7ème art: Filme von David Lynch

David Lynch und ich – eine Beziehung voller Missverständnisse. 🙂 Vor noch 10-15 Jahren sah ich die Filme mit jugendlichem Übereifer, fand sie irgendwie genial, konfus und manchmal regelrecht abstoßend. Heute weiß ich, dass ich einfach viele von ihnen nicht verstanden habe. Andere Filme wie auch die Serie „Twin Peaks“ waren aber eine Initialzündung. Es ist leicht abzulehnen, was man nicht versteht. Immerhin war ich so schlau, das zu wissen. Denn nicht von der Hand zu weisen ist David Lynchs eindeutige Handschrift und Einfluss auf Genre-Filme. „Lynchian“ ist ein Attribut, dass sehr eindeutig und nachvollziehbar ist, wenn man nur wenigstens einen David-Lynch-Film gesehen hat. Ein Stoff ist lynchian, wenn er düster, experimentell und vielseitig ist. Im einen Moment die schlimmsten Abgründe der menschlichen Seele adressiert, im nächsten einen abstrusen Witz macht. Und v.A. weigert sich „lynchian“ sich ohne Leistung der Zuschauenden zu erklären. Nach vielen Jahren wagte ich also den Rewatch oder den überhaupt ersten „Watch“ und gab mir David Lynchs Filmografie – hier heute in sieben Filmen und deren Besprechungen abgebildet. Es war wild.

Eraserhead

David Lynchs surreales Erstlingswerk beobachtet die Figur des Henry Spencer (Jack Nance), der in einer industrialisierten Umgebung lebt. Dort ist meistens Nacht und es lächelt selten jemand. Als der verschüchterte Henry von seiner Freundin Mary (Charlotte Stewart) zum Essen mit ihrer Familie eingeladen wird, stellen die ihn vor vollendete Tatsachen. Mary hat gerade ein Baby zur Welt gebracht, das nur von Henry sein kann. Nun soll er sie heiraten und Verantwortung übernehmen. Was folgt ist eine Aneinanderreihung von Sequenzen, in denen Traum und Wirklichkeit verschwimmt. Mary ist überfordert und macht sich bald aus dem Staub. Das Baby wirkt deformiert und quengelt durchgängig. Henry kann zu dem Kind keine emotionale Bindung aufbauen und flüchtet sich noch mehr in den Eskapismus als zuvor.


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Eraserhead ist eine makabre und surreale Auseinandersetzung mit der Familiengründung. Bewusst erzählt aus der Perspektive zweier Charaktere (Henry und Mary), die selber noch zu hilflos und kindlich sind, um selber ein Kind aufzuziehen. Für sie scheint alles in ihrer Umgebung lebensfeindlich zu sein. Von dem schwer begreifbaren Schwiegervater, der offensiven Schwiegermutter bis hin zu der Person, die man ja eigentlich liebt und dem Baby, das man lieben sollte. So bleibt Henry um zu überleben nur die Flucht in den Eskapismus, dargestellt durch das „Theater in dem Heizkörper“. Dort beobachtet Henry die Lady in the Radiator, die später sogar ein Motiv wurde, das reichlich Songs inspirierte. Einer der für mich krassesten Momente ist, wenn der Titel des Films thematisiert wird. Für den Rest braucht man durchaus auch einen starken Magen.

Lynch mag einen sehr persönlichen Film unter sehr schwierigen Bedingungen gemacht haben, dem man die bewegte Produktionsgeschichte nicht mal anmerkt. Teile Eraserheads sind in Kameramann Frederick Elmes Wohnzimmer entstanden. Lynch arbeitet bewusst mit teilweise ekel erregenden und makabren Bildern, um das Grauen zu schildern wie es sich anfühlt, wenn dein Leben sich von Grund auf ändert, ohne dass du bereit dafür bist. Licht, Schatten und Rhetorik sind erstklassig gewählt. Meine gefühlte Bewertung ist eigentlich deutlich geringer als die um Objektivität bemühten Sternchen da unten. Zwar kann ich das Genie von Eraserhead schätzen, aber viele Szenen sind mir persönlich zu willkürlich, andere sind mir einfach zu abstoßend und in your face. Eraserhead ist nicht mein Film. Die visionäre Kunst Lynchs zeigt sich hier im grotesken bildmetaphorischen und inszenatorischen mit regelrechter Gewalt, drängt sich einem auf und verstört. Kein Wunder, dass der Film solche Resonanzen auslöste. Trotzdem bekomme ich den Eindruck, dass Lynch den Film vorrangig für sich selber gemacht hat und nicht der Kunst wegen.

Eraserhead, USA, 1977, David Lynch, 89 min, (7/10)

Sternchen-7

Der Wüstenplanet

Vor diesem Moment habe ich mich gefürchtet. Aber wenn mich Frank Herberts Bücher eins gelehrt haben, dann „Fear is the mindkiller, […]“. Nach mehreren gescheiterten Verfilmungsversuchen kamen die Produzenten auf den aufstrebenden Regisseur David Lynch zu, der nach Eraserhead ein Insidertipp war und nach Der Elefantenmensch wohl das was man als gehyped bezeichnen kann. Obwohl Lynch dazu angeraten hat den Stoff des ersten Buchs der Dune-Reihe in zwei Filmen zu adaptieren, musste letztendlich alles in einen etwas über zweistündigen Rahmen gepresst werden. Weswegen uns Prinzessin Irulan (Virginia Madsen) zu Beginn des Films erzählt, dass wir uns in der Welt von Dune im elften Jahrtausend befinden. Die Menschheit hat das Universum besiedelt und wieder in ein feudalistischen System zurückgefallen ist. Verschiedene Adelshäuser kämpfen darin um eine Vormachtstellung, gesichert durch einen brüchigen Schein-Frieden. Die wertvollste Ressource des Alls ist das sogenannte Spice. Die Droge befähigt Navigatoren sich durch das Universum zu steuern und kann nur auf dem Planeten Arrakis, genannt Dune, abgebaut werde. Das Adelshaus Atreides soll auf Dune übersiedeln um dort den Spice-Abbau vom verfeindeten Haus Harkonnen zu übernehmen. Lord Leto Atreides (Jürgen Prochnow), sein Sohn Paul (Kyle MacLachlan) und dessen Mutter Lady Jessica (Francesca Annis) laufen aber in eine offenkundige Falle, denn das Haus Harkonnen gibt Dune nicht leichtfertig auf.

David Lynchs Dune wurde viel gescholten und der Maestro mag den Film selber nicht. Es ist der einzige seiner Filme, der auf einem adaptieren Drehbuch beruht und Lynch bekam die fertige Schnittfassung nie zu Gesucht bevor der Film in die Lichtspielhäuser wanderte. Das lässt schon tief blicken. Als Kind der Spielfilm-80er krankt es natürlich für Zuschauende im Jahr 2022 und ongoing an technischer Rafinesse. Man sieht sehr stark wo sich CGI von Schauspiel abhebt. Von den Kämpfen mit Schild fange ich gar nicht erst an. Hallo Bounding Boxes. Um der Masse an World Building und Begriffen des Dune-Universums Herr zu werden, gibt es nicht nur eine mystische Einleitungsansprache von Madsen als Irulan (die tatsächlich auch im Buch eine Form von Erzählerin ist), sondern auch regelmäßigen inneren Monolog. Der ist vor Allem anfangs peinlich berührend, weil sehr naiv geskriptet. Wenn sich Kyle MacLachlan als Paul Atreides im Schlaf von rechts nach links und zurück wirft und dabei geplagt durch Träume ruft „Dune … Desert Planet … Arrakis“ und das mehrmals wiederholt, dann möchte man lieber wo anders sein. Aber die inneren Monologe werden besser und haben später, wenn geflüstert, sogar eine Art angenehmes Retro-Flair, das zu der Umgebung des Films passt.

Die Kulissen und Kostüme sind Meisterleistungen von Anthony Masters, vielleicht noch von H.R. Giger inspiriert. Die Schauspieler machen das Beste aus ihren Rollen, wobei die Harkonnens (auch und allen voran Sting als Feyd-Rautha Harkonnen) ähnlich unpassend over-the-top angelegt sind wie in Frank Herberts Buch. Inhaltlich hat sich Lynchs Adaption schon an viele Schlüsselmomente des Buchs gehalten, aber trotzdem die eigentliche Botschaft, Sinn und Zweck der Büche absolut nicht verstanden und auch sonst in keiner Weise adaptiert. Paul Atreides Figur ist kein klassischer Held und die Geschichte keine übliche Heldenreise. Er hadert mit seiner ihm zugedachten Prophetenrolle und kann durch seine ihm von seiner Mutter vererbten Fähigkeiten verschiedene Visionen der Zukunft sehen. Viele davon münden in einem furchtbaren, intergalaktischen Krieg, der in seinem Namen ausgetragen wird und den er lieber verhindern würde. Dummerweise führen alle seine Wege um zu überleben ihn näher an diese Zukunft. Das ist die Geschichte. Nicht das, was der Film zeigt. Ihr wisst, was das in Schulnoten bedeutet hätte. (Ganz so böse bin ich aber nicht.)

Der Wüstenplanet (OT: Dune), USA, 1984, David Lynch, 137 min, (5/10)

Sternchen-5

Blue Velvet

Kyle MacLachlan spielt in dem Film den College-Studenten Jeffrey Beaumont, der in seine Heimat Lumberton zurückkehrt, um das Geschäft seines kürzlich erkrankten Vaters weiterzuführen. Kaum ist er dort angekommen, findet er ein abgeschnittenes Ohr und benachrichtigt die örtliche Polizei. Die Ermittlungen und das Rätsel ziehen ihn an und er beginnt selber nachzuforschen, was ihn bald mit der Sängerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini) zusammenführt und ihm eine offenbar abgründige Welt unter der Oberfläche Lumbertons offenbart.

Es ist bemerkenswert wieviel von Blue Velvet in Twin Peaks steckt. Man meint in der vorgegaukelten Kleinstadtidylle mit verborgenen Abgründen den Bauplan zur späteren Serie zu erkennen. Hier spielt Kyle MacLachlan noch einen Studenten, der gern Ermittler sein möchte, in Twin Peaks wird er dann einer sein. Szenen im Diner, unbedarfte Schüler:innen und Nachbarn, die sich über den Gartenzaun zuwinken sind eine Konter-Karikatur zur Gewalt. In der Figur des Jeffrey wird das Ende der Unschuld demonstriert, wohingegen die Figuren der Dorothy und Sandy (Laura Dern) als offensichtliche Gegensätze zueinander angelegt sind. Dorothy versinnbildlicht Lust, Leidenschaft, Gewalt, Gefahr. Wohingegen Jeffreys Freundin und „Sweetheart“ Sandy von Liebe philosophiert, aufrichtig und treu ist. Was das satirische nebeneinander stellen von Kleinstadtidyll neben menschliche Abgründe betrifft ist Blue Velvet wirkungs- und stimmungsvoll und handwerklich toll. Die Figurenzeichnung und Handlung in den einzelnen Elementen und Symbolen aber eine Aneinanderreihung von Abstrusitäten, die je nach Zuschauer:innen nicht zwingend verstört, aber oftmals stört.


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Ich habe nichts gegen surreale Filme, im Gegenteil. Aber Blue Velvet vereint viel atonales, das der Atmosphäre nicht hilft. Jeffreys schwachsinnige Pläne, Dorothys schwer nachvollziehbare Entscheidungen und die peinlichen Szenen gegen Ende des Films, die sich nicht entscheiden, ob sie Karikatur oder „real deal“ sein wollen („Oh my secret lover“). Dennis Hopper als Frank ist ein Bösewicht so am Rande der Peinlichkeit und so „drüber“, dass er nie so ganz als Bösewicht greifbar ist. Für viele Zuschauende mag diese Mischung aus wirrer Unberechenbarkeit aber durchaus Bösewicht-Material haben. Spätestens hier geht auf, dass Blue Velvet Genrekonventionen brechen und insbesondere film noir persiflieren will. Von der femme fatale bis zu den Ermittlern, die alles machen, nur nicht die Bösen dingfest setzen. Das gelingt und wirkt bei denen, die Blue Velvet Kultstatus zuschreiben sicherlich. Alle anderen wundern sich über den mangelnden roten Faden; leiden daran, dass es nur Resultate, keine Auslöser gibt und empfinden nicht das Gefühl von Gefahr und Sinnlichkeit, das versucht wird aufzubauen.

Blue Velvet, USA, 1986, David Lynch, 116 min, (5/10)

Sternchen-5

Wild at Heart

David Lynch adaptierte Barry Giffords Roman und inszenierte Wild at Heart als eine Persiflage auf Roadmovies und Runaway-Storys, die gleichzeitig aber ihre Charaktere enorm liebt. Eine Liebe, die sich auf Zuschauende überträgt. Hier sind es Sailor (Nicolas Cage) und Lula (Laura Dern), die zusammen durchbrennen. Er wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen und verstößt eigentlich gegen seine Auflagen. Lula hält es aber nicht mehr zuhause aus. Aus gutem Grund. Der Ursprung für all oder zumindest viel ihres Leids ist Marietta (Diane Ladd), Lulas Mutter. Und die schickt auch ihre Gangster-Lover um Sailor sogar zu töten, wenn es sein muss und Lula zurückzubringen.

Wild at Hearts Persiflage besteht darin, dass es ein absolutes idealistisches und in sich selbst verlorenes Pärchen mit der Realität des Weglaufens konfrontiert. Anders als es zig andere Runaway-Stoffe tun, in denen die Protagonist:innen alle Hürden überwinden und immer wieder von denen gerettet werden, die es gut mit ihnen meinen. Daher ist der Satz von Sailor „Did I ever tell you that this here jacket represents a symbol of my individuality and my belief in personal freedom?“ die Botschaft des Film und Spitze der Persiflage gleichzeitig. Zu recht ikonisch. Die Natürlichkeit und das absolute Selbstbewusstsein mit dem Laura Dern und Nicolas Cage ihre Rollen spielen ist ein Traum. Sie sind aber auch selbsterfüllende Prophezeiungen. Sailor versucht es zu oft mit Gewalt, wenn er nicht weiter weiß. Lula wird ständig sexueller Gewalt und Nötigung ausgesetzt, bleibt davon aber scheinbar eher untraumatisiert zurück, was der für mich schwierigste Aspekt des Films ist. Ich bin offen gestanden kein Fan von der Darstellung vieler von Lynchs Frauenfiguren, die offensiv Schubladen bedienen. Foreshadowing erleben wir außerdem reichlich durch Szenen und Situationen, die geradezu schreien „Sailor und Lula, fahrt nicht weiter“. Tun sie aber. Weil es ja ein Roadmovie ist. 😉 Darin und in den ständigen Hinweisen auf Der Zauberer von Oz, gute und böse Hexen erklärt Wild at Heart, dass wir nicht immer alles in der Hand haben, aber mit ein bisschen Herz und Verstand dann vielleicht doch weiterkommen. Vieles ist hemmungslos over the top, vieles macht Spaß, vieles ist verstörend. Klassisch lynchian.

Wild at Heart, USA, 1990, David Lynch, 120 min, (7/10)

Sternchen-7


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Lost Highway

Der Saxofonist Fred Madison (Bill Pullman) hat Grund zur Annahme, dass seine Frau Renée (Patricia Arquette) ihn betrügt. Aus ihren Dialogen spricht eine oberflächliche Freundlichkeit und Vertrautheit, aber viel mehr nicht. Eines Tages tauchen auf ihrer Türschwelle Videotapes auf. Die zeigen zwischen Rauschen mal ihre Wohnungstür, mal sie beide schlafend. Niemand kann sich erklären wie jemand in ihre Wohnung gekommen ist. Es ist das Foreshadowing zur Katastrophe, bevor Fred die Reise auf einen Lost Highway antritt. Der zweite Teil von Lost Highway widmet sich Peter (Balthazar Getty), der Automechaniker ist und eine Affäre mit Alice (Patricia Arquette) anfängt. Wohlwissend, dass sie die Freundin eines gewalttätigen und einflussreichen Mannes ist.


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Lost Highway verknüpft beide Handlungsstränge des Drehbuchs von David Lynch und Barry Gifford auf surreale Weise. Peter verkörpert alles, was Fred gern wäre. Als Automechaniker das Sinnbild von Maskulinität, außerdem ist er jung und hat ein erfülltes Sexualleben. Es lässt die Lesart zu, dass Fred sich in seiner Zwangslage in Peter verwandelt, aber auch, dass Peter nur ein Wunschtraum ist. Das vielleicht einzige Manko des ganzen Films ist, dass eine Dialogzeile gegen Ende beide Lesarten in Frage stellt und Zuschauende eine zusätzliche Denksportaufgabe mit auf den Weg gibt. Was die surreale Bildsprache betrifft ist Lost Highway betörend und konsequent. Schaut man den Film aufmerksam, lässt er sich durchdringen und erklären. Die Bilder sind voller großartiger Parallelen. Ich denke nur an den sinnbildlichen elektrischen Stuhl am Ende, das voyeuristische, der Fokus auf Renées sowie Alices Lippen während des Gesprächs am Telefon in zwei entscheidenden Wendepunkten der Handlung unvm. Legendär sind die Szenen der brennenden Hütte als Ort verbotener Wünsche, Weltflucht und von Transformation. Sowie Alices erstes Auftreten im Film – der Inbegriff der Sinnlichkeit und einer Femme fatale. Dabei ist Alice letzten Endes nur ein Zerrbild, in dem ein Man seine Sehnsüchte und Frustrationen projiziert, um einen anderen Täter zu schaffen. Die Frau als Quelle des Bösen vorzuschieben, statt sich seiner eigenen Schuld und Unzulänglichkeit zu stellen. Oder wie drückt Fred es aus? Er erinnere sich lieber an die Dinge „auf seine Art“. Ein Meisterwerk, das sowohl von den kurzen Momenten skurrilen Comic Reliefs profitiert wie dem pointierten Soundtrack mit brutalen Sequenzen von u.a. Rammstein sowie ätherischen von This Mortal Coil. Ein Jammer, dass Petes Maske so phänomenal unecht aussieht.

Lost Highway, USA/Frankreich, 1997, David Lynch, 135 min, (8/10)

Sternchen-8

Eine wahre Geschichte – The Straight Story

Von einem der auszog auf einem Rasenmäher mehrere Bundesstaaten der USA zu durchqueren. Alvin Straight (Richard Farnsworth) ist schon über siebzig, die Gesundheit sehr angeschlagen und dann kommt der Anruf, dass sein Bruder einen Schlaganfall erlitten hat. Der wohnt in einem anderen Bundesstaat. Alvin beschließt ihn zu besuchen, kann aber selber nicht Autofahren und will niemandem zur Last fallen. Er beschließt selber rüberzufahren. Auf seinem Rasenmäher. Ein ganz kleiner Teil von mir unterstellt David Lynch den Film als ein Experiment gesehen zu haben, um einen bewusst ansprechenden Film zu drehen. Einen, bei dem nicht zig Mal die Frage kommt: „Was bedeutet das?“ Vielleicht den Selbstbeweis zu liefern, dass wenn er auf viele seiner typischen Arthouse-Elemente verzichtet, er einen people pleaser liefert und Kritiker:innenstimmen beschwichtigt.

The Straight Story ist letzten Endes auch eine Anspielung darauf, dass die Geschichte geradlinig erzählt wird. Es gibt keine Zeitsprünge, es gibt aber auch keine Traumsequenzen oder andere stilistische Mittel, die den Verlauf der Handlung unterbrechen oder verzerren. Auch gibt es wenig Spielraum für Deutungsmöglichkeiten. Selbst die Handlungen der Figuren wirken sehr nachvollziehbar, auch wenn man sich zwangsläufig fragt, ob Alvin nicht auch einfach ein paar Bustickets hätte kaufen können. Aber wir ahnen schon: es geht nicht um das hinkommen, es geht um das alleine bewältigen und das Zurückerobern von Selbstständigkeit. Eines „Achivement unlocked“-Gefühl. Irgendwie stelle ich mir vor wie David Lynch kichernd in seinem Zimmer sitzt, weil nur er weiß, dass er einen people pleaser machen wollte und das durchaus kann. Das heißt nicht, dass man Alvin Straight nicht respektiert. Der Geschichte wohnt eine ganz eigene Schönheit inne, wenn in Alvins Gesicht Rührung und Sorgen ablesbar sind. Oder wie er die Leben derer verändert, denen er auf der Route begegnet. Aber auch, wenn die Kamera einfach mal nur durch die Landschaften streift. A Straight Story.

Eine wahre Geschichte – The Straight Story (OT: The Straight Story), USA, 1999, David Lynch, 108 min, (7/10)

Sternchen-7


The Straight Story (1999) | Trailer, Imprint Films, Youtube

Inland Empire

Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Musik, alles David Lynch. Und man merkt’s. Genoss der Meister dann hier nun uneingeschränkte künstlerische Freiheit? Und was kam dabei raus? Zumindest für mich eine Tortur in Form eines 3-Stunden-Langspielers, bei dessen letzter Stunde ich nicht mehr sitzen bleiben konnte und es vorzog im Stehen zu schauen. Ja, wirklich. Aber zurück zur Sach- und Fachlichkeit. In Inland Empire spielt Laura Dern die Schauspielerin Nikki, die nach einer Weile Schauspielabstinenz eine Rolle an Land zieht. In On High in Blue Tomorrows spielt sie eine Rolle namens Susan Blue an der Seite des gehypten Stars Devon Berk (Justin Theroux). Jemand erzählt ihnen, dass der Film eigentlich ein Remake ist. Der erste Dreh wurde aber nie zum Abschluss gebracht – die Hauptdarsteller verstarben. Hier und da munkelt man was von Fluch und es gibt seltsame Parallelen. Und dann scheinen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Vergangenheit und Gegenwart zu verschwimmen.

Nikki wird bald schon von Devon mit Susan angesprochen werden und scheint sich in der Fiktion des Films wiederzufinden. Wie aber ausbrechen? Als ob man eine Zwiebel häutet, kommen scheinbar mehr und mehr andere Realitäten dazu. Wurden alle Figuren, die die Rolle jemals spielten in einer anderen Realität gefangen? Das Schauspiel ist plötzlich eine Metapher auf einen Frauenhändler- und/oder Prostitutionsring!? Wie immer kann man eine Weile sitzen und sinnieren, um Inland Empire nachzuvollziehen. Die Idee, dass Darsteller:innen, Filmfiguren wie Kinogänger ein Inland Empire, ein Abbild der Geschehnisse, mit sich tragen und fortentwickeln ist an und für sich spannend. Dass dieses Inland Empire überhand nimmt, umso mehr. Ich hätte gern mehr von Nikkis Auflösung in Susan gesehen. V.A. von den Elementen, die Zeitreise andeuten. Aber in einer Weise, die man nachvollziehen kann ohne den Film per Frame zu sezieren. Inland Empire ist der konfuseste von Lynchs Filmen, weil er sehr viele Handlungsebenen ineinander verschachtelt und offenkundig nicht dazu gemacht ist, Zuschauenden Hinweise zu geben oder Stützen, die bei der Interpretation helfen. Das führt im Stillen zu der Frage: für wen ist der Film? Vielleicht für David Lynch, der angibt, dass Filme so in Zukunft gedreht werden. Aber ist das die Zukunft des Films? Oder mehr eine surrealistische Abart oder ein Experiment? Denn Inland Empire ist so wie er laut Lynch gedreht wurde: das Drehbuch entsteht während des Prozesses und man erkennt ab der Hälfte keinen roten Faden mehr. Der DV-Homevideo-Kamera-Look mit teilweise mangelndem Fokus trägt dazu bei, dass sich das alles eher anfühlt, als ob es nicht passen will.

Inland Empire, Frankreich/Polen/USA, 2006, David Lynch, 180 min, (5/10)

Sternchen-5

Es wäre gelogen zu sagen, dass David Lynch jetzt mein Lieblings-Regisseur geworden ist. Der Kultstatus mancher Filme wie „Blue Velvet“ erschließt sich mir einfach nicht, obwohl ich die Persiflage und Muster erkenne. „Inland Empire“ ist da vielleicht ein besseres Beispiel. Wozu Filme machen, die nicht die Intention haben verstanden zu werden? Dabei hat Lynch selber gesagt „The film ends up being the explanation“. Seine Filmografie beweist, dass das durchaus geht. Die besten Beispiele sind da für mich „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“. Auch „Eraserhead“ ist bei weitem nicht so hermetisch und intuitiv verständlich. Wozu aber zu hermetische Filme machen? Wer übrigens Der Elefantenmensch und Mulholland Drive vermisst, findet die hier verlinkt. Den Twin-Peaks-Film habe ich mir ausnahmsweise geschenkt, obwohl er mir gefallen hat. Wie steht ihr zum Schaffenswerk von David Lynch? Welcher Film ist eurer Meinung nach ein Meisterwerk, welcher ein Experiment, welcher fällt bei euch durch? Gerade bei Filmen, die soviel Kunst, Persiflage, aber manchmal auch Willkür und Groteskes beinhalten ist manchmal der Drang groß sie als unverständlich, Quatsch, artsy-fartsy abzutun. Oder man investiert Zeit, um nach Antworten in ihnen zu suchen. Die Frage ist nur, ob man das will. Ich gestehe, dass ich einigermaßen froh bin, jetzt mal alle gesehen zu haben. Zu einem großen Teil aber auch einfach, weil das Unterfangen jetzt vorbei ist. ^^

„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.

6 Antworten

  1. Mit The Straight Story hatte ich noch am meisten Spaß. Blue Velvet habe ich irgendwann mittendrin abgeschaltet. Und Dune fand ich in dieser Version so la la – aber die neue Verfilmung von Monsieur Villeneuve hat mich von der ersten Sekunde an begeistert.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ging mir ähnlich – ich hatte für seine Version von „Dune“ eher eine Menge Fremdscham übrig. Nicht nur! Der Film hat seine Momente. Den hätte man denke ich zum Erscheinen sehen müssen, um dafür mehr Liebe zu empfinden, fürchte ich.

  2. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Lost Highway war mein erster Lynch Film. Muss ich mal wieder gucken.

    So viele von dieser Liste habe ich schon lange nicht mehr gesehen (Straight Story fand ich damals super, Wild At Heart ist ewig her, Blue Velvet ebenfalls).

    Dune ist echt so eine Sache… die Kulissen und visuellen Sachen sind schon irgendwie beeindruckend, aber der Rest ist echt zu viel für einen Film.

    Eraserhead und Inland Empire habe ich nie gesehen…

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich glaube „Lost Highway“ war auch mein erster David Lynch Film. Ich war deutlich zu jung um das zu schauen, sehr verstört und habe nix kapiert. Ich glaube im Zuge der Werkschau habe ich den nun zum dritten Mal gesehen und erst jetzt hat sich das wirklich alles gesetzt.
      Trotzdem kriegen mich keine zehn Pferde dazu bspw. Inland Empire nochmal zu schauen. Bei den anderen bleiben Rest Zweifel, ob ich bei einer weiteren Sichtung nicht noch irgendwas entdecken würde, was macht, dass mir bspw. Blue Velvet mehr gefällt. Aber andererseits bin ich ja schon etwas gereiftere Zuschauende inzwischen und ich sehe den Hype nur so mäßig …

      Eraserhead ist zumindest meiner Meinung nach schon deutlich eher einen Blick wert als Inland Empire. Aber ich denke du bist gut beraten den nicht an einem mega fröhlichen oder mega deprimierenden Tag zu schauen… oder wenn du gerade über Familienplanung nachdenkst.

  3. Lynch mag ich ja wirklich gerne. Mulholland Drive, Twin Peaks, Wild at Heart, Lost Highway mega. Mit Eraserhead konnte ich nicht ganz soviel anfangen, das war mir glaube ich zu surreal. Auch Inland Empire war nicht so meins und Dune fand ich recht lang und fad.

    Habe noch die Biografie über Lynch hier liegen, die ich schon lange anfangen wollte zu lesen, ich glaube dein Artikel war jetzt der notwendige Schupps in diese Richtung des Bücherregals. Habe den wirklich sehr sehr gerne gelesen – mag diese Reihe sehr.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Huch, da sehe gut und gern über ein halbes Jahr später, dass dein Kommentar unbeantwortet geblieben ist. Gelesen habe ich ihn aber und mich sehr über das Feedback gefreut. 🙂 V.A. weil ich manchmal befürchte, dass die 7eme art zu lang ist und die keiner lesen mag…
      hast du die David Lynch Biografie dann gelesen? 🙂
      Lang und fad ist die richtige Beschreibung für Lynchs Dune. Bei denen, die wir nicht mögen, sind wir uns scheinbar einige 😀

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