Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Suspiria (2018)“

Luca Guadagnino ist für mich sowas wie der Regisseur des Jahres. Zumindest habe ich ihn für mich dieses Jahr entdeckt. Wie sehr viele Hobby-Cineasten sicherlich durch Call me by your Name, der dieses Jahr auch den einen oder anderen Oscar kassierte. Viel mehr aber noch durch I am Love, das mich sehr bewegt hat und in nahezu allen Facetten „Empfindungskino“ definiert, aber weniger bekannt und diskutiert ist als „Call me …“. Als also das Erscheinungsdatum von Guadagninos Remake von Dario Argentos „Suspiria (1977)“ angekündigt wurde, war ich mehr als gespannt. Vor Allem weil mich Dario Argentos Giallo-Klassiker nicht so abgeholt hat (Giallo und ich harmonieren nicht besonders). Nun war es also soweit: Review ist spoilerfrei.

Susie Bannion (Dakota Johnson) reist in das Berlin des Jahres 1977, um an der Markos Dance Academy vorzutanzen und hoffentlich in das Ensemble aufgenommen zu werden. Obwohl ihr anfangs scheinbar niemand große Chancen ausrechnet, begeistert sie die Lehrerinnen rund um Madame Blanc (Tilda Swinton) und Miss Tanner (Angela Winkler) schwer und wird vom Fleck weg aufgenommen. Die Academy bietet den Schülerinnen auch eine Unterkunft und wie es der Zufall so will, ist gerade ein Zimmer frei geworden. Susies Mitschülerinnen bzw. Kolleginnen reden hin und wieder von Patricia (Chloë Grace Moretz), deren Zimmer Susie nun bezieht und die spurlos verschwunden ist. Kurz zuvor war Patricia aber bei dem Psychologen Dr. Josef Klemperer („Lutz Ebersdorf“), redete davon, dass jemand hinter ihr her ist und hinterließ wirre Notizen. Desto mehr Dr. Klemperer diese von Hexen und Sabbath handelnden Schriften wälzt, desto klarer wird ihm, dass das nicht alles nur von einem strapazierten, jungen Geist erdacht wurde. Und auch Susie und ihre neu gewonnene Freundin Sarah (Mia Goth) beginnen die Akademie in Frage zu stellen. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Während Sarah an die Verschwörung glaubt, scheint Susie mehr und mehr wie in einem Bann gefangen.

„Suspiria – Official Trailer | Amazon Studios“, via Amazon Studios (Youtube)

Die Zusammenfassung ist Dario Argentos Film aus dem Jahr 1977 scheinbar sehr ähnlich. Der Rest ist es nicht. Guadagninos „Nicht-Remake“ nach einem Drehbuch von David Kajganich versetzt das Geschehen in das Jahr 1977, in dem ursprünglich Argentos Klassiker veröffentlicht wurde und schlägt einen grundsätzlich anderen Ton an. Zum Einen verneigt sich der Film vor Weiblichkeit und Ästhetik. Während in Argentos Film die Frauen eher (evtl auch wegen der Zeit in der die Filme entstanden) eine „damsel in distress“ waren, die scheinbar blind von einem Unglück in das nächste rennen und ihre Umwelt wenig hinterfragen, sind die Frauen das treibende Element des Films und nicht nur das: der Film feiert Frauen, indem er sogar nahtlos alle Rollen mit Frauen besetzt. Für die Figur des Dr. Klemperer wird zwar im Trailer und den End Credits Lutz Ebersdorf als Darsteller angegeben, aber in Wirklichkeit handelt es sich dabei um Tilda Swinton in ich möchte behaupten perfekter Maske. Und die Frauen sind hier dargestellt als aufrührerisch und entlarvend bis hin zu verletzlich bis hin zu mächtig. Selbst das Thema Tanz bekommt mehr Raum und bewusste Aufmerksamkeit. Der zeitgenössische Tanz, der aufgeführt wird, ist für Freunde des klassischen Balletts wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig, aber insgesamt mitreißend und animalisch. Pina Bausch, eine Tanzkoryphäe, ist Quasi-Patin für Swintons Darstellung von Madame Blanc. Insgesamt könnten Argentos Film und das Remake kaum unterschiedlicher sein, denn in Argentos Film hat man von Tanz in der Tanzakademie nicht viel gesehen. Argentos Film war eine Hommage oder gar Feier des Filmschaffens, die mit Symbolik, krassen Kamerafahrten und grellen Farben geradezu Effekte jagt und dem Zuschauer in your face entgegenschleudert. Argento demonstrierte was Kino visuell und atmosphärisch leisten kann, ließ aber Charaktere und Story außer Acht. So manche blutige Mordszene, Verfolgungsjagd oder als gruselig angedachter Moment funktioniert heute weniger gut und wirkt gestelzt. Guadagnino hat bewiesen, dass auch er Horror kann, aber einen ganz anderen Ansatz gewählt.

Guadagnino setzt der Tanzschule, Ästhetik, Kunst und Weiblichkeit den Herbst 1977 im geteilten Deutschland entgegen. Einer Zeit, die von Unruhen geprägt ist. Bomben gehen plötzlich hoch, die RAF war stündlich in den Nachrichten, Flugzeuge wurden entführt, Ost- und West-Berlin lebten ihr geteiltes Leben. Selbst die Mauer ist mehr als präsent und das Stück, das das Ensemble einstudiert, handelt vom zweiten Weltkrieg, der Nachkriegszeit und heißt Volk. Es ist wie das Aufbegehren der Frauen gegen die Unruhen, der Zeit, in der sie klarkommen müssen. Dr. Klemperer wirkt vielleicht wie ein männliches Relikt, das nicht so recht in dieses weibliche Aufgebot passen will, aber er demonstriert einen Mann, der seine Frau nicht beschützt hat, der die Wogen seiner Ära nicht hat kommen sehen und sieht sich mit Frauen konfrontiert, die es gewöhnt sind, sich selbst zu helfen und zu beschützen. Und die das sehr gut können. Es wird im Gegensatz zu Argentos Vorlage von Anfang an kein Hehl daraus gemacht, dass Madame Blanc, Tanner und die anderen Lehrerinnen und Aufseherinnen Hexen sind. Ihr Ziel ist es eine Hülle für ihre „Mutter“ Markos (ebenso dargestellt von Swinton) zu finden. Susie soll es sein. Alles wird dahingehend geplant, Susie darauf vorbereitet, Störquellen werden weggeschafft. Der 2018er-Suspiria hat einige Mordszenen, die es in sich haben und sich eher nach den „Krallen des Bösen“ anfühlen als das Original und geradezu erschütternden Respekt einflößen. Aber auch Empathie. Blanc ist sich nicht sicher, ob sie Susie opfern will. Das Geschöpf Susie ist zu präsent um es als Hülle zu verschwenden. Guadagnino kleidet die Gefahr in alptraumhafte und surreale Szenen, vor Allem gibt er dem Film aber einen ästhetischen Look schwach gesättigter Farben, die das bewegte Jahr 1977 im Hellbraun von Parkett, Hellgrau von dreckigem Schnee und Rot von Susies Haar geschmackvoll kleiden.

„Remaking Suspiria: An Homage to a Feeling“, via ScreenPrism (Youtube)

Diese Mischung macht Suspiria aber ebenso wie seine Vorlage zu einem Kunstfilm, den man nicht wie Popcornkino gucken kann. Der Film provoziert, schockiert und erschüttert. Ist man im einen Moment noch berührt von Dr. Klemperers schwerem Gang in Gedanken an seine Frau, die er verloren hat und der quälenden Frage, ob er sie nicht doch hätte retten können und ob er jetzt vielleicht wenigstens diese jungen Frauen retten kann. Im nächsten Moment beweisen die jungen Frauen in einem blutigen Over-the-top-Finale, dass sie nicht gerettet werden müssen. Zumindest nicht von ihm. Tatsächlich war für mich Suspiria bis zum Finale der perfekte Suspiria, der perfekte Kunst-Horrorfilm. Das Finale hatte eine große positive Überraschung, in der es stark von der Vorlage abweicht und war doch gleichzeitig aufgrund seiner Gewaltexplosion und der Reizüberflutung, angereichert mit nackten Frauen und Blutfontänen, ebenso eine negative Überraschung. Ich habe mich immer gefragt, warum sollten sich Frauen, die Macht haben, gegenseitig nach dem Leben trachten? Und warum sollten Frauen, die Macht haben, zwanghaft nackt sein wollen und tanzen – wurden Frauen nicht lange genug von anderen dazu gebracht öfter nackt zu sein und zu tanzen als sie wollen? Die Darstellung von Hexen befremdet mich immer öfter, obwohl es der allgemeine „Kanon“ zu sein scheint. Alles in Allem ist Guadagninos Suspiria aber Kunst. Nicht leicht zu verarbeiten, aber bildgewaltig, eindrucksvoll, schlauer als seine Vorlage und technisch sehr sehr raffiniert. Aufgrund dessen habe ich noch mehr Respekt vor Guadagninos Arbeit, aber der Film ist zu verstörend, um gelassen den Saal zu verlassen. Und vielleicht auch zu verstörend um ihm mehr Punkte zu geben.

Suspiria, USA/Italien, 2018, Luca Guadagnino, 152 min, (7/10)

Sternchen-7

„Suspiria’s Director Breaks Down Dakota Johnson & Tilda Swinton’s Dance Lesson Scene“, via Fandango All Access (Youtube)

Bei meiner glühenden Rede für den Film, erscheint die Bewertung wahrscheinlich erstaunlich niedrig. Es ist ein krasser Widerspruch, aber ich finde, dass der Film auf die eine Art genial ist, aber auf die andere zu verstörend, um ihn „gerne“ zu schauen. Habt ihr Suspiria schon gesehen? Alt und neu? Welche Version sagt euch mehr zu? Von einem Remake kann man ja kaum sprechen. Habt ihr Swinton in ihren diversen Rollen erkannt?

8 Antworten

  1. Ich möchte den Film unbedingt sehen. Ich bin großer Fan des Originals, freue mich aber sehr auf Guadagninos Neuverfilmung und Deine Besprechung hat mir jetzt noch mehr Lust gemacht (was fast gar nicht möglich war) 😉
    Den Soundtrack fand ich im Übrigen schon mal sehr gelungen.

  2. Ich möchte den Film auch unbedingt im Kino sehen, aber kein Kino hier in der Provinz zeigt ihn bisher. 🙁

  3. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Danke für den Artikel. 🙂 Bildgewaltig trifft es wohl zumindest beim Trailer auf den Punkt und die einzelnen Bilder scheinen durchdacht aneinander gefügt. Das geläufige Bild der Hexe passt finde ich ganz gut in einen Horrorfilm 😉 und die lange Historie des Begriffs wie auch der gesellschaftliche Umgang, der mit ihm einhergingen, könnten das Motiv zu einem gelungenen Kunstgriff machen. Leider läuft der Film hier offenbar nicht. Mal schauen, die DVD erscheint im März. 🙂

  4. Hm, scheint irgendwie weird zu sein, aber interessant! Ich hatte von dem Film noch nie gehört (also auch nicht von dem Original), allerdings erinnerte ich mich daran, dass mir Tilda Swintons Doppelrolle bzw. ihre Darstellung eines Mannes vor einiger Zeit in Form eines Clickbait-Artikels begegnete.

    Der Inhalt selbst hätte mich vermutlich nie neugierig auf den Film gemacht, aber dein Artikel und der Trailer haben bewirkt, dass ich mir von diesem ungewöhnlichen Werk doch mal einen eigenen Eindruck machen möchte.

  5. […] es ist Saison, es läuft wieder wesentlich mehr, was mich interessiert. Geht euch das auch so? Suspiria hat mir anfangs irre gut gefallen (besser als das Original), das Ende fand ich aber etwas drüber. […]

  6. […] Throat Choir – der hat mich eigentlich schon das ganze Jahr begleitet. Und der Soundtrack zu Suspiria von Thom Yorke (bekannt durch u.a. Radiohead). Und natürlich immer wieder ein paar verstreute […]

  7. […] Natürlich gibt es den einen oder anderen Film, den ich als sträflich vernachlässigt empfinde wie Suspiria und dann frage ich mich auch, warum unter all den Regisseuren keine Regisseurin nominiert ist. […]

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