War es auch hier das Cannes-Echo? Jedenfalls war ich seitdem ich das erste Mal von „Der Leuchtturm“ hörte überzeugt, dass ich den sehen müsse. Und tatsächlich ist es einer der interessanteren Filme, für die ich 2019 ins Kino gegangen bin. Nicht notwendigerweise der zugänglichste. Besprechung ist spoilerfrei.
Wenn der Film beginnt, ist das wohl auffälligste neben dem penetranten Geräusch des Nebelhorns das fast quadratische Seitenverhältnis. Der Leuchtturm wird uns nämlich in 1,19:1 präsentiert. Regisseur Robert Eggers hat ja schon bei seinem The VVitch bewiesen, dass er folkloristische Stoffe kann. Jetzt demonstriert sein Werk das nicht nur thematisch und was die Ausstattung betrifft, sondern auch vom Format her. Was kommt als nächstes? Das Medium? Ich hoffe auf einen 8mm- oder Stummfilm. 😉 Dass es sich hier zudem auch noch um einen Schwarzweißfilm handelt, muss man fast so nebenbei erwähnen, weil es eine ganze Menge zu Der Leuchtturm zu sagen gibt. Der Film handelt von dem alteingesessenen Leuchtturmwärter Thomas Wake (Willem Dafoe), der zusammen mit dem jüngeren Ephraim Winslow (Robert Pattinson) Ende des 19. Jahrhunderts auf einer kleinen Insel vor Maine die dortigen Leuchtturmwärter ablöst. Für Winslow ist es der erste Einsatz und Wake lässt ihn die ganze Drecksarbeit machen. Auf das Warten des Lichts erhebt Wake den alleinigen Anspruch. Dabei wäre es bei all der Schufterei wie eine Belohnung. Zusammen mit der schroffen Art des Älteren, dem ständigen Gefurze, schlechten Wetter und an den Nerven zerrendem Dröhnen des Nebelhorns zehrt es vom Verstand der Leuchtturmwärter. Oder sind die bösen Omen und Schreie der Sirenen vielleicht gar keine Einbildung?
„DER LEUCHTTURM Trailer German Deutsch (2019)“, via KinoCheck (Youtube)
Der Leuchtturm ist schon ein bisschen artsy-fartsy und der geneigte Zuschauer sei gewarnt: Arthouse ahead. Man muss sich auf das Psychoduell des Alten und Jungen einlassen können. Fäkalien, die entbehrungsreiche Lebensweise, sexuelle Fantasien, Seemannsgarn, Alte-Männer-Fürze und psychedelische Träume inklusive. Dafür ist Eggers jüngstes Werk aber auch enorm metaphernreich. Wenn Winslow und Wake beginnen auf Augenhöhe miteinander umzugehen, kommt das eine oder andere ans Licht, sodass sie sich selbst und gegenseitig das erste Mal richtig sehen. Dekoriert mit einer Metapher von Augen, die wie Laternen aus ihren Höhlen scheinen. Man bekommt eine ganze Menge Futter zum interpretieren und sezieren. Sind es nur Ausgeburten ihrer Fantasie und zunehmenden Isolation oder geht auf der Insel wirklich etwas schräges vor sich? Nimmt man allein all das ist Der Leuchtturm ein Quell von Elementen, die das Filmliebhaber- oder Folktale-Fan-Herz höher schlagen lassen. Aber auch aufgrund der Länge und Repetitivität ein bisschen an unseren Nerven zerren. Da reiht sich Zerwürfnis und Versöhnung aneinander, zwischendurch sind Winslow und Wake gar wie ein altes Ehepaar. Auch das klaustrophobische und menschenfeindliche der Umgebung drückt auf das Gemüt des Zuschauers. Das quasi-quadratische Seitenverhältnis und die düsteren Bilder von tosenden Wellen in Schwarzweiß sperren uns mindestens genauso ein wie Wake und Winslow.
Was das Klaustrophobische betrifft: mission accomplished. Aber so fühlt sich Eggers Film auch manchmal sehr sehr lang an, trotz des ab und zu eingestreuten Comic Reliefs. Belohnt wird man mit Mammutleistungen von Dafoe und Pattinson- sollte ersterer dafür nicht das eine oder andere Mal für gängige Filmpreise nominiert werden? Os*hust*car? Und Muskel-und-Oberlippenbart-Pattinson fällt durch ganz andere Dinge als das Glitzern früherer Filme auf. Das Spiel mit dem Wahnsinn ist zudem durch Geschichten Herman Melvilles und Sarah Orne Jewetts inspiriert. Auch wenn der Film nicht direkt einfach anzuschauen ist, so ist er doch ziemlich genial und erhebt Eggers auf eine Stufe mit Größen wie … ich sage es jetzt einfach: Andrei Tarkowski. Sanfte Gemüter seien gewarnt: es gibt viel Blut in Schwarzweiß und der Film spart nicht an Brutalität und dem Ausleben sexueller Sehnsüchte.
Der Leuchtturm, USA, 2019, Robert Eggers, 109 min, (8/10)
Umso gespannter bin ich jetzt: habt ihr „Der Leuchtturm“ gesehen und empfandet ihn auch als gut aber nicht einfach anzuschauen? Seid ihr Melville-Kenner und erkennt das eine oder andere wieder? Mir fällt bei Ephraim nur „Moby Dick“ ein, obwohl ich es noch nicht gelesen habe. Wie interpretiert ihr das Ende? Und deutet ihr das Gesehene als Wahnsinn, wahrgewordenes Horror-Märchen, Drama oder alles zusammen?
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