Halbzeit! Es ist nicht nur so in etwa die Hälfte des Monats schon wieder rum, ich habe es auch geschafft die Hälfte meiner Noirvember-Filme zu schauen. 😀 Wenn auch nicht in der angedachten Reihenfolge. Zuerst wollte ich mir nämlich die Scandi-Noir-Filme anschauen. Dieses Jahr stehen bei mir nämlich keine der Klassiker aus der Film-Noir-Ära auf dem Plan, sondern einzig und alleine vier Nordic bzw Scandi Noir Filme und vier Neo Noir Thriller. Leider ist aber der schwedische „Der Hypnotiseur“ noch nicht bei mir angekommen, weswegen das hier etwas gemischt ist. Aber nicht minder noir 😉
Der Tote aus Nordermoor
Kommissar Erlendur Sveinsson (Ingvar Eggert Sigurðsson) ermittelt im Todesfall eines erschlagenen Lastwagenfahrers. Es gibt keine Spuren oder Hinweise und so ermitteln die Beamten anhand von Auffälligkeiten in der Wohnung des Opfers. Was will er beispielsweise mit Fotos von Gräbern? Sie gehen der Frage nach, wer an den abgelichteten Orten bestattet wurde. Die Spur führt zu einem kleinen Mädchen, das scheinbar ohne Gehirn bestattet wurde. Während Erlendur die beiden fast unvereinbar scheinenden und morbide-kuriosen Fälle untersucht, wird er nicht nur mit der Korruption Polizeibeamter und Vertuschungen in der Vergangenheit konfrontiert, sondern versucht auch seine eigene Familie vom zerbrechen abzuhalten. Der bittere Satz, dass es das schlimmste sei sein Kind zu verlieren, hallt wohl in ihm nach. Die bitterste Pille ist aber wohl die Verbindung zwischen den Fällen und führt zum zweiten großen Motiv des Films neben dem Verlust eines Kindes. Nämlich dem unbestreitbaren Fakt, dass so eine Insel klein ist. Und Zufälle manchmal erschreckend groß.
Regisseur Baltasar Kormákur adaptierte das Drehbuch aus dem in Deutschland als Nordermoor bekannten Roman von Arnaldur Indriðason. Die grobkörnige Optik und der leichte „Shaky Cam“-Effekt geben dem Film ein 90er-Jahre-Tatort-Feeling. Wo man es nicht erwartet, da Kormákurs Adaption in den 2000ern erschien. Aber der Look passt zur kargen bis rauen und beeindruckenden isländischen Landschaft. Die schroffe Weite der Straßen und Ödnis stehen im krassen Gegensatz zu dem „kleine Welt“-Effekt, dem sich Erlendur bei der Auflösung der Fälle gegenüber sieht. Es gibt keinen Zweifel, warum Der Tote aus Nordermoor trotz (oder gerade wegen) seiner kargen und scheinbar schmucklosen Bilder auf Platz eins der gängigen „Scandi Noir“-Filmlisten steht. Die Mittel mögen schmucklos wirken, tragen aber mit den Hauptmotiven des Films zum „Noir“-Feeling bei: Ödnis, Melancholie, zweite Chancen, Korruption und Vertuschung, Mord und ein Ermittler, der nicht nur den Königsweg wählt. Film Noir? Kann man nicht abstreiten! Ein besonderes Element ist aber wohl die Erkenntnis, dass hier die kleine Inselwelt eine tragendere Rolle spielt als man anfangs annimmt.
Der Tote aus Nordermoor (OT: Mýrin), Island/Dänemark/Deutschland, 2006, Baltasar Kormákur, 89 min, (7/10)
Einer nach dem anderen
Es wird mir immer ein Rätsel bleiben, warum man den norwegischen Originaltitel Kraftidioten (übersetzt Vollidioten) ändern musste. Und ein ebenso großes Rätsel, warum man das Remake Hard Powder mit Liam Neeson brauchte. Nun begnügen wir uns mit dem deutschen Titel und konzentrieren uns auf das wesentliche: Einer nach dem anderen ist eine herrliche Satire auf Nordic Noir! Der Film handelt von Nils Dickman (Stellan Skarsgård), einem eingewanderten Schweden, der in einigen norwegischen Gemeinden Schneepflug fährt und für seinen unermüdlichen Einsatz gerade erst zum Bürger des Jahres gewählt wurde. Kurz darauf wird aber sein Sohn tot aufgefunden. Eine Überdosis soll es gewesen. Nils kann es nicht glauben und erfährt mehr durch Zufall, dass sein Sohn gar kein Junkie war und im Zuge eines Missverständnisses von der Drogenmafia aus dem Weg geräumt wurde. Nils schwört Rache.
Alles ist Satire – der Nachname von Nils, die unendlichen Schneemassen Norwegens (as nordic noir as it can get!? 😉 ) die Gangster-Spitznamen wie Der Graf oder Strike, die Gangster selber! Der norwegische Titel hat seine Berechtigung, denn die Gangster schießen sich mit dämlichen Aktionen teilweise selber ins Aus. Hans Petter Molands Film hat einen herrlichen schwarzen Humor, der sicherlich dem Drehbuch von Kim Fupz Aakeson zu verdanken ist. Dessen Name ist nicht nur großartig, der hat scheinbar auch ein breites Spektrum, so schrieb er auch das Drehbuch zu meinem Lieblingsfilm Perfect Sense – obwohl die wohl so verschieden wie Tag und Nacht sind. Moland durfte seine Film dann übrigens später selber remaken. Kein Wunder, es ist eine geniale Krimikomödie und Nils Dickman ist die wohl beste Metapher auf die Rache eines Vaters. Schließlich rollt er mit nichts geringerem als einem Schneepflug an und fräst sich wortwörtlich durch die Mafialandschaft. Das ist vielleicht auch das einzige was den Film von der vollen Punktzahl trennt. Da der Film insgesamt sehr over the top ist, mag man verstehen, dass Nils das alle so mühelos erledigt. Dass er dabei aber so wenig Emotionen ausdrückt, ist etwas karg.
Einer nach dem anderen (OT: Kraftidioten), Norwegen/Schweden/Dänemark, 2014, Hans Petter Moland, 117 min, (9/10)
„EINER NACH DEM ANDEREN Trailer Deutsch German“, via diefilmfabrik (Youtube)
Under the Silver Lake
David Robert Mitchell ist ein Zauberer oder sowas. Mit It Follows hat er dem Horrorgenre einen Subtext gegeben, der quasi aus dem Leben gegriffen ist und doch sehr sehr unheimlich. In Under the Silver Lake greift er den Film Noir auf und inszeniert eine Art Abgesang auf das Hollywood der alten Ära durch das Hollywood und den Star-Rummel der neun Ära. Jeder will Fame, jeder ist verwöhnt vom Gedanken an ein sorgloses Leben in Saus, Braus und Pools aus Champagner. Darauf wartet auch noch der Protagonist des Films, Sam (Andrew Garfield). Seine Miete und die Raten für seinen Wagen zahlt er schon lange nicht mehr und steht kurz vor der Zwangsräumung. Eine Arbeit hat er nicht. Und sucht sich auch keine. Irgendwie wird sich schon alles von selbst lösen. Stattdessen beobachtet er tagaus, tagein seine Nachbarin Sarah (Riley Keough). Als in der Stadt eine lebendig gewordene urban legend, der Dog Killer, umgeht und sich in Sams Umfeld seltsame Zeichen verdichten, verschwindet plötzlich Sarah. Und Sam will sie unbedingt wiederfinden.
„Under the Silver Lake | Official Trailer HD | A24“, via (Youtube)
Under the Silver Lake strotzt nur so vor Anspielungen, Rätsel, Popkulturreferenzen und Foreshadowing. Man weiß förmlich kaum wo man zuerst hinschauen soll vor lauter Hinweisen und sogar versteckter Komik. Nicht zuletzt, weil sich verschiedene Handlungsfäden häufen. Da ist einerseits Sam, der nach Sarah sucht. Ein Milliardär, der verschwunden ist. Ein seltsamer Comic und noch seltsamerer Comiczeichner, die scheinbar von Legenden aus L.A. erzählen. Und wer ist eigentlich der Typ im Piratenkostüm? Hängt alles zusammen? Sam ist da irgendwie mittendrin und stolpert nebenbei von einer Katastrophe in die nächste. Verbunden mit der einen oder anderen absolut lächerlichen Szene, furchterregenden Träumen oder surrealen Erlebnissen. Und der body count erhöht sich in Sams Umfeld. Zwischen all den Glücksrittern L.A.s und den Hollywood Hills im Hintergrund, vermutet Sam stets ein großes Geheimnis oder eine Verschwörung um Sarahs Verschwinden – und entdeckt die Hinweise überall in seinem Umfeld. Für den Zuschauer eine gekonnte Schnitzeljagd. Durch den großartigen Soundtrack von Disasterpeace (die schon für It Follows mit Mitchell zusammenarbeiteten), wird trotz dieses wilden Mixes dafür gesorgt, dass sich Under the Silver Lake wie ein (Neo) Film Noir anfühlt. Was ein Kunststück ist, denn Parodie, Comic und Popkultur warten nur um die Ecke.
Ein Beispiel: Sam besucht den Comiczeichner, dessen Reihe Under the Silver Lake von urbanen Mythen erzählt, da dieser vielleicht weiß, was hinter Sarahs Verschwinden steckt. Im Haus des paranoiden Künstlers hängen zig Masken von berühmten Leuten. Während der Comiczeichner darüber schwadroniert, dass sie alle so bedeutungsvolle, wunderbare Persönlichkeiten wären, schwenkt die Kamera auf einen Ausschnitt mit der Maske Abraham Lincolns. Daneben: die von Kim Kardashian. Und wenn dann eine Map aus einem alten Zelda-Spiel zur ultimativen Lösung des Rätsels beiträgt, ist klar, dass der Film ziemlich irre ist. Er ist eine Parodie auf die Traumfabrik und prangert an, dass sich die Industrie beispielsweise mit Remakes immer wieder bei der goldenen Ära bedient, ja sogar Tote wiederbelebt und dabei absolut kein Interesse am Individuum hat. Weder die Künstler, noch die Konsumenten. In einer Szene stehen wortwörtlich Leute auf Hitchcocks Grab und feiern. Diese scheinheilige Traumfabrik lässt desillusionierte Gestalten wie unseren Protagonisten Sam zurück, die schon irgendwie durch’s Leben kommen. Aber mit der Betonung auf irgendwie. Und beides funktioniert! Sowohl Noir, als auch Parodie. Das einzige was den grandiosen Film davon trennt seine zehn Punkte zu bekommen ist, dass eben bei weitem nicht alles aufgelöst wird, was während des Films angeteasert wird und zuvieles in Nichtigkeit abgleitet.
Under the Silver Lake, USA, 2018, David Robert Mitchell, 139 min, (9/10)
Headhunters
Roger Brown (Aksel Hennie) macht bereits in der Eröffnungssequenz des Films klar, was sein Dilemma ist. Er arbeitet als Top-Headhunter und engagiert Fachkräfte für seine Kunden in hohen Kreisen. Um seinen exorbitanten Lebensstil zu finanzieren, verdingt er sich nebenbei als Kunstdieb und bricht bei seinen Kunden ein. Vermeintlich spurlos. Warum all das? Weil er seine Minderwertigkeitskomplexe mit einem exquisiten Anschein kompensieren will und versucht seine attraktive Frau Diana (Synnøve Macody Lund) an sich zu binden und ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Ein fragiles Konstrukt. Roger stellt sich dabei ziemlich clever an, als aber der charmante, dänische Geschäftsmann Clas Greve (Nikolaj Coster-Waldau) tritt, stürzt Rogers Kartenhaus ein und er muss wortwörtlich um sein Leben fürchten. Morten Tyldums Headhunters basiert auf einem Roman Jo Nesbøs und nimmt rasant an Tempo zu. Als Roger nämlich versucht auch Clas Greve wie viele seiner Kunden zuvor auszurauben, stößt er auf ein Geheimnis und landet auf der Abschussliste des Dänen. Und das hat es in sich. Roger wird wortwörtlich in der Scheiße waten und eine Spur an Leichen hinter sich herziehen. Das anfängliche Katz-und-Maus-Spiel eskaliert schnell und legt geschickt Fährten, auf die Roger wie auch der Zuschauer fast hereinfällt. Neo Noir? Ja vielleicht. Vor Allem ist es aber ein guter Thriller, der nicht um die eine oder andere irre Szene verlegen ist (Stichwort Traktorfahrt mit Hund) und seine Charaktere etwas schlauer sein lässt als die des klassischen Hollywood-Actioners. Die Auflösung um die Kinderdebatte des Ehepaars, der leicht süßliche Unterton gegen Ende und die Nanotechnologie-Story trennen den Film für meinen Geschmack von einer Höchstpunktzahl.
Headhunters (Hodejegerne), Norwegen/Dänemark/Deutschland, 2011, Morten Tyldum, 100 min, (8/10)
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Header Image Photo Credits: Djim Loic
Als ich damals entschied nicht für „Under the Silver Lake“ ins Kino zu gehen, lag das an der etwas faden Beschreibung, dass der Film von einem jungen, desillusionierten Mann handelt, der seine verschwundene Freundin sucht. Mensch. Das ist ja noch nicht mal ein Zehntel des Films. Wenn ich das früher gewusst hätte … . Wann wurdet ihr das letzte Mal so richtig positiv von einem Film überrascht? Kennt ihr die heute besprochenen Filme? Oder das Remake „Hard Powder“?? Nehmt ihr vielleicht sogar am „Noirvember“ teil und wie ist euer Zwischenstand? Ich wünsche euch (und mir) jedenfalls noch viel Spaß. 😉
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