7ème art: Filme von Kathryn Bigelow

Anlässlich des Frauentages nächste Woche nahm ich mir vor mal wieder die Filmografie einer Frau zu betrachten, gerne einer Regisseurin. Und wer jetzt schon tief einatmet: ja natürlich! Es braucht dazu keinesfalls den Frauentag als Anlass. Aber schaden kann es ja auch nicht. 😉 Als ich mal in meiner Bubble rumfragte, fielen meinen filmbewanderten Freunden (und mir) einige Regisseurinnen ein. Here’s the catch: die meisten haben keine sieben Filme in ihrer Filmografie (und die setze ich hier als Regel voraus, oh my!) Offenbar gibt es sie immer noch – die Lücke. Aber es fand sich doch noch eine Regisseurin, die mehr als sieben Filme auf dem Kerbholz hat und es war längst überfällig eine Werkschau ihrer Filmografie zu machen. Heute geht es also um Filme von Kathryn Bigelow – und das ist, soviel darf ich spoilern: knallhart. (Besprechungen sind spoilerfrei.)

Near Dark

„The night, so bright it will blind you.“ Caleb (Adrian Pasdar) scheint nicht genau das zu sehen, was Mae (Jenny Wright) sieht, wenn sie in die Dunkelheit hinausschaut. Was Caleb noch nicht weiß ist, dass die Dunkelheit wohl das einzige „hell“ ist, was Mae bis zum Ende aller Zeiten oder ihrem Ende sehen wird. Die gut aussehende junge Frau, die er aufgegabelt hat und mit der er durch die Nacht zieht, ist ein Vampir. Sie beißt ihn und er hat keine Wahl als mit ihr und ihrer Familie durch das Land zu ziehen, um zu lernen wie er sich ernährt. Und dafür töten muss.

Near Dark ist ein vielleicht in Vergessenheit geratener Kultfilm. Zumindest habe ich von Near Dark weitaus weniger gehört als von Bigelows Gefährliche Brandung. Aber das Kultpotential liegt genauso auf der Hand wie es auch die Recherche zeigt. Als Neo-Western-Horrorfilm-Hybrid hat Near Dark nichts mit glitzernden Highschool-Vampiren gemein. Wir sehen nicht mal spitze Zähnchen, aber reichlich Blut. Mae und ihre „Familie“ bestehend aus Oberhaupt Jesse (Lance Henriksen), seiner Frau Diamondback (Jenette Goldstein), Severen (Bill Paxton) und dem in einem Kinderkörper gefangenen Vampir Homer (Joshua John Miller) verstecken sich tagsüber in alten Industriehallen, abgedunkelten Autos und siffigen Motelzimmern. Nachts sind sie auf der Straße unterwegs und ernähren sich. Sie erwarten das auch von Caleb, der sich aber dagegen wehrt.


„Near Dark (1987) – Theatrical Trailer #2“, via Forever Horror Video Archive (Youtube)

Es gibt blutige Szenen, in denen sie eine ganze Bar und seine Besucher und Besitzer zerlegen. Das Unheil, was sie anrichten, lassen sie nicht an sich heran und wüten mit einer destruktiven Gier aus Überlebenswillen. Die Gewalt, Maes Melancholie, Homers Dilemma und Calebs Anpassungsschwierigkeiten und fiebriger Zustand zeichnen ein Bild fernab von dem was man wohl heute als Vampir-Romantik bezeichnen könnte. Der Film hat industriellen Charme, Schmutz und reichlich cinematografisch-künstlerische Szenen. Egal ob die Einschusslöcher im Motelzimmer oder die Mücke, die sich in der Eröffnungsszene auf Haut setzt und ihrer Biologie nachgeht. Der einzige Wermutstropfen ist die interessante Lösung für Calebs Dilemma am Ende des Films. Das fand ich so banal gelöst, dass es dem ganzen Film für mein Empfinden schadet.

Near Dark, USA, 1987, Kathryn Bigelow, 95 min, (7/10)

Sternchen-7

Blue Steel

Megan Turner (Jamie Lee Curtis) ist überglücklich und stolz, dass sie die Akademie abgeschlossen hat und in den Polizeidienst eintritt. Aber schon ihre erste Streife wird zum Albtraum. Sie wird auf einen bewaffneten Überfall aufmerksam, greift ein und muss abdrücken. Der Dieb ist tot, seine Waffe fehlt aber. Und schon wird sie suspendiert, weil der Grund für das Ziehen ihrer Waffen trotz Zeugen nicht nachweisbar ist. Was Megan noch nicht weiß: die Waffe des Täters wurde vom Broker Eugene Hunt (Ron Silver) vom Tatort entwendet. Seine obsessive Abhängigkeit zu der Waffe und der Polizistin tritt eine Gewaltspirale los. Und die wird irgendwann komplett sinnfrei.

Obwohl der Anfang des Films sowohl Megan als auch Eugene charakterisiert, gleitet der Film in der zweiten Hälfte eigentlich nur noch in ein blutiges Fiasko ab, dem es an Logik mangelt. Wo sind die Streifen? Wo der Personenschutz, nachdem klar wird, dass Eugene es auf Megan abgesehen hat? Die angedeutete Übergriffigkeit ist in wenigen Sekunden abgefrühstückt. Was Megan passiert ist schon fast Torture Porn. In den 90er Jahren hätte es ein Aufhänger sein können zu zeigen wie sich Megan in der Männerdomäne Polizei behauptet. Auch der Beigeschmack von „Frau wird Polizistin und ihr Leben ist zerstört und viele unschuldige Menschen sterben“ ist sehr unangenehm. Immerhin bietet Blue Steel insbesondere am Anfang eine gute Plattform für nuanciertes Schauspiel von Jamie Lee Curtis und Ron Silver, auch wenn die Charakterzeichnung seines Eugenes ein bisschen banal als „psycho without a cause“ gerendert wurde. Was Blue Steel hingegen sehr gut kann: Cinematografie. Es gibt einige Szenen, die im Kopf bleiben. So auch das Intro mit dem Close-Up aus dem Waffenlauf. Es unterstreicht einerseits den Filmtitel sehr schön als auch (das sollte wahrscheinlich der Aufhänger des Films sein) wieviel Gewalt und Unglück eine einzelne Schusswaffe verursachen kann.

Blue Steel, USA, 1990, Kathryn Bigelow, 102 min, (5/10)

Sternchen-5

Gefährliche Brandung

Tatsächlich sind meine bisherigen, wenigen Eindrücke von Gefährliche Brandung alleinig durch Hot Fuzz gewonnene. Und das allgemeine Gemurmel, Gefährliche Brandung sei ein Kultfilm der 90er. Kult liegt aber auch immer im Auge des Betrachters. Viel des Gemurmels, der Vorschusslorbeeren und der Labels sind nicht auf mich übergesprungen. Johnny Utah (Keanu Reeves) kommt frisch von der Akademie und steigt beim FBI direkt in den Fall um eine Gruppe Bankräuber ein. Niemand glaubt mehr daran, dass man sie fassen können. Auch nicht sein Partner Agent Angelo Pappas (Gary Busey). Als Johnny Pappas reizt, teilt der aber mit ihm seine Theorie, dass es sich bei den Bankräubern um eine Gruppe Surfer handeln muss. So ermittelt Johnny under cover in der Szene und freundet sich u.a. mit Tyler (Lori Petty) und Bodhi (Patrick Swayze) an, der als regelrechter Surfer-Guru verehrt wird.


„GEFÄHRLICHE BRANDUNG | Trailer | Offiziell | Deutsch“, via LEONINE Studios (Youtube)

Kathryn Bigelow bleibt in ihrem Film soweit auf Distanz zu ihren Figuren, dass man nicht genau weiß, ab wann Johnny vermutet, dass Bodhi und seine Freunde die Überfälle verüben. Die Grenzen sind so schwimmend, dass wir selber hin- und hergerissen sind und uns im einen Moment fragen, ob es nicht ganz schön wäre, wenn Johnny das einfach ignorieren würde. Aber im nächsten Moment wissen wir ziemlich genau, dass es so sein muss. Der Grund dafür liegt über weite Strecken in dem Freiheitsgefühl, dass der Film vermittelt. Wenn Johnny surfen lernt dann wird das auf angenehme Weise nicht sofort ein Erfolg, sondern er übt, er lernt, er fällt auch öfter Mal ins Wasser. Auch das Miteinander mit Bodhis Freunden und Tyler ist ein anderes Leben als sein „Suit and Tie FBI Guy“-Dasein. Irgendwann ist das alles aber leider gezwungen sich aufzulösen und das tut es sehr holprig. Falsche Entscheidungen, einige Rückzieher und das blutige Schlamassel in das Johnny geraten ist, wird immer unangenehmer und ein immer größeres Chaos. Es ist verhältnismäßig schwer anzusehen wie oft sich Johnny Bodhis Bande oder Bodhi selber durch die Lappen gehen lässt. Das geht auf Kosten der Glaubwürdigkeit, auch wenn ich eigentlich die Note sehr schätze, dass Johnny in einen Gewissenskonflikt gerät. Tatsächlich demonstriert Gefährliche Brandung dadurch aber sehr gut, dass Gewissen nicht immer gewinnt. Den angeblich homoerotischen Subtext habe ich nicht rausgelesen. Auch wird in der Darstellung der lässigen surfer dudes Kathryn Bigelow ein female gaze unterstellt. Naja. Warum eigentlich nur female gaze, hm? Das müssen sehr altertümliche Besprechungen sein. (Sorry.)

Gefährliche Brandung (OT: Point Break), USA, 1991, Kathryn Bigelow, 122 min, (6/10)

Sternchen-6

Strange Days

„Die besten Geschichten schreibt das Leben.“ Strange Days demonstriert das in zweierlei Hinsicht auf bittere Art. Schauplatz des Films ist ein von Konflikten und Unruhen heimgesuchtes Los Angeles im Jahr 1999. Kurz vor dem Jahrtausendwechsel reden die Menschen vom Weltuntergang und suchen Befriedigung in illegalen Clips, die sie direkt in ihr Nervensystem speisen. Mittels des SQUID genannten Headsets können Clips aus dem echten Leben aufgenommen und von anderen Personen abgespielt werden – und zwar blicken sie dabei durch die Augen desjenigen, der es initial erlebt hat. Volle Immersion. Der Ex-Cop Lenny Nero (Ralph Fiennes) dealt mit solchen Clips. Der Markt fragt v.A. Sex-Clips und solche für Adrenalinjunkies nach. Als eine Bekannte von Lenny etwas kontroverses aufnimmt und ihm zukommen lässt, wird es gefährlich für ihn und seine Freundin Mace (Angela Bassett).

Und noch soviele Menschen mehr. Der Film baut von Beginn an viele Parallelhandlungen ein und nimmt sich Zeit dieses L.A. des Jahres 1999 zu skizzieren. Ausschweifungen, Armut, Gewalt – alles eskaliert. Cyberpunk kommt alleinig durch die Clips ins Spiel. Menschen leben ihre Träume aus – egal ob unschuldige oder nicht. Obwohl nur hier Technik durchsickert, fühlt sich Strange Days wie ein vollwertiger Cyberpunk-Film an und zeitgleich wie einer, der von unserer Realität nicht so weit entfernt ist. V.A. weil er ein zeitaktuelles Thema adressiert: strukturellen Rassismus, Polizeigewalt und #BlackLivesMatter. Das habe ich nicht kommen sehen und war überrascht. All die Motive greifen hervorragend ineinander, aber es braucht eine Weile bis alle Parallelhandlungen und Personen, die außerdem darin verwickelt sind, auf dem Spielplan positioniert sind. So spielt auch Lennys Ex-Freundin Faith (Juliette Lewis) eine Rolle. Die Botschaft des Films ist neben der politischen, dass die Clips nur ein schöner Schein sind. Erinnerungen sind wertvoll, solange sie uns etwas bedeuten. Aber es gibt auch einen Grund, warum Erinnerungen verblassen. Damit man sich davon erholt und mit dem echten Leben weitermachen kann. Dabei Man könnte man denken, dass der Film heute gemacht wäre. Tatsächlich nahm er aber den Tod Rodney Kings 1991 als Anlass für die Parabel auf strukturellen Rassismus und Diskriminierung von PoC (People of Color). Es ist haarsträubend wie aktuell er ist.

Strange Days, USA, 1995, Kathryn Bigelow, 133 min, (9/10)

Sternchen-9


„STRANGE DAYS (1995) | Full Movie Trailer | Classic Movie“, via MOVIE PREDICTOR (Youtube)

Das Gewicht des Wassers

Die Journalistin Jean (Catherine McCormack) nutzt einen Bootsausflug mit ihrem Mann Thomas (Sean Penn), seinem Bruder Rich (Josh Lucas) und dessen Freundin Adaline (Elizabeth Hurley) um bei den Isles of Shoals über einen alten Kriminalfall zu recherchieren. Sie vermutet, dass in dem blutigen Axtmord zwischen deutschen und norwegischen Immigranten um 1870 mehr steckt als die Geschichtsbücher hergeben. Desto mehr sich aber die Befindlichkeiten zwischen den beiden Paaren in der Gegenwart auf dem Boot zuspitzen, desto mehr tun sich Parallelen zu den damaligen Opfern und Tätern auf.

Das Gewicht des Wassers ist die Verfilmung des Romans von Anita Shreve, der auf wahren Begebenheiten basiert, diese aber auch fiktionalisiert und eine zweite Version der Geschehnisse liefert. Egal ob man den „True Crime“- oder fiktionalen Aspekt als „Wahrheit“ betrachten will, beide kann man als Verbechen aus Leidenschaft bezeichnen. Dass der Kriminalfall in der angespannten Atmosphäre zwischen den Paaren einen Närboden findet, liegt vor Allem an der Vergangenheit von Thomas und Jeans Gefühl nie seine erste Wahl gewesen zu sein. Dass sich Adaline auf jede erdenkliche Weise versucht an Thomas ranzumachen, ist der Auslöser für das Hochkochen alter Gefühle. Dass sich die vier Menschen an Bord das offensive Geflirte gefallen lassen, kann ich mir zwar weniger gut erklären, aber die Parallelen sind jedenfalls einleuchtend nebeneinander aufgezäunt und überlassen es dem Zuschauer die Feinheiten zu deuten. Im historischen True-Crime-Kleid erinnern die Rückblicke (oder Fantasisen Jeans über die Ereignisse zwischen den Einwanderern) stark an das später adaptierte, aber früher erschienene Alias Grace. Eine durchaus sehenswerte Mischung, die verführerisch und atmosphärisch ist. Spätestens das gewaltige Unwetter auf dem Boot bereitet Gänsehaut. Leider ist der Film für seinen Inhalt verhältnismäßig gedehnt. Auch Jeans Spurensuche wirkt schwer nachvollziehbar: mal fiebrig, mal bewusst, mal von Tagträumen durchzogen, man kann sich nicht wirklich einen Reim darauf machen, ob sie fantasiert oder nicht. Der entscheidende Hinweis bleibt schwammig und der Zuschauer irgendwo verloren zwischen wirr platzierten Eindrücken.

Das Gewicht des Wassers (OT: The Weight of Water), Frankreich/USA, 2000, Kathryn Bigelow, 113 min, (7/10)

Sternchen-7

Zero Dark Thirty

In zweieinhalb Stunden Spiellänge erzählt Zero Dark Thirty nach einem Drehbuch von Mark Boal von der Suche nach Osama bin Laden und seiner anschließenden Tötung. Im Zentrum der Handlung steht dabei die CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain) oder viel mehr ihre Aufgabe. Es ist kein Portrait von Mayas Leben, sondern von der Suche nach bin Laden und warum diese für sie im Laufe der Zeit umso persönlicher wird. Der Film beginnt mit Gesprächsaufnahmen, die die Geschehnisse von 9/11 zurück in unsere Wahrnehmung holen und scheut sich nicht auch Folter zu zeigen, die angewendet wird um „Informationen zu extrahieren“ wie man so schön sagt.

Oftmals wird dem Film vorgworfen Folter als ein valides Mittel zu betrachten, schlichtweg weil keine Kritik daran geäußert wird. Für mich liegt die Kritik in der Darstellung. Viel mehr stellt sich vielleicht die Frage: ist die Folter auch ein Bestandteil der wahren Begebenheiten oder der kreativen Freiheit? Kathryn Bigelow gab an einen Thriller machen zu wollen, keine Dokumentation. Trotzdem kann man überall nachlesen, das der Film einen hohen Wahrheitsgehalt haben soll wie irgendwelche direkt oder indirekt Beteiligten zu Protokoll geben. Das kann man glauben oder nicht, aber sicherlich trägt auch das zur Popularität des Films bei. Und tatsächlich fühlt sich Zero Dark Thirty zumindest für meine Sehgewohnheiten wie ein Mix aus Thriller und Dokumentation an. Die Nüchternehit der Inszenierung, dass die ihre Charaktere nicht übermäßig in den Fokus stellt und die Langatmigkeit sind vorrangige Gründe dafür. Das alles mindert etwas die Spannung, fördert aber das Gefühl von Realismus. Und der ist stellenweise haarsträubend. Das ist kein Entertainment, sondern der Aufruf nachzuvollziehen, sich Meinungen zu bilden. (Zur Nachlese hier mal nur eine Quelle: NY Times 24.11.2012 Bin Laden Film’s Focus Is Facts, Not Flash)

Zero Dark Thirty, USA, 2012, Kathryn Bigelow, 157 min, (8/10)

Sternchen-8


„ZERO DARK THIRTY – Official US Trailer – In Theaters 12/19“, via Sony Pictures Entertainment (Youtube)

Detroit

Kathryn Bigelows zuletzt veröffentlichter Spielfilm erzählt die Ereignisse der Unruhen in Detroit 1967 nach. Dort eskalierte die angespannte Beziehung zwischen der Polizei und der schwarzen Bevölkerung, die sich zunehmend strukturellem Rassismus ausgesetzt sah. Als Ursache nennt der Film zu Beginn die Zuwanderung von PoC aus den Südstaaten in der Hoffnung Akzeptanz und Arbeit zu finden, die sich aber immer noch anhaltender Diskriminierung gegenübersahen. Ja sogar in Detroit nur in bestimmten Vierteln wohnen durften oder konnten. Die mehrere Tage andauernden Unruhen werden im Film als nahezu kriegsähnlicher Zustand dargestellt und in einigen Quellen als authentisch beschrieben, was umso betroffener macht. Vor Allem angesichts meiner Wissenslücke – ich wusste nichts von diesen Unruhen. Es ist nicht so, dass ich rassistisch motivierte Gewalt für eine Erfindung der 2000er halte. Im Gegenteil. Aber einen solchen 5 Tage andauernden Ausnahmezustand wie im Sommer 1967 in Detroit und wie im Film dargestellt, hatte ich nicht für möglich gehalten so naiv es klingen mag.

Nach dem Show-don’t-tell-Ansatz zeigt Bigelow hauptsächlich am Beispiel des Hotels Algier wie sich People of Colour und Weiße, die zu ihnen stehen, Polizeigewalt ausgeliefert sehen. Darunter einige Mitglieder der Band The Dramatics wie der von Algee Smith gespielte Larry Reed, ihr Freund Carl Cooper (Jason Mitchell) und Vietnam-Veteran Karl Greene (Anthony Mackie). Der ebenfalls schwarze Sicherheitsmann Melvin Dismukes (John Boyega) muss (fast) hilflos zusehen wie einige weiße Polizisten um den Hitzkopf Philip Krauss (Will Poulter) meinen den Schwarzen eine Lektion erteilen zu müssen und ihr Amt aufs Übelste missbrauchen. Detroit ist damit also keine leichte Kost, sondern ein Mahnmal der Grausamkeiten, zu denen selbst Amtsinhaber offenbar heute noch fähig sind. Sonst gäbe es #BlackLivesMatter nicht. Mit der Entscheidung den Film abgesehen von einer Rahmenhandlung hauptsächlich aus dem Hotel Algier und einem der vielen Schauplätze der Unruhen zu erzählen, schafft Bigelow Immersion, Empathie und Entsetzen darzustellen ohne ins „übererklären“ zu verfallen. Um den historischen Kontext darzulegen, gibt es animierte Einspieler (zu Beginn) und historische Aufnahmen mittendrin. Das kann man durchaus als mixed media bezeichnen – der Spagat gelingt jedenfalls sehr gut. Einzig die überbordende Lauflänge von über zwei Stunden bei einem so erschütternden Thema zehrt etwas am Zuschauer.

Detroit, USA, 2017, Kathryn Bigelow, 143 min, (9/10)

Sternchen-9

Neo-Western-Horror, Politischer Thriller, Dystopie mit Bezügen zu struktureller Diskriminierung, die kaum aktueller sein könnte – das ist ja mal eine Bandbreite! Ich kannte bisher nur Kathryn Bigelows Hurt Locker, der auch immer noch mein Lieblingsfilm von ihr ist und den ich schon mal hier im Blog besprochen habe. Es war aber längst überfällig Bigelows andere Filme zu schauen, denn sowohl Themen als auch Umsetzung sind mitunter knallhart, schonungslos und halten den Finger auf Wunden unserer Gesellschaft.

Es mag von Schubladendenken zeugen, wenn Quellen angeben, dass sie „eine der wenigen Regisseurinnen ist, die Actionfilme machen“, aber ganz von der Hand zu weisen ist es nicht. Und trotz ihrer zeitaktuellen Themen, teilweise blutiger Umsetzung und Bissigkeit wird meistens doch erwähnt, dass James Cameron ihr Ex-Mann ist. Hat sein Name mehr Türen geöffnet, die anderen Regisseurinnen offenbar verschlossen blieben? Ist das der Grund, warum ihre Filmografie länger ist? Das kann sein und das wäre dann sehr traurig. Aber in jedem Fall sagt es nichts über ihr Talent aus. Ich war jedenfalls sehr beeindruckt von der Weitsicht und Bissigkeit mit denen Bigelow Themen auf die Mattscheibe transportiert – oftmals nach eigenen Drehbüchern oder welchen, an denen sie beteiligt ist. Mrs. Bigelow, ich ziehe meinen imaginären Hut.

Andere Regisseurinnen: Naomi Kawase | Sofia Coppola | Isabel Coixet

„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.

7 Antworten

  1. Ich kenne von ihr bisher nur Detroit, den ich allerdings Richtig gut fand, muss mal mehr von ihr sehen und dank deines Beitrags habe ich jetzt ja einige Empfehlungen.

    Liebe Grüße
    Nadine vom Blog Wörter auf Reise

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hi Nadine,
      freut mich, wenn ich dich auf ihre anderen Filme aufmerksam machen konnte. 🙂 Wenn dir Detroit gefallen hat, könnte dir auch Strange Days gefallen denke ich. Zumindest spielt dort struktureller Rassismus auch eine große Rolle. Ist nur ein Science-Fiction-Kleid drumrum.

      Ebenso liebe Grüße

  2. Oh – Gefährliche Brandung und Strange Days gehören zu meinen Lieblingsfilmen! Aber bei letzterem drücke ich mich ein wenig davor, den mal wieder zu schauen, weil ich etwas befürchtet hatte, dass er schlecht gealtert wäre. Scheint ja nicht so 🙂

    Zero Dark Thirty fand ich auch sehr spannend – da verspüre ich allerdings keinen Drang, den ein zweites Mal zu sehen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Nö, ich finde eigentlich sogar, dass Strange Days gerade durch die Polizeigewalt in den USA aktueller ist denn je. Obwohl kann man nicht so sagen, da er ja auch auf einem bekannten Fall struktureller Gewalt gegen PoC fußt … leider. Das einzige was halt echt komisch wirkt sind die Mini-Discs die sie zum Daten speichern verwenden. 🙂 Da wäre man heute drüber weg … aber ist eigentlich auch egal.

      Geht mir ähnlich mit Zero Dark Thirty …

  3. […] Monat startete im Blog mit der Werkschau zu Filmen von Kathryn Bigelow – das hat sehr Spaß gemacht, obwohl (und gerade auch weil) sie so eine unglaublich aktuelle, […]

  4. […] sehr groß. So war mir beispielsweise vorher nicht klar wieviele zeitgenössisch-kritische Filme Kathryn Bigelow gemacht hat. Seitdem bin ich echt ein Fan. Die Werkschau rund um Geschmackvolle Filme, d.h. solche […]

  5. […] erwarten. Sie nimmt sich beinharter Stoffe an und dreht Filme darüber. Ob Hurt Locker, Zero Dark Thirty oder mein Lieblingsfilme von ihr Strange Days – Bigelow macht es und liefert ab. Sie ist für […]

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