Jaja, ich war mal wieder auf der Suche nach einer Regisseurin, deren Filmografie mindestens sieben Filme aufweist. Es ist schwierig. Musste auch Film-Bluesky und -Mastodon zugeben. Aber: sie haben mir einige Hinweise auf Werke von Regisseurinnen für künftige Werkschauen gegeben. Trotzdem blieb ich erstmal bei meinem Plan und der hieß dann eben: sieben Filme von und mit Maria Schrader. Spoilerfrei.
Aimée & Jaguar
Kam Irgendjemand Ende der 90er Jahre an dem Film vorbei? Ich hoffe nicht. Ich war damals quasi noch ein Kind, hatte keine Gelegenheit ihn zu schauen und trotzdem war er so allgegenwärtig, dass ich mich aus meiner Kindheit an die Filmposter erinnere. Er basiert lose auf dem gleichnamigen Buch von Erica Fischer, vor Allem auf den wahren Begebenheiten wie sich Lily Wust und Felice Schragenheim im Berlin zur Zeit des Nationalsozialismus ineinander verliebten. Die Umstände waren widrig. Lily (Juliane Köhler) ist die Frau eines hitlertreuen Soldaten und hat Affären mit hochrangigen Offizieren, stets auf der Suche nach etwas in ihrem Leben, das fehlt. Felice (Maria Schrader) ist Jüdin und arbeitet heimlich für den Untergrund.
Ihre Liebesgeschichte ist damit eine alles andere als einfache. Jeder unbedachte Schritt der Beiden kann mindestens Felices, vielleicht auch Lilys Leben gefährden. Trotzdem ist der Film sinnlich, erotisch, emotional und gibt den vielen unbeschreiblichen Gefühlen, die man in der damaligen Zeit gefühlt haben muss, Gesichter. Mit den tatsächlichen Begebenheiten erlaubt sich das Drehbuch von Max Färberböck und Rona Munro Freiheiten. Überraschend ist der Comic Relief, den man v.A. anfangs im Film findet und der noch eine gewisse Leichtigkeit vermittelt, die sanft den späteren dramatischen Begebenheiten weicht. In Nebenrollen sind u.a. Johanna Wokalek und Heike Makatsch zu sehen. Zusammen mit den Hauptdarstellerinnen spannen sie eine feine Riege deutscher Klasse-Schauspielerinnen auf. Das Gesamtpaket macht es zu einem Must-See der deutschen Filme und einem über das Leid zur NS-Zeit. Die CGI-Sequenzen, die Bombenangriffe auf Berlin zeigen sind erwartungsgemäß schlecht gealtert. Hätte ich den Film in den 90ern gesehen, hätte ich das CGI aber wohl anders bewertet.
Zum Trailer auf Youtube (altersbeschränkt)
Aimée & Jaguar, Deutschland, 1999, Max Färberböck, 121 min, (9/10)
In Darkness
Die Finsternis der Abwasserkanäle Lembergs (damaliger Name von Lwiw) ist die Zuflucht für zwanzig jüdische Personen, die sich vor den Deutschen zur Zeit des Nationalsozialismus und der Okkupation verstecken müssen. Ihnen hilft der Pole Leopold Socha (Robert Więckiewicz), anfangs noch widerwillig und nur gegen Bezahlung. Bald schon aber beginnt Socha angesichts der Verbrechen der Nazis zu hinterfragen. Immer dabei: die Angst um seine eigene Familie.
Socha und „seine Juden“ gab es wirklich. Agnieszka Hollands Film basiert dabei auf zwei Büchern („In the Sewers of Lvov“, „Das Mädchen im grünen Pulli“), die die Gräuel der Nazis in Lwiw schildern. Die darin zur Schau gestellten Verbrechen an der Menschheit machen an einigen Stellen, dass man ausschalten möchte. Aber im Gegenteil muss man wohl (wenn man es aushält) hinschauen. Eine weitere, ganz andere Hausnummer ist das Überleben der jüdischen Personen in den Abwasserkanälen.
Zum Cast gehören u.a. Benno Fürmann, Herbert Knaup, Maria Schrader, Kinga Preis und Agnieszka Grochowska. Für die Schicksalsgemeinschaft wird es Normalität Ratten zur Seite zu schubsen, dreckig zu sein. Krankheit und Mangel hält man (in den meisten Fällen) irgendwie aus. Werfen sie einen Blick über den Kanaldeckel hinaus, dann macht Agnieszka Holland und Crew das langsame und schmerzhafte Gewöhnen der Augen an die Helligkeit nachfühlbar. Der Film ist Schmerz in allen Belangen. Aber er ist auch kein über-heroischer und verklärter Film über den Holocaust. Es ist schwer gut und böse auseinanderzuhalten. Mitläufertum wird adressiert genauso wie der Umstand, dass die jüdischen Verfolgten nicht alle nur populäre Gutmenschen-Entscheidungen treffen. Der Film vermittelt, dass Menschen nun mal Menschen sind. Grauschattiert und nie immer nur gut. Dass aber Verbrechen an der Menschheit wie sie die Nazis begangen haben die wahre Katastrophe sind.
In Darkness, Polen/Deutschland/Kanada, 2011, Agnieszka Holland, 144 min, (7/10)
Schwestern
Familie Kerkhoff ist erschüttert. Ihre jüngste Tochter (Marie Leuenberger) möchte als Novizin in ein Kloster eintreten und sich ganz Gott verschreiben. Wo kommt das her? Die Familie ist gar nicht besonders religiös. So rücken sie alle an, um der Zeremonie bzw. dem Gelübde Katis beizuwohnen. Die Zeremonie verzögert sich und alle Familienmitglieder tragen miteinander lange schwelende Konflikte aus – oder welche, die erst an dem Tag entstanden sind.
So ganz klar ist nicht, warum der Film Schwestern heißt, wo er sich inhalt doch auf alle Kerkhoffs konzentriert. Klar, Katis größere Schwester Saskia (Maria Schrader) spielt eine größere Rolle. Sie fragt sich, warum sie ihrer Schwester nicht mehr „genügt“. Doch letzten Endes ist die Quintessenz bei der ganzen Familie zu suchen, die wieder lernen muss aufeinander aufzupassen, wenn es notwendig und gewollt ist. Oder wie in Katis Fall eben auch mal loszulassen. Der Film zieht dazu einen Vergleich zu einem Bienenstock bzw. Bienenvolk, der etwas weit hergeholt scheint, steht doch dort eine Bienenkönigin im Zentrum. Die Zusammenhänge wollen also nicht so ganz passen. Auch sind viele Passagen künstlerisch gefilmt, andere etwas beliebig und einfallslos wie in einer Vorabendserie. Am Ende aber hat der Film Momente, die uns melancholisch zurückdenken lassen: wie sind wir letztens mit der Familie umgeschrieben?
Schwestern, Deutschland, 2013, Anne Wild, 85 min, (5/10)
Vergiss mein Ich
Jan Schomburgs Film handelt von Lena (Maria Schrader), die eines Tages die Menschen um sich herum nicht mehr erkennt und sich auch nicht erinnern kann, wer sie ist. Sie leidet an einer Amnesie infolge einer Gehirnhautentzündung. Ihr Gedächtnis kommt nicht wieder und das Umfeld, dass sie auffängt, muss Lena neu kennen lernen. Genauso wie sich selbst. Sie kann sich erinnern, wer gerade Kanzler:in ist und wie man Auto fährt, aber nicht an den Inhalt der Bücher, die sie geschrieben hat. Ihr Mann Tore (Johannes Krisch) bemüht sich, aber ihr gemeinsames Leben scheint verloren. Lena stolpert durch die Existenz einer Fremden, versucht diese zu rekonstruieren und macht eigene, neue Erfahrungen.
Trotzdem ist Vergiss mein Ich kein deprimierender Film, sondern im Gegenteil oftmals witzig, tragisch, abwechslungsreich. Teil von Lenas Unbeholfenheit ist, dass sie die Reaktionen von Familie und Freunden nicht gut einschätzen kann und sie einige Male vor den Kopf stößt. Die Situationen entlarven nicht selten, dass eben doch trotz des Gedächtnisverlusts alle „ihre alte Lena“ irgendwie zurück haben wollen und auf diese Lena projizieren. Stellenweise versucht sie aus den Tagebüchern der „alten Lena“ herauszubekommen, wer sie ist bis sich die unweigerliche Frage stellt, ob sie dorthin eben nicht mehr zurück kann. Bis dahin gibt es noch Eskapaden mit Ronald Zehrfeld, rücksichtslos ausgeplapperte Geheimnisse und das eine oder andere Brechen mit sozialen Normen. Ob Lena dabei so oft so kindlich dargestellt werden musste und wie realistisch die medizinischen Aspekte dargestellt sind, frage ich mich immer noch. In jedem Fall ist Maria Schrader in dem Film eine Wucht wie auch das ganze Ensemble. In einer Nebenrolle sehen wir Sandra Hüller als Lenas beste Freundin.
Vergiss mein Ich, Deutschland, 2014, Jan Schomburg, 95 min, (8/10)
Vor der Morgenröte
Maria Schrader inszenierte in Vor der Morgenröte insgesamt sechs Stationen des Lebens von Stefan Zweig (Josef Hader) im Exil. Der österreichische Autor, der u.a. für die Schachnovelle weltbekannt ist, floh vor den Nazis nach Südamerika und wird darin gezeigt wie er von den Medien umgarnt wird, er versucht für andere bedrohte Bekannte ein Visum zu erwirken oder ratlos ist angesichts der Ruhe und des Friedens in seiner neuen Wahlheimat. Einer, die aber eben nie das werden kann: Heimat. Ihn berührt, was aus seinem Europa wurde, wenn auch nicht in Worten, dann in Bildern. Bis zum bitteren Ende.
Nach einem Drehbuch von Maria Schrader selbst in Zusammenarbeit mit Jan Schomburg inszenierte sie die Geschichte Zweigs als eine vieler widersprüchlicher Gefühle. Zwischen den Zeilen geht hervor wie sehr Zweig den Verlust seiner Heimat bedauert und wie tief der Schmerz sitzt. Es wird keine Schuldfrage gestellt, weil wer kann die schon beantworten, wenn es um das Erstarken bestimmter Parteien oder die Gräuel der Nazis geht? So weigert sich Zweig auch zu beantworten, was er denkt wie es weitergeht für Deutschland, Österreich, für Europa oder gar die Nazis. Er könne nicht ein ganzes Volk bewerten. Auch nicht in die Zukunft schauen. Andere positionieren sich schneller. Heben ihn auf ein Podest. Oder auch wieder vom Podest runter. Ohne jemals den Zuschauenden vor die Füße zu werfen, was wir denken sollen, inszeniert Maria Schrader den Film als einen anspruchsvollen, aber nie zu komplizierten. Vor Allem einen emotionalen mit starken Bildern. Der u.a. in Halle und Umgebung gedrehte Film fängt die wohl komplexesten Gefühle ein und bringt uns nahe, was Zweig am Ende zu seinem letzten Schritt bewegte. Ganz großartig in Nebenrollen: Aenne Schwarz als seine zweite Ehefrau, Barbara Sukowa als die erste Ehefrau Stefan Zweigs.
Vor der Morgenröte, Deutschland/Frankreich/Österreich, 2016, Maria Schrader, 100 min, (7/10)
Ich bin dein Mensch
Alma (Maren Eggert) ist skeptisch. Da wurde nun ein humanoider Roboter namens Tom (Dan Stevens) nach ihrem Persönlichkeitsprofil eines idealen Partners angefertigt und das ist es nun? Er spricht mit einem britischen Akzent, sagt „klönen“ und räumt artig ihre Wohnung auf. Für sie ist das Experiment von der ersten Minute an gescheitert. Nicht mal ihre Neugier als Anthropologin reicht aus um Tom mehr von ihrer Zeit zu widmen. Ein Gutachten soll sie darüber schreiben, ob solche „Humanoide“ als Ehepartner:innen zugelassen werden dürfen. Sehr zum Bedauern Almas lässt sich Tom aber aus verschiedenen Gründen schlecht ignorieren.
Maria Schrader inszenierte den Film nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von Emma Braslavsky und wickelt uns mit dem wohl stärksten Motor um den Finger: dem Entfachen unserer eigenen Neugier. Der tatsächlich des Deutschen mächtige Dan Stevens spielt Tom bewusst anfangs etwas roboterhaft, lernt aber meisterlich Alma zu hinterfragen. Das ist es am Ende, was sie (und uns) am ehesten ins Wanken bringt, ob das Experiment wirklich gescheitert ist. Hier werden die Geschlechterstereotype durchaus auch mal umgekehrt, wenn Alma Tom objektifiziert und sexualisiert. Der Film hat aber enorm viel Sympathie für seine Hauptfiguren und lässt uns stets daran teilhaben warum Alma tut was sie tut. Dabei gleitet Ich bin dein Mensch dankenswerterweise nie in Kitsch ab. Andererseits ist es schade, dass der Film nicht mal ansatzweise die Rechte einer KI anspricht. Vermutlich wäre das aber ein anderer Film geworden. Ob die Antwort am Ende ausreichend ist, bezweifle ich aber.
Ich bin dein Mensch, Deutschland, 2021, Maria Schrader, 108 min, (8/10)
She Said
Eine der besten Entscheidungen, dass man eine Frau diesen Film drehen ließ. Auch wenn man ihm zwischen allen Filmen Schraders ihre Handschrift und starke Bildsprache wohl am wenigstens ansieht, was ich mal auf die Eigenheiten eines Hollywood-Debuts schieben würde. Noch dazu eines so öffentlichkeitswirksamen. Ich finde es stark, dass Maria Schrader gerade diese Geschichte erzählt. She Said erzählt von den wahren Begebenheiten und der investigativen Reportage der Journalistinnen Megan Twohey (gespielt von Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) über den systematischen Machtmissbrauch in Hollywood, speziell durch den Produzenten Harvey Weinstein. Beide gehen den sexuellen Belästigungen und Vergewaltigungen nach, die Weinstein zu Lasten gelegt werden und teilweise zu seiner späteren Verurteilung führten.
Dabei stehen ganz klar die Opfer und Überlebenden im Zentrum, nicht der Täter und das ihn schützende System. Weinstein bleibt eine Stimme am Telefon, wird höchstens mal von hinten gezeigt. Es sind seine Opfer, die ein Gesicht bekommen – eine starke Botschaft. She Said nach einem Drehbuch von Rebecca Lenkiewicz macht deutlich nachspürbar warum die Frauen, die Weinstein missbrauchte so lange schwiegen. Was ein wenig überrascht ist, dass der Film so geradlinig und schnörkellos erzählt wurde und ein wenig erzählerische oder künstlerische Kniffe vermissen lässt. Dann aber wiederum ist er so nüchtern wie es ein Journalist:innen-Film wohl sein muss. Als einer der wenigen Vertreter erzählt er zudem von zwei Frauen im Business. Wenn eine ihrer kleinen Töchter ihre Mutter fragt, ob es bei ihrem letzten Telefonat um eine Vergewaltigung ging, wird einem anders. Warum kennt sie den Begriff in dem Alter überhaupt schon? She Said steckt voller erschreckender, weiblicher Realitäten.
She Said, USA, 2022, Maria Schrader, 129 min, (8/10)
Maria Schrader habe ich das erste Mal überhaupt in der Serie „Deutschland 83“ in einer facettenreichen und harten Rolle gesehen. Umso überraschter war ich, dass ich lange Zeit 1. weder von ihrer Tätigkeit als Regisseurin wusste und 2. dass sie so viele feinfühlige Rollen gespielt hat. „Aimée & Jaguar“ & „Vergiss mein Ich“ wurden außerdem mein Lieblingsfilme Maria Schraders als Schauspielerin und „Vor der Morgenröte“ in ihrer Funktion als Regisseurin. Wie Maria Schrader aber von der Schauspielerei zur Regiearbeit kam – darüber konnte ich nicht so viel zum Nachlesen finden. Ich bin froh wieder die Filmografie einer Frau des Filmbusiness genauer betrachtet zu haben und dann noch von einer deutschen Regisseurin. Kommt oft zu kurz. Ein wiederkehrendes Motiv Schraders Schaffenswerk sind übrigens jüdische Lebensrealitäten. Sie führte auch Regie bei der Serie „Unorthodox“. Welcher ist euer Lieblingsfilm von oder mit Maria Schrader?
„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.
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