Werkschauen wollen geplant sein. Und so entstand nachdem ich letztes Jahr Parasite gesehen habe die Idee nun endlich Bong Joon-hos ganze Filmografie rauf und runter zu schauen. Einige Filme hatte ich bis dahin schon gesehen, ein paar der Allgemeinheit unbekanntere standen noch aus. Inzwischen hat Bong Joon-ho Geschichte geschrieben. Sein Werk Parasite gewann als erster südkoreanischer Film den Academy Award für den besten Film. Und nicht nur das: auch gleich noch in der Kategorie Internationaler Film. Ein Spagat, der noch nie gelungen ist. Bong Joon-ho selber räumte auch noch den für die beste Regie und das Originaldrehbuch ab. Und das höchst verdient. Wer ist Bong Joon-ho und was macht seine Filme so gut, erschütternd, anziehend? Der gemeinsame Nenner der heute besprochenen sieben Filme ist, dass Bong Joon-ho Regie führte oder das Drehbuch zu den Filmen beisteuerte.
Hunde, die bellen, beißen nicht
Ein Bellen zerreißt die Stille. Eben noch widmete sich der arbeitslose Yun-ju (Lee Sung-jae) seiner täglichen Routine und der Einöde in seinem Wohnblock, da raubt ihm ein Kläffen den letzten Nerv. Hunde sind hier im Wohnkomplex doch gar nicht erlaubt!? Er geht dem Gebell nach und beschließt ohne große Umschweife sich des kleinen Kläffers zu entledigen. Aber der geplante Hundsmord wird eher Slapstick, als ständig jemand dazukommt und sein Vorhaben stört. Ungewollt lernt Yun-ju das eine oder andere Geheimnis über seinen Wohnblock und seine Bewohner und versucht dabei seinen Tiermord zu verheimlichen. Auf der anderen Seite ist da Hyeon-nam (Doona Bae). Sie ist Buchhalterin im Büro der Immobilienverwaltung und bekommt mit wie ein Hund nach dem anderen verschwindet. Yun-ju ist offenbar umtriebig. Sie will dem Verschwinden der Vierbeiner auf den Grund gehen.
„Barking Dogs Never Bite – Trailer“, via committedtofilm (Youtube)
Klingt furchtbar, oder? Ist es auch. Wenn Yun-ju kleinen Kinder ihr Haustier und einer alten Frau ihre „Schätzchen“ wegnimmt, dann wirkt das einerseits einfach nur durchtrieben, bösartig und grausam. Zumindest in der Inhaltsangabe. Tatsächlich hat es einen gewissen Slapstick-Faktor, der den Film zu einer exzellenten schwarzen Komödie macht. Aber zu einer reduzierten, denn im Zentrum steht das Leben und die Orientierungslosigkeit des arbeitslosen Professors Yun-ju und der in ärmlichen Verhältnissen lebenden Buchhalterin Hyeon-nam. Beide tun etwas sehr signifikantes aus den falschen Gründen. Bei Yun-ju ist es die Frustration darüber, dass er keinen Job findet und seine Frau die Alleinverdienerin ist. Bei Hyeon-nam ist es die fehlende Anerkennung und Bedeutung im Leben, die sie versucht zu kompensieren, indem sie als Retterin der Hündchen in die Schlagzeilen kommen will. Auch hier gibt es also wieder die Bong Joon-ho-sche feine Note der Gesellschaftskritik und Grauschattierungen. Wie so oft in seinen Filmen wird der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten. Wir verachten vielleicht die Taten der Protagonisten, aber wir wissen auch, dass ihr Antrieb leider höchst menschlich und menschgemacht ist. Selbst der Hundsmörder ist hier nicht einfach nur böse, sondern wir werden Zeuge seiner Verzweiflung. Gespickt wird das ganze mit Gruselstorys aus dem Block, den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Toilettenpapier und einer großartigen Kamera, sowie Gespür für Schnitt, Dramaturgie und Mise en Scène wie es selten ist bei einem Debut eines Regisseurs. Ich möchte gar behaupten, dass es ein frühes Parasite ist, nur mit weniger Lachern.
Hunde, die bellen, beißen nicht (OT: 플란다스의 개 „Flandersui gae“), Südkorea, 2000, Bong Joon-ho, 106 min, (9/10)
Memories of Murder
Polizeikommissar Park Doo-man (Song Kang-ho) ermittelt im Südkorea der 80er Jahre in einer ländlichen Gegend im Fall einer Reihe von Morden und Vergewaltigungen. Seine Ermittlungsmethoden sind intuitiv, schroff, er selber ist ungeduldig und emotional – und arbeitet nicht immer nach Vorschrift. So versuchen er und sein Kollege schon mal ein Geständnis mit den Fäusten aus dem Verdächtigen herauszukitzeln. Als sich die Morde häufen, wird ihm ein Kollege aus Seoul zur Seite gestellt: Seo Tae-yoon (Kim Sang-kyung) ist das komplette Gegenteil. Er arbeitet nach Vorschrift, gelassen und gewissenhaft. Die Attitüde des „Großstadt-Komissars“ eckt ab und zu bei Park an, der von sich selber behauptet den Verbrecher allein mit seinem geschulten Blick zu erkennen. Ob oder ob nicht, lässt der Film übrigens so semi offen. 😉 Man findet für beides Hinweise. Nach und nach gelingt es den ungleichen Ermittlern ein Muster in den brutalen Morden zu erkennen – aber das Glück ist nicht unbedingt auf ihrer Seite.
Memories of Murder ist Bong Joon-hos zweite Langfilm-Regiearbeit und Durchbruch. Die an die zehn Jahre währende Arbeit hat sich gelohnt. Memories of Murder ist enorm facettenreich. Zum Einen basiert sie auf dem realen Fall des Würgers von Hwaseong, der seine durchweg weiblichen Opfer auf menschenunwürdige und erniedrigende Weise zurückließ. Ein Filmkritiker bezeichnete den Fall und Film als das südkoreanisches Zodiac. Tatsächlich gibt es einige Parallelen, die darin fußen wie nah die Ermittler dem Täter kommen und wie oft sie meinen ihn erwischt zu haben, es aber an den nötigen Beweisen fehlt. Neben diesem smarten Katz-und-Maus-Spiel punktet der Film mit der Tapsigkeit und den unklugen Entscheidungen der Ermittler, die für einen gewissen Comic Relief sorgen. Ebenso wie das perverse Unverständnis der Umwelt für Spurensicherung, Dringlichkeit und Bedeutung der Morde. Was Bong Joon-ho aber immer wieder gut beherrscht ist das Spiel mit den Erwartungen und dem Dilemma seiner Charaktere. Man kann förmlich zusehen wie der zuvor relativ sorglose Park realisiert, dass seine bisherige Arbeit ihm im Weg steht und letzten Endes vielleicht sogar die Aufklärung des Falls verhindert und weitere Morde nach sich zieht. Und wie der einst regelkonforme Seo nach und nach zu Grenzüberschreitungen bereit ist. Die Charaktere nehmen quasi bedingt durch Verzweiflung die Rolle des jeweils anderen ein. Es gibt eine markante Szene im strömenden Regen, die fast alptraumhaft wirkt und zwei gebrochene Ermittler zeigt. Zudem endet er mit einer starken Szene, in der Park die vierte Wand durchbricht und versucht die Mörder unter uns Zuschauern zu erspähen. Man muss lediglich über ein paar ermittlungstechnische Unsinnigkeiten hinwegsehen in dem ansonsten großartigen Film.
Memories of Murder (OT: 살인의 추억 „Salinui chueok“), Südkorea, 2003, Bong Joon-ho, 132 min, (9/10)
„Memories Of Murder Tribute“, via Christoffer Lundstrom (Youtube)
Das Phantom aus dem Eis – Antarctic Journal
Ok ok, ich greife hier ach Grashalmen. Bong Joon-ho war hier schon so oft in den Werkschauen zu Gast, dass ich auf manche seiner Filme hier verzichten muss und zwei dazu genommen habe, bei dem er „nur“ das Drehbuch beisteuerte. Bei Das Phantom aus dem Eis führte Yim Pil-sung Regie und erzählt die Geschichte einer koreanischen Expedition an den sogenannten Pol der Unzugänglichkeit in der Antarktis. Die Charaktere sind hierbei höchst unterschiedlich. Vom eigenbrötlerischen, rationalen Technikbesessenen bis hin zum mehrfachen Familienvater, der für alle Verständnis hat bis hin zum Expeditionsleiter mit Ballast. Und genau das ist es, was für Spannungspunkte sorgt nachdem die Forscher das Tagebuch einer britischen, offenbar verschollenen Expedition der 20er Jahre finden und kurze Zeit später auch einer von ihnen verschwindet.
Hier drängt sich leider ein leichtes „kennt man ja“ auf. Die unterschiedlichen Mentalitäten, die Extremsituation, knapp werdende Vorräte und plötzlich andauernd schlechtere Wetterverhältnisse sowie das eine oder andere unheimliche bis unerklärliche Vorkommnis machen aus der anfangs funktionalen Gruppe einen zerstrittenen Haufen, der sich in der Extremsituation sogar bereitwillig in Gefahr bringt. Der Aufhänger des Films ist dabei die Unklarheit ob es wirklich nur daran liegt oder gar etwas im Eis die Expedition scheitern sehen will. Dass das dem Zuschauer überlassen bleibt, ist sehr angenehm. Zwar ist die grundlegende Formel denkbar einfach, aber Filme die in Extremsituationen angesiedelt sind profitieren meist von dem „What’s next?“ und dem Bemühen sich aus der Lage herauszuschaufeln. Hier kommen noch die fantastischen Bilder aus dem Eis hinzu. Leider ist das Ende dann doch einen Tick zu offen und der sich lang andeutende nicht übermäßig wendungsreiche Weg dahin eher etwas unbefriedigend.
Das Phantom aus dem Eis – Antarctic Journal (OT: 남극일기 „Namgeukilgi“), Südkorea, 2005, Yim Pil-sung, 114 min, (7/10)
Mother
Mother ist ein weiteres Beispiel für das gehobene Niveau auf dem der koreanische Film Krimis erzählt. Die titelgebende Mutter wird von Kim Hye-ja portraitiert. Sie arbeitet als Verkäuferin, betreibt nebenbei illegal Akkupunkturpraktiken und hat einen geistig behinderten Sohn namens Do-jun (Won Bin). Der treibt sich sehr zum Missfallen seiner Mutter mit seinem dubiosen Kumpel Jin-tae (Jin Ku) herum, trinkt und stellt Mädchen nach. Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn ist innig, von einer verzweifelt-vorwurfsvollen Abhängigkeit geprägt. Umso schlimmer ist es für die besorgte Mutter als Do-jun festgenommen wird, da er angeblich ein Mädchen umgebracht haben soll. Sie befürchtet, dass er aufgrund seiner geistigen Konstitution als Sündenbock herhalten soll und zu einem Geständnis gezwungen wird. Und um seine Unschuld zu beweisen, ermittelt sie selbst. Ihre Methoden sind anfangs noch vorsichtig, wenn auch etwas obskur. Im Laufe des Films türmt sich aber die ganze Verzweiflung der Mutter auf. Man spürt es als Zuschauer am intensiven Spiel aller Beteiligter, dass wenn ihr Sohn ins Gefängnis geht, ihr Leben zu enden scheint. Ihre Selbstaufgabe verloren. Die Auflösung und Spurensuche sind charmant hemdsärmelig, eskalieren aber nach dem etwas langatmigen Anfang plötzlich und hart. Wieder ein ausgezeichneter Krimi, der Menschen an die Grenzen dessen bringt, zu was sie sich für fähig hielten. Und darüber hinaus. Allerdings lässt sich ein Hauch der Langeweile nicht wegdiskutieren in dem ansonsten wieder sehr realistischen Charakterdrama-Krimi-Mix, der wieder im Milieu spielt, das außer sich selbst nichts hat.
Mother (OT: 마더 „Madeo“), Südkorea, 2009, Bong Joon-ho, 128 min, (7/10)
„Sea Fog Official US Release Trailer (2016) – Yoo-chun Park Movie“, via Movieclips Indie (Youtube)
Sea Fog
Shim Sung-bo arbeitete bereits an anderen Produktionen mit Bong Joon-ho zusammen. Aus der Feder beider stammt das Drehbuch zu Sea Fog, wie der Film auf dem internationalen Markt heißt. Hier führte Shim Sung-bo Regie und bedient sich eines Motivs, das sowohl bei ihm als auch Bong Joon-ho sehr beliebt ist. Es stellt Menschen am metaphorischen unteren Ende der Nahrungskette vor eine moralische Zwickmühle, an deren Anfang Hoffnung steht, es aber letzten Endes nur furchtbare Ausgänge gibt.
Kang Cheol-joo (Kim Yoon-seok) ist Kapitän des Fischerboots Junjin. Seine Crew besteht aus einer Handvoll Männern, die das Schiff teilweise als Zuhause betrachten. Ihre Fahrten werfen aber schon lange keinen Gewinn mehr ab, da das alte Schiff fast ständig Reparaturen benötigt. Der Seebär willigt ein für gewinnträchtigere Deals illegal Menschen ins Land zu schmuggeln. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wird den Einwanderern noch vor der Crew klar, dass sie blutige Anfänger sind und von Schmuggeln, geschweige denn vom Menschenhandel auf offener See keine Ahnung haben. Es kommt zur Katastrophe, in der v.A. der Kapitän seine Menschlichkeit nahezu ablegt um die Situation aller nicht zu verschlimmern. Man könnte sagen, dass Sea Fog den Zeitgeist eingeatmet hat. Und das Jahre bevor die Seenotrettung von Flüchtlingen Thema in den Medien wurde und wie es aktuell der Fall ist gerne mal auch wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet. Tagtäglich versuchen Flüchtlinge auf offener See zu überleben – mal mit Geleit, dass es zumindest versucht, mal nicht. Am Ende steht Seenotrettung oder Tod. In dem Film nehmen wir die Position derer ein, die sich von dem Deal eine Verbesserung ihrer eigenen Lage erhofft haben, aber gnadenlos überfordert sind. Und dann kommt auch noch folgenschweres Pech dazu. Der Film erinnert stellenweise an Alejandro González Iñárritu Biutiful – nur ohne den Mystizismus. Aufgrund der moralischen Zwangslage und empathischen Darstellung von Crew sowie Flüchtlingen wäre er eigentlich der Film der Stunde. Das nahezu stufenlose Umschlagen des Kapitäns hingegen ist zu krass und zu unkommentiert, stößt daher eher vor den Kopf und lässt den (sowieso schon geschockten) Zuschauer stirnrunzelnd zurück.
Sea Fog (OT: 해무 „Haemoo“), Südkorea, 2014, Shim Sung-bo, 110 min, (8/10)
Okja
Nach der internationalen Produktion Snowpiercer wurden amerikanische Studios (genauer gesagt Netflix) endgültig auf Bong Joon-ho aufmerksam und schickten Jon Ronson und ihn in die Schreibkammer. Was raus kam ist eine Parabel auf Kapitalismus und den Preis unseres ach so bewussten Lifestyles. Der Film beginnt mit den Ambitionen der Mirando Corporation, die im Werbefilm tadellos dargestellt werden. Da heißt es noch man züchte ein ganz besonderes Schwein und gebe die ersten der Zuchtergebnisse in die Hände fähiger Bauern. Eben solche sind Mija und ihr Opa in den Bergen Südkoreas. Mija hat sich aber mit ihrem Schwein angefreundet und denkt gar nicht daran Okja wieder herzugeben. Schon gar nicht, da Okja zwangsläufig die „Fleischgewinnung“ droht. Der feinere Begriff für Schlachtung. Es beginnt eine Jagd zur Rettung Okjas, die ganz nebenbei das Geschäft mit dem Tier und die grausigen Umstände in der Lebensmittelindustrie offen legt. Gespickt wird das ganze mit absurd anmutenden Figuren wie der desillusionierten Konzernchefin Lucy Mirando (Tilda Swinton – gar in einer Doppelrolle) oder den zu Quasi-Rockstars erhobenen „Rebellen“ der Animal Liberation Front (ALF). Man kann also sagen, dass der Film klar Stellung bezieht. 😉 V.A. verblüffend ist die Aussage auf wessen Kosten wir unseren netten, fleischhaltigen Lebensstil beziehen und das ganze mit entsprechend schockierenden Bildern gespickt. Das CGI-Okja ist wunderbar gelungen, knuffig und gerade deswegen auch ein perfektes Mahnmal. Die schlussendliche Botschaft und Lösung des Dilemmas ist verblüffend. Aber auch verblüffend einfach. Zwar entlarvend für unsere gewinnorientierte Gesellschaft, hinterlässt aber einen (gewollt) faden Beigeschmack. V.A. in Anbetracht der Länge des Films kann er so trotz vieler guter Zutaten nicht die Schlagkraft entwickeln, die man sich wohl gewünscht hätte. Nettes Gimmick für Zuschauer, die gut aufpassen: das Thema der Übersetzung und des Fremdsprachenlernens spielt eine nicht gerade mal kleine Rolle in dem teils in Englisch, teils in Koreanisch gedrehtem Film.
Okja (OT: 옥자 „Okja“), USA/Südkorea, 2017, Bong Joon-ho, 121 min, (8/10)
„PARASITE Trailer German Deutsch (2019)“, via KinoCheck (Youtube)
Parasite
Ki-woo (Choi Woo-shik) kann sein Glück kaum fassen. Ein Freund hat ihm einen Job als Nachhilfelehrer bei einer stinkreichen Familie beschafft. Er hilft deren Tochter beim Englisch lernen und lässt sich dafür angesichts des Lohns und der Umgebung gerne „Herr Kevin“ nennen. Als seine Geldgeber, die Familie Park, davon spricht wie schwer es ist gutes Personal zu finden, sieht er seine Chance. Oder eher gesagt die seiner ganzen Familie. Ki-woo lebt mit seinem Vater Ki-taek (Song Kang-ho), seiner Mutter Chung-sook (Jang Hye-jin) und Schwester Ki-jung (Park So-dam) in schäbigen Verhältnissen in einer Hochparterre-Wohnung. Ihr Viertel ist so schmutzig, dass Stadtangestellte mit Sprühdesinfektion durchgehen müssen. So schleust Ki-woo mit einer Gaunerei nach der anderen seine ganze Familie in den Haushalt der versnobbten Parks. Angesichts der lukrativen Jobs können sie ihr Glück anfangs kaum fassen. Allerdings bleibt der Ausflug nicht ohne Folgen.
Ein Parasit ist ein Lebewesen, das sich auf Kosten eines anderen Organismus ernährt oder davon profitiert. Nicht selten unbemerkt. Die perfekte Metapher für das was die Familie Kim versucht. Und beispielhaft wie Familie Park trotz vermutlich höheren Bildungsstandes nicht bemerkt wie sie übertölpelt werden. Vermutlich fehlt ihnen stattdessen die Erfahrung mit dem echten Leben ohne die Annehmlichkeiten des Reichtums. Der daraus entstehende Witz, die karikatureske Darstellung der betuchten Parks – man hat vor Lachen Tränen in den Augen. Gerade als die Familie Kim sich zufrieden am Höhepunkt ihrer Gaunerei wiegt, werden sie wieder mit dem Klassenunterschied konfrontiert und auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. War die Familie Kim glücklicher, als sie noch „normal“ arm waren und die Annehmlichkeiten des Lebens der „upper class“ nicht kannten? Vergleichen ist das Grundübel von allem.
Der inszenierte Klassenkampf findet sich metaphorisch und inszenatorisch überall wieder. Von der Familie, die wortwörtlich „ganz unten“ lebt bis hin zu der Familie Park, zu deren Anwesen man Stufen nach oben steigen muss – die Filmschaffenden haben regelrecht topografische Grenzen gezogen. Der Film wirft uns in ein witziges Szenario, nur um kurz darauf unsere Erwartungen komplett zu drehen. Die Katastrophe deutet sich an, das Drama spitzt sich zu. War der Kinosaal anfangs mit Gelächter erfüllt, kann man später eine Stecknadel fallen hören. So still macht die Bitterkeit mit der die Wende zuschlägt und das moralische Dilemma. Parasite ist ein Film, der unterhält, zum Lachen bringt und uns gleichzeitig betroffen macht und aus der Comfort Zone herausholt. So muss Kino sein.
Parasite (OT: 기생충, „Gisaengchung“), Südkorea, 2019, Bong Joon-ho, 132 min, (10/10)
„A Beginner’s Guide to Bong Joon-ho“, via Little White Lies (Youtube)
Wer übrigens ein paar sehr prominente Filme vermisst, findet die in früheren Werkschauen. Die Regel hier ist ja nämlich, dass jeder Film nur einmal Teil von 7ème art sein darf. Snowpiercer und The Host wurden in früheren Ausgaben schon gefeatured. In den meisten schrieb Bong Joon-ho auch selbst am Drehbuch mit. Bei zwei der oben besprochenen stammt das Drehbuch von Bong Joon-ho, er führte aber nicht selbst Regie. Meist reicht es aber einen einzigen Film von ihm zu schauen, um zu verstehen, dass er ein Genie ist, der das Medium Film ganz und gar durchdrungen hat.
Narrativ ist er ein Meister des Unerwarteten. Er versteht es Twists als eben solche zu inszenieren: unvorhersehbar und mit einschlagender Wirkung. Er bedient sich Tropen, aber nicht um jemanden vorzuführen oder die x-te öde Geschichte von Stereotypen zu erzählen, sondern er nutzt sie um mit bekannten Mustern gezielt zu brechen. Die wiederkehrenden Themen seiner Werke sind Klassengesellschaft und Hierarchie. Ein Thema, vor dem viele aus Angst anzuecken aufgeben. Die fragwürdigen Entscheidungen, zu denen seine Antihelden fähig sind, haben meist die Hoffnungs als Ursache ihre eigene Lage zu verbessern. Etwas, womit sich jeder identifizieren kann. Dabei macht er uns als Zuschauer nicht selten zu Komplizen, zu Mitwissern. Aber nie so, dass es unangenehm wäre den Film zu schauen. Er dreht den Spieß um. Bei Mustern, bei Genres, bei Hierarchien und lockt den Zuschauer aus seinen Komfortzonen. Und wir tun es gerne. Ich denke ich übertreibe nicht, wenn ich sage: er ist ein Genie. Anbei noch ein Video, in dem wir, obwohl es sicherlich vom Youtube-Kanal als pure Werbung angedacht ist, ein bisschen lernen, von wem Bong Joon-ho sein Handwerk gelernt hat:
„Bong Joon Ho’s DVD Picks“, via criterioncollection (Youtube)
„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.
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