Neulich auf der Nippon Connection 2020 … Filmbesprechungen zu „The Journalist“ & „Forgiven Children“

Bis jetzt habe ich in den Besprechungen gern als Ankerpunkt die Kategorien des japanischen Filmfests herangezogen. „Forgiven Children“ lief in „Nippon Visions“ zusammen mit anderen Produktionen, die eher „indie“ sind. „The Journalist“ lief unter „Nippon Cinema“ und war in Japan ein erfolgreicher Kinofilm. Der für mich gemeinsame Nenner der Beiden sind aber ihre umstrittenen Themen: Mobbing und investigativer Journalismus. Besprechungen sind spoilerfrei.

The Journalist

The Journalist basiert auf dem gleichnamigen Buch der japanischen Journalistin Isoko Mochizuki, in der sie u.a. über ihre Zusammenarbeit mit Kisha-Clubs (japanischen Presse-Clubs) schreibt. Mochizuki fordert wie wenige andere Journalisten das japanische Hand-in-Hand-Verhältnis von Presse und Politik heraus, indem sie weiter und weiter unbequeme Fragen stellt, während andere sich gemäß japanischer Höflichkeit schon zurückgezogen hätten. Es ist in Japan durchaus üblich, dass die Presse in ihre Berichterstattung v.A. einfließen lässt, was ihnen der Presseclub zuspielt, der wiederum mit den politischen Gremien Organisation, etc zusammenarbeit – also quasi die PR-Abteilung. Der Film The Journalist demonstriert in abgewandelter Form wie die junge Journalistin Erika Yoshioka (Eun-kyung Shim) und der Beamte Takumi Sugihara (Tôri Matsuzaka) das System herausfordern.


„The Journalist // Trailer“, via NipponConnectionTV (Youtube)

Natürlich greift der Film dabei einige Fälle auf an denen Mochizuki dran war, in deren Anliegen sie sich zumindest engagierte oder in ihrem Buch aufgriff. Besonders im Fokus steht neben Vertuschungsversuchen der Politik ein Whistle-Blower, der Erika sensible Informationen zukommen lässt. Damit geht leider auch die (nicht nur japanische) Mentalität einher für öffentliche Verunglimpfungen, Schande und Fehlentscheidungen einen Sündenbock an den Pranger zu stellen. Der Film wirft die Frage auf wie lange man mit seinen Entscheidungen leben kann und Gewissen ist wohl das Schlagwort. Bis dahin nimmt sich der Film Zeit und entwickelt so seine volle Wirkung und Brisanz erst in der zweiten Hälfte. Er brilliert darin zu zeigen wie schwer es ist sich gegen ein ganzes System zu stellen, wenn man etwas zu verlieren hat an dem Beamten Sugihara. Die bereits leiderprobte Journalistin Erika hingegen kämpft scheinbar gegen die gesamte Öffentlichkeit, wenn sie abends frenetisch vor ihrem Rechner sitzt und Tweets absetzt in der Hoffnung irgendein Umdenken zu erreichen.

The Journalist ist aufrüttelnd, aber auch ein Slow-Burner und erfordert deswegen Geduld. Abstrus ist wie die Beamten dargestellt werden – immer in einem dunkelblau ausgeleuchtet/nachbelichteten, schummrigen Büro. Mit gleichförmigen dunkelblauen Korridoren, duster … das mag nicht zum Rest des Films passen und so stark muss man den Zuschauer auch wirklich nicht an die Hand nehmen. Man versteht auch so, dass hier die dubiose Polit-Magic abläuft. Auch das Ende des Films ist etwas streitbar überdramatisiert. Wer mehr über Journalismus in Japan erfahren will, dem oder der empfehle ich den verlinkten Artikel auf Tanuki Republic und den Dokumentarfilm i – Documentary of the Journalist von Tatsuya Mori, bei dem der Regisseur Mochizuki begleitet und der direkt einige Fälle politischer Korruption und Behinderung der Presse dokumentiert, die auch in The Journalist aufgegriffen werden. U.a. den Fall Shiori Itōs, die von einer Person des öffentlichen Lebens vergewaltigt wurde und deren Klage bzw Strafverfahren zwischenzeitlich trotz eindeutiger Beweislage einfach eingestellt wurde.

The Journalist (OT: 新聞記者 „Shimbunkisha“), Japan, 2019, Michihito Fujii, 113 min, (8/10)

Sternchen-8

Forgiven Children

Er dachte wohl, dass er damit davonkommt. Aber dann haben seine eigenen Freunde gequatscht. Kira (Yu Uemura) und seine Kumpels haben ihren Mitschüler Itsuki (Abe Takuya) dazu angestiftet ihm eine Armbrust zu bauen. Aus ein paar Spielereien und Schießübungen wird blutiger ernst, als Kira auf einen seiner Kumpels zielt und sich kurzerhand Itsuki dazwischen stellt und das Geschoss abbekommt. Überfordert von der Situation flüchten die anderen Jungs und Itsuki verblutet infolge der Verletzung jämmerlich. Kira wird überführt, übt sich im Leugnen und wird mangels Beweisen nicht verurteilt. Itsukis Eltern sind entsetzt. Was folgt ist eine Medienhetze, der Kampf der Eltern um Normalität und Kiras kurzer Ausflug in eine Welt, wo er vom Täter zum Opfer wird.

Oder viel mehr vom Opfer zum Täter zum Opfer zum Täter usw. Denn in Eisuke Naitos Film wird ebenso gezeigt, dass Kira als Kind selbst Opfer von üblem Mobbing wurde, aufgrund dessen er immer noch eine Narbe im Gesicht trägt. Das hat ihn nicht davon abgehalten selber ein Mobber zu werden. Vielleicht als Gegenreaktion oder Höhenflug, fühlte sich Kira nun als der Stärkere in der Nahrungskette. Moralkompass? Keine Spur. Auch nachdem er Itsukis Tod verschuldet hat, ist bei dem Teenager keine Reflektion der Geschehnisse erkennbar. Viel mehr reagiert er mit noch mehr Abstoßung und Wut auf seine Umwelt, die ihn nun bestraft. Twitter läuft über, sein Elternhaus wird verunstaltet, seine Eltern gefeuert, er muss die Schule wechseln – die Reihe setzt sich fort. Und wenn die Nachrichten ihn einholen, dann geht das Spiel von vorne los. Genug Strafe? Mal zur Vernunft kommen? Man denkt kurzzeitig, dass es bei dem Jungen gefruchtet hätte, als er sich auf einer neuen Schule mit der stets von ihren Mitschülerinnen tyrannisierten Momoko (Nagura Yukino) anfreundet.


„Forgiven Children // Trailer“, via NipponConnectionTV (Youtube)

Leider gelingt das nicht so ganz. Der Film will viel zu viel und zeigt dafür wenig Introspektion. Wir können uns die Grausamkeiten der Mobber über zwei Stunden lang anschauen. Dazu die Suche nach Schlupflöchern und Tricksereien im Rechtssystem, die einen Mörder entkommen lassen. Außerdem die Omnipräsenz sozialer Netze und selbsternannter Vergelter. Aber nur, weil der Inhalt schonungslos und aufrüttelnd ist, heißt das noch lange nicht, dass er sein Ziel erfüllt. Es ist keine gerade Linie zu erkennen. Es mag sein, dass das Leben selten klare Grenzen zieht und es auf manche Themen keine einfachen Antworten gibt, aber der Film verliert sich zwischen Widersprüchen. Im einen Moment Realismus, im nächsten gnadenlose überzogene, karikatureske Charaktere. Im Einen Moment lange Charaktermomente und Entwicklung, im nächsten sprunghafter Wechsel. Er spricht viele aufrüttelnde Themen an. So beispielsweise die von Mobber wie gemobbten ketzerisch selber formulierte Frage, ob die Schuld nur beim Täter, sondern auch beim Opfer liegt. Bemerkenswert ist, dass nicht nur Kiras Haus verwüstet wird, sondern auch dass der Familie des Opfers. Auch der Widerspruch Kiras zwischen im einen Moment einen Mitschüler töten, im nächsten mit den Eltern freudestrahlend kitschige Songs beim Karaoke singen, lässt den Zuschauer fassungslos den Kopf schütteln. Damit hat er der Film offenkundig eine Reaktion hervorgerufen und das effektiv und in pointierten Bildern, aber was wollte uns der Autor damit doch gleich sagen?

Forgiven Children (OT: 許された子どもたち „Yurusareta kodomotachi“), Japan, 2020, Eisuke Naito, 131 min, (6/10)

Sternchen-6

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Hui, das waren wohl zwei der Filme mit den polarisierenderen Themen des japanischen Filmfestivals. Habt ihr sie gesehen? Welche „Journalistenfilme“ und Filme zum Thema Mobbing haltet ihr für sehr sehenswert? Anzunehmen, dass weder das eine noch das andere leichte Kost ist. Aber Filme sind seit jeher ein gutes Medium um aufmerksam zu machen, eine breite Masse zu erreichen und aufzurütteln.

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