Irgendein Fernsehsender oder Magazin sagte im Zusammenhang mit Sandra Hüller „unsere Frau in Hollywood“. Natürlich im Zuge ihrer Oscarnominierung 2024. Ihr inzwischen auch internationaler Erfolg ist ihr absolut zu gönnen. Nur ist der Spruch doch ziemlich generisch und unpersönlich, da Sandra Hüller noch so viel mehr vorzuweisen hat. Beispielsweise ihre vielen Rollen mit großer Bandbreite, von Komik bis Tragik. Wurde Zeit sich ihr mal zu widmen. Also heute: sieben Filme mit Sandra Hüller.
Finsterworld
Frauke Finsterwalders Episodenfilm begleitet zwölf Personen, deren Wege sich früher oder später kreuzen und die auf die eine oder andere Weise die Lebensrealität in unserer modernen Wohlstandsgesellschaft adressieren oder ganz speziell ihre Beziehung zu Deutschland und deutscher Vergangenheit. Dass es dabei teilweise düster zugeht, erklärt sich wohl bereits im Titel. Wir lernen darin den Polizisten Tom (Ronald Zehrfeld) und seine Freundin, die Dokumentarfilmerin Franziska (Sandra Hüller) kennen. Man könnte sagen, dass beide unterschiedliche Dinge vom Leben wollen. Der Fußpfleger Claude (Michael Maertens) wiederum hat eine sehr spezielle Vorliebe. Seine Kundin Frau Sandberg (Margit Carstensen) würde ganz gern im Altersheim mal Besuch von ihrer Familie bekommen. Ihr Enkel Maximilian (Jakub Gierszał) ist mit seiner Schulklasse auf Exkursion zur Besichtigung eines KZs, wo er Natalie (Carla Juri) mobbt – und das ist nur ein Teil der Zusammenhänge, die bald ein mal tragisches, mal schräges Gesamtes bilden.
Ganz gleich in welchem Episodenfilm, es fühlt sich immer befriedigend an die Zusammenhänge zu erkennen und zu beobachten wie sich die Teile zu einem Ganzen zusammenfügen. Finsterworld ist da keine Ausnahme und birgt reichlich Gegenwartskritik. Von Neureichen, die über alles in Deutschland meckern und herziehen, sich dabei aufführen wie die Axt im Walde und nicht bemerken, dass sie selbst das sind, was sie bekritteln. Von der Scheinheiligkeit von First World Problems bis hin zu Beziehungsproblemen, Einsamkeit und der Nazi-Vergangenheit Deutschlands nimmt sich Finsterworld aber auch eine Menge vor. Der Rundumschlag ist recht viel zu verarbeiten, sodass man sich am Ende fragt, was man selber falsch gemacht hat und wo man sich am ehesten auf dem Spektrum dieser finsteren Welt wiederfindet. Nicht für alle Tage.
Finsterworld, Deutschland, 2013, Frauke Finsterwalder, 95 min, (6/10)

Schlaf
Sandra Hüller in einem deutschen Horrorfilm? Das wollte ich mir nicht entgehen lassen, zumal ich stark für Sandra Hüller und mehr deutsches Genrekino bin. Tatsächlich hätte ich sie gern etwas mehr in dem Film gesehen. Der beginnt und endet mit ihr, aber zwischendrin übernimmt ihre Filmtochter Mona (Gro Swantje Kohlhof). Beide sind ein eingespieltes Team, das mit der Schlafparalyse der Mutter umzugehen weiß. Sie behauptet gegenüber ihrer Tochter immer wieder dieselben Albträume zu haben, in denen ein Hotel eine Rolle spielt. Dass dieses Hotel nicht nur eine Ausgeburt ihrer Träume ist, weiß sie spätestens als sie das sehr reale Hotel in einer sehr realen Werbung sieht. Sie beschließt dorthin zu fahren und als sie kurze Zeit später katatonisch im Krankenhaus landet, beschließt ihre Tochter nachzuforschen, was passiert ist.
Albträume und Schlaf spielen weiter eine Rolle als auch Mona beginnt seltsame Träume zu haben. Sie befürchtet bald wie ihre Mutter unter Psychosen zu leiden. Dann aber wiederum erscheinen die Albträume zu real und zu stark verbunden mit den Ungereimtheiten um das Hotel und dem ganzen Dorf ringsherum. Das und zig andere Motive begleiten uns durch den Film. Viele davon sind ein touch too much wie die urtümlich deutschen Motive Jagd, Land vs. Stadt und Nazis. Schlafparalyse und die Geheimnisse des Dorfes waren eigentlich schon spannend genug. Vor Allem auch der angenehm trockene Humor. Sehr geliebt habe ich auch die Nebencharaktere wie Martina Schöne-Radunski als subversive Hotelangestellte und Max Hubacher als Inhaber des Dorfladens, der dort auch schläft und duscht. Die krassen Albtraumsequenzen sind gelungen, aber zusammen mit doppelten Twists dann wieder ein Fall von „weniger wäre mehr gewesen“. Neben all dem darf sich Sandra Hüller verletzlich zeigen und spielt bei deutlich zu wenig Screentime auf hohem Niveau.
Schlaf, Deutschland, 2020, Michael Venus, 101 min, (6/10)

Das Schwarze Quadrat
Zwar ist es Vincent (Bernhard Schütz) und Nils (Jacob Matschenz) noch gelungen Kasimir Malewitschs Gemälde Schwarzes Quadrat aus einem Kunstmuseum zu stehlen, die Übergabe mit den Auftraggeber:innen geht aber gehörig schief. Sehr zu Gunsten der Zuschauenden. Sie checken an Bord eines Kreuzfahrtschiffs mit gestohlenen Bordkarten und Gepäck ein, nur um dann zu bemerken, dass ihre geklauten Identitäten die eines David Bowie Imitators und eines Elvis Lookalikes sind. Jetzt müssen sie da durch. Und dann kursieren plötzlich mehrere Gemälde an Bord des Schiffs und die Kunstraub-Dealerin Martha (Sandra Hüller) kann erschreckend gut mit Waffen umgehen. Ups.
Das Schwarze Quadrat ist an und für sich eine sehr schöne Kunstraub- und Heist-Film-Persiflage mit einigen Seitenhieben gegen die Kunstszene. Oben drauf gibt es die Entromantisierung des Kreuzfahrt-Zirkus, sodass alles in Summe schon wieder kultig ist. Um sich aber das Label Komödie zu verdienen, ist der Film immer einen Tick zu tragisch oder satirisch. Nichtsdestotrotz hat der einige geniale Momente und das Ensemble macht den Eindruck, als ob es Spaß hätte.
Das Schwarze Quadrat, Deutschland, 2021, Peter Meister, Dauer, (6/10)

Anatomie eines Falls
Das Schriftsteller-Ehepaaar Sandra Voyter (Sandra Hüller) und Samuel Maleski (Samuel Theis) lebt in den Alpen in der Nähe von Grenoble zusammen mit ihrem sehbehinderten Sohn Daniel (Milo Machado Graner). Während Sandra gerade noch ein Interview hatte, saniert Samuel das gemeinsame Haus. Dann das Hilferufen ihres Sohns: er findet Samuel leblos vor dem Haus. Schnell entstehen Zweifel daran, dass er gestürzt ist und Sandra wird angeklagt. Einer der wichtigsten Zeugen: ihr eigener Sohn. Eine schier unlösbare Patt-Situation führt zur Anatomie eines Falls. Anders als in anderen Gerichtsdramen ist nicht der Gerichtssaal oder die Atmosphäre darin der Star. Nicht der selbstlose, verbissene Verteidiger. Obwohl Swann Arlaud als Sandras Anwalt Vincent hervorragend tut, was er tut. Fokus liegt stattdessen auf den Charakteren und dem schwierigen Geflecht einer kleinen Familie, die schon vor dem „Fall“ viel durchstehen musste.
Die Doppeldeutigkeit des Titels Anatomie eines Falls gibt schon den besten Hinweis darauf, was Quintessenz des Films ist: Möglichkeiten, mehrere Seiten einer Medaille. Ist es der Fall im Sinne von „Kriminalfall“? Gibt es denn einen oder war es möglicherweise doch ein Unfall oder gar Suizid? Ist mit dem Fall schlicht der „Fall Samuels aus der Höhe“ gemeint? Oder viel mehr der „Niedergang der Beziehung“? Die vielen möglichen Deutungen des Titels sind wie eine Metapher auf das, was innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals passiert. Es ist als ob er aus zwei, drei, vier unzuverlässigen Erzählenden bestünde. Alle haben eine Agenda. Daniel sieht gar vor seinem inneren Auge unterschiedliche Aufklärungen. Er ist ein Oxymoron: der Zeuge, der nicht sehen konnte. Ein Junge in einer unmöglichen Situation. Und daneben Sandra Hüller als Mutter und Angeklagte, die viel von sich im Zeugenstand preis geben muss, aber trotzdem noch undurchschaubar wirkt. Die Charakterdarstellungen sind meisterlich und frei von künstlich aufgeladenem Justizdramen-Pathos. Anatomie eines Falls mag in seinen Mitteln nüchtern wirken, ist aber so packend, dass ich mich keine Minute der zweieinhalb Stunden gelangweilt habe.
Anatomie eines Falls (OT: Anatomie d’une chute), Frankreich, 2023, Justine Triet, 151 min, (9/10)

The Zone of Interest
The Zone of Interest beginnt mit einem unbequem langen, schwarzen Screen. Brüche dieser Art wird es mehrere geben. Danach werden wir mit der Familie von Rudolf Höß (Christian Friedel) konfrontiert. Er ist Lagerkommandant des Konzentrationslagers Auschwitz und lebt mit seiner Familie direkt neben dem Gelände. Seine Frau Hedwig (Sandra Hüller) kümmert sich leidenschaftlich um den Garten vor der Kulisse der Mauern mit Stacheldraht. Die Kinder spielen, während man in der Nähe die Schreie der Malträtierten, Gefolterten, der wider jeglicher Völkerrechte inhaftierten hört. Die Vorgaukelei einer Idylle – oder ist es für sie eine?
Glazer und Team zeigen die Familie stets in Totalen, so als ob wir in ein Puppenhaus hineinschauen. Dadurch kann man selten ausmachen wie ihre Mimik genau ist, was sie eventuell fühlen. Sie bleiben sehr distanziert, denn Glazer ist es offenbar (und dankbarerweise) fern sie uns nahbar darzustellen. Der Film kommt stets ohne Gore aus, aber mit hinreichend vielen Andeutungen.
Tatsächlich schwebt über dem Zerrbild des Nazi-Familienidylls die Bedrohung der Versetzung. Es ist grotesk dabei zuzusehen wie die Familie um den Erhalt ihres Status und Heims kämpft, während nebenan ganze Familien entmenschlicht und umgebracht werden. Man stellt sich während des Schauens viele Fragen. Versteht Hedwig vielleicht nicht, was da passiert? Man will vielleicht sogar das Menschliche in ihrem Handeln suchen. Man will kurz denken, ach der Höß ist halt auch nur ein Vater, wenn er seine Töchter in den Schlaf liest. Aber geht das zusammen? The Zone of Interest ist ein unbequemes Portrait von (Un)Menschlichkeit, da es die schwer zu begreifende Komplexität von Menschen auf Film packt: die Banalität des Bösen.
The Zone of Interest, USA/UK/Polen, 2023, Jonathan Glazer, 106 min, (8/10)

Sisi & Ich
Da schaut Irma Gräfin Sztáray (Sandra Hüller) nicht schlecht als sie nach ihrer Ankunft auf Korfu, in Sisis Residenz, erstmal ihre Kondition beweisen und Hürdenlaufen soll. Sie wurde als Hofdame Sisis „gecastet“ und soll der nun auf Korfu bei langen Wanderungen beistehen. Sisi (Susanne Wolff) ist anfangs misstrauisch, aber sieht etwas in Irma, das sie an sich selber erinnert. Eine Frau, die nichts mit den für sie zurechtgelegten Regeln und Lebenswegen anfangen kann. Der Film beginnt schon mit einer Vorausdeutung, was für eine Lichtgestalt Sisi ist. Und wie grausam es sich anfühlt, wenn ihr Licht nicht mehr auf einen fällt.
Auf Letterboxd (und nicht nur da) wird Sisi & Ich mit Portrait einer jungen Frau in Flammen verglichen – das war tatsächlich auch mein Gedanke über so ziemlich den gesamten Film hinweg. Aber der Film kann noch mehr. Er ist das Portrait einer (mehrerer?) progressiver Frauen, die nicht so recht in das enge Korsett ihrer Zeit passten (pun intended). Darüber hinaus ist es die Geschichte einer On- und Off-Beziehung zweier (mehrerer?) Frauen. Eine unheimlich schwierige Liebe, die ein dramatisches Ende findet. Da ich tatsächlich mal eine Sisi-Tour auf Korfu gebucht habe, halte ich mich zwar noch nicht für eine Sisi-Spezialistin, kann aber einige Details bestätigen, die über Sisi stimmen, hier aber kunstvoll neu verflochten wurden. Wie ihr Tattoo oder die Umstände des tödlichen Attentats auf sie. Spannend. Und so ganz nebenbei optisch eine Augenweide.
Sisi & Ich, Deutschland/Österreich/Schweiz, 2023, Frauke Finsterwalder, 132 min, (9/10)

Zwei zu eins
War Zwei zu eins nur hier in Sachsen-Anhalt der „Sommerfilm des Jahres 2024“? Oder auch im Rest der Republik? Schließlich spielt er in Halberstadt in Sachsen-Anhalt (wovon man nichts im Film sieht) und basiert auf wahren Begebenheiten. 1990 in der ehemaligen DDR – nach der Wende, vor dem neuen Normal als Bundesrepublik, fragen sich alle wie es weitergeht. Maren (Sandra Hüller), ihr Partner Robert (Max Riemelt) und ihr kürzlich aus dem Westen zurückgekehrter Ex Volker (Ronald Zehrfeld) fragen sich, was da ständig zum alten Schacht in Halberstadt gekarrt wird. Sie fragen einen (Peter Kurth), der es wissen muss und der zeigt es ihnen. Die DDR-Mark wird dort während der Einführung der Deutschen Mark eingelagert. Soviel Geld haben sie noch nie gesehen. Zwei Tage noch kann man DDR-Mark im Kurz Zwei zu eins gegen Deutsche Mark eintauschen. Und ihnen kommt ein Gedanke.
Die Drei holen ihre ganze Nachbarschaft mit ins Boot und hecken einen smarten Plan aus, der eine Art Robin Hood Feeling channelt. Sich nach Jahren der Plackerei ein Stück vom Kuchen abschneiden, ohne dass es jemandem weh tut? Ein nahbarer Gedanke, den Drehbuchautorin und Regisseurin Natja Brunckhorst mit offensichtlicher Freude inszeniert. Man guckt den Dreien gern zu, auch wenn ihre vermutlich als progressiv geschriebene Dreierbeziehung so unscharf und emotionslos bleibt, das man nicht so recht weiß, was man damit anfangen soll. Ähnlich wie das Ende.
Der Rest macht Spaß und versprüht allerlei DDR-Feeling. Ich habe so manches aus meiner Post-DDR-Kindheit zwischen Hollywoodschaukel und Korbmöbel wiedererkannt. Das wohl wichtigste an dem Film ist aber wohl zu zeigen, dass die Bürger:innen der DDR auch Menschen waren, die mit großer Unsicherheit und Humor als Hilfsmittel in die Zukunft schauten. Dass sie für wenig hart arbeiteten, in die ganze Welt produzierten (obwohl diese ihnen nicht offen stand) und ihre Produktionsstätten verschleudert wurden ist bis heute ein Affront für die damaligen Arbeitskräfte. Es tut gut zu sehen, dass ein deutschlandweit angenommener Film das mal auf Bild gebannt hat.
Zwei zu eins, Deutschland, 2024, Natja Brunckhorst, 116 min, (7/10)

Ich bin begeistert von Sandra Hüller. Sie bereichert jeden Film mit ihrer natürlichen Art und Präsens. Gibt es irgendeine Rolle, die sie nicht rockt? Eine ihrer (real life) Eigenschaften, die ich besonders schätze ist ihr reflektiertes Verhalten in Interviews und Talks rund um die Filme. Wie sorgfältig sie über die ihr gestellten Fragen nachdenkt, bevor sie antwortet. Und was sie zu sagen hat lässt immer eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Materie erahnen. Oder ich fangirle einfach. Wer weiß.
Es gibt noch so viele Filme mehr in denen Sandra Hüller als Haupt- oder Nebencharakter (z.B. Toni Erdmann, Ich bin dein Mensch, Vergiss mein Ich, „Requiem“) glänzt, dass ich hier noch eine zweite oder dritte Ausgabe raushauen könnte. Wenn ich die Filme nicht schon an anderer Stelle besprochen hätte oder das noch plane. Aus Versehen habe ich wohl auch die bekannteren Spielfilme von Regisseurin Frauke Finsterwalder besprochen. Mh. Das wird schwierig für eine künftige Frauke Finsterwalder Werkschau … .
„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.
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