Obwohl ich dank Urlaub anfangs einen Lauf hatte und die Filme meiner Japanuary-Liste bis zur Monatsmitte recht gut weggesuchtet habe, schlug dann irgendwann dieses Real Life zu und ich kam zu nix mehr. Erst am 31. Januar sah ich den letzten Film der Liste. Aber immerhin … . Ich Blicke zurück auf den zweiten Teil meiner #Japanuary2020-Filme. 🙂
The Face of Another
Da soll nochmal einer sagen Filme schauen bildet nicht. Durch den Japanuary 2019 bin ich bei einem anderen Teilnehmer, ich weiß leider nicht mehr wen, auf The Face of Another aufmerksam geworden. Danke dafür! Es ist mein erster Film Hiroshi Teshigaharas, der für sein Avantgarde-Kino bekannt ist und als erster japanischer Filmemacher für einen Academy Award nominiert wurde. Das allerdings für Die Frau in den Dünen. Genau wie dieser ist The Face of Another eine Literaturadaption aus Kōbō Abes Werk. Der Film handelt von Okuyama (Tatsuya Nakadai – hier optisch eher erkennbar als in Ran), dessen Gesicht durch einen Arbeitsunfall verbrannt ist. Er will seine verunstaltetes Gesicht verstecken und trägt daher stets einen Verband. Er sieht sich als entstellt und begegnet seinem Leben nach dem Unfall mit Bitterkeit, Wut und Sarkasmus. Entsprechend behandelt er seine Frau (Machiko Kyō) und wirft ihr vor, dass sie ihn nicht mal anschauen könne, womit er vielleicht auch nicht Unrecht hat. Okuyama konsultiert den Psychiater Dr. Hira (Mikijirō Hira) und bittet ihn eine Maske anzufertigen, mit der er wieder am Leben teilnehmen kann. Hiras Befürchtung und Warnung, dass das Leben hinter einer Maske Okuyama verändert, wird sich bewahrheiten.
„The Face of Another(1966)-Trailer“, via Tomato Bad Boy (Youtube)
The Face of Another ist interessant, künstlerisch, aber auch durchaus etwas zäh. In der ersten Stunde verfolgt man Okuyama, der voller Bitterkeit und zänkischer Wortwahl sowohl seinen Arzt als auch seine Frau malträtiert und dabei mit seinen Bandagen an James Whales Der Unsichtbare von 1933 erinnert. Als er die Maske bekommt ist er wie von seinem Arzt vorhergesehen wie besessen und wahnhaft. Da bald klar ist, dass jemand für die Maske Modell stehen muss und er damit das Gesicht eines anderen tragen wird, plant er akribisch ein Doppelleben. Er ist rasend vor Wut, wenn er erkannt wird, wo und wann er es nicht wollte und andersrum auch stolz, je nach Situation. Die Maske verändert ihn, was Hira nicht müde wird in immer gleichen Dialogen mit nur minimal anderer Wortwahl zu erklären. Aber er hat recht. Und auf den Zuschauer übt das, wenn man „Slow Burner“ abkann, eine gewisse Faszination aus, die mit vielen philosophischen Denkanstößen über das Selbst daherkommt. Okuyama ist am Ende nicht mehr Okuyama. Teshigahara unterlegt seine Botschaft über Masken und Identitätssuche mit einer melancholischen Nebenhandlung über eine junge Frau, die stets die Verbrennungsnarben in ihrem Gesicht zu verstecken versucht. Beide können nicht wirklich mit ihren Narben leben, finden aber unterschiedliche Wege sie auszulöschen. Besonders künstlerisch und ästhetisch sind die Shots in Hiras Labor, die den Mann mit dem Gesicht eines anderen vor und hinter Glaswänden zeigen, die den Vitruvianischen Menschen oder Langer-Linien zeigen. Beeindruckend! Und überraschend: Zwischendurch spielt der Film in einer Kneipe, die übersetzt „In München“ heißt und in der melancholisch auf Deutsch gesungen wird Wo bist du?
The Face of Another (他人の顔 „Tanin no kao“), Japan, 1966, Hiroshi Teshigahara, 121 min, (7/10)
Tokyo Tribe
Tokyo Tribes sind Clans, die in diesem alternativen Tokyo der Gegenwart die Stadt im Griff haben. Zwischen ihnen herrscht eine anhaltende Fehde inklusive Gebietsansprüchen, die frisch angeheizt wird als Mera (Ryōhei Suzuki) aus Bukkuro (Ikebukuro) sich mit dem irren Buppa (Riki Takeuchi) verbündet um die friedliebenden Feelgood-Hip-Hopper von Musashino Saru fertig zu machen. In diesen Krieg der Tribes verirrt sich Sunmi (Nana Seino), die nicht mal aus Tokyo stammt, aber überraschenderweise durchaus Martial Arts erprobt ist und den Konflikt gut aufmischt.
Martial arts meets Hip-Hop meets Satire. Der ganze Film ist subversiv, bunt, strotzt vor Sex, Drogen und Gewalt und ist in Hip-Hop-Versen verfasst. Die Darstellung der gelebten, toxischen Männlichkeit und Frauenfeindlichkeit muss als Satire verstanden werden, ansonsten wäre sie obszön. Hier wird Kill Bill verarscht, gerappt, hemdsärmelig von Love und Peace geredet, Köpfe mit Katanas abgesäbelt und der Grund für Meras Hass auf Musashino Saru reduziert Clankriege auf das, was im Kern männlichen Übereifers meist übrig bleibt: Schwanzvergleiche. Liest man den Film als Satire ist er ein krasser, überbordender, witziger Abgesang auf Pseudo-Gangster-Attitüde und andere Plattitüden der Szene. Ob und wie gut Tokyo Tribe gefällt, hängt davon ab wieviel Satire und Irrsinn man abkann. Mir persönlich war der sexbesessene, wirr augenrollende Clan-Chef Bappu zuviel. Aber der Rest war schon ein irres Feuerwerk.
Tokyo Tribe (OT: ウキョウ トライブ), Japan, 2014, Sion Sono, 116 min, (8/10)
„Tokyo Tribe (Trailer, deutsch) – Ein Film von Sion Sono mit YOUNG DAIS“, via Rapid Eye Movies (Youtube)
Akira Kurosawas Träume
Es sind tatsächlich Träume Kurosawas, die hier als Episodenfilme inszeniert wurden. An die acht Jahre vor seinem Tod nahm sich der hier bereits fast achtzigjährige Kurosawa zusammen mit Co-Regisseuren vor diese zu inszenieren. Und es waren nicht mal seine letzten Filme – das ist Leidenschaft. Die insgesamt acht Träume beinhalten in Sonne, die durch den Regen scheint beispielsweise die Geschichte eines Jungen, der nicht auf seine Mutter hört und der geheimen Hochzeit der Füchse beiwohnen will. Oder auch in Der Tunnel die Geschichte eines Kriegsheimkehrers, der konfrontiert mit der Bürde eines Überlebenden eine grausige Begegnung macht. Um gleich loszupoltern soviel vorweg: die Eingangsfloskel „Steven Spielberg presents“ hätte ich nicht gebraucht. Der Name Akira Kurosawa sollte für sich alleine stehen. Offen gesagt ist es eh nicht anzunehmen, dass sich Blockbuster-Popcornkino-Publikum so ganz zufällig auf den Arthouse-Film stürzt. Stattdessen musste der Film wohl aber dreifach beworben werden und seinem ursprünglichem Titel Yume, zu übersetzen als Träume, noch der Name Kurosawas vorangestellt werden. Wer jetzt noch mehr namhafte Randdetails braucht um den Film interessant zu finden (rant rant rant) findet hier sogar Martin Scorsese in einer Nebenrolle als niemand geringeren als Vincent van Gogh. 😉 Das ist dann doch ein ganz cooles Highlight.
„Akira Kurosawa’s Dreams – Original Theatrical Trailer“, via Warner Bros. (Youtube)
Sind Akira Kurosawas Träume nun interessanter als die Träume von irgendwem anders? Ja und nein. Sie sind interessant, weil sich durchzogen von japanischem und weltlichen Zeitgeist sind. So findet man dort die Aufarbeitung der Gräuel des Krieges aber auch die Angst vor Verstrahlung und den Risiken des Atomzeitalters. Genauso aber auch Dinge, die eine Kinderseele rühren wie die Geschichte vom Abholzen eines geliebten Pfirsichbaum-Hains oder den Folgen, wenn man etwas verbotenes getan hat. Die Episoden umspannen ein Leben in chronologischer Reihenfolge. Sie beginnen mit dem „Ich“ als Kind und später als Erwachsenen. In Kurosawas Manier sind die Episoden bildgewaltig und mit einem feinen Gespür für den Moment inszeniert. Wie schon in seinen Filmen wie Ran scheut er sich nicht Farben und Kontraste effektreich einzusetzen. Der Mix aus Surrealismus, Realitätsbezügen und japanischem Zeitgeist lässt die Episoden wie Märchen oder Sagen wirken. Vor Allem die erste Hälfte der Episodenfilme ist traumhaft und mitreißend. Danach verlieren sie sich etwas. Werden ernster, surrealer, aber auch weniger zugänglich. Episoden wie Fujiyama in Rot und Der weinende Menschenfresser sind eher albtraumhaft, zwar gut inszeniert, enden aber häufig abrupt und wirken als ob sie nur die Hälfte erzählt hätten trotz des Vermögens zur Interpretation. Was das betrifft erben die Episoden auch die Nachteile von Träumen. Alles in Allem sind sie aber eine Ode an das Leben, erwachsen werden und das manchmal schmerzhafte erwachen sein.
Akira Kurosawas Träume (OT: 夢 „Yume“), Japan, 1990, Akira Kurosawa, 119 min, (8/10)
20th Century Boys 2: The Last Hope
Ich sage das selten, aber wenn ihr auch nur die geringsten Spoiler zum großartigen Manga von Naoki Urasawa oder dem ersten Teil der Filmtrilogie vermeiden wollt, dann solltet ihr den Absatz überspringen. Nachdem der erste Teil der 20th-Century-Boys-Trilogie mit dem Bloody New Year’s Eve endete und der Verbleib einiger unserer Helden unklar ist, folgen wir der nun fast erwachsenen Kanna (Airi Taira) ins Jahr 2015. Kanna schlägt sich inzwischen mit einem Nebenjob in einem Imbiss in Shinjuku durch, während sie tagsüber die Schule besucht. Mit den „staatlich anerkannten“ Lügen über ihren Onkel Kenji muss sie zurechtkommen, denn die haben es in die Geschichtsbücher geschafft. „Freund“ (bzw „Tomodachi“) ist inzwischen ein einflussreicher Politiker, der keine Kritik an sich zulässt und das Gesetz nach Belieben dehnt. Mangazeichner werden gerne mal weggeschlossen, wenn sie etwas systemkritisches verfassen. Als Kannas aufmüpfiges Verhalten und ihr unerschütterlicher Glaube in den „Terroristen“ Kenji Endo auffällt, wird sie zusammen mit einer Schulkameradin in eine „Besserungsanstalt“ geschickt – „Tomodachi Land“. Wenn der Film bis hierhin noch nicht als trashig wahrgenommen wurde, dann sicherlich spätestens jetzt. Was besonders schmerzhaft ist, denn hier beginnt die Handlung Fahrt aufzunehmen, Allianzen bilden sich und man begegnet alten Bekannten.
Leider kränkelt der Film schwer vor sich hin. Vom Pacing und der Handlung her ist er schwer zu verkraften, wenn man den Manga kennt. Alles mögliche wurde zusammengedampft und „passend gemacht“. Kanna und Koizumi (Haruka Kinami) treffen sich beispielsweise viel früher und Koizumi steht weniger im Mittelpunkt. Es liegt auf der Hand, dass das Vorhaben den Stoff Urasawas in drei Filme zu pressen eine undankbare Mammutaufgabe ist und eine Adaption in dem Zeitrahmen vielleicht zum Scheitern verurteilt. Sekten, die bald die Weltherrschaft an sich reißen; tödliche Viren, eine Verschwörung aus Kindertagen, eine Besserungsanstalt und Verschwörungstheorien, der Ausbruch aus einem Gefängnis, Flashbacks in die Kindheit – soviel Material abzuspulen, kratzt an der Substanz. Was bleibt ist ein trashiges B-Movie. Nicht zuletzt, weil der Film sich nicht die Zeit nehmen kann zu zeigen wie sich „Freund“ langsam in die Gesellschaft eingeschlichen hat. Das kann man den Filmemachern kaum zu Lasten legen, aber es hilft eben auch nix. Ambitionen machen den Film nicht besser als er letzten Endes ist. Das wirkliche Verbrechen sind aber die schlechte Maske und Ausstattung, längst überholte Effekte, wirklich furchtbar unnatürlich aussehende Frisuren und Perücken sowie das gnadenlos überzeichnete Verhalten von Anhängern von „Freund“ wie den Flitzpiepen in „Tomodachi Land“. Wer sich dennoch traut sich die Trilogie anzuschauen, dem sei gesagt: der Film wird gegen Ende besser und schafft es die Aura eines infamen von Kindheitsfantasien besessenen „Führers“, seiner Machenschaften und die Aktionen der Rebellen etwas gelungener einzufangen.
20th Century Boys 2: The Last Hope (OT: 20世紀少年 第2章 最後の希望 „Nijisseiki shônen: Dai-ni-shô – Saigo no kibô“), Japan, 2009, Yukihiko Tsutsumi, 149 min, (4/10)
Fazit
Hui. Gerade so geschafft. ^^‘ Leider hinterlässt der zuletzt geschaute Film einen etwas bitteren Beigeschmack. Manchmal frage ich mich, ob ich die 20th Centurys Boys-Filme vor elf Jahren zur Zeit ihrer Veröffentlichung weniger kritisch wahrgenommen hätte? Eine Frage, die sich nun nicht mehr beantworten lässt. Da der Manga einer der besten ist, die ich gelesen habe, immer wieder eine etwas seltsame Begegnung und ein schwaches Ende für eine Filmchallenge die stark angefangen hat. Mein Lieblingsfilm ist wohl Memories of Matsuko. Und eine positive Überraschung, da ich doch eigentlich vorher mit Tetsuya Nakashima abgeschlossen hatte (so hart das klingt). Dicht gefolgt von Akira Kuroswas Träumen und Tokyo Tribe. Dass mir der aufgrund der auf die Spitze getriebenen Misogynie gefallen würde, hatte ich ja eigentlich so gar nicht erwartet. Und dann mag ich nicht mal Rap besonders. XD Die Liste habe ich mir zum Teil aus den Besprechungen meiner Bloggerkollegen der #Japanuarys vergangener Jahre zusammengebastelt. Denn das ist das coole daran: man lernt eine ganze Menge kennen. Deswegen hat es mir wieder viel Spaß gemacht. 😀 Ich wünscht nur, dass ich früher mitbekommen hätte, dass der Hashtag #Japanuary inzwischen auch für andere Aktionen verwendet wird und daher alle zu #Japanuary2020 gewechselt haben. Daher habe ich dann nur anfangs und in den letzten Zügen am Austausch in der Bubble teilgenommen – leider! Nichtsdestotrotz: nächstes Jahr gerne wieder. 🙂
Zu den bisherigen Artikeln
Ankündigung
Besprechungen zu „Memories of Matsuko“, „Utamaro und seine fünf Frauen“, „Wara no Tate“ & „There was a father“
Header Image Photo Credits: Andre Benz
Habt ihr auch teilgenommen und geschafft, was ihr euch vorgenommen habt? 🙂 Was waren eure Favoriten? Und welchen Film habt ihr durch den #Japanuary kennen gelernt, den ihr demnächst unbedingt sehen wollt? Habt ihr noch einen drauf gesetzt und Bücher japanischer Autoren oder entsprechend japanische Serien gesuchtet? Bei mir waren es überraschend und relativ ungeplant tatsächlich zwei Bücher. Yōko Ogawas „Der Ringfinger“ und Fuminori Nakamuras „Die Maske“, die ich sicherlich bald hier bespreche. Ob die Serie „Pflicht und Schande“ zählt weiß ich nicht. Die ist zwar zur Hälfte in japanischer Sprache und spielt zu großen Teilen in Japan, ist aber eigentlich eine britische Produktion 😉 Also wohl eher nicht.
Schreibe einen Kommentar