Russischer Herbst: Film-Besprechung „Panzerkreuzer Potemkin“

Als ich das erste Mal hörte, dass „Panzerkreuzer Potemkin“ ein frühes Filmmeisterwerk ist, ignorierte ich das erstmal. Meine pazifistische Grundeinstellung ist zu stark – allem, was nach Krieg klingt, widme ich eher nicht meine Zeit. Talk to the hand. Aber dann diese cineastische Neugier. Dann las ich Paul Austers 4 3 2 1, in dem unseren jungen Protagonisten die berühmte Treppen-Szene schwer beschäftigte. Und das blieb wegen seiner Schilderungen hängen. Vielleicht doch schauen? Vielleicht doch schauen.

„The sailors refused to eat the borscht!“

Im Grunde war es Quark den (sowieso falsch übersetzten) Titel Panzerkreuzer Potemkin mit Krieg zu assoziieren. Das heißt aber nicht, dass es keine Verletzten oder Tote gibt. Und dann ist da noch die ungute Gewissheit, dass der Film auf wahren Begebenheiten beruht. Es beginnt erst einmal mit Männern und Maden. So der Titel des ersten von insgesamt fünf Kapiteln, in die der Stummfilm unterteilt ist. Die Besatzung der Potemkin, einem Schiff der russischen Marine, fühlt sich durch ihre zaristischen Kommandeure schlecht behandelt. Als dann noch Fleisch verarbeitet und gegessen werden soll, auf dem Maden rumkriechen, scheint der Bogen überspannt. Es kommt zu einer handfesten Meuterei, die Opfer fordert. Aber als die Potemkin das nächste mal anlegt, kommt es zu einer überdeutlichen Reaktion der zarentreuen Garden.

„Battleship Potemkin Trailer 2011 HD Official“, via chatsdeamerica (Youtube)

Propaganda?

Aber hallo – sowas von Propaganda. Propaganda lässt sich oftmals am Mangel von alternativen Sichtweisen erkennen, klarem Schwarz-Weiß-Denken und einer glorifizierenden bis verklärenden Haltung der Seite gegenüber, die man hier als die Aufrechten verkaufen will. Bei krasser Propaganda wird dafür auch gern mal geschwindelt bis die lange Nase abfällt, es kommt zu übersteigerten Reaktionen und nicht selten sind die Charaktere fast karikaturesk. Hier ist die Propaganda unter Umständen sehr schwer zu erkennen und vielleicht sogar überhaupt nur zu erahnen, wenn man sich mit der russischen Geschichte auseinandergesetzt hat. Das bedeutet: sie haben es schlau angestellt. Wenn man sieht wie die Besatzung madenverseuchtes Fleisch vorgesetzt bekommt und von den ignoranten Kommandeuren wie niedere Menschen behandelt wird, dann greift der Moralkompass. Wenn dann aber der Pathos dazukommt, dann riecht man etwas Lunte. Wenn die Matrosen einander nicht wie von den fiesen Kommandeuren befohlen abknallen, sondern erkennen, dass sie in einem Boot sitzen (schlechtes Wortspiel, ha) und auf einer Seite stehen und dabei „Brüder!“ ausrufen, dann wirkt das schon arg gewollt und mit stolz geschwellter Brust vorgetragen. Der Moralkompass wird eben sehr effektiv getriggert. Einigkeit mit den Unterdrückten wird herausgefordert und inszeniert. Zuerst sind es die treu dienenden und hart arbeitenden, die als Opfer dargestellt werden -später Schwache, Kranke, Frauen, Kinder, die beim Massaker an der Hafentreppe in Odessa herhalten müssen.

Tatsächlich beruht der Film auf wahren Begebenheiten – in doppeltem Sinne. Die Meuterei und das anschließende Massaker gab es wirklich, genauso wie die Potemkin. Im „Revolutionsjahr 1905“, gab es zahlreiche solcher Vorfälle, die dem Zaren einen Vorgeschmack auf den Wandel in der Gesellschaft gaben. Sergei Eisensteins Film erschien 1925 zur Feier des Jubiläums der Revolution. Der Film soll quasi daran erinnern wie elitär und brutal die Zaren regierten und andere unterwarfen und wie schlecht ihre dienende Bevölkerung behandelte. In dieser Denke stellen die Bolschewiki wohl die Lösung dar. Und das ist verdammt effektiv inszenierte Propaganda.

Ein filmischer Meilenstein?

Wenn man sich über den russischen Film beliest, dann taucht Sergei Eisenstein und sein Panzerkreuzer Potemkin oftmals noch vor Tarkowski und Stalker auf. Und wenn man sieht wie er mit dem Stumm- und Schwarzweißfilm Panzerkreuzer Potemkin alleine durch kluge Montage (Schnitttechnik) Emotion und Bedeutung erzeugt, dann wundert das wenig. Er schafft ikonische Momente, wenn beispielsweise die rote Flagge gehisst wird. Ein farbiger Kniff, auf den man in dem Schwarzweißfilm von 1925 gar nicht vorbereitet ist. Und erzeugt ein wirklich blühendes Bild der Unterdrückung und brutalen Willkür, wenn die bewaffneten Garden die Zivilisten die Treppe in Odessa hinunterjagen und zahlreiche Opfer hinterlassen oder sich die Matrosen verbrüdern. In diesen brutalen Situationen wird alleine durch die gewählten Szene und Aneinanderreihung der Schnitte eine Intensität und Bedrohung erzeugt, die wohl kein Film aus Anfängen des Filmzeitalters so erzeugt. Eine Schnittabfolge, die mir wegen der inszenierten Bedeutung fast noch mehr im Gedächtnis bleiben wird ist die Bombardierung des Theaters von Odessa. Die Bilder wechseln sich stakkato-artig mit denen von Löwenstatuen ab, die den Eindruck gewinnen lassen, dass da eine starke Kraft geweckt, verärgert, verletzt, erstaunt wurde. Nachfolgend ein sehr cooles Video, das Eisensteins Montagetechniken erläutert und u.a. auch auf den Kuleshov Effekt und die Moskauer Filmschule eingeht, an der Eisenstein später unterrichtete.

„1925: How Sergei Eisenstein Used Montage To Film The Unfilmable“, via One Hundred Years of Cinema (Youtube)

Eisenstein muss ein phänomenal kluger Kopf gewesen sein. Irgendwie bleibt da ein fader Beigeschmack, wenn ein fast hundert Jahre alter Film einerseits als Meisterwerk erkannt wird, andererseits als Propaganda. Es gibt vieles, dass mich an dem Film aufmerksam werden ließ, das ich genial inszeniert fand oder mich gerührt hat. Ebenso gab es auch unfreiwillig komische Momente – ich denke da an den weinenden Matrosen relativ am Anfang des Films. Und es gab bedrückende, verstörende, brutale wie die Treppen-Szene. Allein wegen der Handlung wäre Panzerkreuzer Potemkin aber kein Film, den ich schauen oder weiterempfehlen würde. Alleine schon, weil es Propaganda ist und nur mit ausreichend Vorwissen Sinn macht. Frappierend bleibt aber wie gut der Film dramaturgisch funktioniert, wie intelligent er gemacht ist – auch wenn das unter dem Label Propaganda einen faden Beigeschmack bekommt. Es ist offensichtlich (trotzdem) großes Kino.

Panzerkreuzer Potemkin (OT: Броненосец Потёмкин), Sowjetunion, 1925, Sergei Eisenstein, 70 min (restauriert), (8/10)

Sternchen-8

Bisherige Artikel der Beitragsreihe

I: Ankündigung
II: Sachbuch-Besprechung zu „Russische Geschichte“ von Andreas Kappeler
III: Hörbuch-Besprechungen zu Sergei Lukjanenkos Wächter-Reihe Band 1 „Wächter der Nacht“
IV: Fjodor Dostojewskij „Der Spieler“
V: Natascha Wodin „Sie kam aus Mariupol“
VI: Michail Bulgakow „Der Meister und Margarita“
VII: Serhij Zhadan „Internat“
VIII: Serien-Besprechung „The Romanoffs“
IX: Film-Besprechung „Stalker“ (Andrei Tarkowski)
X: Vladimir Sorokin „Der Schneesturm“
XI: Fjodor Dostojewskij „Verbrechen und Strafe“

Header image photo credit: Vyacheslav Argenberg

Schon seltsam Propaganda und Meilenstein in einem Atemzug zu sagen. Gibt es Filme oder Bücher bei denen euch das ähnlich geht? Habt ihr „Panzerkreuzer Potemkin“ vielleicht sogar gesehen? Und was sind eure Gedanken zu Eisensteins Film?

Eine Antwort

  1. Wenn man ‚irgendwas mit Medien‘ studiert hat, kommt man an diesem Film nicht vorbei. Erzählerisch (insbesondere die Figuren betreffend) wahrscheinlich wenig interessant. Aber filmtechnisch eine unermessliche Fundgrube…

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