Natürlich braucht es nicht erst einen Pride-Month, um Filme zu besprechen oder zu schauen, die queere Beziehungen zeigen. Oder sich Menschen widmen, die irgendwo auf dem Regenbogen-Spektrum unterwegs sind. Andererseits: warum sollte ich irgendwelche anderen Filme an Pride besprechen? 🏳🌈 Daher gibt es heute wieder sieben Filme, die sich der LGBTQ+ Community widmen. Und die dürfen auch an allen elf anderen Monaten im Jahr geschaut werden. 😉
My Summer of Love
Irgendwo in England meint Mona (Natalie Press) auf ihre eigene sich selbst-erfüllende Prophezeiung zuzusteuern. Als Kind aus der Arbeiterschicht fliegen ihr die Privilegien nicht gerade zu. Sie verbringt den Sommer in einem Zuhause, dass sie nicht mehr wiedererkennt. Ihre Mutter ist verstorben, ihr Bruder aus dem Gefängnis als tief Gläubiger zurückgekommen. Den Familien-Pub macht er dicht und stattdessen zur „Begegnungsstätte“ seines Bibelkreises. Der Typ mit dem sie schläft, macht Schluss. Viel Zuneigung hat er eh nie gezeigt. Da lernt sie Tamsin (Emily Blunt) kennen, die aus dem stammt, was man wohl als „gutes Haus“ bezeichnen kann. Was nicht heißt, dass sie viel glücklicher in ihrer Familie ist. Beide freunden sich an, mischen den Ort ordentlich auf und erleben einen Sommer von der Sorte wie es keinen zweiten gibt. Voller Zärtlichkeit und gegenseitigem Verständnis, vielleicht auch etwas Wahnsinn. Sie verlieben sich, aber auf ihrem „Summer of Love“ steht ein Ablaufdatum.
Der Film macht es einem anfangs sehr einfach über die Klischees von „arm“ und „reich“ hinwegzusehen, die er vermittelt. Paweł Pawlikowskis gefühlvoller Film weckt Sommerstimmung, Erinnerungen an erste Liebe, Körperlichkeit und wie es sich anfühlt diese eine Person gefunden zu haben mit der man meint die Welt erobern zu können. Dabei basiert sein Drehbuch auf dem gleichnamigen Roman von Helen Cross. Etwas schade ist, dass My Summer of Love unter dem Strich nie mit Labels arbeitet. Tamsin spricht nie darüber, ob sie lesbisch ist oder Mona darüber, ob sie bisexuell ist. Ob einem diese Labels für die Repräsentation fehlen, müssen Zuschauende selber beantworten. Am Ende können Tamsin und Mona wohl nicht der Realität ihrer Familien und ihrer selbst entkommen und der Film steuert auf ein unfallartiges Ende zu. Bis dahin kann man sich von My Summer of Love und seinen ausdrucksstarken Bildern aber betören lassen. Egal, ob Emily Blunts nackte Silhouette vor dem nächtlichen Fenster, das efeuberankte Haus ihrer Familie, die Erika-Felder am Hügel über der Stadt oder die „Kathedrale im Wald“. Habe ich schon erwähnt, dass der Soundtrack von Goldfrapp ist? ♥
My Summer of Love, UK, 2004, Paweł Pawlikowski, 89 min, (8/10)
Rafiki
Den Film Rafiki muss man schon alleine wegen seiner wendungsreichen Entstehungsgeschichte mögen. Es ist der erste kenianische Film, der während der Filmfestspiele in Cannes gezeigt wurde und wurde wegen der öffentlichen Haltung gegenüber Homosexualität in Kenia lange Zeit verboten. Die Regisseurin Rafikis, Wanuri Kahiu, musste lange Fördergelder beantragen und sich dafür einsetzen, dass der Film gezeigt werden darf, was am Ende gelang. Und diese Note mangelnder Akzeptanz findet sich auch im Film wieder genau wie ein Panorama eingetretener Rollen- und Geschlechterbilder.
Kena (Samantha Mugatsia) wartet auf ihre Abschlussnote und denkt darüber nach, was sie mit ihrem Leben nach der Schule anfangen will. Die meisten sehen sie als Krankenschwester und sagen, dass sie später mal eine gute Ehefrau wird. Lediglich die unkonventionelle Ziki (Sheila Munyiva) fragt sie: warum nicht aber Ärztin werden? Kena findet sich eh nicht in den angedachten Rollenbildern wieder. Ziki will dem „wie alle es tun“ entfliehen. die beiden finden ineinander Gehör und Beachtung, verlieben sich ineinander. Eigentlich wollen sie ihre Beziehung nicht verheimlichen. Als die aber bekannt wird, bekommen sie zu spüren, was mangelnde Akzeptanz heißt. Dabei ist insbesondere ihr Verlieben wunderschön anzuschauen. Regisseurin Wanuri Kahiu kleidet ihre Charaktere und den ganzen Film farbenfroh und gibt Kenia ein viel vielseitigeres Gesicht. Es ist tatsächlich auch mein erster kenianischer Film! Schwierig auseinanderzuhalten ist aber, ob die Schnitte mit versetztem Voice-Over ein Kunstgriff sind oder ein Versäumnis. Kann man es nicht auseinanderhalten spricht das vielleicht eher für letzteres und irritiert stark.
Rafiki, Kenia /Deutschland /Frankreich /Südafrika /Niederlande /Norwegen /Libanon, 2018, Wanuri Kahiu, 82 min, (6/10)
Cicada
Ben (Matthew Fifer) hat es übers Herz gebracht seiner Mutter zu sagen, dass er bisexuell ist. Diese Last mag von ihm abgefallen sein, nicht aber eine andere aus seiner Vergangenheit. Die hielt ihn vielleicht auch bisher davon ab eine feste Beziehung einzugehen. Bis er Sam (Sheldon D. Brown) trifft. Beide resonieren in jeglicher Hinsicht miteinander. Sie haben großartigen Sex, schenken sich Zuneigung und schwimmen intellektuell auf derselben Ebene. Doch auch Sam trägt ein Trauma mit sich herum. Er wurde vor einer Weile auf offener Straße aus einem vorbeifahrenden Wagen angeschossen. Seine Wunde ist präsent – die körperliche wie die psychische. Kann ihre Beziehung so viel Trauma überstehen?
Cicada scheint der komplette Rundumschlag über queeres Leben und das von intersektionalen Personen zu sein. Intersektionalität bedeutet von vielschichtiger Diskriminierung bedroht zu sein. Sams Identität als schwarzer, schwuler Mann hemmt ihn sich zu outen, v.A. da er bereits Gewalt erfahren hat. Sheldon D. Browns Gewalterfahrung wurde in den Film eingebaut – er wurde tatsächlich angeschossen und die Wunde ist echt. Auch Fifers Missbrauchserlebnis basiert auf wahren Begebenheiten. Cicada ist aber mitnichten nur schwerer Stoff. Fifer und Mulcare finden wunderbare, zärtliche wie auch erotische Bilder. Sie fangen die Melancholie genauso wie die Despression und Folter der Selbsterkenntnis ein. Cicada berührt, ist cool und fühlt sich nach einem sinnlichen Sommerfilm an. Cicada schockt, wenn die Stille von einem Schuss zerrissen wird und die Ängste plötzlich alle wieder hochkommen lässt, wo doch eben noch alles gut war. Wie es für die Beziehung der beiden weitergeht war mir gegen Ende ein Stück weit zu offen. Dennoch endet der Film mit einer berührenden und sehr persönlichen Szene, die auf die Mattschreibe brennt wie schwer Missbrauch wiegt.
Cicada, USA, 2020, Matthew Fifer/Kieran Mulcare, 96 min, (8/10)
Shiva Baby
Danielle (Rachel Sennott) ist eh schon nicht begeistert mit ihren Eltern eine Schiv’a zu besuchen, dann wird die Luft dort gleich noch ein bisschen enger. Auf der Trauerfeier ist auch Max (Danny Deferrari), von dem sie sich in einer Sugardaddy/Sugarbaby-Beziehung sexuelle Gefälligkeiten bezahlen lässt. Seine Frau hat er passenderweise auch mit. Als ob das noch nicht ausreicht, taucht auch Danielles Exfreundin Maya (Molly Gordon) auf und erzählt allen davon, dass sie ein Rechtswissenschaftenstudium antritt. Alles was Danielle auf die Frage nach ihren Zukunftsplänen entgegen kann ist, dass sie Job Interviews hat (die sie nicht wirklicht hat). Es gibt mehrere Versuche die Schiv’a zu verlassen, die scheitern – wie kann der Abend enden?
Emma Seligmans Shiva Baby ging ein gleichnamiger Kurzfilm voran und brachte Seligman viel Lob ein. Sie fängt anhand nur eines Nachmittags die Enge einer kleinen jüdischen Gemeinschaft und von familiären Ansprüchen ein. Es gibt nichts, was an Danielle und den anderen Menschen auf der Trauerfeier nicht bewertet wird und kaum noch eine Ecke in die Danielle sich verkriechen kann, in der sie nicht irgendwem begegnet, der oder die eine unbequeme Frage stellt. Sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal jüdischer Gemeinden. Unterschwellig schwingen einige Bewertungen mit wie die oftmalige Frage nach dem Freund, aber nie nach einer möglichen Freundin. Dabei ist Danielles Mutter (Polly Draper) recht aufgeschlossen. Vor dem Angesicht aller Nachbarn ist das aber offenbar nochmal was anderes. Natürlich ist nicht alles schlecht an Danielles Umfeld. Viel mehr zeigt der Film, dass Familie und Gemeinschaft gleichzeitig beides sein kann: einengend, aber auch ein sicherer Hafen. Die Hektik des Films lässt Zuschauende regelrecht am eigenen Leib fühlen wie stressig die Schiv’a für Danielle ist und was für ein paradox die angebliche sexuelle Befreiung. Der Einsatz von disharmonischer Musik ist zu stark und macht den Film an Tagen, an denen man selber nicht gut drauf ist, zu einer Nervenprobe. Aber dann wiederum: ist es genau das, was Seligman will, oder?
Shiva Baby, USA/Kanada, 2020, Emma Seligman, 77 min, (8/10)
Nimona
Basierend auf ND Stevensons gleichnamigen Comic, erzählt Nimona die Geschichte einer Legende. Darin befreite die Heldin Gloreth die Stadt vor einem Monster. Seitdem gibt es eine Art Elite-Garde bzw. Ritter, deren Aufgabe es ist die Stadt vor jeglicher Bedrohung zu beschützen. Der Anwärter Ballister Boldheart (Riz Ahmed) ist ein Novum unter ihnen, da er in Armut aufgewachsen ist. Bisher wurden nur Menschen adliger Abstammung Ritter:innen. Boldheart steht nun im Begriff zum Ritter geschlagen zu werden, plötzlich gibt es aber einen furchtbaren Anschlag. Boldheart wird, obwohl unschuldig, dafür verantwortlich gemacht. Auf der Flucht begegnet ihm Nimona (Chloë Grace Moretz). Mit der Fähigkeit der Formwandlung hat Nimona genau das Werkzeug und die wahren Übeltäter zu finden und hat außerdem große Lust das System zu unterwandern, das blind einer tausend Jahre alten Legende folgt. Let’s break stuff!
Nimona mag nicht die offensichtliche Wahl für eine Werkschau voller Filme unter dem Schlagwort Pride, Queer oder LGBTQIA* sein. Oder eben gerade doch. Als Leute auf Nimona zugehen und sagen „Sei doch jetzt bitte ein gutes Mädchen“ sagt Nimona „Ich bin kein Mädchen“ ist“. Auf die Frage was denn dann, lautet die Antwort Nimonas „Na ich bin eben Nimona“. Man muss den Film sicherlich nicht so lesen, aber damit kann Nimona als die ultimative Metapher dafür gelten sich eingetretenen Pfaden und Labels zu widersetzen. Nicht so zu sein wie andere eine:n haben wollen, sondern wie man eben ist. Im Speziellen habe ich Nimona als eine nichtbinäre Person gelesen, was ihr auch tun könnt, aber nicht müsst – klar.
Vor Allem ist es eine wunderbare und mitreißende Geschichte über die Vorurteile, die mit allen möglichen Bezeichnungen einhergehen. Ballister Boldheart wird kritisiert, unterschätzt und herabgewürdigt, weil er arm aufgewachsen ist und deswegen angeblich kein Held sein kann. Mehr muss man dazu kaum sagen, oder? Achso: Boldheart ist übrigens offen queer und zusammen mit dem Ritter in glänzender Rüstung Ambrosius Goldenloin (Eugene Lee Yang). Nimona ist anders als der Comic weitaus gefälliger und massentauglicher animiert, was Fans vielleicht befremdet. Ich komme tatsächlich mit dem Animationsstil des Films besser klar als mit dem des Comics. In jedem Fall verdient Nimona die Aufmerksamkeit in jeglicher Hinsicht.
Nimona, USA/UK, 2023, Nick Bruno/Troy Quane, 101 min, (8/10)
Down Low
Das hatte sich Gary (Zachary Quinto) wohl anders vorgestellt, als er sich eine Massage mit „Happy-End“ nach Hause bestellt hat. Als Masseur Cameron (Lukas Gage) an Garys etwas ungelenker Verhaltensweise bemerkt, dass er ein frisch von seiner Ex-Frau geschiedener und noch nicht geouteter schwuler Mann ist, beschließt er ihm zu „helfen“ und das erste Mal wirklich Sex mit einem anderen Mann zu haben. Dank einer App ist ein Date schnell gefunden. Man versteht sich leider nicht. Es kommt zum Disput und ups, leider zu einem tödlichen Unfall. Statt eines heißen Dates haben Gary und Cameron jetzt eine Leiche an der Backe.
Down Low ist viel witziger als ich es finden will. Eigentlich ist die Prämisse gefühlt etwas zu sehr in your face. Gary ist nämlich nicht nur closeted und hat das Gefühl, dass er Zeit seines Lebens verschwendet hat. Nein, er ist auch noch tödlich krank und jeder Tag zählt (noch mehr als er ohnehin schon zählt). Da hört man die Uhr schon überlaut ticken, was deutlich zu musterhaft geraten ist. Ich weiß auch nicht, ob ich die Einlage mit den nekrophilen Typen aus dem Dark Web dann noch gebraucht hätte. Trotzdem finde ich das alles viel lustiger als ich es finden will. 😉 So manch Stereotyp wird herrlich auf die Spitze getrieben oder aufs Korn genommen. Die Chemie zwischen Gary und Cameron macht Spaß und der Film enthielt offenbar eine der besten Tanzszenen, die ich 2023 gesehen habe. Trotz mancher rührender, mancher schräger Wendungen hat mich der Film genug berührt um ihn zwei Mal zu sehen und es schade zu finden, dass er nur ein Heimkinorelease bekam.
Down Low, USA, 2023, Rightor Doyle, 91 min, (7/10)
Royal Blue
Royal Blue bzw Red, White & Royal Blue hat im August 2023 für einigermaßen viel Gesprächsstoff gesorgt. Warum ist der Film so ein Phänomen gewesen? Weil es Sexszenen gibt, die viel zahmer ausfallen als man bei der Berichterstattung meinen könnte? Weil er viel beworben wurde und in Amazon einen gigantisch großen Produzenten fand? Weil er basierend auf einer Literaturvorlage die Homo- und Bisexualität zweier junger Männer in prominenten und öffentlichkeitswirksamen Rollen adressiert? Ich tippe vorrangig auf letzteres, muss aber gestehen, dass mir der Hype bis heute nicht ganz klar ist. Was ich aber gut finde ist wie top besetzt der Film ist und dass es einen Hype um die verfilmte Beziehungskiste zweier Männer gibt.
Royal Blue handelt vom Sohn der amerikanischen Präsidentin. Alex Claremont-Diaz (Taylor Zakhar Perez) wird auch liebevoll first son genannt. Obwohl er häufig aus Gründen der Diplomatie an politisch motivierten Veranstaltungen teilnimmt, gibt es eine Person, die ihn immer wieder aufreibt und den er wenig leiden kann: den britischen Prince Henry (Nicholas Galitzine). Als sie nach einem kleinen (medienwirksamen) Vorfall für einen Skandal sorgen, werden sie sanft gezwungen mehr miteinander gesehen zu werden und einen auf beste Freunde zu machen. Das tun sie – und merken, dass der jeweils andere eigentlich ein guter Typ ist. Mehr als das – sie verlieben sich ineinander. Wie aber navigiert man eine Beziehung zwei solcher in der Öffentlichkeit verankerten Personen?
Darauf gibt Royal Blue wie ich finde eine sehr bescheidene Antwort. Zumindest ist es eine immens geschönte und verkitschte. Beide genießen volle Privilegien, düsen mit Privatjets durch die Gegend, um sich zu sehen und leben in phänomenalen Wochenendhäusern. Das kann einem schon mal sauer aufstoßen. Aber andererseits: zwei Privilegien haben sie nun mal trotz allem nicht. Sie können sich nicht immer sehen und ihre Beziehung nicht ohne weiteres öffentlichen machen. Alex muss fürchten den Wahlkampf seiner Mutter zu beeinflussen, Henrys Familie wiederum ahnt nicht, dass er schwul ist und er ist sich sehr sicher, dass das nicht in der königlichen Familie geduldet wird. Der Film kommt dahin, das beides adressiert wird. Und wie das passiert – trifft wunderbar positive Töne, wofür man den Film dann doch lieben muss. Obwohl vieles an Royal Blue viel zu kitschig und einfach ist, Taylor Zakhar Perez und Nicholas Galitzine haben Chemie miteinander und der Film seine komischen wie romantischen Höhepunkte. Dass es eine Fortsetzung geben wird, finde ich prima.
Royal Blue (OT: Red, White & Royal Blue), USA, 2023, Matthew Lopez, 112 min, (7/10)
Wer jetzt noch für ein paar mehr Anspieltipps Platz hat, findet den ganzen Sommer über bei den öffentlich-rechtlichen queeres Programm. Vielleicht ja auch irgendwann nicht mehr nur zu später Stunde!? Was sind eure Anspieltipps für Pride? Habt ihr vielleicht sogar einen Lieblingsfilm? Und eine Serienempfehlung? Da fehlt’s mir gerade! Ansonsten … Happy Pride! 🌈
„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.
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