Ja, es sieht so aus als wäre ich nicht wahnsinnig weit gekommen in den ersten beiden Wochen. Sprich von meinen 13 Filmen sind noch 10 übrig. Dafür habe ich allerdings auch Midnight Mass geschaut. 😀 Und ein paar Wochen haben wir ja noch vor uns. 🙂
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens
Friedrich Wilhelm Murnaus expressionistisch angehauchtes Stummfilmwerk feiert nächstes Jahr seinen 100. Geburtstag! Der Film erzählt die Geschichte des Maklers Thomas Hutter (Gustav von Wangenheim), der einen Kunden in Südosteuropa besucht, um seiner Bitte um Beratung nachzukommen. Graf Orlok (Max Schreck) möchte in Hutters Heimat Wisborg ein Haus kaufen. Hutter übersieht die Anzeichen bis es zu spät ist. Zum Beispiel die Vorsicht der Einheimischen oder auch den Umstand, dass man Orlok nur nachts antrifft. Seine Frau Ellen (Greta Schröder) hat Vorahnungen von einem Schrecken, der Wisborg und Hutter heimsuchen wird. Irgendwann geht es um die Frage wer zuerst ankommt … Orlok oder Hutter?
Kommt uns bekannt vor? 🙂 Als nicht-authorisierte Adaption des von Bram Stoker 1897 veröffentlichten Romans Dracula, änderte Drehbuchautor Henrik Galeen einige Namen. Auf die Figur des Vampirjägers und Wissenschaftlers Prof. Van Helsing verzichtet er beispielsweise ganz. Murnaus Verfilmung gilt als einer der frühsten Ansätze Horror auf die Leinwand zu bringen. Man erkennt insbesondere bei Hutters Übernachtung im Schloss des Grafen Orlok und bei der Figur Orloks wie hier mit einfachen Mitteln Horror erzeugt wird, geografische Grenzen auf die Leinwand gebracht und ganze Schiffahrten modelliert werden. Was bei den Kulissen so mäßig gelingt, funktioniert bei Orlok schon deutlich besser. Das ist natürlich zu großen Teilen Max Schrecks Darstellung zu verdanken.
Der Nosferatu wird als Untoter bezeichnet und ist angeblich dem rumänischen Volksglauben entliehen, was nach kurzer Recherche mehr eine Erfindung zu sein scheint, um den Begriff Vampir zu umgehen. Tatsächlich findet sich aber schon vor dem Film der Begriff Nosferatu in der Literatur. Die Sache ist nur die … so richtig gruselig ist der Film nicht, was vorrangig daran liegt, dass er ein Kind seiner Zeit ist. Die Zwischenblenden mit dem Text helfen auch wenig dabei Atmosphäre zu erzeugen. Aber so ist es nun mal im Stummfilm. Schaut man Nosferatu weniger wegen des Wunsches nach Grusel als um einem frühen Ansatz zu Expressionismus und Horrorfilm Tribut zu zollen? Ich denke schon, zumindest empfinde ich es so. Hier stellt sich wieder die Frage: bewertet man einen Film nach dem Aspekt wie visionär er zu Zeit seines Erscheinens war? Und danach wie ausgefeilt die Mittel für die damalige Zeit waren? Oder eher as-is aus Sicht einer Person, die im Jahr 2021 Filme schaut? Schwierig! So oder so hat Murnaus Werk ein enormes, wichtiges Erbe, dass sich u.a. auch in Werner Herzogs Nosferatu – Phantom der Nacht, Shadow of the Vampire und nun ja, einem ganzen Genre 😉 ausdrückt.
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens, Deutschland, 1922, Friedrich Wilhelm Murnau, 94 min, (6/10)
Gretel & Hänsel
Gretel (Sophia Lillis) und ihr jüngerer Bruder Hänsel (Sammy Leakey) laufen hilflos und am Ende ihrer Kräfte durch den Wald, nachdem ihre Mutter sie herausgeschmissen hat. Sie kann nicht mehr für drei Mäuler sorgen. Gretel sollte sich eigentlich eine Arbeit suchen. Als aber der potentielle Arbeitgeber durchblicken lässt, was er mit Gretel vor hat, war es das. Es ist nicht das erste Mal, dass Grete merkt, dass die Welt kein nur freundlicher Ort für Frauen ist. Hänsel hingegen versteht noch nicht alles, was in der Welt vor sich geht. Als sie bei einer Hütte ankommen, aus der es unverschämt gut riecht, laden sie sich selbst ein bis sie der Hausherrin begegnen (Alice Krige). Entgegen ihrer Erwartungen nimmt sie die Kinder aber auf. Die Albträume und Visionen, die Gretel heimsuchen aber, lassen vermuten, dass sie in Gefahr schweben.
„GRETEL & HANSEL Official Trailer (2020)“, via Orion Pictures (Youtube)
Osgood „Oz“ Perkins (der Sohn von Anthony Perkins alias Norman Bates in Hitchcocks Psycho) hat in der Modernisierung des Stoffs bewusst die Namen umgedreht und Gretel vorangestellt. Der Film ist klar aus der Perspektive einer Gretel geschrieben, die aufgrund ihrer Fähigkeit an einer Kreuzung steht. Schlägt sie sich mit ihrem Bruder durch und verneint ihre „Macht“? Denn ganz offensichtlich hat sie Fähigkeiten wie auch die Hexe, bei der sie unterkommen. Die versucht Gretel auch einiges beizubringen und ihren Blick zu schärfen. Aber auch gegen alle anderen aufzulehnen. Schlägt Gretel den Weg dunkler Magie ein, opfert vielleicht sogar ihren eigenen Bruder, aber lehnt sich gegen alle auf, die Frauen in hilflose Rollen der Abhängigkeit drängen wollen? Gibt es noch einen anderen Weg?
Das Motiv an sich ist ziemlich stark. Aber erzählerisch wäre da noch etwas mehr gegangen. Die wenigen Darsteller*innen, die es für Perkins Version des Grimmschen Märchens braucht bringen das Dilemma glaubhaft rüber. Das Skript gibt ihnen aber wenig Futter. Die Versuchung Gretels und das weibliche Dilemma hätte durchaus noch stärker durchkommen können. Hänsel bleibt relativ blass und seine Beziehung zu Gretel scheint nie wirklich in Gefahr. Wie schlagkräftig hätte der Film sein können, wenn man hier noch etwas mehr an den Stellschrauben gedreht hätte? So wirkt das Ende ein Stück weit pathetisch. Neben der grundsätzlich sehr spannenden Idee ist der Film ein Gothic-Augenschmaus. Alles mächtige, übernatürliche bekommt für Gothic Horror ungewöhnlich geometrischen und modernen Look. Die Hexenhäuser sind meist spitz, dreieckig, außerweltlich. Für kurze Zeit dachte ich sogar mal, dass der Film in der Gegenwart spielt. Alleine für die Szenen aus irischen, herbstlaubigen Wäldern; Kinderschuhen in Bäumen, die nichts Gutes erahnen lassen, düsteres Festmahl und Gretels gore-haltige Visionen bekommt der Film aber viel Liebe, weil er hat viel Atmosphäre.
Gretel & Hänsel (OT: Gretel & Hansel), USA, 2020, Oz Perkins, 88 min, (7/10)
Run – Du kannst ihr nicht entkommen
Searching-Regisseur Aneesh Chaganty erzählt in Run von der Mutter Diane (Sarah Paulson) und ihre an verschiedenen Krankheiten leidenden Tochter Chloe (Kiera Allen). „Leiden“ ist aber ein blödes Wort in dem Kontext. Trotz u.a. Asthma und des Umstands, dass Chloe auf einen Rollstuhl angewiesen ist, ist sie agil, clever und will mehr vom Leben. Sie interessiert sich sehr für Technik und hat sich bei diversen Colleges beworben, auf deren Antwort sie wartet. Raus in die Welt. Aber als kein Antwortbrief ankommt, wird Chloe misstrauisch. Das Verhalten Dianes und eine Pillenpackung, die sie bisher nicht kannte, schürt bei ihr das erste Mal den Verdacht, dass sie nicht nur eine liebende, fürsorgliche Mutter ist.
Wow, der Film hat das Label Thriller mal so richtig verdient. Es lässt sich aber kaum vermeiden, dass Zuschauer*innen sehr früh an psychische Störungen wie das Münchhausen-Stellvertretersyndrom denken und den Umstand, dass Diane Chloe absichtlich abhängig von sich gemacht hat. Es ist etwas schade, dass wir so früh an den Punkt kommen ohne dass der Film noch etwas mehr Zweifel in Chloe (oder uns als Zuschauenden) streut. Ob das dann tatsächlich die Auflösung ist, soll an der Stelle aber nicht verraten werden. Dass der Film so schnell zum Punkt kommt, hat aber auch Vorteile. Es beweist, dass es nicht immer nur zweieinhalb-stündige Epen braucht, um einen spannenden Thriller zu erzählen. Besonders laut möchte man für die Figur Chloe DANKE sagen, da an ihrem Beispiel gezeigt wird, dass man auch mit Rollstuhl verdammt Badass sein kann.
Der Film setzt sich über Tropen wie die damsel in distress hinweg und lässt seine Hauptcharaktere mehr naheliegende, richtige Dinge als dumme Filmdrehbuch-Dinge tun. Chloe nutzt ihr Technikwissen und alle Mittel, die ihr zur Verfügung stehen smart und das ist einfach so gut anzuschauen. Das reduzierte Setting, das die meiste Zeit aus den zwei Hauptdarstellerinnen besteht und das (isolierte) Haus als Schauplatz grenzen die Möglichkeiten entsprechend ein, was hier Trumpf ist. Wie das aber eben bei solchen Hitchcock-esquen Szenarios ist, bleibt da immer die unscharf umrissene Außenwelt, Alltagsleben und alle Fragen, die damit kommen. Zum Beispiel: Warum hat Chloe keine Kontakte zur Außenwelt geknüpft? Beispielsweise über Online-Foren, Messaging-Apps, soziale Netze, irgendwas? Wie hat ihre Mutter sie davon abgehalten sich ein Handy zu wünschen? Manchmal wird man eben (noch) besser unterhalten, wenn man weniger hinterfragt.
Run – Du kannst ihr nicht entkommen (OT: Run), USA/Kanada, 2020, Aneesh Chaganty, 89 min, (8/10)
„Run – Du Kannst Ihr Nicht Entkommen – Trailer (deutsch/german; FSK 12)“, via LEONINE Studios (Youtube)
Und sonst so?
Wie oben schon erwähnt, habe ich Mike Flanagans neusten Streich geschaut. Midnight Mass ist nach „Hill House“ und „Bly Manor“ die erste Serie, die nicht auf einem Schauerroman basiert. Obwohl der erste Trailer wenig aussagekräftig war, habe ich mir die Serie auf Netflix angeschaut und war sehr positiv überrascht. Das Thema Religion ist vielleicht nicht was für alle Zuschauer*innen, aber ich kann die Serie allen sehr empfehlen, da sie auf das Thema eine differenzierte Sicht bietet. Und das eigentlich krasse ist wie kreativ Flanagan Motive des alltäglichen Lebens mit Horrormotiven verbindet. Ein ganz bestimmter Umstand ist ich möchte mal sagen bisher ungesehen. Krass gut.
Zu den bisherigen Artikeln
„Run“ mag eher ein Thriller sein als irgendwas mit Mystery oder Horror zutun zu haben, aber durch das stetige Gefühl der Bedrohung Chloes passt er doch wieder sehr gut in den „Horrorctober“. Die anderen beiden mit Gothic Horror und Vampiren sowieso. Wenn ich jetzt mal rechne, würde das bedeuten, dass ich jetzt im Oktober pro Woche drei Filme meiner Liste schauen müsste, um fertig zu werden. Das klingt schon etwas nach Challenge, da ich eigentlich nur an den Wochenende zum Filme schauen komme. Aber ich stresse mich nicht – vielleicht wird es doch das erste Jahr, dass ich nicht alle Filme schaffe, die ich mir vorgenommen habe. Nicht dramatisch. Wie läuft euer Horrorctober? Was habt ihr euch vorgenommen? Steht schon euer Programm für den 31.10.? 😈
Schreibe einen Kommentar