Filmbesprechung zu „Death Note“ (USA) und Vergleich zur Manga-Vorlage

Was würdest du tun, wenn du ein Buch findest, mit dessen Hilfe du jede beliebige Person töten kannst? Es für das Gute einsetzen? Massenmörder und Diktatoren eleminieren? Ist das gerecht? Was ist Gerechtigkeit? Mit diesem Gedanken spielte der Manga Death Note, der jetzt kürzlich eine US-Realverfilmung erhalten hat. Es war ein Wechselbad der Gefühle – sicherlich für viele Fans des großartigen Manga und Anime. Da hieß es, der Manga würde eine US-Verfilmung bekommen. Schon hier spalten sich die Meinungen. Dann häuften sich die Meldungen. Adam Wingard würde Regie führen (gut). Der Cast wäre zum Großteil amerikanisch, aus Light Yagami wird Light Turner (mmmmh gemischte Gefühle) und dann war da der erste Trailer und die ersten Eindrücke was Wingard und Netflix aus dem Stoff gemacht haben. Aber das spekulieren ist vorbei. Seit gestern läuft der Film auf Netflix und man darf sich vom Resultat überzeugen. Besprechung ist spoilerfrei, nebenbei werden hier auch die Unterschiede zum Manga weitestgehend spoilerfrei besprochen.

Handlung

Neben dem Highschool-Schüler Light Turner (Nat Wolff) landet eines Tages auf dem Schulhof ein Notizbuch, das scheinbar schon durch viele Hände gegangen ist. Auf ihm steht „Death Note“ und auf den ersten Seiten stehen Regeln. Angeblich stirbt derjenige, dessen Name man in das Buch schreibt. Light findet es makaber, will es nicht ausprobieren. Aber ihm fielen schon einige Typen ein. Typische Highschool-Bullies, die andere mobben und ihn kürzlich auch verprügelt haben. Oder der Mörder seiner Mutter, der nie gefasst werden konnte. Als Light mit dem Todesgott Ryuk (Willem Dafoe, Jason Liles) Bekanntschaft macht, der an das Death Note gebunden ist, eröffnet sich ihm eine neue Welt. Er probiert es aus, es funktioniert. Der Mobber ist tot, es hat kaum eine Minute gedauert. Die Cheerleaderin Mia (Margaret Qualley) wird auf ihn und das Buch aufmerksam. Sie wird seine Komplizin und seine Freundin, sie macht ihn darauf aufmerksam, dass er die Welt verändern kann. Und das tut Light. Er beschließt der Welt einen ‚gerechten Gott‘ zu geben und tötet reihenweise Kriminelle und nennt sich selbst Kira. Aber sein Vater (Shea Whigham, der von Lights Nach-Unterrichtsende-Beschäftigung nichts weiß) sieht in ihm einen Verbrecher, der ebenso kaltblütig tötet wie die Kriminellen von denen er den Planeten angeblich säubern will und gründet eine Task Force. Ihm schließt sich der geniale Detektiv L (Lakeith Stanfield) und sein Assistent Watari (Paul Nakauchi) an. Nichtsahnend, dass Kira gefährlich nah ist.

„Death Note | Haupt-Trailer | Netflix“, via Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz (Youtube)

Da ich nun eben die Manga-Vorlage kenne, kann ich es nicht komplett abstellen zu vergleichen. Aber ich kanns versuchen. Wenn man den Film sieht, dann erlebt man einen stylishen, visuell hochwertigen Thriller in Adam Wingards typischer Manier. Wie schon bei The Guest vereint er (und natürlich sein Team) anspruchsvolle Schnitte und Visuals mit Atmosphäre, einem irre guten Soundtrack und – das kann Wingard wohl nicht abstellen, einer kompromisslos brutalen Inszenierung. Zu was der Schüler hier fähig ist, ist keine besonders romantische Gerechtigkeitsvorstellung. Light hat miterlebt wie blutig und konsequent das Death Note bzw. Ryuk seine Forderungen umsetzen und das ist eines Slasher-Films oder Horrorfilms würdig. Wingard setzt auf düster und auf schnell. Zu schnell. Wie schnell Kira zu einem weltweiten Phänomen aufsteigt und angeblich von manchen regelrecht angebetet wird, kann man aus Reizüberflutung schon mal nach 30 Minuten wieder vergessen haben. Durch dieses Tempo entstehen leider auch Logiklücken, die nicht von der Hand zu weisen sind. Als Light beispielsweise einen Charakter manipulieren will, schreibt er dessen Namen auf. Es ist aber anzunehmen, dass das nicht sein vollständiger oder richtiger Name ist – wieso funktioniert das? Widerspricht es nicht den Regeln des Death Note? Und warum kann er den Charakter mit seiner Stimme fernsteuern? Er hat der Person über das Death Note ein bestimmtes Verhalten vorgegeben, aber dazu zählt nicht allen Anweisungen zu gehorchen. Jeder Zuschauer ahnt: das hätte richtig gut werden können, wenn man dem Stoff mehr Zeit gegeben hätte. Und jeder Kenner des Originals weiß: hier wurde extrem viel Potential verschenkt. Wen die Unterschiede interessieren, der kann sich in den folgenden Absätzen dazu belesen. Oder für das Fazit diese eben überspringen.

Wer mal einen kleinen Einblick in Manga und Anime-Vorlage bekommen möchte: „30 UNGLAUBLICHE Fakten zu DEATH NOTE! | Faktenflut“, via moviepilot (Youtube)

Unterschiede zum Manga

Die Charaktere

Bei den Charakteren hat das Team Netflix/Wingard/Drehbuch-Autoren (Charley Parlapanides, Vlas Parlapanides, Jeremy Slater) ganz schön den Rotstift angesetzt. Zu den Änderungen zählen einige wünschenswerte. So ist Mi(s)a ein selbstbewusstes, unabhängiges Mädchen, das auch selber nach der Macht des Death Note strebt. Im Manga ist sie ein sehr naiver Charakter, der leicht zu manipulieren ist und ohne seine Motive zu hinterfragen für Light alles tun würde. Und aus feministischer Sicht besonders grausam: alles tun würde um ihm zu gefallen und ihn sich an den Hals wirft. Bei Light selber sind die Änderungen schon etwas haarsträubender für Fans des Originals. Light ist im Manga ein überragend guter Schüler, der alles im Griff hat. Er kann sich durchsetzen, hat hervorragende Noten, ist beliebt bei den Frauen und durchdenkt immer jeden Schritt völlig. Anfangs hat man im Manga noch den Eindruck, dass er wirklich aus guten Motiven handelt. Aber er weicht seine eigene Moralvorstellung soweit auf, dass er nicht zulassen will besiegt zu werden, damit er weiter seine Vorstellung einer neuen Welt und bedingungslosen Gerechtigkeit durchsetzen kann. Mit ihm als Gott. Gerade wegen seiner Intelligenz und seinen (vorgegaukelten?) sozialen Fähigkeiten ist das eine verblüffende Entwicklung im Manga, die immer wieder etwas schockt. Im Film jedoch ist Light sehr viel realistischer angesetzt, aber leider auch jemand, der die Gemüter nicht so spaltet wie der Manga-Light. Er ist ein deutlich weicher gezeichneter Charakter. Er bekommt auch mal aufs Maul, macht Fehler, hat Angst und ist verwirrt. Er denkt nicht nach und um Mia zu beeindrucken, erzählt er ihr verdammt schnell von dem Death Note. Er tut einige Dinge, die sehr menschlich und sympathisch sind, aber auch einige, bei denen man sich nur facepalmen möchte. Er ist nicht bereit alles zutun um nicht aufzufliegen. Seine Menschlichkeit, seine ironischen Bemerkungen und der Umstand, dass er wie ein Mädchen schreit und kein Frauenmagnet und Überflieger ist, machen ihn zu einem sympathischeren Antihelden. Den skrupellosen Part von Kira spielt eher Mia. Das vielleicht größte Merkmal ist aber auch, dass Light im Film aus einem vom Schicksal gebeutelten Familienhaus kommt. Seine Mutter ist gestorben und derjenige, der ihren Tod verursacht hat, ist davongekommen. Hiermit ist Light das Paradebeispiel für jemanden, der von der Justiz, Polizei und Gesellschaft im Stich gelassen wurde. Light im Manga ist ein privilegierter junger Mann, dem scheinbar nie Ungerechtigkeit widerfahren ist und der aus einem intakten und sogar sehr angesehenen Haushalt stammt. Dadurch wirkt Lights Entwicklung so besonder krass im Manga und gibt Diskussionsstoff. Diese Änderungen nehmen dem Film viel an Härte und Größenwahn, was das Original ausmacht.

Die anderen Charaktere haben auch einige Veränderungen erlebt, aber ich behaupte es sind welche, die der Handlung keinen Abbruch tun. Lights Vater James ist wieder ein engagierter Polizist, aber kein so hohes Tier wie im Manga. L wird durch Lakeith Stanfield ziemlich gut verkörpert, sowie Watari. Sie haben eine eigene Dynamik und Geschichte, die sich leicht vom Manga zu unterscheiden scheint. So ist Watari nicht der Gründer des Waisenhauses in dem L aufwuchs. L wirkt auch etwas weicher als im Manga, manchmal etwas besorgter. Aber das tut der Darstellung insgesamt keinen Abbruch. Ls typische Spleens wie der Hang zu Süßigkeiten und eigenartige Weise zu sitzen, wurden übernommen. Watari ist deutlich jünger (und cooler. Überhaupt hat alles eine zeitgemäße Coolness verabreicht bekommen.) Aber man erkennt die Charaktere wieder. Ryuk ist eine Sache für sich. Im Manga ist er etwas tollpatschiger und etwas schwer von Begriff, er kennt nicht mal selber alle der Regeln rund um das Death Note. Aber er ist ein gnadenloser Richter, der das Geschehen ironisch bis schwarzhumorig aus dem Off kommentiert. Er hilft Light sogar, solange ihn das unterhält und amüsiert. Wenn er beginnt sich zu langweilen, droht er Light fallen zu lassen. Im Film wird er aber von Anfang an als böse und zwielichtig dargestellt, außerdem als schlau und scheinbar allwissend. Eine Änderung, die wahrscheinlich jeder anders empfindet, wobei ich mir sicher wäre, dass die meisten an Light mehr Anstoß nehmen.

Mal ein kleiner Vergleich zum Ryuk aus dem ersten japanischen Film, der den Charakter besser trifft: „Death Note – Ryuk will doch nur einen Apfel“, D-Ace (Youtube)

Müsste ich es in Punkten ausdrücken, würde ich so werten … Manga:Film – 1:0

Die Story

Der Manga ist auch nicht nur genial. In der Mitte gibt es eine unangenehme Talfahrt. Was der Manga aber sehr gut beherrscht: detektivisches Katz-und-Maus-Spiel. Es ist kein Geheimnis: der Kampf der Köpfe, das Hin und Her zwischen L und Light, ist einer der Gründe warum der Manga so groß und bekannt geworden ist. Wann macht einer der beiden einen Fehler? Wann schnappt die Falle zu? Wann wird Light überführt? Oder trifft es zuerst L? Der Film verschenkt aufgrund der oben genannten Schnelligkeit und wegen des Versuchs viel Story in 101 Minuten Film zu quetschen die Möglichkeit den Zuschauer zum mitknobeln zu geben. Von Detektiverei ist da wenig übrig und das ist ein Jammer. Die Konfrontationen zwischen L und Light sind … zwei? Wenn ich mich recht erinnere. Zudem verschiebt sich das Katz-und-Maus-Spiel mehr in Richtung Light vs Mia. Spätere Charaktere und Storylines aus dem Manga (Stichwort Near und Mellow) fehlen ganz. Ich persönlich finde es nicht schlimm, da es deutlich zuviel für einen Film wäre und außerdem empfand ich das schon im Manga als eher störend. Aber das Katz-und-Maus-Spiel zu banalisieren und einzudampfen ist ein großer Fehler, da es neben dem moralischen Zündstoff eigentlich das ist, was die Geschichte ausmacht.

Manga:Film – 2:0

Verwestlichung

Auch ich sehe die Verwestlichung oder das White-Washing nicht ganz locker. Aber im Großen und Ganzen ist es so, dass der Stoff auch so funktioniert. Natürlich würde es auch mir besser gefallen, wenn man dem Original soviel Tribut zollt, dass man eine 1:1-Inszenierung angeht. Aber wenn Amerikaner in Japan einen Film drehen wollen, dann ist das wie eine Einladung zu Filmfehlern. Außerdem sehe ich persönlich außer-japanische Remakes immer als eine Chance den Einfluss und Bekanntheitsgrad des zugrunde liegenden Manga zu vergrößern. Und da sage ich mir: warum nicht? Außerdem muss man sagen: die amerikanischen Produktionsgesellschaften haben mitunter das Geld und die Erfahrung einen Blockbuster zu machen, wenn sie es richtig machen. Alles in allem ist vom Stil, der Atmosphäre und der Ausstattung die Verwestlichung hier gelungen. Aber haters gonna hate. Ich wette die ersten negativen Ratings wurden in der IMDB schon vor dem allerersten Screening getätigt.

Manga:Film – 2:1

Fazit

Adam Wingard hat versucht viel Story und diskussionswürdigen Stoff in eine Stunde und vierzig Minuten Film zu pressen. Eins der wahrscheinlich größten Probleme überhaupt. Hätte er seine Vision des Stoffs in eine Serie oder einen Mehrteiler packen können, dann wäre da vermutlich sogar was ziemlich Gutes rausgekommen. Durch das Zusammendampfen der Story ist aber viel abhanden gekommen bzw. zu konfus geraten. Alle Beteiligten machen ansonsten eine gute Arbeit. Nimmt man den Film als Wingards-Version von Death Note, dann haben er, Atticus und Leopold Ross (Musik), sowie allen voran die Darsteller Nat Wolff, Lakeith Stanfield, Willem Dafoe eine gute Arbeit gemacht. Aber die Story hinkt und verschwindet ein wenig in der Belanglosigkeit, was nicht zuletzt daran liegt wie durch die Geschichte gehetzt wurde und was alles auf der Strecke geblieben ist.

Fans des Manga werden viel vermissen und das eine oder andere Mal großzügig über das Gesehene hinwegblicken müssen, denn der Verfilmung fehlt viel, was den Manga großartig gemacht hat und den Film besser gemacht hätte. Beispielsweise der moralische Zündstoff, für den nimmt man sich schlichtweg keine Zeit und banalisiert vieles. Im Gegensatz zum Manga wurde der Film etwas bekömmlicher und mainstreamiger angelegt. Das zeigen beispielsweise die über-krassen windgardschen Tode der Opfer Kiras. Da fliegen die Köpfe nur so. Außerdem ist der Charakter Light sehr viel weicher und naiver angelegt und bietet weniger Zündstoff für Diskussionen. Am schlimmsten ist wohl aber, dass das schlaue Katz-und-Maus-Spiel zwischen L und Light fehlt. Wingard hat damit Köpfchen gegen Splatter-Feuerwerk getauscht. Schade.

Death Note, USA, 2017, Adam Wingard, 101 min, (6/10)

Sternchen-6

Wie hat euch der Film gefallen? Kennt ihr den Manga? Und findet ihr die Umsetzung gelungen oder eher misslungen? Welche Unterschiede sind für euch am gravierendsten? Welche im Grunde egal? Wie steht ihr zur Verwestlichung?

4 Antworten

  1. […] ich letztes Jahr das US-Remake von Death Note gesehen (und nicht gemocht) habe und auf der Nippon Connection den Film Death Note – Light up […]

  2. […] eine ziemliche Ente. Anfangs spannend und dann dieses Ende … pff. Und das US-Remake von Death Note war auch ganz schön […]

  3. […] Stoff gibt eine ganze Menge her wie ich schon mal hier (Manga-Besprechung) oder hier (Besprechung des amerikanischen Remakes) oder an zig anderen Stellen im Blog diskutiert habe. Und […]

  4. […] kleinen Debatte ist aber wohl das Thema Whitewashing bzw. hier Anti-Whitewashing. Nicht nur bei Death Note und Ghost in the Shell haben wir ja festgestellt, dass die USA sich sehr viel wohler fühlen, wenn […]

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