Vor Kurzem fanden sich einige Bloggerkollegen/-freunde und ich zu einer Leserunde zu Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“ #aufDerNautilus zusammen. Viel mehr noch als der eigentliche Protagonist von Jules Vernes Roman, steht dort aber Kapitän Nemo im Scheinwerferlicht. Der enigmatische Antiheld oder gar Antagonist wurde oftmals in anderen Medien adaptiert – auch teilweise im anderen Kontext als dem von Jules Vernes Roman. Deshalb widme ich mich heute Kapitän Nemo in Schrift und Bild; in Romanadaption, Comicverfilmung und Anime.
Film: „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“
Im Jahr 1899 geht ein Phantom um in Europa – und so nennt sich der Superschurke tatsächlich auch. Nach seinen folgenschweren Anschlägen beschuldigt jedes Land das andere. Europa gleicht einem Pulverfass und ein Weltkrieg scheint nicht weit zu sein. Da lässt der mysteriöse „M“ (Richard Roxburgh) nach dem Abenteurer und Jäger Allan Quartermain (Sean Connery) schicken und bittet ihn, sich der Liga der außergewöhnlichen Gentlemen anzuschließen und das Phantom zu schnappen. Quartermain willigt ein und stößt auf die anderen Gentlemen und Ladies – darunter u.a. die Vampirin Mina Harker (Peta Wilson), Dr Jekyll/Mr Hyde (Jason Flemyng), der Unsichtbare (Tony Curran) und Kapitän Nemo (Naseeruddin Shah).
„Nasruddin Shaha shipNautilus, the sword of ocean“, via EXTREME CLIPS (Youtube)
Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen basiert auf der gleichnamigen Comicreihe von Alan Moore und Kevin O’Neill und ist ein solider Actionfilm mit Superheldenfeeling. Anfang der 2000er bediente er sich im Grunde schon derselben Formel wie später der erste Avengers-Film. 😉 Auch hier treffen Individuen mit unterschiedlichsten Konstitutionen und Fähigkeiten aufeinander, sind sich anfangs nicht ganz grün und lernen zugunsten eines höheren Zieles zusammenzuarbeiten. Ich habe den Film als Teenager geliebt, v.A. den Aspekt, dass hier soviele Charaktere fantastischer Literatur zusammentreffen. Der Film ist rückblickend erstaunlich gut gealtert. Lediglich an einigen Bombast-Actionszenen in Verbindung mit CGI muss man über verwaschene Effekte hinwegsehen.
Wo die Geschichte gut beginnt, wird sie nach hinten raus ein Stück weit hanebüchener, macht aber insgesamt doch irgendwie Spaß. Das Design der Nautilus ist fantastisch gelungen – sie wird wohl bis heute meine „Lieblings-Nautilus“ bleiben, auch wenn sie schon ziemlich protzig ist. Nemo ist hier offenbar ein geläuterter Mann, der bereit ist mit anderen zusammenzuarbeiten und freiwillig an Land geht. Er betet die Göttin Khali an, die in dem Film (ein bisschen sehr banal einfach „nur“) als Göttin des Todes bezeichnet wird. Das und sein Look geben hier ein paar dezente Hinweise auf seine Abstammung und seine Vergangenheit. Interessanterweise als einzige mit bekannte Adaption. Nemo ist hier ein zugänglicher Charakter, der vielleicht seine Rache schon bekommen hat und seine Fehler einsieht? Zumindest denkt er nicht dran die Nautilus zu verstecken oder die Liga einzusperren 😉
Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen (OT: The League of Extraordinary Gentlemen), USA, 2003, Stephen Norrington, 106 min, (7/10)
Animeserie: „Die Macht des Zaubersteins“
Wer Angst vor Spoilern hat, folge mir bitte hierhin zu einer spoilerfreien Besprechung, da ich nachfolgend einige der spannenderen Enthüllungen des Anime vorweg. Die Animeserie aus dem Jahr 1990 ist einer meiner Kindheitslieblinge. Wie habe ich die Serie geliebt! Niemand geringeres als Hideaki Anno führte bei Die Macht des Zaubersteins (im Original ふしぎの海のナディア „Fushigi no Umi no Nadia“, dt. „Nadia vom Meer der Wunder“) Regie, damals noch als Produktion des Studio GAINAX. Der Anime handelt nicht vordergründig von Kapitän Nemo, sondern von den Kindern Jean und Nadia, die auf der Flucht vor Gangstern schiffbrüchig werden und an Bord der Nautilus Zuflucht finden. Nadia ist eine Waise und als der wortkarge Nemo ihr das erste Mal begegnet, ist schon klar, dass er mehr über das Kind weiß, als er anfangs zugibt.
Es dauert fast die Hälfte der Serie bis dann klar ist, dass Nadia Nemos Tochter ist. Im Roman 20.000 Meilen unter dem Meer bekommt man gerade mal mit, dass Nemo einst eine Familie hatte und diese nun rächen will. In Jules Vernes Die geheimnisvolle Insel erfährt man später u.a. warum seine Familie starb und dass er gebürtiger Inder ist. Hier im Anime bleiben seine Charakterzüge gleich und nebenbei gesagt großartig getroffen. Er ist ein getriebener, der unpopuläre Entscheidungen trifft und Menschenleben auf’s Spiel setzt, wenn es seinen Zwecken dient. Aber er ist sympathischer skizziert als im Buch, denn er tut dies mit einer stillen Bitterkeit.
„Nadia: The Secret of Blue Water – Opening [HD Remastered]“, via kakihara0 (Youtube)
Im Anime ist es übrigens keine Geheimsprache der Crew, die Nemo und die anderen sprechen, sondern die Sprache der Atlanter. Denn anders als im Buch ist Nemo kein Inder, sondern niemand geringeres als der König des einst untergegangenen Atlantis. Hier schließt sich der Kreis, denn im Buch hat Nemo das untergegangene Atlantis zumindest entdeckt. Viel gewollt, aber ist das auch gelungen? Sehr gut sogar. Zwar hat der Anime so seine Probleme, das sind doch aber andere. Das Konzept der königlichen Familie, die ihr Land und eine ganze Bevölkerung verloren hat und auf Rache sinnt ist sogar sehr stark im Sinne der Vorlage, aber wohl eher nicht im Sinne Jules Vernes, der ganz konkrete politische Spannungen adressieren wollte.
Die pazifistische Nadia steht im starken Kontrast zu diesem Nemo und fordert ihren Vater moralisch heraus. Hinzu kommt eine Note, die nicht mal der Roman verfolgt: der verantwortungsbewusste Umgang mit Technologie, denn Atlantis ist wegen des Größenwahns einzelner untergegangen. Man braucht stellenweise etwas Atem für den Anime, der viele unnötige Filler-Episoden hat und nicht gerade schnell zu Potte kommt, was die Hintergründe von Nadias und Nemos Herkunft betrifft. Aber die hier gewählte Verbindung zwischen Nemo und Atlantis ist meiner Meinung nach unglaublich gut gelungen und ein sehr schöner Sci-Fi-Ansatz.
Film: „20.000 Meilen unter dem Meer“ (1954)
Wenn man all das, was in den Bücher passiert, in einen einzigen Spielfilm pressen will, dann muss man Abstriche machen. Trotzdem ist das Richard Fleischer mit Earl Feltons 1954 adaptiertem Drehbuch ganz gut gelungen. Der Film widmet sich der grundlegenden Handlung um Aronnax (Paul Lukas), Conseil (Peter Lorre) und Ned Land (Kirk Douglas), die schiffbrüchig sind und von der Nautilus und ihrem mysteriösen Kapitän Nemo (James Mason) aufgesammelt werden. Sie kommen sich zunehmend wie Gefangene vor und sind mit Nemos Rachefeldzug nicht einverstanden wie auch dem Umstand, dass er seine wissenschaftlichen Errungenschaften vor der Welt verbergen will.
Anders als das Buch aber ist der Film, der aus dem Hause Walt Disney stammt doch etwas mainstreamiger, bildet populäre Meinungen ab und streut v.A. anhand Kirk Douglas‘ Darstellung von Ned Land mehr Comic-Relief ein. Ned Land ist hier ein toller Haudegen, der schon gerne mal ein Liedchen schmettert und den anderen Charakteren mit seiner Omnipräsenz fast die Show stielt. So fühlt sich dieses 20.000 Meilen unter dem Meer trotz ganz ähnlicher Zutaten und einem bekannten Aufbau ziemlich anders an. V.A. familienfreundlicher und angepasster.
„20.000 Meilen unter dem Meer (Original US-Trailer)“, via Phantastische Klassiker (Youtube)
Ist aber Nemo auch so angepasst? James Masons Nemo trifft den aus dem Buch relativ genau kann man sagen. Natürlich fehlt viel Handlung allgemein, aber seine Charakterzüge kommen rüber. Um Nemo aber für den Zuschauer greifbarer zu machen hat man seine Leidensgeschichte ausgepackt, die ja das Buch sogar verschweigt und erst im Roman Die geheimnisvolle Insel wird verraten, was ihm so furchtbares widerfahren ist, dass er nun die Menschen hasst. Die Formel geht schon auf kann man sagen.
Der Film ist eben in seiner Botschaft deutlich weniger gritty. Klare Sache, dass er trotz des etwas kleineren Reibungs- und Diskussionspotentials und mangelnder Anzahl an nautischer Abenteuer trotzdem ein (vergessener?) Kultfilm von Walt Disney Productions geworden ist. Immerhin wartet er mit einem ordentlichen Trickfeuerwerk auf, dafür dass er 1954 die Kinos enterte. Nebenbei war er der erste Film mit CinemaScope Technologie. Im Grund ist der gar nicht schlecht gealtert! Nur einen vernünftigen Trailer findet man nicht …
20.000 Meilen unter dem Meer (OT: 20,000 Leagues Under the Sea), USA, 1954, Richard Fleischer, 122 min, (7/10)
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Das war drei Mal Nemo in unterschiedlichen Adaptionen – welche kennt ihr noch? Habt ihr vielleicht die hier gelisteten gesehen? Und wie haben die euch gefallen? Welcher Nemo aus irgendeiner Adaption trifft eurer Meinung nach die Version von Jules Verne am ehesten? Und ist das auch euer „Lieblings-Nemo“? Ich spiele mit dem Gedanken jetzt noch die Willy-Fog-Serie zu schauen XD Wer weiß …
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