7ème art: Filme mit Franz Rogowski

Da habe ich einfach so mal „Große Freiheit“ geschaut. Und dann ganz plötzlich ganz viele Filme mit Franz Rogowski. Warum? Weil dieser Franz Rogowski so natürlich und ausdrucksstark wirkt, dass ich mich immer gefragt habe: wie habe ich den nicht mitbekommen? Meine Bildungslücke zu schließen kann ich schon mit (semi)professioneller Neugier verkleiden. Nennt ihr das Fangirling, habe ich dem wenig entgegenzusetzen. Der schöne zweite Nebeneffekt: sich mal wieder mehr oder weniger zufällig dem deutschen Film zu widmen, denn der gebürtige baden-württemberger Rogowski hat bisher vorrangig in deutschen Produktionen gespielt. International wurde er durchaus erkannt und gewürdigt, bei der Berlinale bekam er einst das Label Shooting Star. Dabei wollte Rogowski in erster Linie Tänzer werden und bezeichnet sich selber als Autodidakt. Sein Lispeln und die Narbe ist statt Makel Erkennungsmerkmal. Daher heute sieben Filme mit Franz Rogowski.

Love Steaks

Clemens (Franz Rogowski) ist neu angestellt im Wellnesshotel an der Ostsee. Als Masseur ist er ausgebildet, lernt aber die dortigen Gewohnheiten rund um Energien und Chakren. Vieles nimmt er hin wie seine mehr als provisorische Unterbringung im Haushaltsraum. Ein bisschen viel ist für den schüchternen jungen Mann wieviel Aufmerksamkeit er von manchen Gästen bekommt. Ein bisschen viel ist auch Lara (Lana Cooper). Die Auszubildende in der Gastronomie säuft, fährt betrunken Auto, stellt allerlei Mist mit ihren Kollegen an und redet frei heraus und ungefiltert, was sie gerade denkt. Lara erzeugt ständig Reibung. Clemens sucht stets Harmonie. Gegensätze ziehen sich an, so auch Lara und Clemens. Mit welchem Ausgang?

Es macht schon unheimlich Spaß dabei zuzusehen wie Clemens wortwörtlich durch das Hotel stolpert, sich erschreckend oft auf die Fresse legt und von Lara zu einigen Aktionen angestiftet wird, die an Mutproben erinnern lassen. Wenn die großmäulige Lara auf Clemens von ihren Kollegen angesprochen wird, ist sie plötzlich ganz ruhig, fast ein bisschen verletzlich. Sie hängt es nicht an die große Glocke, das zwischen ihnen beiden was geht. Love Steaks hat Platz für die Momente der Eskalation, des Blödsinns, der Arbeitskultur innerhalb eines Hotelbetriebs und auch die stillen Charaktermomente. Man kann über den Film lesen, dass einige der Momente ungeskiptet sind. Dass er dem Mumblecore oder Berlin Flow Movement zuzuordnen ist. Das ruft Dogma in Erinnerung. Schließlich ist der Film an Originalschauplätzen, ohne CGI (nicht nötig) und teilweise mit echten Hotelmitarbeitenden gefilmt. Die Schubladen helfen einzugrenzen, was man erwarten muss. Es gibt zahlreiche Cuts. Auch inmitten von Interaktionen und Dialogen, sodass man sich teilweise wie in einem Youtube-Video fühlt. Gar nicht wie in einem Youtube-Video: die Emotionen und Reaktionen wirken echt. Die Umgebung wirkt echt. Alles wirkt echt. Der Sound ist so-so, vielleicht also ja, Mumblecore. Echt, ungestelzt, erfrischend dank der Reibungspotentiale der Charaktere und der Freiheiten mit denen sie das Hotel auf den Kopf stellen und schräge Situationen bewältigen. Manche der Potentiale und Charaktermomente verschwinden aber auch im ungeskripteten, den hektischen Cuts. Interaktionen ohne das sind schöner, stehen für sich. Auch das Ende ist mit Sicherheit nicht das rundeste und es mangelt an Pointe. Ansonsten ist Love Steaks aber der beste unvollständige Film, den ich gesehen habe.

Love Steaks, Deutschland, 2013, Jakob Lass, 89 min, (7/10)

Sternchen-7


LOVE STEAKS | Trailer german deutsch [HD], vipmagazin, Youtube

Victoria

Victoria war 2015 in aller Munde als der single long take Film. Ein 140-Minüter ohne Schnitt. Manche cinephile Zuschauende mögen darüber in Fangasmen ausbrechen, andere eher unbeeindruckt sein. Führt man sich die Mammutleistung vor 140 Minuten ohne Schnitt durchzuziehen, die Umgebung und Statisten zu orchestrieren, dann ist das auch für mich absolut beeindruckend. Womit man sich als Zuschauende aber auch den Spaß gehörig verderben kann: wenn man während des Schauens nur darauf achtet, ob da auch ja kein Schnitt ist. Entscheiden wir uns für den Mittelweg oder mehrmaliges Schauen 😉 . Worum geht’s? Victoria ist der Name einer jungen Spanierin (Laia Costa), die erst seit Kurzem in Berlin lebt und arbeitet. Eines nachts trifft sie auf dem Heimweg vom Party machen vier „echte Berliner Jungs“ – so stellen sich zumindest Sonne (Frederick Lau) und seine Freunde Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burak Yiğit) und Fuß (Max Mauff) vor. Sie alle ziehen noch eine Weile gemeinsam mit Victoria um die Häuser, spinnen ein bisschen rum und trinken. Als sie sich schon voneinander drei Mal verabschiedet haben, eskaliert der abend.

Victoria wird im Folgenden in einen Banküberfall reingezogen, was besonders weh tut, nachdem sich der Film bis dahin Zeit gelassen hat sie alle zu charakterisieren und zu formen wie auch das nächtliche Berlin abzubilden. An einigen gelingt es sehr gut zu charakterisieren. Da wäre Sonne, schwindelt ein bisschen viel, aber ist schon ein netter. Victoria trägt auch ein eigenes Päckchen mit sich herum. Rogowski als Boxer hat einige Momente – v.A. auch einen, in dem er erklärt, dass er zwar was böses getan hat, aber kein böser Kerl ist. Während mir Victoria also sehr gut die Charaktere erklärt, tut der Film das nicht bei der Frage, warum Victoria eigentlich mitgeht? Vielleicht weil sie Anschluss sucht. Die stärksten Momente sind die, in denen die fünf von der Situation überrollt werden und gar keine Entscheidungen mehr bewusst treffen können, sondern nur noch versuchen zu funktionieren. Weitab jeglicher Kontrolle. Das überträgt sich auf Zuschauende, der Film entwickelte eine verzweifelte, hektische Energie. Es ist meisterlich wie Laia Costa die Bandbreite der Gefühle abruft, wobei die Kamera ihr im Gegensatz zu den anderen in dem 140-Minuten-Spektakel keine Pause gönnt. Naturgemäß versteht man einiges akustisch schlecht in dem Film. Manchmal liegt es daran, dass sie Gruppe dem Ton wortwörtlich davonfährt. Und das funktioniert gut – es unterstreicht den Realismus. Man fühlt sich, als ob man versucht sie einzuholen in ihrer Hetzjagd durch Berlin. Aber manchmal hängt es Zuschauende zwischen der shaky cam eben auch ab. Es ist fast eine eigene Disziplin im Filmen. Nicht minder beachtlich.

Victoria, Deutschland, 2015, Sebastian Schipper, 140 min, (8/10)

Sternchen-8

Lux – Krieger des Lichts

Mehr Foreshadowing geht kaum. Am Anfang von Lux – Krieger des Lichts setzt sich Kameramann Marek (Serkan Kaya) vor die Kamera und erzählt uns, dass Lux aka Torsten (Franz Rogowski) nun schon seit einer Weile verschwunden ist. Danach erst lernen wir Torsten kennen, der abseits seiner Arbeit als maskierter Lux, der Krieger des Lichts, auftritt und für Recht und Ordnung sorgen will. Begleitet wird er dabei von einem Filmteam, das ihrem Chef Lux als neues Doku-Reality-Format präsentieren will. Der findet es allerdings bedauerlich, dass auf den Patrouillen von Lux so wenig passiert. Wenn sich das nur ändern würde!?

An der Stelle merkt man schon, dass die Medienagentur bald einiges in die eigene Hand nimmt und infolge ihrer Aktionen das Leben des wohlmeinenden Lux langsam aber sicher zerstört. Der Aspekt der Mediensatire schaut einem dabei an vielen Stellen zu frontal ins Gesicht, v.A. weil der Anfang bodenständig und nachfühlbar ist, später aber eskaliert. Dabei hätte es viele Aspekte nicht in der Länge gebraucht, obwohl die Note ein angenehmes Konterkonstrukt zu Marvel-Verfilmungen ist. Beispielsweise wenn Torstens Weg für Recht und Ordnung zu sorgen beinhaltet Notrationspakete an Obdachlose zu verteilen oder gegen geplante Gentrifizierungspläne demonstriert. Wie die Öffentlichkeit und die Polizei auf den vermumten reagiert bildet eben (leider) auch mehr die Realität ab. Während es am Anfang zu behäbig und zu wenig ist, wird es gegen Ende aber zu viel. An einigen Stellen entbehrt es auch etwas Nachvollziehbarkeit. Scheint doch Lux immer genau ein- und denselben Obdachlosen zu treffen. Insgesamt ist Lux ein solides Filmdebut mit schöner Botschaft aber etwas unausgewogener Spannungskurve.

Lux – Krieger des Lichts, Deutschland, 2017, Daniel Wild, 104 min, (5/10)

Sternchen-5


LUX: Krieger des Lichts Trailer German Deutsch (2018), KinoCheck, Youtube

Fikkefuchs

Richard „Rocky“ Ockers (Jan Henrik Stahlberg) sinniert tagtäglich über die körperlichen Liebe. Sex nimmt er als Spiel wahr, er ist darin der Jäger. In Gedanken hängt er seinen Liebesabenteuern als Jugendlicher nach, denn in der Gegenwart ist davon nicht viel geblieben. Eines Tages klingelt Thorben (Franz Rogowski) an seiner Tür und stellt sich als sein Sohn vor. Der hat eine ähnlich schwierige Einstellung zu Sex, Liebe und Beziehung. Ist er doch gerade aus einer psychiatrischen Klinik abgehauen, in die er eingewiesen wurde, weil er wieder eine Frau überfallen hat. Von seinem Vater will er lernen wie man Frauen freiwillig dazu bringt mit ihm zu schlafen. Erst dementiert Rocky, dass die beiden Vater und Sohn sein können. Letzten Endes nimmt er sich seiner aber doch an und es beginnt eine Pick-Up-Odyssee durch Berlin, die einiges an verbrannter Erde hinterlässt.

Da haben sich zwei gefunden. Während Rocky eher der Denker ist, der gern über Geschlechterrollen und Dominanz philosophiert, ist Thorben irgendwie so ein Mittelding als gutmütig wirkender Typ mit überraschend kurzer Zündschnur und einem ausgeprägten Zusatz INCEL. Jan Henrik Stahlberg hat den Film mittels Crowdfunding finanziert, spielt höchstselbst den Rocky und liefert zwei Charaktere mit einem Befund ab. Sowohl Rocky als auch Thorben mangelt es an der Erkenntnis, was Nähe und Beziehung bedeutet. Demonstriert wird das an allerlei Szenen aus ihrem Leben, bei denen man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. So hält Thorben das Holocaust-Mahnmal in Berlin für ein Sex-Labyrinth, in dem man Frauen jagen und aufreißen kann. Sein Thorben ist ein Beispiel dessen wie der in allen Bereichen der Medien überhöhte Sex Geist und Geschmack verdirbt. Rocky hingegen ist der philosophische Denkertyp, der soviel über vergangene Zeiten und Antworten aus der Literatur sinniert, dass er schlichtweg vergisst an seiner Gesundheit oder Hygiene zu arbeiten. Schade nur, dass Fikkefuchs wenig tut um beide Charaktere über diese Stereotypen hinaus zu entwickeln. Gerade wenn man denkt, dass zumindest Thorben die Kurve gekriegt hat, entscheidet er sich wieder für Freiheit – vorrangig für seine (siehe Ende des Films). Richtig abgefuckt und lusttötend ist aber die Mysogynie des Films, die so ziemlich das schlimmste versammelt, was man finden kann. Ätzende Partysongs, Pornos en gros, Slurs und Kraftausdrücke, außerdem wenige Frauenfiguren, die überhaupt was sagen dürfen. Sollte das über Geschlechterrollen sein, dann hat es wohl das Ziel verfehlt. Sollte es über ein Vater-Sohn-Gespann sein, dass sich gegenseitig verdient hat? Dann sehe ich das schon eher.

Fikkefuchs, Deutschland, 2017, Jan Henrik Stahlberg, 104 min, (4/10)

Sternchen-4


IN DEN GÄNGEN Trailer German Deutsch (2018), KinoCheck, Youtube

In den Gängen

Christian (Franz Rogowski) ist der Neue. Er tritt eine Stelle in einem Großmarkt unter der Aufsicht des resoluten Bruno (Peter Kurth) an. Bruno wirkt stellvertretend für alle Kollegen und Kolleginnen in dem Supermarkt: Nach außen hin etwas knurrig oder nicht auf den Mund gefallen, sind auf den zweiten Blick alle auf eine hemdsärmelige Art freundlich und herzig. Trotzdem hat Christian Respekt vor seinem neuen Job – und dem Staplerfahren. Und dann ist da noch Marion (Sandra Hüller). Wenn er Marion sieht, hört er das Meer rauschen.

Die Fototapete im Pausenraum ist auch so ein nur halbes Versprechen auf Südseeurlaub. Aber wenn man alles zusammennimmt, ist es vielleicht trotzdem in Summe gut? Christians neues Ökosystem ist das von harter, tagtäglicher Arbeit und damit nah dran an Zuschauenden. Thomas Stubers In den Gängen stellt bodenständige Arbeit und das echte Leben sogar sehr schön dar. Das Fahren der Gabelstapler in der Nachtschicht gleicht einem Ballett (entgegen anderer Behauptungen zu Beginn des Films 🙂 ). Die verschworenen Rituale der Kollegen dienen der Aufhellung in der manchmal trüben Halle. Sicherlich ist der Film aber auch nicht glorifizierend. Die Wende und die Perspektiven in der ländlichen, ostdeutschen Gegend werden adressiert. Und das auch nicht nur nebenbei, sondern mit einem Paukenschlag. Auch Christians Geschichte hat noch einen doppelten Boden. Anzunehmen bei des Dissonanz des freundlichen, stillen und zurückhaltenden Typen mit den Pitbull-Tattoos. In den Gängen macht aus dieser Mischung einen angenehm unaufgeregten Film, der berührt und zeigt, was wir zu selten auf der großen Leinwand sehen. Da sehe ich gern darüber hinweg, dass manche Handlungsstränge darin runder sind als andere.

In den Gängen, Deutschland, 2018, Thomas Stuber, 120 min, (8/10)

Sternchen-8

Transit

Alle wollen ihn, wenige bekommen ihn. Den Transit in die Sicherheit. In der Gegenwart ist das Deutsche Reich bis nach Frankreich vorgedrungen. Der öffentliche Apparat liegt bereits in den Händen deutscher Besatzer. Man spricht davon, dass bald die Säuberungen beginnen. Georg (Franz Rogowski) ist politischer Flüchtling. Dem Deutschen Reich entkommen, muss er nun auch einen Weg aus Frankreich suchen. Dank Bekannten schafft er es von Paris nach Marseille. In Marseille wird er für den Schriftsteller Weidel gehalten und ihm ein Transit nach Mexiko in Aussicht gestellt. Plötzlich liegt die Lösung so zum Greifen nah. Während Georg den Termin abwartet bis sein Schiff ablegt, begegnet ihm aber Marie Weidel (Paula Beer). Die wartet immer noch auf ihren Mann, den Schriftsteller.

Transit zeichnet das Bild des Wartens. Zwischen einer Vergangenheit und ungewissen Zukunft ist da stets nur unbarmherziges Warten. Wem von ihnen wird der Transit gestattet? Niemand gibt die Papiere gern raus – „die haben Angst, dass ihr bleiben wollt“. Eine schneidende Parallele zu der Flüchtlingskrise unseres Jetzt. In all dieser Ungewissheit finden sich die Wartenden um Georg wieder. Manche wollen nicht gehen, weil sie jemanden zurücklassen. Andere müssen gehen, weil ihr Leben bedroht ist, finden sich aber tagtäglich in Warteschlangen und den langsamen Mühlen der Bürokratie wieder. Als Georg Marie trifft, sind da tausende Fragen, die irgendwo dort münden, in wessen Happy End er investieren will. Seins, ihres, ihrer beides? Genial, aber auch dissonant ist dazwischen die Stimme des Erzählers, der zwar all die tragischen Geschichten (so auch Georgs) wahrnimmt, der aber stets einen kleinen Tick mehr erzählt als wir sehen. Und wir als Zuschauende fühlen uns so außen vor wie schon lange nicht, wenn wir uns Fragen ob die kleinen Unterschiede zwischen Erzähltem und Gezeigten nun Fiktion sind oder nicht. Es ist der touch too much in einem Film, der an anderer Stelle versteht uns zu engagieren.

Christian Petzold hat Anna Seghers Roman verfilmt und von der Zeit des zweiten Weltkriegs in etwas versetzt, was sehr nach unserer Gegenwart aussieht und doch etwas aus der Zeit gefallen. Vielleicht, weil niemand versucht mit dem Flugzeug auszureisen und weil es nichts digitales gibt. Aber es unterstreicht nur umso mehr wie das Leben stehen bleibt für die Entronnenen, die Wartenden, die ihr Leben nicht weiterleben können. In dem Zeitlosen liegt die bittere Ironie der Parallele zu Flüchtlingskrise, zu Booten über dem Mittelmeer, zu Flucht vor Faschisten und Diktaturen. Wir alle könnten eines Tages die Flüchtlinge sein, die andere jetzt nicht in unser Land lassen wollen. Transit handelt viel von Empathie, die Georg immer und immer wieder investiert. Ein Hoffnungsschimmer.

Transit, Deutschland/Frankreich, 2018, Christian Petzold, 101 min, (8/10)

Sternchen-8

Große Freiheit

Von großer Freiheit erstmal keine Spur: im Film wird Hans Hoffmann (Franz Rogowski) 1968 zur Freiheitsstrafe verurteilt, weil er mit Männern schläft. Seine Ankunft im Knast scheint routiniert und Zuschauende lernen auch bald warum. Er sitzt nicht das erste Mal ein. Bei der täglichen Arbeit grüßt ihn sogar Viktor (Georg Friedrich) – „na, wieder da?“ Wir erfahren rückblickend von Hans Befreiung aus dem KZ, wo er auch wegen seiner Homosexualität festgehalten wurde, nur um dann seine „Reststrafe“ im Knast abzusitzen. Wir erfahren wie er Jahre später erneut verurteilt wird – zusammen mit seiner großen Liebe Oskar (Thomas Prenn) und wir erfahren wie er 1968 wieder einsitzt. Immer dabei Viktor, lebenslänglich. Der kennt Hans seit 1945 wo er ihn als Perversen beschimpfte, dazwischen wo er ihn schützte und 1968, wo Hans sein einziger Halt wird als er durch seine Sucht vielleicht die Chance auf frühere Entlassung gefährdet.

Eingesperrt, weil man liebt, wen man liebt. Klingt nach dystopischem, orwellschem Horror, liegt aber in unserer sehr realen, deutschen Vergangenheit. In dem Gefängnissetting ruht die Bitterkeit ungelebter und unerfüllter Leben, weggesperrter Sehnsüchte. Demonstriert an Hans wie auch an Viktor. Die Kameraarbeit und Szenengestaltung fängt sowohl Freiheit wie auch Isolation ein durch den Wechsel zwischen weiten Räumen bis hin zu kleinen, die ein statisch anmutendes Bild von Zelldurchsuchung und Verzweiflung anbieten. Gar noch intimer, nur durch den Spion der Wächter. Freiheitsgrade sind kostbar. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen, die Konstanten sind Hans und Viktor. Die wechselnden Zeitebenen können wir sehr gut anhand des Alters der Protagonisten auseinanderhalten und dank des fantastischen Make-Ups. Zudem wurden die drei Zeitebenen gewählt, um Parallelen zu verdeutlichen und selten genug gewechselt, sodass Zuschauende nie überfordert werden.

Wie Hans lernt wieder aufzublühen und später eine gewisse Krisengeprüftheit an den Tag legt ohne zu verrohen, wird eindrucksvoll und einfühlsam von Franz Rogowski verkörpert. Georg Friedrich spielt Viktor als einen Mann mit schmalem Grad zwischen ruhiger Gefasstheit und Cholerik. Darin wie er sich Hans öffnet, liegt eine eigentümliche, widerborstige Zärtlichkeit. Beschimpft er Hans anfangs noch als Perversen und will mit ihm keine Zelle teilen, wird Hans später seine vielleicht wichtigste Bezugsperson. Jemand, der ihn kennt, seitdem die Welt beschlossen hat ihn wegzusperren und zu vergessen. Was bleibt am Ende? Der rührende und entwaffnende Widerspruch aus Gefangenheit und Vertrautheit wie im Falle von Hans und Viktor.

Große Freiheit, Österreich/Deutschland, 2021, Sebastian Meise, 117 min, (10/10)

Sternchen-10


Große Freiheit – offizieller Kinotrailer – Kinostart am 18.11.2021, Piffl Medien, Youtube

Offenbar gibt es einen Franz-Rogowski-Film für alle Lebenslagen. Wünschst du dir einen super romantischen Rolemodel Boyfriend Rogowski, guck dir „Undine“ an! Willst Rogowski mal so richtig sympathisch planlos und naiv sehen, ist „Love Steaks“ dein Film. Hast du Bock ihn mal als Unsympath zu erleben und sowieso viel zu viel Körperflüssigkeiten zu sehen, bist du mit „Fikkefuchs“ gut dabei. Vielleicht hilft dieser kleine Guide dir auch deinen Lieblings-Rogowski zu finden. Okay, Spaß beiseite. „Undine“ ist neben „Große Freiheit“ und „Transit“ wohl mein Lieblingsfilm mit Franz Rogowski und wird hier später an anderer Stelle besprochen. Rogowski wird häufig eine optische Ähnlichkeit zu Joaquin Phoenix nachgesagt und wenn man das einmal hört, dann meint man das auch zu sehen. Was ich aber v.A. sehe ist ein Schauspieler mit großer Präsenz, der sehr einfühlsam spielt. Ich hoffe wir sehen noch jede Menge davon.

„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.

Eine Antwort

  1. […] 10 vermuten lässt. ✨ Sehr genossen habe ich die Werkschauen zu den Themen Monumentalfilme, Franz Rogowski, den Star-Trek-Filmen (1979-1994), den Filmen von Agnès Varda und Jane-Austen-Verfilmungen. […]

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