Täusche ich mich oder hat der NOIRvember meine unmittelbare Bloglandschaft nicht oder kaum erreicht? Vielleicht hat ja doch noch der eine oder andere Lust mitzumachen. 😉 Beim NOIRvember geht es darum „film noir“ zu schauen, d.h. Filme, die im weitesten Sinne Kriminalfilme sind. Klassische Vertreter des Kinos der 40er und 50er Jahre vereinen oftmals eine pessimistische Weltsicht und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Nicht selten wird jemand durch eine dunkle Gasse verfolgt, ein Detektiv ermittelt, eine Femme Fatale weiß mehr als sie vorgibt und auch heute noch ist film noir bekannt und beliebt. Neo-Noir Filme verbinden die Eigenschaften gern mit Science-Fiction. Und vor Allem ist film noir ein Subgenre des Films, das seine Elemente höchst stimmungsvoll einsetzt. Nach der Ankündigung, folgt nun das Zwischenfazit mit meinen ersten NOIRvember-Filmen. Übrigens könnt ihr das ganze auf Twitter unter #noirvember oder #noirvember2018 mitverfolgen.
Der dritte Mann
Der Autor Holly Martins (Joseph Cotten) steht vor dem finanziellen Ruin und nimmt dankend die Einladung seines Freundes Harry Lime (Orson Welles) an, der ihm einen Job anbietet. Dafür muss Martins aber in das von den vier Großmächten besetzte Nachkriegs-Wien reisen, wo Harry lebt. Oder lebte. Als Martins ankommt und Harry sucht, erreicht ihn die schreckliche Nachricht, dass sein Freund verstorben ist. Er kommt gerade noch rechtzeitig zur Beerdigung. Die Umstände von Harrys Tod, lassen Martins aber nicht los. Je nachdem wen er fragt, lautet die Geschichte ein wenig anders. Neben Harrys illustren Wiener Freunden tritt auch der britische Major Calloway (Trevor Howard) an Martins heran und behauptet, dass Harry in illegale Machenschaften verwickelt war. Martins erkennt seinen Freund in alldem nicht wieder, aber er erkennt wohl, dass hier etwas faul ist. Und erhofft sich Antworten von der einzigen Person, die neben ihm von Harrys Tod betroffen zu sein scheint: Harrys Freundin Anna Schmidt (Alida Valli). Carols Reeds Film, basierend auf einem Drehbuch von Graham Greene, wirft schnell die Frage auf, wer Harry eigentlich war und zeichnet lebhaft das Dilemma Martins, der in einer fremden Umgebung feststellen muss, dass er seinen Jugendfreund eigentlich gar nicht mehr kennt. Für Martins wird die Zeit in Wien eine Herausforderung all dessen, woran er glaubte und was der Wert eines Menschenlebens ist. Die (mit einigen Ausnahmen) im Nachkriegs-Wien gedrehten Szenen unterstreichen das meisterlich. Seien es die Schuttberge oder Bombenkrater, die wunderbaren Altbauten, die noir-typischen dunklen Gassen bei Nacht, sei es die Verfolgungsjagd in der Kanalisation oder der Lichtschein, der aus einem Fenster auf das Gesicht eines Mannes fällt, der sich in einem Hauseingang vor den Augen der Öffentlichkeit verstecken wollte: it’s as noir as you can get it. Vor Allem dann, wenn die menschlichen Abgründe mit der berühmten Kuckucksuhr-Rede untermalt werden:
„In Italy, for thirty years under the Borgias, they had warfare, terror, murder, bloodshed – they produced Michelangelo, Leonardo da Vinci and the Renaissance. In Switzerland, they had brotherly love, five hundred years of democracy and peace, and what did that produce? The cuckoo clock.“
Offensichtlich hat ein Menschenleben (oder auch viele) in dieser Zeit nicht mehr den Wert, den es mal hatte oder dem wir ihm heute zuschreiben möchten. Die Frage wieviel ein Leben für ihn wert ist, muss sich auch Martins früher oder später stellen. Der dritte Mann ist wirklich meisterliches noir-Kino in allen seinen Facetten. Sei es die Handlung, das Verschwinden Harrys und Martins Nachforschungen oder das große moralische Dilemma des Films und Harry Limes polarisierende Figur. Was aber Geschmackssache ist, ist die von vielen sehr gefeierte Filmmusik von Anton Karas, bestehend aus mit der Zither gespielten Stücken. Brillant, weil die fröhlich klingenden Stücke ein starker Kontrast zum Thema des Films sind? Oder doch eher unangenehmer Kontrast? Eher letzteres.
Der dritte Mann (OT: The Third Man), UK, 1949, Carol Reed, 104 min, (8/10)
„L.A. Confidential ≣ 1997 ≣ Trailer ≣ German“, via TrailerTracker (Youtube)
L.A. Confidential
L.A. Confidential folgt drei Polizisten im Los Angeles der 1950er Jahre, deren Umstände und Moralvorstellungen kaum unterschiedlicher sein könnten. Jack Vincennes (Kevin Spacey) arbeitet als Berater für das Fernsehen und liefert Journalisten ab und zu fingierte Schnappschüsse und Tipps und ist meistens auf seinen eigenen Vorteil aus. Detective Bud White macht es zum Sport rückfällig gewordene Triebtäter und Ehefrauenverprügler in den Knast zu bringen und schlägt für seine Moralvorstellung gern mal zu, während der junge und idealistische Detective Exley (Guy Pearce) alles anders machen will als seine Vorgänger. Letzten Endes müssen sie alle zusammenarbeiten, um einen Korruptionsfall aufzudecken, der das LAPD empfindlich belastet. Dabei tangieren sie den Moloch der Stadt der Engel, der in den Zeitschriften nicht gern gesehen ist und weniger glamourös aussieht als seine glattgebügelte Hollywood-Fassade.
In L.A. Confidential wird ordentlich zugehauen, Moral und Molloch liegen nah beieinander und Gut und Böse gibt es nur in Grauschattierungen, was den Film im Geiste zu einem film noir macht. Kim Basinger nimmt in ihrer Rolle als Lynn Bracken mehr oder weniger den Platz einer Femme Fatale ein. Ihre Rolle ist mehr Mittel zum Zweck und leider nicht sehr tragend, aber immerhin eine Hommage an den Starrummel Hollywoods in seinen besten und zugleich umstrittensten Zeiten. (Andererseits: wann war es nicht umstritten?) Sie spielt eine Edelprostituierte, die so umoperiert wurde, dass sie dem Starlet Veronica Lake gleicht und doch wie so viele einfach nur den Traum von einem guten Leben hat. Im krassen Gegensatz dazu steht die Korruption L.A.s, die in einer stimmigen und spannenden Story aufgerollt wird, die ihre Opfer fordert, aber deren langfristige Lösung offen bleibt. Man hofft, dass die Opfer nicht umsonst waren. Leider hat der Film so seine empfindlichen Längen.
L.A. Confidential, USA, 1997, Curtis Hanson, 132, (8/10)
Asphalt-Dschungel
Der vor Allem in der Unterwelt bekannte Anwalt Emery (Louis Calhern) ist hoffnungslos blank. Sein Lebensstil und das Unterhalten seiner teuren Geliebten Angela Phinlay (Marilyn Monroe) haben seine Reserven leer gepumpt. Er fasst den Plan einige (Ex-)Kriminelle zusammenzuführen und einen Juwelenraub zu planen. Die Namen kennt er – schließlich hat er einige von ihnen vor Gericht verteidigt. So schart er unter anderem den professionellen Juwelendieb „Doc“ Esterhazy (Sam Jaffe), den Safeknacker Ciavelli (Anthony Caruso) und Dix Handley (Sterling Hayden) um sich, der dem einen oder anderen Raubüberfall entkam ohne überführt zu werden. Jeder der angeheuerten erhofft sich von dem Erlös ein besseres Leben. Der Doc will sich in wärmere Gefilde absetzen, Ciavelli seine Familie versorgen und Handley will zurück in seine Heimat und die Farm seiner Eltern zurückkaufen. Der Asphalt-Dschungel der Großstadt ist ihm zuwider. Seine Bekannte Doll (Jean Hagen) versucht ihn davon zu überzeugen all das hinter sich zu lassen un ein ehrliches Leben zu führen. Aber Dix macht mit. Nichtsahnend, dass Emery den Plan hat, sich mit ihrem Raub aus dem Staub zu machen.
„The Asphalt Jungle (1950) Official Trailer – Marilyn Monroe, Sterling Hayden Movie HD“, via Movieclips Classic Trailers (Youtube)
Asphalt-Dschungel ist von der ersten Sekunde an ein glänzender Vertreter des film noir. Die Stadt mit ihren schummrigen Gassen, verfallen Kneipen, rauen Gesellen ist mehr als düster. Jeder steckt in der Klemme, jeder ist auf der Suche nach dem Glück und bereit dafür seine Aufrichtigkeit zu opfern (Handley) oder gar andere Menschen (Emery). Sie sind unglückliche Glücksritter und keine Kinder von Traurigkeit. Handley ist der geheime Hauptcharakter des Films und alles andere als ein Sonnenschein. Er ist verhärmt und erkennt nicht einmal die Zuneigung seiner Vertrauten Doll, sondern verharrt stets wie ein Getriebener in den Ungerechtigkeiten der Vergangenheit. Eine wirkliche Femme Fatale wie in anderen film noir Klassikern gibt es nicht. Jean Hagen als Doll ist herzerwärmend und man wünscht ihr, dass Dix und sie es aus dem Asphalt-Dschungel rausschaffen. Marilyn Monroe tritt hier in einer ihrer ersten Rollen mit Sprechanteil auf und das auch nur wenige Minuten in einer relativ klischeehaften Rolle. Bezeichnend für das Dilemma der Charaktere sind Szenen wie die von Emery, der heimlich plant mit seiner Geliebten abzuhauen und doch am Bett seiner nervenkranken Frau sitzt und mit ihr Karten spielt. Höhepunkt all dessen ist aber wohl der eigentliche Überfall, der ich möchte sagen mit „Stil“ stattfindet. Mit großer Genauigkeit und kaum Dialog stehlen die Profis Juwelen und es geht fast nichts schief. Ein kultiges Paradebeispiel für ein Heist-Movie. Als dann aber doch etwas schief geht, nimmt das Drama seinen Lauf. Das einzige, was an Asphalt Dschungel den Kult stört ist die behäbige Inszenierung und die übermäßig lange Einführung der Charaktere.
Asphalt-Dschungel (OT: The Asphalt Jungle), USA, 1950, John Huston, 112 min, (7/10)
Shimmer Lake
Shimmer Lake begegnete ich online in irgendeiner Liste, die wahrscheinlich einen Titel hatte wie „Die 10 besten Noir-Filme auf Netflix“ oder „Modern-Noir-Geheimtipps“. Bei den ersten Bildern des Films hatte ich so meine Zweifel, ob das wirklich film noir sein kann. Aber das Hauptmerkmal des Films machte mich neugierig genug. Denn das Drehbuch (stammt aus der Feder von Oren Uziel, der auch Regie führte) erzählt die Geschichte rückwärts. Sie beginnt also mit Flucht, Schuld und einem Mord und wird von da an immer tag-weise rückwärts erzählt bis zum Beginn der Geschehnisse. Am Anfang steht also das Ergebnis eines missglückten Raubüberfalls auf eine Bank. Den haben sehr zur Verwunderung aller der Anwalt Andy Sikes (Rainn Wilson), der Kleinkriminelle Ed Burton (Wyatt Russell) und der dorfbekannte Dealer und Pechvogel Chris Morrow (Mark Rendall) begangen und dabei den Kleinstadt-Polizisten Zeke Sikes (Benjamin Walker), Andys Bruder, verwundet. Seitdem sind sie auf der Flucht – mitsamt der Beute. Kann das spannend sein, wenn man das Ende schon kennt? Kann es. Denn es wenn die Geschichte Memento-ähnlich mit dem Ende beginnt, gibt es einige Ungereimtheiten und offene Fragen, auf deren Beantwortung man drängt. Der Film kann noch mehr, denn Shimmer Lake schafft den Spagat zwischen film noir, Krimi und Komödie. So fragt man sich beispielsweise, warum der Hilfssheriff (gespielt von Adam Pally) so außer Sich ist, als er auf der Rückbank des Polizeiwagens Platz nehmen muss. Nur ein Beispiel für einen Running Gag, der bei der „Rück-Erzählung“ Sinn ergibt und ein ziemlich cooler Kniff. Und ist der Film nun noir? Das ist er. Auch dieser Film handelt von Schuld, die gesühnt wird; Hoffnungslosen die ein besseres Leben führen wollen und in ihrem eigenen gefangenen sind. So bildgewaltig und stimmungsvoll wie man es aber von film noir erwartet, ist er nicht gefilmt; dafür kann er Humor und Krimi vereinen. Und obwohl die Idee der Rückwärtserzählung cool ist und die Handlungsfäden zum Großteil ineinander greifen, wirkt die Auflösung etwas plakativ und lässt schmerzlich viele Fragen offen. So wird beispielsweise nie geklärt, warum Andy bei der Sache mitgemischt hat. Zwar kann man sich das selber erklären und zusammenstricken, aber die Hinweise und sind unbefriedigend wenig – ähnlich dem was Eds und Stephs Sohn passiert ist.
Shimmer Lake, USA/Kanada, 2017, Oren Uziel, 83 min, (7/10)
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Header Image Photo Credits: Djim Loic
Nehmt ihr auch am NOIRvember teil und feiert film noir? Oder ist das nicht so euer Genre? Vielleicht war nur noch nicht der richtige „film noir“ dabei 😉 Auch ich bin mit meiner bisherigen Auswahl nur so semi zufrieden. Keiner der Filme da oben hat mich vollends überzeugt oder vom Hocker gerissen, aber schlecht war auch keiner. Mal schauen, was die zweite Hälfte des Novembers/Noirvembers bringt. 🙂 Welche der hier besprochenen Filme kennt ihr und wie habt ihr sie empfunden? Und mal ehrlich: könnt ihr mit der Zither-Musik in „Der dritte Mann“ etwas anfangen?? Ich finde die passt so gar nicht zu film noir. Aber scheinbar wird sie frenetisch gefeiert.
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