenn auch nicht in Faustkämpfe. Man mag sich darüber streiten, ob die Neonreklamen-lookalike Schriftzüge im Trailer, Ab- und Vorspann passen, aber die ach so modernen Elemente sind noch so sparsam eingesetzt, dass Poirot dankbarerweise trotz des Aufmotzens der Handlung und Figur nicht zu einem Superheld geworden ist, sondern immer noch Detektiv sein darf. Der Fokus liegt immer noch auf dem Wortwitz, dem Schlussfolgern und dem einen oder anderen süffisanten Kommentar. Der Rest ist ein großartig ausgeschmückter Kostümfilm, der auf engstem Raum gedreht ist und einen den Zug cinematografisch spüren lässt. Die Enge des Raums auf dem ein Mitfahrer ermordet wurde, wird mehrmals stilistisch großartig eingefangen. Sei es in der Kamera von der Decke, die die Enge des Raums wiedergibt oder die menschenfeindliche Außenwelt, die nicht gerade zur Flucht aus der Enge einlädt. Man sitzt sprichwörtlich in der Falle.
„Mord im Orient Express | Trailer | German Deutsch HD (2017)“, via FoxKino (Youtube)
Die Schwächen der Handlung erbt der Film von dem typischen Stil der Detektivkrimis zu Zeiten von Agatha Christie und Sir Arthur Conan Doyle. Während man die ganze Zeit Fakten sammelt, kommt erst gegen Ende der Detektiv mit der Lösung um die Ecke und präsentiert dem staunenden Publikum (und den hier zahlreichen Verdächtigen) die Herleitung seiner Vermutung. Gerne auch mit doppeltem Boden und dramatischer Kehrtwende, obwohl er ein paar Stunden vorher noch dramatisch in seinem Kämmerlein verkundet hat, die Lösung nicht zu kenne. Vielleicht meinte er allerdings auch, dass er nicht weiß wie er mit dem moralischen Dilemma umgehen soll? Das kann konstruiert wirken – es sei denn man hat genug solcher Romane gelesen. 😉 Allerdings minimiert er auch eines der größeren Kritikpunkte an den Büchern – nämlich den zart eingestreuten Rassismus und die Stereotypen. Zumindest Poirot darf hier Neutralität und Weltoffenheit demonstrieren. Die Komik und seine Spleens mit denen er Monk alle Ehre macht, lockern den Film auf und machen ihn zu einem perfekt abgeschmeckten Gebräu aus Komik, Krimi und Noir mit gekonnten Schauwerten. Sowohl das Feuer im Zug als auch der wenig einladende Schnee und Eiswind außerhalb des Zugs sorgen für die hermetische Enge der Situation. Quel dilemme! möchte man da rufen. Branagh ordnet im großen Finale seine Verdächtigen im Stile von DaVinci Das Abendmahl an. Doch die Auflösung wer hier der Judas ist, kommt überraschend und belehrt letzten Endes selbst den Detektiv eines Besseren: manchmal gibt es im Leben eben nicht nur gut oder böse.
Mord im Orient-Express (OT: Murder on the Orient Express), USA/UK, 2017, Kenneth Branagh, 114 min, (8/10)
Ich denke nach dem Film, werde ich jetzt immer mal wieder französische Wörter in meine Sätze streuen. Einfach weil ich es kann und es bei Poirot so herrlich süffisant wirkte. Über die angedeutete Wiederkehr Poirots wäre ich sehr glücklich, denn ich mag die Figur sehr gerne. Wie stehts bei euch um klassische Detektiv-Geschichten? Und wie empfindet ihr das auf modern getrimmte Gewand? Ich muss ja gestehen, dass mich der Trailer sehr angefixt hat, obwohl man mich beispielsweise mit dem Song von Imagine Dragons jagen kann.
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