Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „Ryuichi Sakamoto: Coda“

Vor ca drei oder vier Monaten begegnete mir ein Piano-Stück auf Spotify. Es war „Rain“ von Ryuichi Sakamoto. Ich hatte keine Ahnung wie es heißt oder von wem es ist, aber ich kannte es schon weg und las jetzt das erste Mal den Titel. Danach hörte ich mehr von Sakamoto und stellte fest, dass ich tatsächlich einige Nummern kenne. Ich hörte mehr und mehr. Man kann sagen ich hatte seine Musik eigentlich immer im Ohr, stellenweise sogar bei der Arbeit. Es kam mir ja ein kleines bisschen wie Schicksal vor diese ganzen bekannten Stücke zu entdecken, endlich ihre Namen und ihren Künstler zu kennen. Und dann lief eine kurze Doku über ihn auf arte. Dann las ich, dass unser örtliches Indie-Kino die Biografie „Ryuichi Sakamoto: Coda“ zeigen würde, ein Film der 2017 das Licht der Welt erblickte nachdem der Regisseur Sakamoto fünf Jahre begleitet hat. Natürlich sollte er an dem Tag laufen, an dem ich noch im Urlaub sein würde. Nach all den Entdeckungen wollte ich noch mehr über Sakamoto wissen. Ein Jammer. Und dann schaute ich einen Tag später und siehe da: der einzige(!) Termin wurde verschoben. Das ist jetzt aber wirklich Schicksal, oder? Review ist spoilerfrei.

Der Film beginnt damit, dass Sakamoto Ryūichi die Region Fukushima besichtigt und sich die Geisterstädte anschaut, die der Tsunami und die quasi-Kernkatastrophe zurückgelassen haben. Hier und da sieht man ein Werbeschild für Kernenergie – bittere Ironie angesichts der Geisterstadt und des konstanten Knackens der Geigerzähler. Sakamoto spielt auf einem Klavier, das während des Tsunami von den Wassermassen weggespült wurde. Später im Film wird er sagen, dass es sich anfühlte so als ob man auf dem Leichnam eines Klaviers spielt. Aber die Töne die rauskommen, sind auf eine entrückende Art schön. Coda sollte eine Biografie Sakamotos werden. Er erlangte in den 80er Jahren Berühmtheit mit der Electro-Synthie-Pop-Band Yellow Magic Orchestra, sowas wie Kraftwerk auf Japanisch. Später nahm er v.A. Soloplatten auf, die sich am ehesten dem Genre Neoklassik zuordnen lassen und komponierte zahlreiche Filmmusik-Scores, u.a. für Merry Christmas Mr. Lawrence, Babel und zuletzt The Revenant. Doch während der Dreharbeiten und seiner Arbeit an einem neuen Album wurde bei ihm Krebs diagnostiziert. Die Behandlung begann, Zwangspause und hoffentlich Genesung.

„Ryuichi Sakamoto: Coda Trailer Deutsch | German [HD]“, via Edition Salzgeber (Youtube)

Fünf Jahre lang begleitete Stephen Nomura Schible und sein Team Sakamoto und hat letzten Endes mehr eingefangen als die Geschichte eines Musikers und Aktivisten, sondern die Geschichte vom kreativen Schaffensprozess, von Krankheit, von dem Erbe und sogar dem Umgang des Menschen mit seiner Umwelt. Sakamoto reflektiert, dass ihn früher politische Themen und die Umwelt wenig tangiert haben. Er hatte sich ebenso wenig für einen politischen Menschen gehalten wie er erwartet hatte, dass er mal Krebs bekommen würde. Sakamoto sagt oftmals wären es Künstler, die früh spüren, dass die Welt den Bach runtergeht. Schon vor Jahren hat er sich der Themen Umwelt, Politik und Geschichte angenommen. Einige der Nummern und damit verbundenen Bilder verfolgen einen lange. So wie das Piepen und Knattern der Geigerzähler in Fukushima. Genauso wie Sakamoto ein bisschen was von sich hinterlassen will und seinem Erbe weiter und weiter etwas hinzufügt, bewahrt er die Natur. Wir folgen ihm wie er Töne aufnimmt, die ich als Tracks seines jüngsten Albums async wiedererkennen sollte. Und erklärt aus welchem Film bzw Buch der Text aus seinem Track fullmoon stammt. Es ist wie eine Reise durch sein Schaffen und auch durch sein Leben, denn es fühlt sich an als ob er genau dieses in async kumulieren lässt.

Als Sakamoto die Arbeit wieder aufnimmt, beginnt ein hoffnungsvoller Teil des Films. Es ist als ob die Musik alle Zweifel wegräumen würde und alle Fragen wie die danach ob der Krebs möglicherweise zurückkommt. Und er handelt von der Suche nach dem Ton, wie eine Intention die Musik formt. Ein Prozess den ich noch nie in einem Film so fein dargestellt gesehen habe. An einer Stelle sagt Sakamoto, dass einerseits die Technologie den Menschen eingeholt hat. Das Werk menschlicher Hände kann möglicherweise unendlich viele Leben nehmen. Und wenn es einmal da ist, kann die Erfindung nicht rückgängig gemacht werden. Andererseits kann menschliches Tun und Erfindergeist Dinge formen, die viel schönes produzieren. Ein Piano: im Gegensatz zu dem Rauschen der Blätter, Gezwitscher der Vögel im Wald, etc. kein natürliches Geräusch. Es ist verblüffend was der Mensch schafft, erfindet, hervorbringt. Coda ist ein Gesamtkonstrukt einer Doku, das in Nuancen so viele Dinge einfängt, dass es verblüfft. Wie menschlich das kreative Schaffen und Erbe, wie „echt“ Musik mit Intention ist und wie viel Seele man darin hört. Ich kann die Doku jedem Kreativen sehr ans Herz legen und die Musik von Sakamoto allen.

Ryuichi Sakamoto: Coda, USA/Japan, 2017, Stephen Nomura Schible, 100 min, (9/10)

Sternchen-9

„Ryuichi Sakamoto- ‚Merry Christmas Mr Lawrence’“, via Decca Records Classical (Youtube)

Kennt ihr Ryuichi Sakamoto? Ich wette den einen oder anderen Track habt ihr schon gehört, wenn ich da nur an „Rain“ denke oder an „Ryuichi Sakamoto – Merry Christmas Mr Lawrence“. Kennt ihr andere Stücke, deren Interpreten oder Komponisten viel mehr in aller Munde sein müssten als sie es sind? Habt ihr die Doku vielleicht sogar gesehen? Und welchen Künstler habt ihr zuletzt für euch entdeckt?

2 Antworten

  1. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Ich kannte ihn vorher nicht, wohl aber einige Lieder von ihm habe ich schon mal gehört. In diesem Sinne, danke für die gute Empfehlung. 🙂 Was Künstler betrifft, fällt es mir schwer eine Empfehlung auszusprechen. Beispielsweise Matt Savage hat es in letzter Zeit vermehrt auf meine Playlist gechafft, wobei er kein komplett Unbekannter war.

  2. Also mit Klaviermusik kann man mich schnell packen und die Asiaten haben da eh ein feines Gespür für – zumindest wirkt es immer so. Danke für den Filmtipp!

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