Serienlandschaft: Ein bisschen „Iyashikei“ für uns alle

Das Gerangel und die allgemeine Unentschiedenheit rund um Lockdowns, Impfung, etc. nagt an uns – das ist nicht übertrieben, oder? Es kommt mir so vor, als ob auf allen Seiten nur ein lautes Kopfschütteln darüber zu vernehmen ist wie man hierzulande mit der Pandemie umgeht. Das klingt ganz so als ob wir zumindest in unserem Eskapismus dringend etwas mehr „Iyashikei“ brauchen. 🙂

Was ist „Iyashikei“?

Iyashikei (癒し系, sprich: „iyashikä“) stammt vom japanischen Wort 癒す („iyasu“) ab, das „heilen“ bedeutet. Iyashikei wird oft als Subgenre von Anime und Manga verstanden und bezeichnet damit also besonders „heilsame“ Stoffe. Der Begriff tauchte erstmals nach dem verheerenden Erdbeben um Kōbe im Jahr 1995 auf und adressiert das Bedürfnis nach einem Eskapismus, der vorrangig positive Gefühle auslöst und wenig deprimierende, polarisierende oder gewalttätige Inhalte zeigt. Daher finden sich die meisten Iyashikei-Anime als Subgenre von Slice of Life und weniger im Bereich von Horror, Action oder Thrillern. Allerdings auch nicht Komödie, denn es soll heilen und hängen bleiben, nicht „nur“ 20 Minuten ablenken.

Kritische Stimmen mögen jetzt sagen, dass solche Stoffe einlullen und fragen, warum man das möchte? Ist es nicht ratsamer sich den kritischen Fragestellungen und moralischen Zwickmühlen anderer Stoffe und Genres auszusetzen, um sich abzuhärten und Eventualitäten zu öffnen, damit man den stressigen Fragen des Lebens gewappneter begegnet? Ja, durchaus. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum Thriller und Horror so viele Zuschauer*innen anziehen. (Auch mich.) Aber es sagt ja niemand, dass man nur wohlig warme Iyashikei schauen soll. Aber es ist fair und denke ich wahr, dass jeder früher oder später mal einen Anime braucht, der so gut wie keine Trigger beinhaltet und einfach unterhält und nur positive Gefühle hinterlässt.

Ich bin schlecht darin Iyashikei-Anime zu finden …

… das gebe ich ganz offen zu. Dass ich diesen Artikel schreiben möchte, steht ohne Quatsch seit einem Jahr auf meinem Blog-Notizzettel. Ich schaue einfach keine „reinen Iyashikei-Anime“. Alles, was ich euch empfehlen kann, hat immer irgendwo ein bisschen verstecktes Blut oder Tragödie, weil ich eben so eine Medien-Konsumentin bin. Meine Empfehlungen haue ich mal raus, werde euch aber auch die Trigger verraten. Warum? Weil ich denke, dass Iyashikei wie viele Subgenres schwimmende Grenzen hat. Was für euch Iyashikei ist, ist es vielleicht nicht für mich oder irgendwen anders. Es hängt zwangsläufig davon ab, was der*die Einzelne individuell als heilsam betrachtet.

Ein paar Anime, die ich als heilsam empfunden habe, waren beispielsweise Silver Spoon, der von einem Jungen handelt, dem wegen seiner guten Noten alle Türen offen standen und der sich für eine Landwirtschafts-Hochschule entscheidet. Von Landwirtschaft, dem Leben auf dem Land oder einem Bauernhof allgemein hat er aber überhaupt keinen Plan und ist entsprechend überall etwas verloren, egal was er tun soll. 🙂 Das hat eine angenehme Note von Dazulernen und Comic-Relief. Trigger für die Erwähnung von Schlachtung, ansonsten ist der Anime wirklich ganz plüschig, versprochen. In der angenehm „slice of life“-igen Animeserie Kids on the Slope raffen sich zwei an und für sich eher unterschiedliche junge Männer zusammen um eine Jazz-Combo zu gründen. Rund um die beiden entspinnt sich davon mal abgesehen ein nicht unkompliziertes Konstrukt aus „A liebt B, B liebt C“ usw.


„TV Anime „Silver Spoon“ Trailer (English Subbed)“, via Tokyo Otaku Mode (Youtube)

Etwas hin- und hergerissen bin ich bei Sport-Anime. Die haben oftmals sehr viel von diesem Streben, Trainieren, sich weiterentwickeln und über sich hinauswachsen, dem „heilsamen“; aber eben häufig auch Rivalität und Misserfolge – wir wissen auch das gehört zum Leben dazu und ist sogar erschreckend wichtig 😉 . Zwei Anime, die mir aber heilsam erschienen sind Die kleinen Superstars (aka Hikari – Die kleinen Superstars), um einige Teenager, die sich der rhythmischen Sportgymnastik verschrieben haben und Welcome to the Ballroom, um den Mittelschüler Tatara Fujita, der eines Tages beschließt Standardtanz zu erlernen und sogar auf Turnieren aufzutreten. Der Anime ist rasant umgesetzt und Tatara gewinnt viel Selbstvertrauen und Sicherheit im Umgang mit anderen Menschen.

Jetzt schüttele ich noch zwei ganz schwierige Beispiele aus dem Ärmel. Die wunderschön animierte Serie Violet Evergarden ist für mich ein Iyashikei-Anime, denn er handelt von der titelgebenden Violet, die von Kleinauf als Kampfmaschine erzogen wurde und wenig vertraut mit dem ist, was man hinlänglich als normale menschliche Gefühle bezeichnet. Sie beginnt als Autonome Korrespondenz-Assistentinnen zu arbeiten, eine Art Ghostwriter für Briefe, und lernt in den Gesprächen mit ihren Kund*innen was Liebe, Freundschaft, Reue, etc bedeutet. Violet Evergarden ist die meiste Zeit über ein vorsichtiges Herantasten an gegenseitiges Verständnis und Empathie – aber natürlich gibt es auch Rückblicke in Violets nicht gerade blumige Kindheit und Jugend (Trigger: Krieg und Tod). Ein noch schwierigerer Kandidat ist Haibane Renmei. Der Anime handelt zuerst einmal von Rakka, die ohne jegliche Erinnerung in einer Stadt als Engel mit grauen Flügeln (sogenannte Haibane) auftaucht. Sie wird von anderen Haibane in die Umwelt und Gebräuche eingeweiht. Somit ist Haibane Renmei erstmal sehr Slice of Life. Haibane und Nicht-Haibane kennen lernen, arbeiten, die Umgebung erkunden – das hat alles erstmal etwas sehr bodenständiges und ein bisschen Sense of Wonder, denn die Haibane führen ein einfaches Leben, aber eins mit viel Zusammenhalt. Irgendwann aber kommt Rakka und v.A. die Zuschauerschaft dahinter, was mit ihr und anderen Haibane passiert ist. Dann triggert Haibane Renmei sogar sehr schwer zu verdauende Themen wie Selbstmord, Erkenntnis und Reue. Die Flügel sind ein Hinweis darauf. Trotzdem denke ich, dass Haibane Renmei heilsam sein kann, wenn auch nach hinten raus eine eher harte Schule.


„Violet Evergarden – Trailer (deutsch/german, FSK 6)“, via LEONINE Studios (Youtube)

For your consideration: „echte“ Iyashikei-Anime

Jaja, ihr seht schon: ich habe nicht viele „echte“ Iyashikei geschaut. Und was ich nicht schaue, kann ich schwer empfehlen. Aber es gibt ja die Untiefen des WWW in denen ihr zuhauf Iyashikei findet. Ein paar von denen ich dank Hörensagen weiß, dass sie unterhaltsam und „Iyashikei“ sind, sind beispiels K-ON, um eine Gruppe von Schulmädchen, die eine Band gründen. Problem: bisher können sie nicht alle Instrumente spielen. 😉 Azumanga Daioh ist ebenfalls ein Anime, der häufig in der Topliste von Iyashikei-Anime zu finden ist und auch von einer Gruppe von Schulmädchen handelt, die in einer WG wohnen und sich mit dem Alltag rumschlagen.

Flying Witch handelt von der 15-Jährigen Makoto, die zuhause auszieht und bei Verwandten unterkommt und das Hexenhandwerk erlernt. Aria the Animation versetzt uns auch in eine andere Welt, nämlich nach Neo-Venezia, wo unsere Helden und Heldinnen in der sogenannten ARIA Company den Beruf der Gondoliere erlernen. Bilder aus offener See und Kanälen inklusive … wenn das mal nicht Urlaubsfeeling weckt. Ein Anime, den ich schon ewig sehen will, aber daran scheitere, dass man die erste Staffel nirgends streamen kann (bei Crunchyroll aber die zweite!) ist Mushishi. Die Serie hat bereits einige Ableger und Specials und handelt vom Forscher Ginko, der durch die Welt reist um sogenannte Mushi zu erforschen. Diese Lebewesen können nicht von allen Menschen wahrgenommen werden und haben offenbar übernatürliche Fähigkeiten. Mushishi ist ein sehr naturverbundener und offenbar nahezu meditativer Anime (und Manga), was schon allein die Farbgebung widerspiegelt. Der Anime Kobato. nach einem Manga von CLAMP schreit förmlich Iyashikei, denn die aufgeweckte und etwas tollpatschige Kobato hat die Aufgabe die Herzen der Menschen zu heilen. Schafft sie das oft genug, wird ihr tiefster Wunsch erfüllt. Aber Achtung: Werke von CLAMP haben oftmals die Eigenschaften, sagen wir mal, eine dramatische Wende zu nehmen.


„Healing with Iyashikei“, via Parakasha (Youtube)

Andere Medien, die „Iyashikei“ sind

Natürlich ist Iyashikei nicht exklusiv nur auf Serien oder Reihen anzuwenden. Das eigentliche Bilderbuch-Beispiel für Iyashikei-Stoffe sind wohl die Animationsfilme aus dem Studio Ghibli und all den aufstrebenden anderen Schmieden wie Studio Ponoc. Mein Nachbar Totoro ist wohl der meistgenannte Vertreter, wenn Iyashikei zur Sprache kommt. Ich erhöhe um Kikis kleiner Lieferservice. Nun ist es nicht so, dass Anime und Manga heilsames Storytelling erfunden haben. Natürlich findet man das auch anderswo. Einer der wohl heilsamsten Stoffe der Vergangenheit war für mich die Animationsserie Hinter der Gartenmauer, die eigentlich von zwei Halbbrüdern handelt, die sich im Wald verirrt haben und allerlei schrägen und gruseligen Gestalten begegnen, während sie versuchen zurück nach Hause zu finden. Der Humor kann hierbei wirklich absurd-skurril sein und die Reise der Beiden manchmal schon schaurig, aber ihre Art damit umzugehen (inklusive Gesangseinlagen) ist wirklich erfrischend. 🙂


„Over The Garden Wall | Potatoes and Molasses | Cartoon Network“, via Cartoon Network (Youtube)

Heilsame Serien gibt es zuhauf, aber tatsächlich keine, die so ganz auf Iyashikei zu passen scheinen!? Mir fiel als erstes Community ein, da es in nahezu jeder Episode eine versöhnliche Lehre über Freundschaft und das Leben zu verkünden weiß. Aber es ist eben auch Comedy und manchmal sehr schnell konsumiert ohne dass allzu viel hängen bleibt – oder? Bei Games fällt mir direkt das wunderbare Journey als ein „Iyashikei-Game“ ein, das etwas sehr meditatives hat.

Kanntet ihr den Begriff „Iyashikei“? Und wie legt ihr den für euch persönlich aus? Das heißt, was empfindet ihr in Medien als „heilsam“? Welche Anime, Manga, Filme, Serien und Spiele kennt ihr, die einen heilsamen Charakter haben? „Hinter der Gartenmauer“ und „Welcome to the ballroom“ kann man übrigens beim großen A streamen, „Silver Spoon“ bei Wakanim, „K-ON“ bei Anime on Demand, die zweite Staffel von „Mushishi“ (oder „Mushi-shi“) bei Crunchyroll und die Anime des „Studio Ghibli“ auf Netflix, sowie „Violet Evergarden“ ebenda (Stand heute). Bei den anderen sind mir aktuell keine Streamingmöglichkeiten bekannt.

Immer zwischen dem 5. und 10. eines jeden Monats mache ich einen kleinen Ausflug in die Serienlandschaft. Ob aktuelle Serien, all-time-favorites, irgendeine TOP-5 oder einfach ein paar zerstreute Gedanken: es ist alles dabei :).

6 Antworten

  1. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Vielen Dank für den interessanten Artikel und auch wenn Iyashikei bei mir wenig triggert, dann tut es doch zumindest der Artikel hier. 😉
    So vielfältig wie die Wunden, sind wohl auch die Wege zur Heilung. Heile Welt Unterhaltung wird nach Katastrophen denke ich öfter nachgefragt, weil manche Wunden, wenn überhaupt nur die Zeit heilen kann und bis dahin bleiben nur Ausflüchte um mal die Gedanken halbwegs zur Ruhe kommen zu lassen.
    Was außer der Zeit wohl noch über große Heilkraft verfügt ist die Erkenntnis.
    Was ich in letzter Zeit als relativ heilsam empfunden habe, war der Herr der Ringe.. Vielleicht liegt noch ein weiter Weg vor mir … 😉 🙂

    Insbesondere Kobato und „Hinter der Gartenmauer“ nehme ich als Empfehlung mit. Danke sehr! 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Haha, ja gern 🙂 Meinst du, dass Iyashikei nicht so dein Subgenre ist? Meins auch nicht zwingend, aber ich kann nachvollziehen, dass man das mal braucht. Und deinem Kommentar entnehme ich, dass du auch die Nachfrage und Gründe dafür siehst.

      Ach wieso „Herr der Ringe“ hat doch gerade mit der Reise viele Momente, die auch auf mich heilsam wirken. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich schnell mit Wanderlust anzustecken bin. 😉 Die ganze Sache mit dem Berg, Krieg und den Orks blende ich da gern mal aus …

      1. Avatar von voidpointer
        voidpointer

        Vielleicht liegt der Erfolg vom Herr der Ringe auch in seiner zeitlichen Nähe zu den Weltkriegen.
        Tolkien hat soweit ich weiß im 1. WK gekämpft und gewisse Einschnitte wohl nur langsam verkraftet.
        In gewisser Weise spiegelt sich sein Leben sicherlich im HdR und seinen Charakteren.

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