Leser, die hier öfter vorbeischauen, können sich denken, was der Auslöser für diese Werkschau war. 🙂 Von Werkschau kann man hier vielleicht gar nicht sprechen – es ist nicht an irgendeine/n SchauspielerIn oder RegisseurIn angelehnt o.Ä. Aber bleiben wir in Ermangelung eines besseren Begriffs dabei. Nach der Japanreise ist da auch etwas Wehmut, dass es schon vorbei ist. Warum dann nicht im Film zurückreisen? Ein schöner Nebeneffekt ist, dass man „Sight-Spotting“ betreiben kann. Erkenne ich irgendeine Straße oder eine Sehenswürdigkeit wieder?? Das war ein sehr schönes Spiel. 😀 Das Motto hat auch viele verschiedene Genres zu Tage gefördert. Vielleicht ist Don Pozuelo ein bisschen Schuld daran, dass Godzilla hier in dieser Liste landete, obwohl ich anfangs gar nicht so recht wollte. 😉 Der gemeinsame der Nenner der heute vorgestellten Filme ist also, dass ihr Schauplatz Tokyo ist.
Hachiko – wahre Freundschaft währt ewig
Der bekannte Film mit Richard Gere ist ein Remake von eben diesem japanischen Film aus dem Jahr 1987, der die Geschichte des Akita-Welpen in seinem historischen Kontext Japans der 20er Jahre nacherzählt. Der Universitätsprofessor Ueno (Tatsuya Nakadai) bekommt darin von einem Bekannten einen Akita-Welpen geschickt. Er wüsste, dass der Professor sehr traurig über den Tod seines letztes Hundes war und will ihm einen Gefallen tun. Anfangs ist sowohl Ueno als auch seine Familie unschlüssig, ob man nochmal einen Hund ins Haus holen soll. Und tatsächlich sieht es so aus, als ob der kleine Akita die lange Bahnreise nicht überstanden hätte. Als er dann aber Regung zeigt, seine Milch schlabbert und kurz darauf auf dem Hof rumspringt, könnte die Freude kaum größer sein. Der Professor lebt deutlich auf, zieht mit dem Hachikō getauften Welpen täglich seine Runden und wird von der treuen Tierseele sogar täglich nach der Arbeit vom Bahnhof abgeholt. Wie wahrscheinlich schon die meisten Leser wissen, nimmt der Film wie die Geschichte aus dem echten Leben eine dramatische Wende und beweist, dass wahre Freundschaft ewig währt.
Im Gegensatz zum modernen Setting des Lasse-Hallström-Remakes fängt der Film das Flair Japans vergangener Jahrzehnte ein. Hier wird Kimono getragen und die Position als Professor mit einem ganz anderen Ansehen verbunden. Umso deutlicher wird der Effekt, wenn der von Tatsuya Nakadai verkörperte Ueno auftaut. Im Berufsalltag ernst, ist es umso herzlicher, charmanter und witziger zu sehen wie er Hachi aus der Hundehütte im Regen ins Haus schleppt, ihn abtrocknet und dabei versucht seine Frau nicht wecken. Oder gar mit dem Hund badet und allerlei herzigen Quatsch veranstaltet. Sehr süß und witzig anzusehen. Natürlich ist es ein Tränenzieher, natürlich ist der Film tragisch und dramatisch – darauf muss man gefasst sein. Dabei bleibt er ästhetisch und pietätvoll und trumpft mit sehr natürlichen Schauspielern. Und etwas, das man wohl in keinem anderen Film sieht: die Szene der Geburt von Akita Welpen. Man fragt sich wie sie das hingedeichselt haben. Leider verfällt der Film aber in ein, zwei Szenen doch in den Kitsch, der einem süßlichen Shoujo-Manga entsprungen sein könnte. Nämlich wenn im ansonsten so gelungenen Film Hachi in einer Kirschbaumallee Ueno entgegen läuft – am besten noch in Zeitlupe. Und gerade in einer Schlüsselszene sieht es so aus als hätte man Ueno/Nakadai den Hund „entgegen geschmissen“ – unpassend albern an der Stelle. Davon mal abgesehen ein wirklich schöner Film, der locker mit dem Charme des Remakes mithalten kann. Und mit dem Flauschfaktor. Wer sich übrigens wundert: den Bahnhof Shibuya, wo Hachi als Statue noch heute besucht werden kann, erkennt man im Film nicht wirklich wieder. Aber ein bekannter Ort Tokyos hat einen Gast-Auftritt: der Asakusa-Schrein. 🙂
Hachiko – wahre Freundschaft währt ewig (OT: ハチ公物語 „Hachikō monogatari“), Japan, 1987, Seijirō Kōyama, 107 min, (7/10)
„Hachiko (1987) ORIGINAL TRAILER [HD 1080p]“, via HD Retro Trailers (Youtube)
Shall we dance?
Es ist etwas auffällig in wievielen Remakes japanischer Filme ein gewisser Richard Gere mitgewirkt hat. Auch Shall we dance? wurde mit ihm neuverfilmt. Die Prämisse ist dieselbe. Filmurgestein Kōji Yakusho spielt hier den „Salaryman“ Shohei Sugiyama, der jeden abend eine schöne Frau am Fenster einer Tanzschule sieht. Sie sieht unglücklich und sehnsuchtsvoll aus. Eines abends beschließt er in die Tanzschule zu gehen. Vielleicht unter dem Vorwand sie kennenzulernen. Und irgendwie landet er in einem Tanzkurs. Wie aber der Sprecher zu Beginn des Films erklärt, hat der Gesellschaftstanz in Japan so seine Startschwierigkeiten. Dass Fremde sich berühren ist nicht die japanische Art. Der Ruf des Gesellschaftstanzes in den 90er Jahren ist ein weiteres treibendes Element des Films neben der Frage, was Sugiyama in dem Studio sucht, dass er in seiner Ehe und seinem Alltag nicht findet.
Neben der angedeuteten Sinnsuche der Charaktere bietet der Film einiges an comedy relief durch die ersten Tanzversuche der Männer und den Umstand, dass der etwas „geometrische“ Kollege Sugiyamas, der von Naoto Takenaka gespielte Aoki, offenbar heimlich ein Top-Tänzer ist (wie man’s nimmt jedenfalls). Der Film ist ein schönes Unterhaltungsstück, das aber den dynamischen Charakter des Tanzes etwas vermissen lässt und für ein so emotionales und ausdrucksvolles Thema wie Tanz leider zu unterkühlt bleibt. Auch das Drama der schönen Mai (Tamiyo Kusakari) wird ungenügend thematisiert und erzeugt schwer Empathie. Ihre Geschichte ist eigentlich eine der Auslöser der ganzen Narrative, wird aber in wenigen Sätzen abgekanzelt. Ansonsten ist er aber ein angenehmer Unterhaltungsfilm, der Film-Stereotype vermeidet, indem er die klassische Affäre zu einer Option aber keiner Realität werden lässt. Und spielt der Film in Tokyo? Anzunehmen, da man den Fluss Sumida sieht, der durch Tokyo fließt und Sugiyama mit dem Zug durch Ikebukuro fährt. Aber er inszeniert Tokyo nicht als Tokyo.
Shall we dance? (OT: Shall we ダンス?), Japan, 1996, Masayuki Suo, 118 min, (7/10)
Stratosphere Girl
Angela (Chloé Winkel) zeichnet für ihr Leben gern. Sie weiß aber nicht, was sie vom Leben will. Jedenfalls nicht im Steuerbüro ihres Onkels arbeiten wie es für sie angedacht ist. So haut sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit dem japanischen DJ Yamato (Jon Yang) ab, den sie gerade erst kennen gelernt hat. In Tokyo versucht sie die Heldin ihrer eigenen Geschichte zu werden. Yamato bringt sie in einer WG mit zahlreichen anderen Frauen aus dem „Westen“ unter, die in Hostess Clubs arbeiten und dort Geschäftsmänner mit tiefen Ausschnitten, inhaltslosen Gesprächen und kleinen Spielchen bespaßen. Mit ihrer unschuldigen Art wird sie schnell ein Favorit der Gäste und zieht Hass und Neid ihrer Kolleginnen und Mitbewohnerinnen auf sich. Vielleicht wie schon andere vor ihr? Denn eine Hostess scheint vor Kurzem spurlos verschwunden zu sein. Stratosphere Girl ist ein in schöne Bilder gekleideter und atmosphärisch dichter Film, der das Nachtleben Tokyos einfängt, aber auch einzig und allein diese neonreklamen- und fetisch-geschwängerten Milieus zeigt. Um Angelas melancholisches Schwelgen in einer Heldenfantasie zu untermalen, sieht man immer wieder ihre Zeichnungen und wie sie darüber sinniert, was ein Held in dieser Zwangslage tuen würde. Aber es fehlt dem Film etwas an inhaltlicher Kohärenz. Es ist nicht ganz klar, ob Angela etwas mit Manga und Japan anfangen kann. Sie geht zwar sehr bereitwillig mit Yamato nach Japan und sagte sie wolle schon immer dorthin, aber sie scheint weder typisch Manga zu zeichnen, noch viel über Japan zu wissen. Auch die Naivität der Handlung und der zu albern geratene „Gegenspieler“ gleichen stellenweise einer Farce – auch wenn sich vieles davon mit dem Ende des Films auflöst. Müsste ich Stratosphere Girl in einem Satz erklären, dann wohl so: er handelt von dem romantisch verklärten Ausbrechen eines Mädchens, das noch nicht weiß, was sie vom Leben will.
Stratosphere Girl, Deutschland/Niederlande/UK/Schweiz/Italien, 2004, Matthias X. Oberg, 90 min, (6/10)
The Fast and the Furious: Tokyo Drift
Witzigerweise ist Tokyo Drift in dieser Liste einer der zwei Filme mit den meisten „bekannten“ Originalschauplätzen aus Tokyo. Mit bekannt ist gemeint, dass sie an Orten mit großem Wiedererkennungswert gedreht wurden. So sieht man mehrmals Shibya Crossing und die belebten Straßen der Hauptstadt. Eine der Rennfahrten geht gar über die Rainbow Bridge. Die Handlung des Franchise wird für einen Film komplett außerhalb der USA verlegt und dreht sich um den Teenager Sean Boswell (Lucas Black), der zu seinem Vater nach Japan zieht, nachdem er nach mehreren kleinen Delikten den Bogen mit einem illegalen Rennen deutlich überspannt hat. Die Erziehungsmaßnahme trägt eher keine Früchte. Schon am ersten Tag in Japan taucht er durch Mitschüler in die Tuningszene Tokyos ein, legt sich mit dem Spross einer lokalen Yakuza-Größe an und schrottet in einem illegalen Rennen das Auto von Han (Sung Kang). Der nimmt Sean kurzerhand unter seine Fittiche, alleine damit der den Schaden abzahlen kann.
Han dürfte Fans des Franchise aus weiteren Filmen bekannt sein. Tokyo Drift reiht sich nicht in die logische zeitliche Reihenfolge der Filme ein, sondern ist ein Quasi-Prequel und eine gelungene Abwechslung zu den bekannten Gesichtern und Drehorten. Was die Fast & the Furious-Reihe schon immer drauf hatte ist die Tuning- und Rennszene einigermaßen glaubhaft abzubilden. Während das Driften hier im Vordergrund steht, sind es v.A. auch die getunten Autos, die hier im Vordergrund stehen und entsprechend des Schauplatzes deutlich Wert auf die Inszenierung asiatischer Automarken legen. Sogar das Gerücht Yakuza-Mitglieder seien angeblich große Fans weißer Mercedes-Modelle, wird unterfüttert. Aber letzten Endes bleibt das Thema Geschmackssache. Wer mit illegalen Autorennen nichts anfangen kann und das nur für gefährlichen Idiotismus hält, der wird sich nicht für die Reihe und v.A. für diesen Teil wenig erwärmen können. Denn es tut schon weh zu sehen wie Sean aus purem Übermut und Leichtsinn Autos schrottet. Auch die Narrative sollte man nicht allzu sehr hinterfragen, zum Beispiel warum Sean denselben Fehler sowohl in den USA macht als auch direkt in Japan wiederholt oder wie Han eigentlich Geld verdient.
The Fast and the Furious: Tokyo Drift, USA/Japan, 2006, Justin Lin, 104 min, (5/10)
„Tokyo Sonata (2008) Trailer [ENG SUB]“, via 8thSinMovies (Youtube)
Tokyo Sonata
Der „Business-Man“ Ryūhei Sasaki (Teruyuki Kagawa) wird vom einen auf den anderen Tag gefeuert. Orientierungslos irrt er in seinem Anzug hin- und her, reiht sich in die Schlangen anderer Anzugträger ein und traut sich nicht nach Hause zu gehen. Tagelang zieht er das Schauspiel durch, verrät niemandem etwas und versucht mal einen Job zu finden, lungert mal auch nur im Park rum und schlägt die Zeit tot. Er sieht sich als Ernährer der Familie und will seinen Misserfolg nicht zugeben. Nichtsahnend, dass seine Frau und Kinder eben solche existenziellen Krisen durchmachen wie er. Tokyo Sonata beginnt mit dem Familienvater, der sich der in Japan gewünschten Konformität und des Rollenbildes des Ernährers ungewollt entzieht und vollkommen hilflos angesichts der Situation ist. Tatsächlich geht Kurosawa etwa in der Mitte des Films dazu über die Dilemma aller Familienmitglieder zu erzählen. Sie alle treffen sich jeden abend am Esstisch, sind aber nicht in der Lage sich gegenseitig zu helfen geschweigedenn erstmal offen miteinander zu reden. Ehefrau Megumi (Kyōko Koizumi) fühlt sich in ihrer Rolle übersehen und ihren Alltag als eintönig. Sie versucht es jedem recht zu machen, aber niemand versucht es ihr recht zu machen. Und der jüngste Sohn Kenji (Kai Inowaki) würde gern Klavierspielen, darf es aber nicht. Am ehesten ist noch der älteste Sohn Takashi (Yū Koyanagi) in der Lage dem zu entfliehen, aber auch nur im Konflikt mit dem Vater, der wie zu erwarten ist mit dem Ausbrechen aus vorgezeichneten Bahnen am wenigstens klar kommt.
All diese Charaktere lässt Kiyoshi Kurosawa (übrigens bitte nicht verwechseln mit seinem schon Namensvetter Akira Kurosawa) einfach mal losrennen, nur um uns als stillen Beobachter Zeuge werden zu lassen wie sich das Dilemma der Einzelnen entwickelt. Man erwartet die Katastrophe, ein Drama, einem Zusammenbruch, den Super Gau. Man ist quasi kurz davor und denkt jetzt ist alles vorbei. Tatsächlich endet der Film quasi antiklimaktisch, aber wunderschön. Das einzige was man sich wünschen könnte, ist dass der Film schneller Position bezieht und vom Business Man zur Familie übergeht. Das würde auch die Laufzeit etwas drücken. Ob der Film übrigens erkennbar in Tokyo spielt? Mehr oder weniger. Man meint das eine oder andere Hochhaus zu erkennen und Roppongi bei einer Autofahrt-Szene, aber ansonsten wird Tokyo eher erwähnt und bleibt einer von vielen denkbaren Schauplätzen für die Anonymität, die selbst innerhalb einer Familie das Miteinander und die Gemüter abstumpfen lässt.
Tokyo Sonata(OT: トウキョウソナタ, „Tōkyō Sonata“), Japan, 2008, Kiyoshi Kurosawa, 120 min, (8/10)
„Enter The Void – Trailer (Deutsch)“, via Moviepilot Trailer (Youtube)
Enter the Void
Wer zu Epilepsie neigt, sollte sich gut überlegen Enter the Void zu schauen. Der Film zeigt in seinen fast drei Stunden Laufzeit das Leben, Sterben und so er denn will die Wiedergeburt des Drogendealers Oscar (Nathaniel Brown) und die Beziehung zu seiner Schwester Linda (Paz de la Huerta). Allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern nachdem Oscar auf die wohl beschissenste Weise das zeitliche segnet. Gaspar Noé inszeniert wie Oscars Leben nach dem Tod nochmal an ihm vorüber zieht als den letzten großen „Trip“, psychedelisch und von viel Sex und Schlüsselmomenten eines Lebens geprägt. Einem Leben zweier einst süßer Kinder, die behütet hätten aufwachsen könnten, geliebt wurden und zeigt wie dann irgendwie aus ihnen ein Drogendealer und eine Stripperin wurden, die in Tokyo landeten und sich nur gegenseitig Halt geben können. Die Neonreklamen des Nachtlebens von Tokyo werden ein integraler Bestandteil der Visionen Oscars, die Vergangenheit, Gegenwart und letzten Endes Zukunft vermischen. Mit blinkenden Lichtern, Fraktalen, Mandalas, viel Sex, viel Drogentrips, nicht nur ein bisschen Ödipus-Komplex und der Szene, um die ich definitiv nicht gebeten habe, die aber auch irgendwie wiederum sehr passend für Noés Trip von einem Film ist: wie Geschlechtsverkehr innerhalb eines weiblichen Uterus aussieht. Enter the Void schaut sich nicht leicht, auch wenn man mal von den blinkenden Farben und schwer zu verdauenden Szenen und Schnitten absieht. Aber auch wenn es einem nicht schmeckt: Oscars und Lindas aus den Fugen geratene Leben könnte vielleicht jedes Leben sein, das ohne Moralkompass und stabiles Umfeld auskommen musste. Gaspar Noé findet dafür faszinierende Bilder und inszeniert die Reise von Oscars Bewusstsein schier genial. Zum einen fast durchgängig aus der Ich-Perspektive, die später in einem „Flug“ durch Raum und Zeit endet, über die Hochhausschluchten und Gassen Tokyos hinweg. Die Anspielungen, die Schnitte, die aneinandergereihten BÄMs des Films, die Schonungslosigkeit mit der er draufhält auf Situationen wo man lieber wegschauen möchte – der Film ist ein Meisterwerk. Aber eins von denen, die nicht nur wegen der fast drei Stunden Laufzeit schwer anzuschauen sind.
Enter the Void, Frankreich/Japan/Kanada, 2009, Gaspar Noé, 161 min, (8/10)
Shin Godzilla
In einer Liste der besten bis schlechtesten Darstellungen Godzillas landete die Version des Untiers aus Shin Godzilla auf dem Platz „Most ugly“. Vielleicht wurden in dem Moment meine Vorbehalte gegen den Film geboren, obwohl mit Hideaki Anno ein Filmemacher Regie führte, den ich wegen seiner Arbeit an The Secret of Blue Water und Neon Genesis Evangelion (NGE) sehr schätze. Er ist auch der richtige Typ für den Job. Wie oft hat er bei seiner Arbeit an NGE bewiesen, dass er ein Gespür für taktische und politische Prozesse hatte und wie diese ineinander greifen. Insbesondere, wenn Monster angreifen. 🙂 Meine Vorbehalte waren irrelevant. Wie Vorbehalte das so oft sind. Dieser Godzilla muss hässlich sein, denn er tut auch etwas hässliches: er legt Tokyo wortwörtlich in Schutt und Asche.
Shin Godzilla ist ein Quasi-Remake mehrerer Godzilla-Filme der japanischen und gar der amerikanischen Reihe, aber der erste japanische Godzilla-Film seit 2004. In dem Film kommt es zu einem Unglück in der Bucht von Tokyo, das mehrere Schiffe und Unterwassertunnel in Mitleidenschaft zieht. Anfangs wird der Vorfall für die Eruption eines Unterwasservulkans gehalten, dann aber tauchen im Internet Videos von Schuppen auf, die aus dem Wasser hervorragen. Die Politiker sind Aufruhr, beraten sich, ziehen Sachverständige heran, die keine Ahnung haben und glauben den Sachverständigen nicht, die Ahnung haben. Bis plötzlich eine echsenartige, riesige Kreatur durch Tokyo wütet und in schierer Zerstörungswut, Panik oder Verwirrung eine Schneise der Verwüstung hinterlässt. Einhergehend mit starker radioaktiver Verseuchung. Shin Godzilla adressiert vor Allem wie die Politik damit umgeht und zu taktischen Lösungen kommen muss, die durch viele viele Faktoren beeinflusst werden. Soviele Bewohner schützen wie möglich, Evakuierungen, Infrastruktur opfern – das kann für den einen oder anderen Zuschauer eine zu hohe Anhäufung von Dialog und Anzugträgern sein. Klar ist aber, dass Hideaki Anno in seinem Drehbuch die (teilweise unfähigen) Entscheidungsträger aufs Korn nimmt, auch wenn die Satire leise ist. Insbesondere anfangs ist der Zuschauer ggf wenig amüsiert – mehr Godzilla muss her, weniger Anzugträger! Aber man kommt auf seine Kosten und wird daran erinnert, dass Godzilla kein Kuschelmonster ist. Vor Allem, wenn er gegen Ende mit voller Härte zuschlägt und Tricks auspackt, die ziemlich heftig sind. Stichwort Laser. Man wird als Tokyo-Kenner Zeuge wie Godzilla u.a. das japanische Parlament im Stadtteil Chiyoda röstet und während des Showdowns wird die an den Amsterdamer Hauptbahnhof angelehnte Tokyo Main Station verwüstet, um mal nur zwei Beispiele zu nennen. Auch Shinkansen und JR Zug-Fans kommen auf ihre Kosten, denn die werden zur „Ablenkung“ Godzillas eingesetzt. Godzilla legt in diesem Film eine Metamorphose von einer Amphibie zu einem aufrecht gehenden Lebewesen hin und kann einen durchaus das Fürchten lehren. Die Botschaft ist auch hier wieder, dass Atomenergie Gefahren hervorbringt, die die Menschheit provoziert, aber ihren Folgen kaum selber Herr werden kann. Das einzige, was sowohl den Spaß am Kaiju Eiga (Monsterfilm) genauso wie die Bestürzung mindert sind die dialoglastigen, politischen Einlagen. Die Botschaft wäre auch mit etwas weniger Anzugträgern herübergekommen. Und in der zweiten Hälfte wirkt Godzilla einen Tick zu statisch – und damit meine ich nicht die gewollte Paralyse 😉 NGE-Fans sollten die Ohren spitzen: hier wird der Soundtrack des Anime recycelt. Passt aber eben auch verdammt gut.
Shin Godzilla (OT: シン・ゴジラ „Shin Gojira“), Japan, 2016, Hideaki Anno/Shinji Higuchi, 118 min, (8/10)
„SHIN GODZILLA Trailer German Deutsch (2017)“, via KinoCheck (Youtube)
Da blutet einem schon ein bisschen das Herz, wenn man Godzilla zuschaut wie es im 2016er Film von Hideaki Anno die Stadt verwüstet und erschreckend wenig dabei übrig lässt. Tatsächlich können die neueren Filme es besser Tokyo als Stilmittel und Schauplatz einzusetzen. Es gibt wenige Filme, die „Tokyo“ als Teil ihrer Narrative inszenieren – in Tokyo Sonata, Shin Godzilla und vielleicht sogar Tokyo Drift halte ich das für ganz gelungen. In den meisten anderen Filmen hätte man es auch gegen irgendeine andere Stadt ersetzen können ohne dass großer Schaden entsteht. Die Werkschau hat Spaß gemacht – und hatte einen detektivischen Faktor. Andere Filme, die ich zu dem Thema geschaut habe, sind „Gantz:O“ und „Godzilla“ aus dem Jahr 1954, das „Original“. Ersterer hat es nicht in diese Liste geschafft, da er zu großen Teilen in Osaka statt Tokyo spielt und letzteren hebe ich mir lieber für eine andere Werkschau auf. Vielleicht könnt ihr euch denken was für eine. 😉 Davon mal abgesehen ist wahrscheinlich Lost in Translation DER Tokyo-Film, der aber leider schon Teil einer anderen Werkschau war, genauso wie Tokyo Godfathers des großartigen Satoshi Kon. Welche Filme kennt ihr, die in Tokyo spielen? Und welche haltet ihr für „Pflichtprogramm“? Kennt ihr die besprochenen Filme?
„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.
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