Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Wir“

Jordan Peeles Get Out hat ihn 2017/2018 quasi an die Spitze des einstweiligen Filmmacher-Olymps katapultiert. Der Kerl traut sich was und das wird eben belohnt. „Get Out“ wurde schließlich auch bei den Academy Awards mit Nominierungen berücksichtigt, obwohl es Horrorfilme da echt schwer haben. Umso gespannter waren wohl auch alle auf sein nächstes Regie-Werk, zu dem er auch erneut das Drehbuch beisteuerte. Besprechung ist spoilerfrei.

Adelaide (Lupita Nyong’o) sieht dem Familienurlaub in Santa Cruz spätestens dann mit gemischten Gefühlen entgegen als ihr Mann Gabe (Winston Duke) unbedingt an den Strand fahren will, mit dem sie ein traumatisches Kindheitserlebnis verbindet. Ihre Kinder Zora (Shahadi Wright-Joseph) und Jason (Evan Alex) freut es erstmal. Bereits am selben Abend stehen in der Einfahrt ihres Hauses vier Fremde, die sich nicht rühren und offenbar etwas vorhaben. Nachdem sie in das Haus der Familie eingebrochen sind und sich ihnen stellen, fällt aber auf, dass sie gar nicht so fremd sind. Es sind scheinbar Doppelgänger von Adelaide und ihrer Familie, die sie offenkundig töten wollen und die sie nur schwer mit Geschwindigkeit oder Stärke übertölpern können, denn sie sind eben genauso schnell oder stark wie Adelaide, ihr Mann und ihre Kinder. Die Nacht wird ein Kampf um das Überleben.

„WIR Trailer German Deutsch (2019)“, via KinoCheck (Youtube)

Wer sind die Doppelgänger? Wo kommen sie her? Im Grunde ist die Auflösung und Botschaft hinter Wir genial. Aber der Film verspielt den Aha-Effekt und die unter anderen Umständen garantierte Durchschlagskraft dadurch, dass er viel zu früh seinen Twist und Details der Auflösung vorweg nimmt. Hätte Peele auf die anfängliche Sequenz mit Adelaide als Kind und auf die Rede von Adelaides Doppelgängerin zu Beginn des Horror-Abends verzichtet und sich all das für ein rundes und schockierendes Ende aufgespart, hätte der Film viel mehr Wirkung erzielt. Außerdem kann Peele scheinbar auch nicht aus seiner Haut als Stand-Up-Comedian raus. Er lässt einige Charaktere wie das befreundete weiße Pärchen (Tim Heidecker, große Klasse: Elisabeth Moss), aber auch Gabe und Zora für deutlich zuviel comic relief sorgen, weswegen sich Wir nicht zwingend wie ein Horrorfilm anfühlt. Selbst Jordan Peele sah sich scheinbar irgendwann genötigt das klarzustellen.

Leider vermeidet er auch nicht die typischen Fehler eines Horrorfilms. So stellt sich doch die Frage, warum unsere Helden „so einfach davonkommen“, weil ihre Doppelgänger in der Mitte des Films einfach mal verschwinden? Durch einige dieser Ungereimtheiten und das verschenkte Potential der eigentlich wuchtigen Aussage des Films, geht man leider verhältnismäßig schulterzuckend aus dem Streifen. Das Horrorkino braucht aber trotz alledem Peeles Originalität, nur nächstes mal bitte geschickter verpackt. Denn Wir ist mehr als ein abstruser „Home Invasion“-Streifen. Es ist eine herbe Hommage an das Klassendenken bzw die Einteilung in natürlich privilegierte und unprivilegierte oder „arme“. Anhand des Ursprungs der Doppelgänger und der Familie, die sie quälen wird der grenzenlose Wunsch nach „Mehr“ angeprangert und gipfelt in einem blutigen Racheszenario (man beachte auch den öfter auftauchenden Bibelvers). Obwohl es Adelaide, Gabe, Jordan und Zora gut geht, wollen sie mehr. Ein so großes Haus wie das befreundete weiße Pärchen – mein Pool, mein Auto, mein Boot. Sie sind keine schlechten Typen, aber sie sind mit einem Streben aufgewachsen, das sich nicht mehr abschütteln lässt. Und das obwohl es in ihrer nächsten Nähe soviel Leid gibt. Sicherlich nicht nur ein amerikanisches Phänomen, aber es drängt sich schon auf, dass Peele mit „Us“ (Originaltitel) sehr nah an dem Wort „USA“ dran ist. Und herrlich entlarvend, wenn die Doppelgänger auf die Frage wer sie sind, antworten „Wir sind Amerikaner“. Man kann noch mehr in diese Klassengesellschaften reinlesen – beispielsweise in Hinblick auf Sklaverei. Durch die Machart und den Ton des Films kommen die Grundideen aber leider kaum zur Geltung.

Wir (OT: Us), USA, 2019, Jordan Peele, 117 min, (7/10)

Sternchen-7

Wenn der Film nur nicht so witzig wäre … vielleicht lag es auch an dem debilen Publikum im Kinosaal, das wegen allem gelacht hat. Traurig. Es ist aber auch nicht von der Hand zu weisen, dass Peele echt viele Vorlagen liefert und damit seiner eigenen genialen Idee schadet. Habt ihr „Wir“ schon gesehen und wie habt ihr den Film interpretiert? Hat er euch mehr abgeholt als mich?

7 Antworten

  1. Hab ihn noch nicht gesehen, gebe Dir dann Bescheid. Bin ja nicht so ein großer Fan von „comic relief“ in Horrorfilmen 😉

  2. Avatar von Voidpointer
    Voidpointer

    Ich wollte ihn mit bereits ansehen, habe es aber noch nicht geschafft. Nach Deinem Artikel bin ich erst recht gespannt auf den Film, vielen Dank. 🙂

  3. Zum Lachen fand ich an dem Film ziemlich wenig. Ich fand ihn eher erschreckend, doch am gruseligsten wirkte auf mich diese Kette quer durch die USA. Trotzdem bereue ich nicht, ihn mir heute abend angesehen zu haben.

  4. Wir haben ihn auch im Kino gesehn. WIr hatten dort kein gutes Publikum… Zwei Weiber gackerten wie die Hühner, weil sie mit der gebrochenen Stimme der Doppelgängerin nicht klar kamen – zum Glcük rügte sie ein Sitznachbar.
    Gelacht habe ich nicht, nur mal geschmunzelt. Fand den Humor nicht unangebracht. Wäre als Ausgleich die Überraschung später gekommen und somit ein längerer Spannunsgtwist, hätte sich das wunderbar aufgehoben.
    Also mich hat er unterhalten. Er Potenzial, was er nicht ausgeschöpft hat und es ist definitiv kein Horror-Film. Gegruselt hab ich mich nicht.

  5. Hallöchen,
    ich habe mich ja sehr auf den Film gefreut. Schade, dass du nicht so begeistert bist. Das heißt, ich werde ihn mir wohl definitiv nicht im Kino anschauen, sondern mir irgendwann mal die DVD holen oder den Film leihen.
    Vielen Dank für deine ausführliche Filmkritik!
    Liebste Grüße, Kate

  6. […] erzählen wie „Hidden Figures“, „Get Out“, „Monnlight“ oder „Wir“ oder solche, die darauf verzichten Farbige immer nur in den Kontext der Kämpfer*innen für […]

  7. […] ich es leider nicht ins Kino geschafft, weshalb es wohl mal wieder ein Amazon-Leih werden wird. Die Besprechung von Miss Booleana hat mich jetzt überzeugt, dass es keine ganz große Tragödie ist, ihn nicht im Kino geschaut zu […]

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